Kapitel 17
"Es tut so gut dich zu sehen!", hieß ich Ruben willkommen und fiel ihm in die Arme.
Fest drückte er mich an sich.
"Ich habe uns Wein mitgebracht", sagt er freudig und hielt den Rotwein triumphierend in die Höhe. "Außerdem noch deine Lieblingsschokolade und Matteo hat uns Cookies gebacken. Unser DVD-Abend kann also beginnen!"
Das beste Geschenk, das er mitbrachte, war seine gute Laune.
"Du bist ein Schatz", ließ ich ihn wissen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
"Hol uns schon mal die Weingläser. Nach diesem Flug mit einem Neugeborenen auf der einen Seite und einem furzenden Opa auf der anderen Seite, brauche ich echt einen großen Schluck."
"Na klar, ich hol dir ein Glas."
Ruben verharrte in seiner Körperhaltung, während er mich entsetzt ansah.
"Du trinkst nicht?", hakte so kritisch nach, als würde er im PK-Raum der Bundesregierung sitzen.
Ich schüttelte den Kopf und sofort stemmte Ruben seine Fäuste in die Taille.
"Du bist schwanger, oder?"
Ertappte drehte ich mich um. Sherlock hatte seinen Nachfolger gefunden!
"So offensichtlich?", fragte ich ergeben.
Er nickte.
"Ja, schon. Du lehnst sonst nie einen guten Wein ab." Er schnaufte und sah mich dann voller Mitgefühl an. "Warum hast du denn nichts gesagt?"
Ich antwortete nicht. Ruben war einer meiner besten Freunde. Ich sollte vor ihm keine Geheimnisse haben und schon gar nicht solche. An seiner Stelle wäre ich auch enttäuscht.
"Es ist von Finn, oder?", hörte ich seine tiefe Stimme fragen.
Mein Blick schnellte zu ihm. Sherlock war soeben von seinem Thron geschubst worden.
"Was?", stammelte ich schuldig.
"Ich weiß es. Du und Finn. Die Weihnachtsfeier. Er hat es mir erzählt."
Das konnte doch nicht wahr sein! Finn war derjenige gewesen, der mir noch in derselben Nacht eine Nachricht geschrieben hatte, in der es hieß, dass wir das einfach vergessen sollten. Niemand sollte davon erfahren. Und dann erzählt er es Ruben?
"Sei nicht sauer auf ihn. Er hatte einfach Redebedarf. Diese Nacht hat ihn ziemlich viel überdenken lassen."
Mein Herzschlag setzte kurz aus. Was genau hatte das zu bedeuten?
"Was meinst du damit?"
"Na ja, ob die Hochzeit mit Maddie wirklich die richtige Entscheidung ist."
Mein Herz nahm einen doppelten Herzschlag wieder auf.
"Offensichtlich hat er eine Entscheidung getroffen", entgegnete ich verbittert. "Oder hast du keine Einladung bekommen?"
"Doch, doch! Er ist letztendlich auch zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, sein Leben so weiterzuleben, wie es geplant war."
"Aber er hatte überlegt es aufzugeben?"
Ruben deutete ein Nicken an, was in mir eine Gefühlsexplosion auslöste. Er hatte tatsächlich überlegt, alles für mich aufzugeben.
"Sag ihm bloß nicht, dass ich dir das erzähle", fuhr Ruben ernst fort. "Es sollte eigentlich nur zwischen uns beiden bleiben, aber ja. Die Tatsache, dass er seine Verlobte betrogen hat, hat ihn wirklich zu denken gegeben, wie viel Liebe er noch für sie empfindet."
Ich sah zu der Weinflasche. Zu gerne würde ich ein großen Schluck davon nehmen.
"Du bist also schwanger von ihm?", fragte Ruben erneut.
"Ja", brachte ich zähneknirschend hervor.
"Ganz sicher? Könnte es nicht auch von Basti sein?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Ganz sicher. Kein Zweifel."
Tränen huschten über meine Wangen.
"Schätzchen, nun wein doch nicht", sagte Ruben und kam auf mich zu, um mich zu umarmen. "Ihr werdet wundervolle Eltern sein. Und dieses Kind wird abnormal hübsch werden. Bei diesen Eltern geht das gar nicht anders." Kurz huschte ein Schmunzeln über meine Lippen, ehe ich wieder anfing zu weinen. "Sprich mit Finn. Du weißt genau, dass er ein guter Kerl ist, der sich um das Kind und dich kümmern wird. Er sollte es so schnell wie möglich wissen."
Ich vergrub mein Gesicht an Rubens Brust, während er mir tröstend über meinen Hinterkopf streichelte. So schrecklich wie ich mich gerade auch fühlte, so gut tat es, mal richtig in den Arm genommen zu werden.
Ich sah zu ihm auf. Er strich mir eine Träne weg.
"Wusstest du, dass Frida und Finn mal was miteinander hatten?", hörte ich mich selber fragen, ohne das ich geplant hatte, das auszusprechen.
"Ja", kam es ehrlich über seine Lippen.
Ich schob ihn von mir weg, um ihm besser ins Gesicht sehen zu können. Hatte er gerade "Ja" gesagt?
"Was?", sprudelte es überfordert aus mir heraus.
"Tut mir leid, Ilvi, aber auch das wusste ich."
"Was weißt du eigentlich nicht?"
Er zog einen Mundwinkel hoch.
"Ich weiß alles, Ilvi."
Das dürfte doch nicht wahr sein. Warum war ich das einzige dumme Huhn, der man es nicht erzählt hatte.
"Warum hast du es mir nicht gesagt? Warum haben die beiden es mir nicht gesagt? Warum bin ich die einzige Doofe, die nichts davon wusste?"
"Es war nur einmal. Sie waren betrunken und haben es auf einem Klo getan. Wenn du mich fragst, haben sie sich am nächsten Tag einfach nur noch dafür geschämt."
"Aber warum sagen sie es dann dir und nicht mir?"
Sein Gesicht wurde ernst und das für Ruben tatsächlich untypisch.
"Finn wollte es nicht. Ich weiß auch von dem Brief, den er dir damals geschrieben hat. Er wollte dich nicht verletzen."
"Moment, was?", sprach ich nun aufgeregt . Mein Herz hatte sich noch immer nicht beruhigt.
"Du meinst den Brief? Du weißt davon? Dieser Brief hätte mich fast umgebracht!"
"Ich weiß", flüsterte er.
Waren das Schuldgefühle, die sich seiner Mimik abzeichneten?
"Was weißt du darüber? Ich habe mit Finn nie wieder darüber gesprochen. War er da? Hat er damals auf mich gewartet?"
"Ilvi", sagte Ruben, als würde es ihm physische Schmerzen verursachen. "Das musst du mit Finn klären. Ich bin da leider die falsche Ansprechperson."
"Ruben, bitte! Ich sehe doch, dass du mehr weißt. Was ist an diesem Abend geschehen? Und hat Finn es ernst gemeint, was in dem Brief stand?"
"Ich kann dazu wirklich nichts sagen", entschuldigte er sich.
"Bitte, Ruben!", flehte ich. "Ich muss es wissen."
"Beruhige dich erst einmal! Stress ist nicht gut für das Kind!" Er zeigte auf meinen Bauch. "Und wenn du einen Rat von mir willst, dann ruf Finn noch heute an. Sag ihm, dass du schwanger bist und frage ihn, was es mit dem Brief damals auf sich hatte. Er kann dir alle Fragen beantworten. Ich kann es leider nicht."
Frustriert ließ ich mich auf die Couch fallen. Ich kannte Ruben gut genug, um zu wissen, dass ich keinen Ton mehr aus ihm herausbekommen würde.
"Es tut mir wirklich leid, Ilvi."
Ich nickte, doch innerlich war ich sauer.
"Ich dachte, wir sind beste Freunde und haben keine Geheimnisse voreinander."
Er lachte.
"Das sagt die, die eine Schwangerschaft verheimlicht oder zumindest versucht, sie zu verheimlichen." Er stupste mich kumpelhaft an. "Komm schon, es wird alles gut werden. Ich verstehe ja, dass es sich für dich gerade anfühlt, als würdest du in einer Gewitterwolke feststecken. Aber es kommen auch wieder bessere Zeiten. Überleg mal, was du schon alles durchmachen musstest. Allein deine Geburt und deine erste Wochen waren doch ein Überlebenskampf. Da lässt du dich doch nicht von so einer Schwangerschaft unterkriegen."
Er hatte leicht reden.
"Hmm", murrte ich, denn er hatte keine Ahnung, wie es sich tatsächlich anfühlte.
"Ist das eigentlich vererbbar?"
Ich spürte nun seinen ernsten Blick auf mir liegen.
"Nein, nicht, dass ich wüsste."
"Nicht, dass du wüsstest?", hakte er sofort kritisch nach. "Dann frag mal lieber ganz schnell bei deinem Arzt nach. Ich denke, das ist durchaus relevant zu wissen. Nicht, dass dein Baby genauso ums Überleben kämpfen musst wie du damals."
Als hätte ich nicht schon genug Probleme. Daran hatte ich noch nicht einmal gedacht, dass mein Herzfehler vererbbar sein könnte. Was für eine Mutter war ich eigentlich?
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