21.Kapitel - Bei der Versammlungsort


21.Kapitel - Bei der Versammlungsort

SIEBEN MONATE SPÄTER NACHDEM ALLES ENDETE

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Eine Taube flog schnell über meinen Kopf vorbei. Wie oft mir diese Situation passiert war, konnte ich nicht sagen. Ich saß auf der steinernen Bank im Stephansplatz, beobachtete die Menschen und dachte nach. Ich erstellte meine eigenen Geschichten über sie. Ich fand Menschen interessant.

Ich mochte es, Menschen zu beobachten. Ihre Miene, ihr Aussehen, wie sie sprachen und was sie machten. Meistens konzentrierte ich mich auf eine Person und merkte mir alles über diese Person. So wie jetzt. Ein alter Mann saß auf einer Bank, hatte eine rote Rose in der Hand und schaute nervös herum. Wahrscheinlich wartete er auf jemanden. Vielleicht auf seine Frau? Ich fand es immer sehr lieblich, alte Paare zu sehen, wie sie einander noch liebten und sich freuten, einander gefunden zu haben.

Ein Mann, vielleicht Mitte dreißig, stand vor der Bar im Freien, kochte einen Kaffee und wischte sich dabei den Schweiß von der Stirn. Er schien gestresst zu sein, doch das Lächeln verließ seine Lippen nicht. Seinem Kollegen reichte er den Kaffee, den er dann zu einer Frau brachte, die edel angekleidet war. Eine teure Sonnenbrille, eleganter Schmuck und lackierte Fingernägel. So sahen nun mal manche Touristen aus.

Drüben, auf einer anderen Bank, saßen drei Jungen und vor ihnen standen zwei. Es war Sommer. Das Wetter war schön warm und alle zeigten die nackte Haut. Die fünf Jungen hatten kurze Hosen an. Jeder trug ein T-Shirt; weiß, blau, rot, gelb und grün. Sie redeten gespannt über etwas und lachten dabei. Der eine auf der linken Seite mit dem grünen T-Shirt schien am ruhigsten zu sein, denn er hörte nur zu und war weniger im Gespräch beteiligt.

Stephansplatz war der Versammlungsort der Tauben. Sie schienen hoch konzentriert, gingen die Straßen auf und ab, fanden manchmal etwas auf der Straße, stießen mit dem Schnabel nach dem, was sie gefunden hatten, und wenn es ihnen danach war, flogen sie herum so wie vor ein paar Minuten. Oft musste ich aufpassen, dass sie mich nicht erwischten. Denen war es egal, wohin sie flogen oder wie tief sie flogen. Sie waren kühn und das auf extreme Art.

Der Junge im grünen T-Shirt schaute her zu mir. Er schien sich gar nicht zu interessieren, was die anderen Jungs zu sagen hatten. Er war vollkommen in anderen Gedanken. Einer schubste ihn am Arm und er schaute wieder weg. Er lachte mit, aber das Lachen erreichte seine Augen nicht. Verstohlen schaute er wieder zu mir und ein Lächeln breitete sich auf sein Gesicht. Ich lächelte zurück.

Ich konzentrierte mich wieder auf die anderen Menschen. Eine Gruppe junger Mädchen, sehr sommerlich angezogen, wenn nicht bloß, ging kichernd vorbei und schaute dabei zu den Jungs. Augenverdrehend sah ich weg. Noch immer nervte es mich, wenn sich Mädchen mit ihrem Aussehen „verkaufen" wollten. Noch mehr nervte es mich, weil sie mit den Jungs, die ich schon seit Minuten beobachtete, zu flirten versuchten. Warum mich das nervte, wusste ich nicht. Ein paar Blicke in meiner Richtung konnte ja nicht Gefühle in mir aufwecken.

Die Sonne schien. Alles war in Gold gefärbt und strahlte eine Wärme aus und meine Beine nahmen diese gerne auf. Am liebsten würde ich die Schuhe ausziehen, mich auf den Boden legen, meine Sonnenbrille aufsetzen und einfach mal die Atmosphäre genießen. Ich schloss die Augen und widmete mich dem angenehmen Wetter und lauschte den Menschen und Tauben. Es hörte sich wie ein Jahrmarkt an. Kinder lachten und liefen umher, Eltern sprachen ununterbrochen und riefen ihre Kinder ein und das andere Mal, um sie nicht aus den Augen zu verlieren.

Viele Touristen befanden sich hier. Besonders im Sommer sah man keine anderen Menschen als Touristen. Ab und zu schon, doch die Menge war öfters mit Touristen gefüllt. „Fare attenzione!" hörte ich von einer Seite. Ein Kind lief bei mir vorbei. Es hatte blonde lockige Haare wie die Sonne, weißes Gesicht wie der Schnee und winzigkleine Hände. Sie war süß. Sie lief wie eine Puppe und freute sich über das Eis, welches sie in der rechten Hand hielt. Ich lächelte in mir hinein und schaute zu der altbekannten Bank.

Die zwei Jungen, die vorhin noch dort standen, waren verschwunden. Das blaue, weiße und grüne T-Shirt waren noch zu sehen. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ohne es bemerkt zu haben, schaute ich den Jungen an und erst nach ein paar Sekunden merkte ich, dass er aufgestanden war und sich auf dem Weg zu mir befand. Er verabschiedete sich von den anderen, umarmte sie „männlich" und sagte ein paar unverständlichen Worte, die meine Hörweite nicht erreichten.

Die gelbglühende Straße war voller Geschichten. Jede Person trug ihre eigene. Auch wenn die Sonne so stark strahlte, würden diese Geschichten in ihrer Dunkelheit verborgen bleiben. Die Menschen kamen und gingen. Niemand blieb ewig. Genau wie jetzt auf diesem Platz. Und auch wenn der Junge jetzt zu mir kam, würde er irgendwann wieder gehen. Warum ich dachte, dass er zu mir kam, wusste ich nicht. Vielleicht hatte er hinter mir etwas entdeckt und wollte zu ihm. Vielleicht stand ich ihm einfach im Wege.

Die Zeit war schnell vergangen. Ich konnte mich nicht mehr so ganz erinnern, wie alles endete, wie Menschen in mein Leben kamen und davongingen. Ich hörte irgendwann auf, jemanden zu suchen, dem ich vertrauen, mit dem ich meine Geheimnisse teilen, mit dem ich über alles lachen, und den ich bis ans Ende der Welt lieben konnte. Irgendwann hörte ich auf, mein Schicksal selber dekorieren zu wollen. Es war entweder geschrieben, wobei man dann nichts mehr ändern konnte, oder nicht geschrieben, wobei man nichts vorhersehen konnte.

Ich hatte versucht, mich auf meine Zukunft zu konzentrieren, meine Vergangenheit zu vergessen und in der Gegenwart zu leben. Das, was ich schon längst machen musste, aber nicht getan hatte. Die Zeit veränderte alle Menschen. Manchmal veränderten sich zwei Menschen miteinander, doch manchmal trennten sich ihre Wege, und da konnte man sie nun eben nicht mehr zurückholen. Und das hatte ich endlich begriffen. Doch tief in meinem Herzen wünschte ich mir, irgendwann meinen Prince Charming auf seinem weißen Pferd zu treffen.

Die Tauben beobachtete ich wieder. Die große rannte der kleinen nach. Sie floh. Vielleicht sollte ich es jetzt auch tun. Der Junge im grünen T-Shirt war groß, fiel es mir gerade auf. Das grüne T-Shirt zeigt seine helle Haut hervor und sein muskulöser Körper bewegte sich sanft und geschmeidig. Mir stockte der Atem. Ich schaute weg. „Hey!" hörte ich rechts von mir. Zu spät, dachte ich mir.

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