01 || MAYBE TOMORROW
HOLLY || VERGANGENHEIT
»Er schaut zu dir.« Tessa stieß mir fest mit ihrem Ellenbogen gegen meinen Oberarm.
Ich warf ihr einen bösen Blick zu, während ich mir die Stelle rieb, an der sie mich getroffen hatte.
»Wofür war das denn?«, zischte ich ihr genervt zu und warf einen kurzen Blick auf meinem Arm.
»Dreh dich jetzt ja nicht um«, warnte sich mich vor.
»Warum sollte ich auch?«
»Hast du mir nicht zugehört?«, fragte sie, während sie sich nach hinten lehnte, sodass sie nun ganz im Sand lag. »Er sieht zu dir«, wiederholte sie sich dann.
Irritiert stoppte ich in meiner Bewegung und überlegte einen Moment darüber nach, was sie zuvor gesagt hatte. »Wen meinst du?«
Doch ehe sie meine Frage beantworten konnte, tat ich genau das, was ich angeblich nicht tun sollte.
Und schlagartig wurde mir auch der Grund dafür bewusst. Er blickte tatsächlich zu mir und sein Blick fixierte mich.
Panisch riss ich die Augen auf und schaute eilig wieder zurück. Vorwurfsvoll sah ich zu Tessa und kniff die Augen zusammen. Hätte sie mich nicht warnen können?
»Oh, den Stiefel werde ich mir jetzt nicht anziehen«, erwiderte sie.
»Ich habe dich versucht zu warnen, Holly.«
Ich schüttelte hastig meinen Kopf, wobei meine braunen Haare umherflogen und schließlich wieder auf meinem Rücken landeten. »Hast du nicht!«
Sie zog eine Augenbraue hoch.
»Okay«, murmelte ich. »Vielleicht hast du es ja doch versucht.«
Erneut wagte ich einen Blick über meine Schulter und traf erneut auf den von Reece. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, während er mich musterte.
»Geh zu ihm«, zischte meine beste Freundin mir von der Seite aus zu.
Und was dann? Sollte ich ihn nach dem Wetter fragen?
Irgendwie hätte ich es geschafft, dass das ganze total seltsam und eigenartig wäre.
Schlussendlich würde ich mich komplett gegenüber ihm und allen anderen blamieren und mir nichts sehnlicher wünschen, als stumm im Erdboden zu versinken. Am besten blieb ich dort dann auch für die nächsten Tage oder sogar Wochen.
»Oder willst du, dass Bree sich ihn schnappt? Dann heulst du mir die Ohren voll.«
Da übertrieb sie aber maßlos.
»Sie kann ihn mir nicht wegnehmen, wenn ich überhaupt kein Interesse habe«, entgegnete ich. Allerdings ohne ihn wirklich aus den Augen zu lassen.
»Ist klar«, lachte sie.
Schwungvoll drehte ich mich zu ihr und unterbrach somit den Blickkontakt zu Reece. »Tessa! Das ist mein Ernst.«
Sie zuckte nur mit den Schultern. »Wenn du meinst.« Das klang aber noch immer nicht ganz überzeugt.
»Du bist blöd«, schmollte ich. »Weißt du das?«
»Ich habe recht. Warum gibst du es nicht einfach zu?«
Sie war der festen Überzeugung, dass sie immer im Recht lag.
Meistens war sie das auch, war sie es jedoch nicht, wollte sie es einfach nicht zugeben und würde es auch nie, selbst wenn es ihr bewusst wurde.
Ich verdrehte die Augen. »Weil du ausnahmsweise nicht im Recht bist. Ich habe dir doch schon oft erzählt, dass es in der Stadt, in der ich vorher gewohnt habe, nur Idioten gab und ich-«
Sie unterbrach mich. »Und du deswegen momentan keine Beziehung möchtest, weil deine beiden letzten beschissen waren«, vollendete Tessa meine Ansprache. »Ich weiß, ich weiß. Aber du musst ihn ja nicht gleich heiraten.«
Dass ich ihn nicht direkt heiraten musste, ist mir natürlich bewusst, aber mal abgesehen davon, dass ich zurzeit keine Lust habe, etwas anzufangen, verhielt ich mich gegenüber Reece – wie sollte ich es am besten sagen – sonderbar.
»Das Interesse besteht trotzdem nicht.« Gedankenverloren schaute ich auf das Lagerfeuer, das welche aus unserer Stufe angezündet hatten und vergrub meine Füße im Sand des Strandes.
»Rummachen reicht doch«, fügte sie leise hinzu. »Tessa!« Entsetzt schlug ich ihr auf den Arm.
Dieses Mal erfuhr ihr das »Aua«, doch genau das hatte sie verdient.
»Ja«, nahm ich plötzlich eine Stimme auf meiner anderen Seite wahr. »Rummachen reicht doch völlig.«
»Callum, du Toast«, murrte ich, als ich bemerkte das er es war. »Und was genau hat das arme Toast dir getan?«
»Ich mag kein Toast«, erklärte ich stumpf.
»Muss ich das jetzt auf mich beziehen?«
Ich nickte. »Tu dir keinen Zwang an. Was machst du eigentlich hier?«
Vor noch zwei Minuten stand er doch noch bei seinen Freunden. Unter anderem Reece, an welchem ich nebenbei kein Interesse hatte, was meine nette beste Freundin jedoch nicht verstehen wollte.
»Ich soll Amor spielen«, verkündigte er stolz.
»Für dich und Tessa? Viel Spaß euch beiden«, trällerte ich und wollte mich damit eigentlich erheben und die Flucht ergreifen, bevor das keine Option mehr war.
»Na ja, eigentlich für Reece«, äußerte Callum sich. »Aber wenn ich schon mal hier bin«, erwähnte er möglichst beiläufig, während er sich etwas zu Tessa drehte, die weiterhin auf den Boden verweilte und nicht den Eindruck machte, als würde sie das ändern wollen.
Ich musste definitiv die Flucht ergreifen.
Flehend sah sie mir hinterher. »Du kannst mich nicht mit dem alleine lassen«, versuchte sie mich zum Bleiben zu bringen und setzte sich doch aufrecht hin.
Sieh mal einer an.
Ich ließ mich nicht beirren. »Du siehst doch, wie ich das kann.« Provozierend grinste ich sie an und lief einige Schritte rückwärts.
»Wenn du jetzt gehst, wirst du das bereuen.«
Sie setzte ihre Drohungen nie durch. Oft hatte sie es innerhalb ein paar Minuten bereits völlig vergessen.
»Dann musst du mich erst finden.« Schnell warf ich ihr noch einen flüchtigen Blick zu, ehe ich mich davonschlich.
Ein paar Schritte weiter blieb ich allerdings verdutzt stehen. Hatte Callum gesagt, er müsse Amor für Reece spielen?
Meine Augen wanderten zu dem Platz, wo Besagter vorhin noch stand.
Er war nicht da.
Woanders auch nicht.
Er war spurlos verschwunden.
Vielleicht suchte er mich.
Ich schnappte nach Luft. War das wirklich möglich?
Ich schüttelte den Gedanken recht schnell wieder ab.
Wahrscheinlich hatte er einfach keine Lust mehr und ist gegangen. Das war alles.
Außerdem ging es mich weder etwas an, noch wollte ich es eigentlich wissen.
Dann wäre diese Sache ja auch geklärt.
Zufrieden ließ ich mich wieder in den Sand fallen und betrachtete das Meer vor mir, welches durch Wellen näher zu mir kam und sich dann wieder zurückzog.
Warum war ich überhaupt hier? Eigentlich hätte ich noch einen Berg an Hausaufgaben gehabt, welcher jetzt auf meinem Schreibtisch auf mich wartete.
Nur hatte Tessa mich leider überredet. Sie meinte, dass das Lagerfeuer ein Muss in unserer Stufe ist und es von unserem Jahrgang jedes Jahr gemacht wurde.
Das dürfte ich auf keinen Fall verpassen.
Aber jetzt saß ich hier. Alleine.
Okay, das hörte sich wirklich sehr traurig an.
In solchen Momenten vermisste ich meine alte Schule und meine alten Freunde.
Damit sagte ich nicht, dass Tessa, Malea und diese Schule nicht auch gut waren, dennoch war es anders.
Meine Eltern hatten schon lange geplant, dass wir aus diesem kleinen Dorf ziehen und dafür in eine Großstadt, aber es nie wirklich durchgezogen.
Sie waren eher dafür bekannt, dass sie sich etwas in den Kopf setzten, doch nicht in die Tat umsetzten, was für mich völlig okay war.
Bis vor den Sommerferien.
Und ehe ich mich versah, verbrachte ich meine Ferien zwischen Umzugskartons.
Ich seufzte, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
Mom und Dad waren vorher wirklich niemals spontan. Plötzlich hatten sie aber unser Haus verkauft, hier ein kleines neues Haus erworben und Dad hatte seinen Job gekündigt.
»Ignorierst du mich?«
»Was?« Ich lugte zu ihm. Er beobachtete mich von der Seite und seine dunkelbraunen Haare standen unordentlich in alle Richtungen ab.
»Seit letzter Woche gehst du mir aus dem Weg.«
Oh, du meinst, als du mich gefragt hast, ob ich mit dir ausgehen würde, daraufhin ich hysterisch losgelacht habe, den Rückzug rückwärts angetreten habe und gegen eine offenstehende Tür geknallt bin?
Das sagte ich natürlich nicht laut.
»Was? Nein, ich gehe dir doch nicht aus dem Weg«, winkte ich lachend ab.
Genau das war mein offizieller Plan.
Reece musterte mich kritisch und war offensichtlich nicht sehr überzeugt.
»Dafür gibt es doch keinen Grund«, fügte ich hinzu und kaute unruhig auf meiner Unterlippe. Das würde er mir doch nie glauben.
»Okay«, erwiderte er dann zögernd. »Wenn das so ist, kannst du ja am Freitag mit mir ausgehen.«
Fast verschluckte ich mich an meiner eigenen Spucke, ehe ich hustete und er mir leicht auf den Rücken klopfte.
Freitag? Heute war Mittwoch.
Das hieß er meinte schon Übermorgen.
»Alles in Ordnung, Holly?«, erkundigte er sich, konnte sich aber dennoch kein Schmunzeln verkneifen.
Ich nickte. »Mhm, alles super. Und bei dir so?«
Nichts war super. Er konnte mich doch nicht einfach so überfallen. Was fiel ihm eigentlich ein?
Ich stand hier schließlich kurz vor einem Herzinfarkt.
»Sehr gut. Dann sehen wir uns spätestens Freitag.« Er stand so
schnell auf, dass ich nichts mehr entgegnen konnte. »Ich hole dich um Acht ab.«
»Nein, ich kann nicht«, brachte ich mühselig heraus.
»Wir sehen uns Holly.«
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