Kapitel 12
Meine Finger zitterten als ich die Nummer des Arztes eingab. 5 Minuten starrte ich auf das Display, ehe ich auf den grünen Hörer drücken konnte.
Dr. Stenzel hob schon nach dem ersten Ton ab.
"Arztpraxis Stenzel, Guten Tag!"
"Hallo, hier ist Ilvi Henderson, ich habe um 10 Uhr einen Telefontermin bezüglich der Auswertung meiner Blutwerte bei Ihnen."
"Ach, Frau Henderson, gut, dass sie anrufen" begrüßte er mich freundlich. "Die Ergebnisse sind vor einer halben Stunde eingetroffen und ich kann sie beruhigen. Es ist nichts Schlimmes. Ganz im Gegenteil."
Ich schluckte schwer, denn ich ahnte, was er gleich sagen würde. Es war der Tonfall, der ihn verriet. ich wollte auf Pause drücke und zurückspulen.
"Herzlichen Glückwunsch. Sie sind schwanger."
Augenblicklich legte ich auf. Ich sah mein Leben an mir vorbeiziehen.
Das war eine Katastrophe.
Ich sank auf meine Knie und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Bitterlich fing ich an zu weinen.
Nein!
Das dürfte nicht wahr sein! das musste ein Irrtum sein.
Doch er hatte es definitiv gesagt. Ein Bluttest hatte es bestätigt.
Ich war schwanger!
Was hatte ich nur getan?
Da wuchs etwas in mir heran.
Oh Gott!
Das würde ein richtiges Kind werden. Ich war 32 und ich sollte erwachsener mit dieser Information umgehen, doch in Wahrheit fühlte ich mich wie ein Teenager, der kein Plan hatte, wie er damit umgehen sollte. Ich konnte ja nicht einmal begreifen, was das für mich bedeuten würde.
Wenn ich das Kind behielt, würde Basti wissen, dass ich ihn betrogen hatte. Alle würden es wissen. Ich müsste es Finn sagen und der müsste es Maddie sagen. Ich würde seine Ehe, die noch nicht einmal begonnen hatte, zerstören.
Ich legte meine Hände auf meinen Bauch und hatte plötzlich eine unfassbare Wut in mir. Ich wollte dort einfach nur noch hineinschlagen. Fest ballte ich meine Fäuste, doch ich beließ es dabei. Dafür schnappte ich mir ein Kissen und schrie so laut ich konnte hinein. Immer und immer wieder.
Zum Glück war Basti gerade nicht zuhause.
Der Kissenbezug war innerhalb weniger Sekunden durchnässt. Mein Tränenfluss fand kein Ende.
Das dürfte nicht wahr sein. Mein Leben war schon kompliziert genug. Was sollte ich mit einem Kind von Finn? Was würden Frida und Ruben sagen, wenn sie wüssten, dass Finn und ich Sex hatten? Was würde meine Eltern von mir halten, wenn sie herausfinden, dass ihre Tochter eine Fremdgängerin war und sich auch noch schwängern ließ.
Ein Kind würde in jedem Fall das Ende meiner Beziehung bedeuten. Wollte ich dieses Kind behalten?
Ich wusste es einfach nicht.
Konnte ich so eine Entscheidung überhaupt allein treffen? Ein Kind hat schließlich immer zwei Elternteile. Ich sollte nicht über Finns Kopf hinweg entscheiden.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Er hatte ein Recht darauf es zu erfahren. Selbst wenn ich es abtreiben ließ, sollte er es erfahren. Er war genauso Teil davon. Warum sollte ich als einzige mit dieser Schuld leben?
Ich setzte mich auf und starrte einen Moment ins Leere.
Ich wusste, dass Finn heute im Home Office war. Er war in diesem Moment nur weniger Meter von mir entfernt. Und ich brauchte in diesem Moment jemand zum Reden. Und wer war da nicht besser geeignet, als derjenige, der eine Mitschuld an der Situation trug?
Kurzentschlossen stand ich auf, schlüpfte in meine Badelatschen und verließ die Wohnung. Noch immer war ich schwach, doch diese Nachricht hatte mir einen kurzen Adrenalinschub gegeben. Hastig lief ich die Treppen nach unten. Ich musste es ihm sagen. Finn war jemand, der immer einen kühlen Kopf bewahrte. Ich war mir sicher, dass er wusste, was zu tun war.
Meine Knie waren weich wie eine Qualle und mein Körper zitterte wie ein unterkühlter Chihuahua.
Ich atmete tief ein, als ich vor Finns Tür stand und wischte mir die Tränen weg. Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt schon verstanden hatte, was mir der Arzt gesagt hatte. Vielleicht sollte ich erst einmal eine Nacht darüber schlafen.
Nein! Jetzt oder nie! Morgen hatte ich mich vielleicht der Mut schon wieder verlassen.
Ich hörte von drinnen Stimmen. Sie waren laut und aggressiv. Maddie und Finn stritten sich. Ich ließ meinen Kopf hängen. Vielleicht war es doch nicht der beste Moment. Es klang wirklich übel. Das war nicht einfach nur eine Meinungsverschiedenheit. Maddie schrie hysterisch. Wenn ich Finn nicht besser kennen würde, könnte man meinen, dass er sie gerade abschlachtete.
Plötzlich hörte ich, wie Schritte näher kamen. Kaum hatte ich mich einen Schritt von der Tür entfernt, schwang diese kraftvoll auf.
In seiner Wut sah Finn mich nicht sofort und rannte förmlich in mich hinein, während er hinter sich die Tür zuschmiss.
Er schrie vor Schreck auf, reagierte aber trotzdem geistesgegenwärtig, und hielt mich an den Oberarmen fest, sodass ich nicht nach hinten fiel.
"ILVI!", rief er entsetzt. "Was zur Hölle machst du hier?" Er musterte mich. "Hast du geweint?"
Ich sah ihm in die Augen und ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken. Dieses Kind in meinem Bauch könnte diese Augen haben. Oder diese gerade schmale Nase. Oder diese vollen roten Lippen. In mir drin wuchs eine Mischung aus Finn und mir. Das war eine Tatsache, die ich einfach nicht begreifen konnte. Wir hatten ein neues Leben kreiert.
"Ilvi", sagte Finn erneut und holte mich aus meinen Gedanken.
Er sah aufgewühlt auf. Das war definitiv nicht der richtige Moment für die Wahrheit. Ich räusperte mich und versuchte meine Stimme wiederzufinden.
"Ähm, ich habe Zwiebel geschnitten", log ich unfassbar schlecht, aber offenbar gut genug für Finn. Vermutlich war er gerade viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um ein Auge dafür zu haben, dass ich aussah, als ich mir besagte Zwiebeln direkt auf die Augen gelegt. "Es gibt heute Zwiebelsuppe," fügte ich noch hinzu.
"Und was machst du hier?"
Darauf hatte ich keine Antwort. Zumindest keine, die ich aussprechen konnte.
"Alles okay bei dir?", fragte ich stattdessen. "Ich habe euch streiten gehört."
"Komm", sagte er. "Wir gehen gehen ein Stück."
Ihm war offenbar nicht aufgefallen, dass ich nur in Badelatschen und einer Strickjacke vor ihm stand, doch ich sagte nichts weiter und folgte ihm. Seine Nähe tat mir gut.
"Sie treibt mich in den Wahnsinn", begann er sich seine Probleme von der Seele zu reden. "Allein schon diese Hochzeit! Sie redet gefühlt von nichts anderem mehr. Alles dreht sich nur noch um diesen bescheuerten Tag. Torte, Kleid, Blumen, Dj, Einladungen, Location, Essen, Gastgeschenke, Servietten... Die Liste hat kein Ende! Aber das ist noch nicht einmal das Schlimmste." Er schien so, als würde er eher mit sich selbst reden als mit mir. "Jetzt will sie auch noch ein Kind und das mehr oder weniger sofort." Ein Kloß blieb in meinem Hals stecken und schnürte mir die Luft ab. "Sie ist der Meinung, dass wir jetzt mit der Familienplanung beginnen. Schließlich ist dafür doch eine Hochzeit da. Das wüsste doch jeder. Die Hochzeit ist in 5 Monaten. In ihrer bescheuerten Welt bedeutet das, dass wir exakt in zwei Monaten mit der Zeugung eines neuen Familienmitglieds beginnen. Denn wenn sie bei der Hochzeit im dritten Monat schwanger ist, wäre das noch okay. Den Bauch sehe man dann ja noch nicht. Kannst du dir das vorstellen?" Er wartete gar nicht meine Antwort ab, sondern redete sich weiter in Rage. "Als ich gesagt, dass mir das zu früh ist und ich gern noch ein paar Jahre mit ihr allein haben will, ist sie vollkommen ausgetickt und hat mir die wildesten Vorwürfe gemacht." Dann sah er wieder zu mir. "Wie kann man so sein, Ilvi?" Nun sah er mir direkt in die Augen. "Wieso ist sie manchmal so?", fragte er mit einem Anflug von Verzweiflung.
Erwartungsvoll sah er mich an, während in mir drin das Chaos ausbrach.
Er wollte kein Kind, war alles, was ich gehört hatte.
"Ich weiß nicht", nuschelte ich.
"Natürlich nicht. Ich weiß ja, dass ihr sie alle nicht leiden könnt", sagte er verbittert.
Ich verschränkte meine Arme vor meiner Brust, da die Kälte mittlerweile in meine Knochen zog. Ich war viel zu dünn angezogen für einen Januar, in dem es zwar erstaunlich mild war, aber ein unangenehmer Wind wehte.
Ich ignorierte seinen Kommentar und stellte stattdessen die Fragen, die mir auf den Lippen brannte: "Ist ein Kind für dich denn eine so schlimme Vorstellung?", hakte ich mutig nach, während wir weiter die Straße entlang liefen. Finn kickte jedes Steinchen weg, das ihm vor die Füße kam.
"Ich will jetzt kein Kind", stellte er fest. "Maddie ist jünger als ich. Wir haben doch noch Zeit. Ihre biologische Uhr tickt noch lange nicht. Warum können wir dann nicht einfach ein paar Jahre noch für uns genießen? Wir können reisen und die Welt entdecken. Wenn erst einmal so ein Windelpupser da ist, fällt das für 10 Jahre flach. Genauso wie Konzerte, Kinobesuche, Restaurants, mal in den Club gehen. Mit Kindern ist das alles nicht dasselbe."
Vielen Dank für die Erinnerung!
"Verstehe."
Wir waren nun zu zweit und hatten auch noch das Thema Kinder. Es wäre der perfekte Moment, um die Wahrheit zu sagen. Doch ich konnte es nicht mehr. Nicht nachdem, was er mir gerade gesagt hatte.
Ich blieb stehen und sah zu ihm. Ich wollte umarmt werden und von ihm hören, dass alles gut werden würde. Irgendwie hoffte ich, dass er mir ansah, was los war.
Doch er tat es nicht.
"Ich bin so sauer auf sie", fuhr er entzürnt fort. "Am liebsten würde ich die Hochzeit erst einmal auf Eis legen."
"Du denkst über Trennung nach?", hakte ich sofort nach.
"Nein", sagte er sofort. "Nicht Trennung. Um Gottes Willen! Ich will einfach nur diese doofe Hochzeit nicht!"
Mittlerweile war mir so kalt, dass meine Zähne aufeinander klapperten.
"Frierst du?", fiel Finn endlich das Offensichtliche auf und sah an mir herunter. "Oh Gott, du hast ja nicht mal richtige Schuhe an! Warum sagst du denn nichts?"
"Du warst so aufgewühlt. Ich wollte dich nicht unterbrechen."
"Ach Ilivi", seufzte er. Finn konnte mir nicht einmal seine Jacke geben, weil er selbst keine trug.
"Wir können zu mir gehen und du kannst mir da weiter dein Herz ausschütten", schlug ich vor "Basti ist auch nicht zuhause."
Doch Finn schüttelte den Kopf.
"Nein, ich sollte besser zurückgehen und noch mal versuchen, in Ruhe mit Maddie zu sprechen. Je länger ich weg bin, desto schlimmer wird es, wenn ich wiederkomme."
Es lag mir auf der Zunge. Ich musste es nur ausspucken. Es ware doch nur drei Wörter:
Ich bin schwanger.
Drei Wörter, die ein Leben veränderten. Mehr als eins. Aber sie konnten auch ein neues schaffen. Jedoch nur, wenn ich mich dafür entschied.
Plötzlich war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich Finn wirklich davon erzählen sollte. Selbst wenn wir uns für eine Abtreibung entschieden, würde diese Sache für immer zwischen uns stehen. Wir würden nie wieder eine so tolle Freundschaft haben wie jetzt. Wollte ich das wirklich aufs Spiel setzen?
Ich könnte einfach eine Abtreibung haben und so tun, als wäre nie etwas gewesen. Niemand musste davon erfahren.
"Sicher, dass das von Zwiebeln kommt?", fragte er plötzlich und sah mich misstrauisch an.
"Ja und ich muss jetzt auch wieder ins Warme. Mir ist wirklich kalt."
Ich setzte mich in Bewegung und war bereits ein paar Schritte von ihm entfernt, als er noch einmal meinen Namen rief.
"Warum standest du eigentlich vor unserer Tür?", erkundigte er sich. Mein Herz krampfte und mein Magen zog sich zusammen.
"Erzähle ich dir ein anderes Mal", versuchte ich unbeschwert zu klingen. "War nichts Wichtiges!"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top