4.Kapitel - Gedanken verloren
4.Kapitel - Gedanken verloren
Die Woche verging ziemlich schnell. In der Uni tat sich nichts und wie immer stand ich jeden Morgen auf, ging aus der Wohnung, saß in den Vorlesungen und ging wieder nach Hause. Übrigens, ich hatte Malerei aufgegeben und was neues begonnen; Germanistik. Malerei war vielleicht doch nichts für mich. Komplett aufgegeben hatte ich sie nicht, dennoch sah ich sie jetzt nur als Hobby, was mir auch recht war. Viel konnte man damit nicht anfangen und malen konnte ich immer zu Hause, wenn ich Lust hatte.
Nach der letzten Vorlesung packte ich meine Sachen zusammen und ging aus der Klasse. Gedanken verloren ging ich den Gang entlang bis ich gegen einen starken Körper stieß. Meine Tasche und mein Kaffeebecher, die ich in der Hand hatte, fielen runter. Voller Panik und Nervosität versuchte ich mich zusammenzureißen und ruhig meine Tasche wieder in die Hand nehmen. Die Person, an die ich gestoßen war, hatte ich komplett vergessen, denn wie ich meine Tasche nehmen wollte, stießen unsere Köpfe gegeneinander und mit einem lauten Autsch! schauten wir einander endlich in die Augen.
„Es tut mir so leid!" hörte ich die Person sagen. Er nahm meine Tasche in die Hand und stand wieder auf den Beinen. „Es tut mir so leid. Ich habe dich nicht gesehen. Hier! Deine Tasche..." sagte er schuldig und überreichte mir meine Tasche. „Nein, ist schon okay. Ich war gerade mit den Gedanken auch nicht wirklich da... Danke!" antwortete ich und kam mir peinlich vor. Bis er wieder etwas erwiderte, hatte ich Zeit, ihn zu beobachten. Schwarze Haare, dunkle Augen. Er war bestimmt ein Asiater, denn er hatte solche Augen wie die. Aber er schaute sehr süß und gleichzeitig cool aus. „Ich heiße Jules-Leon. Ju-Le reicht!" entgegnete er mit einem Lächeln. „Hi! Ich heiße Baran." „Was treibst du jetzt so?" fragte er mich. „Ich komme grad aus meiner letzten Vorlesung. War auf dem Weg nach Hause. Du?" „Ich habe jetzt zwei Stunden Pause. Wollte mich in eine Cafeteria hinsetzen. Magst du mitkommen?" bot er's mir an. „Äh, ja. Warum nicht!"
Wir fuhren ein paar Stationen mit der Strahßenbahn und fanden eine Cafeteria, wo wir uns auch hinsetzten. Ich bestellte einen Schwarzen Tee, er einen großen Brauner. „Was studierst du denn an der Uni?" begann er die Konversation. „Germanistik!" antwortete ich kurz und knapp. „Sehr interessant! Ich habe dich bei der Institution noch nie gesehen!" dachte er nach. „Warum solltest du mich gesehen haben? Studierst du etwa auch Germanistik?!" fragte ich neugierig. „Ja, ich bin im vierten Semester. Du?" „Ich bin im zweiten." antwortete ich. „Hmm, vielleicht habe ich dich aus dem Grund nicht gesehen. Immerhin fühlt man sich im ersten Jahr noch ein bisschen schüchtern." erwiderte er mit einem Lächeln.
„Darf ich fragen, woher du kommst?" Die Frage war mir ein wenig peinlich, aber dennoch wollte ich es wissen. „Hahah, klar. Meine Mom kommt aus Japan und mein Dad aus Frankreich. Ich bin hier in Wien geboren." antwortete er freundlich. „Cool! Daher die Augen!" sagte ich und zeigte auf meine Augen. „Jap!" „Aber für einen Halbjapaner schaust du ziemlich wenig japanisch aus." „Hahah, ja. Meine Geschwister schauen mehr japanisch aus, wenn man das so sagen will." antwortete er amüsiert. „Sorry, das war nicht so gemeint..." verdammt... Das kam jetzt blöd rüber. „Passt schon! Sowas höre ich oft genug."
Die Minuten vergingen schnell. Die Zeit mit Ju-Le habe ich sehr genossen. Er war ein sehr lustiger, humorvoller und sympatischer Typ. Er kam mir wie ein älterer Bruder vor; als ob ich ihm all meine Geheimnisse anvertrauen könnte. Dafür wäre es zu früh, aber ich ließ mich überraschen. Immerhin war er der erste „Freund", den ich hier an der Uni gefunden hatte.
Ich begleitete ihn zur Straßenbahn, wir verabschiedeten uns voneinander, er stieg ein und ich ging den Weg zu Fuß weiter. Dieser war mein Lieblingsweg; der Ring und die Innenstadt. Immer, wenn ich Zeit zum Nachdenken brauchte, ging ich den ein und denselben Weg. Tag für Tag. Als ob ich ihn noch nie zurückgelegt hätte. Bald kam ich beim Parlament an. Dieses weiße griechische Gebäude. Der Kontrast zwischen ihm und allem anderen. Bei der National Bibliothek bog ich links ab und begab mich in Richtung Stephansplatz; der Kern Wiens. Dort angekommen stieg ich endlich in die U-Bahn ein und fuhr nach Hause.
Zu Hause angekommen ließ ich meine Sachen in mein Zimmer, sprang unter die Dusche und ließ das warme Wasser meinen Körper entspannen. Ich dachte über die vergangenen Tage, Monate und Jahre nach. Ich würde nicht sagen, dass ich meine Vergangenheit bereute, aber jeder hätte sie lieber schöner; glücklicher. Aber das Leben war nun nicht perfekt und man musste damit leben.
Nach dem Duschen gönnte ich mir einen heißen Tee und setzte mich auf mein Bett und las. Warum kam ich nicht früher drauf, dass mir lesen mehr Spaß macht als malen? Stell dir vor, dein ganzes Leben lesen zu können. Ohne irgend etwas Anderes machen zu müssen. Das wäre traumhaft. Immer in andere Welten reisen, neue Personen kennenlernen, ihre Geschichte miterleben. Das könnte ich mein Leben lang machen. Ohne Pause, ohne Störung.
Gegen Abend ließ ich das Buch bei Seite. Es war bereits 19 Uhr. Meine Mom war noch nicht zu Hause, also ging ich in die Küche und fand mir was zum Essen. Zwei Käse Schinken Toasts machte ich mir und setzte mich nachher auf die Couch und genoss die Stille in der Wohnung. Morgen sah ich endlich wieder Matheo. Nach so vielen Monaten. Ich weiß gar nicht mehr, wie es dazu gekommen war, dass wir einander nicht mehr sahen. Ich war beschäftigt mit meinen Sachen und er mit seinen. Manchmal vergisst man eben die anderen.
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Oben seht ihr ein Foto von Jules-Leon :) was denkt ihr über ihn?
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