20.Kapitel - Frühling im November


20.Kapitel - Frühling im November

Draußen war dunstig. Seit Tagen hatte es nicht geregnet; die Kälte konnte ich bis zu meinen Knochen fühlen und war froh, dass ich nicht fror. Heute aber war der Boden nass. Es war sieben Uhr in der Früh. Ich war auf dem Weg zur U-Bahn und danach zur Uni. Ich setzte den Kopfhörer auf und schaltete die Musik ein. „And the sun will rise * Dawn will break through the blackest night", sang Machine Head. Die Sonne ging auf, die Krähen krächzten und ich ging meinen üblichen Weg im Park bis zur U-Bahn. Die goldenen Blätter lagen auf dem Boden und bildeten der Erde eine warme Decke.

Ich stieg in die U-Bahn ein, fuhr meinen Weg und hörte Musik. Manchmal stellte ich mir die Frage, ob andere Leute in der U-Bahn die Musik durch meinen Kopfhörer hindurch hörten. So würden sie sich wahrscheinlich denken, dass ich eine voll depressive und aggressive Person war, weil ich Metal liebte und manchmal auch das Schreien darin. Doch ich hatte die Erlösung in dieser Musik gefunden und konnte meine Emotionen darin verschwinden lassen.

Bald stieg ich aus. Das Menschengewühl bewegte sich entweder nach rechts oder nach links. Fast alle hatten das Handy in der Hand und mussten immer aufpassen, dass sie nicht aufeinanderprallten. Um diese Uhrzeit waren einfach viel zu viele Menschen unterwegs, was mir weniger gefiel, weil ich entweder keinen freien Platz in der U-Bahn fand oder mir sehr schnell heiß wurde, weil alle eng nebeneinanderstanden; alle mit dicken Jacken und Mänteln.

Ich saß in der großen Klasse in der Uni und schaute aus dem Fenster. Ich liebte es, wenn die Klassen Fenster hatten und nicht wie eine Zelle, die sogar manchmal ein kleines Fenster besaß, dunkel und warm waren. Obwohl es regnete, war der Himmel blau. Der Frühlingsregen schob die Wolken beiseite und ließ die Sonne mal wieder lachen.

Ich wusste nicht, ob Ju-Le jetzt auch in der Klasse saß oder nicht, aber es war mir jetzt egal. Nachdem, was am Halloween Abend passierte, wollte ich Abstand halten. Abstand von jedem Menschen, der mir zu nahegekommen war. Ich wusste nicht mehr, wann ich zu so einer Person geworden war. Eine Person, die nicht mehr ein Ziel hatte und einfach lebte, ohne an etwas zu denken. Eine Person, die Personen zu sich ließ, sie jedoch wieder losließ, weil sie nicht wusste, was sie mit ihnen anfangen sollte.

Die Unistunden fanden irgendwann ihr Ende und bald konnte ich nach Hause gehen. Die Gänge waren voller Studenten, die auf- und abliefen, um zu der nächsten Vorlesung zu gehen. Ich hingegen war froh, dass mein Unitag kurz war und daher früher nach Hause durfte. Ich setzte den Kopfhörer auf, schaltete die Musik wieder ein und schenkte den Menschen um mich herum keine Aufmerksamkeit mehr. Trotz meiner treuen Empfindungen für den Regen, konnte ich diesen Wetterwechsel schlecht aushalten. Ich hasste es, Kopfweh zu haben.

Tage vergingen. Ich konnte sagen, dass sich kein Mann mehr in meinem Leben befand. Ich war so enttäuscht von mir. Ich dachte, ich könnte mein Leben kontrolieren, doch alles war ein dummer Irrtum. Ich fühlte mich in allem allein gelassen. Keine Hand, die mir helfen konnte. Keine Worte, die mir den Rücken stärkten. Keine Augen, die in meine schauten und mir sagten, dass alles gut sein wird.

Die Sonne stand hoch am Himmel und schien. Es war warm. Es reichte, wenn du einen dünnen Pulli und dazu einen Blazer anzogst. Oft hatte ich sogar japanische Touristen in kurzen Hosen herumlaufen gesehen. Es war traurig, dass man in solchen sonnigen Tagen depressiv war. Eine schöne aber bittere Antithese. Doch mein Leben bestand schon immer aus Antithesen. Immer, wenn ich etwas bekam, verlor ich dasandere.

Vielleicht sollte ich vom Leben nichts mehr verlangen. Vielleicht sollte ich nicht erwarten, den Richtigen zu finden. Vielleicht sollte ich nicht erwarten, geliebt zu werden. Vielleicht sollte ich nicht erwarten, glücklich zu sein, und vielleicht sollte ich nicht erwarten, Liebe zu finden. Vielleicht, vielleicht, vielleicht...

„Layers of dust and yesterdays * Shadows fading in the haze of what I couldn't say". So oft hatte ich schon das Lied von Anathema gehört. So oft war ich damit in meinen Tagträumen geflogen. So oft hatte ich mich darin versetzt. Und jedes Mal hörte ich es so, als ob es zum ersten Mal wäre. Mit dem Unterschied, dass ich es jeden Tag mehr und mehr verstand. Die schönen Erinnerungen schienen mir schon so weit entfernt zu sein, doch ich fühlte sie immer noch so frisch, als ob sie gestern passiert wären.

All die Menschen, die einmal in meinem Leben eine Bedeutung hatten, waren weg; verschwunden. All die Menschen, die ich einmal geliebt hatte, liebten mich nicht mehr; waren verschwunden. Wie konnte die Liebe verschwinden, wenn sie echt war? Konnte eine wahre Liebe überhaupt einmal verschwinden? Vielleicht war sie einfach nicht real. Vielleicht hatte ich mir einfach alles nur vorgestellt und war nie verliebt und wurde nie geliebt.

Jeder kannte mich an meinem fröhlichen Lachen. Mein Kopfkissen aber an meinem lautlosen Weinen. „And it might not be wise, I'd still have to try with all the love I have inside". Ich konnte nicht leugnen, dass Liebe nicht existierte. Aber sie schien mir immer so entfernt zu sein. So unerreichbar. Als ob, weil ich sie verlor, ich sie nie wieder zurückbekommen würde. Ich vermisste die alten Tage. Manchmal fühlte ich mich einsam und wunderte mich darüber. War ich allein, weil mich niemand verstand, oder war ich allein, weil ich mich selber noch nicht genug verstand?

Vielleicht war es besser so für mich. Ein wenig Zeit für mich zu haben, um mich zu finden, um mich zu verstehen, um mir zu helfen. Vielleicht war es besser so für mich. Zeit mit mir zu verbringen, den Regen zu genießen, die Sonnenstrahlen auf meiner Haut zu spüren, den Wind zwischen meinen Haaren wehen zu lassen. Vielleicht war es eben so besser für mich. Und besser für die anderen. Menschen blieben ja nicht ewig in deinem Leben. Sie erfüllten ihre Aufgaben, und wenn sie fertig waren, hauten sie sich über die Häuser und verschwanden.

Es war November. Die Sonne schien am blauen Himmel und ich stand schon wieder im Park und betrachtete die gelben und orangen Blätter auf dem Boden. Die Musik lief und ich schloss für einen Moment die Augen. Ich spürte den sanften Wind zwischen meinen Haaren, die Sonnenstrahlen auf meiner Haut und die Musik in meinen Ohren. Es war Frühling; Frühling im November. So viele Antithesen. Mein Leben bestand schon immer daraus.

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Langsam wenden wir uns einem Ende zu :) es werden nicht mehr all zu viele Kapitel kommen, aber ein paar werden es noch sein ^.^
Ich hoffe, dass euch die Story bis jetzt gefallen hat. Ich freue mich wie immer auf eure Meinung und Votes.

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