9 (neue Fassung)

,,Denken Sie, Sie haben ein leichtes Leben?", fragte ich Frau Schleier. Wir waren noch immer auf dem Heimweg und liefen still nebeneinander her. Der Alkohol wirkte noch, nur begann ich etwas ruhiger zu werden, genauso wie Frau Schleier. Sie dachte lang über meine Frage nach. ,,Ich glaube das Leben ist generell nicht leicht. Zumindest war es das lange Zeit für mich nicht. Es gibt Phasen, in denen man sich schlecht fühlt, weil schlechte Dinge passieren, allerdings gibt es auch Phasen, in denen man sich gut fühlt. In letzter Zeit geht es mir gut. Und Sie?" Ich dachte auch einige Zeit nach. ,,Auf der einen Seite habe ich im Moment echt zu kämpfen, weil ich viele Dinge vermisse. Auf der anderen Seite fällt es mir total leicht mich einfach mal gehen zu lassen. Ich versuche die Dinge nicht zu engstirnig zu sehen. Es ist tatsächlich aufregend ein neues Leben zu beginnen. Heute hatte ich sehr viel Spaß. Ich glaube seit ich in Berlin lebe und neue Menschen kennengelernt habe, kann ich mich besser öffnen. Das muss viel wert sein. Ich denke ich bin nicht so schlecht dran." Frau Schleier lächelte. ,,Wissen Sie, was mich an Ihnen so fasziniert?", fragte sie mich. Ich blieb stehen und blickte Sie fragend an. ,,Ihre Selbstreflexion. Sie haben ein Talent dafür, sich aus dem richtigen Blickwinkel zu betrachten, sie können sich selbst gut einschätzen. Es ist Ihnen nicht peinlich, sich frei zu äußern. Das können nicht viele Menschen." Ein Lächeln überkam mein Gesicht. ,,Ich kann nicht glauben, dass wir dieses Wochenende so viel gemeinsam erlebt haben. Es ist befremdlich etwas mit seiner Schülerin privat zu unternehmen, aber falsch fühlt es sich nicht an. Nur ein bisschen anders. Wir sollten das definitiv nicht ausarten lassen, denn wenn man uns zusammen sieht, könnte man das falsch verstehen.", fügte sie hinzu. Sie kam einen Schritt auf mich zu. Es fehlte nicht mehr viel, bis sich unsere Körper berührten. ,,Inwiefern ausarten lassen?", fragte ich. Ihre Blicke tanzten über mein Gesicht. Plötzlich herrschte eine intensive Stimmung. Interessant und fesselnd. Ich gab mich dem gern hin. Sie schien jede Kontur meines Gesichtes genau zu analysieren und legte ihr Kopf in eine leichte Schiefhaltung, bis sie eilig einatmete. ,,Wir sollten jetzt nach Hause gehen, immerhin ist es schon sehr früh." In meinem Kopf sprangen meine Gedanken wild herum. Ich konnte diesen Moment nicht gut einschätzen. Diese Stille beinhaltete eine derartige Kraft, die mich Dinge fühlen ließ, die ich meiner Lehrerin gegenüber nicht fühlen sollte. Ich wollte sie küssen und ihr Blick verriet mir, dass sie dasselbe wollte. Zumindest glaubte ich das. Ich sah sie an. ,,Ja, man könnte das falsch verstehen.", oder auch richtig. Mir war nicht ganz klar, was sie damit sagen wollte. Dass wir uns nicht so oft sehen dürfen? Dass wir unsere Beziehung nicht weiter vertiefen dürfen vielleicht? Dass wir uns nicht öffentlich nebeneinander zeigen sollten? Ich hatte keinen blassen Schimmer. Aber dieser Moment gerade zwischen uns, der verunsicherte mich. Ich hatte eben das Gefühl, dass ein Feuer zwischen uns loderte. Eine Anziehung wie zwei Magneten, die aufeinander treffen.

X

Montag, ich hasse Montage. Sie sind die Tage, die einen nach einem schönen Wochenende jedes Mal den Ernst des Lebens wieder klar macht

Ich war gerade auf dem Schulweg, als mir Frau Schleier in den Kopf schoss. Nach längeren Überlegungen über die Situation in der sie mir jeden Sinn raubte, war ich mir sicher, dass sie eventuell etwas für mich übrig haben könnte. Nur wusste ich nicht, wie ich das deuten sollte. Wenn sie etwas von mir wollte, fragte ich mich was genau. Wollte sie eine heiße Nacht, vor ihrem Kamin mit mir verbringen, oder wollte sie das gern mehrfach tun und dies dann auf der Basis einer Liebesbeziehung? Von beidem war ich gar nicht so abgeneigt. Sie hatte eine verdammt anziehende Wirkung auf mich und wenn sie weiterhin solche Sachen passierten glaubte ich, konnte es nicht mehr lange dauern bis ich anfing mich in sie zu verlieben. Oder zumindest sie so sehr zu begehren, dass ich den großen Fehler machte und sie einfach küsste. Auf der anderen Seite wollte ich, dass solche Situationen öfter vorkamen. Die Unnahbarkeit, welche in solchen Momenten aufkommt, ließ mich Dinge spüren, die ich gern immer und immer wieder spüren wollte. Dieses Rauschen, welches ich aus meinen Adern vernahm war wie ein krasser Trip auf Droge. Ich wollte mehr davon. Es ließ mich nicht los. Es war heiß. Ich war wie süchtig danach und wollte an nichts anderes mehr denken.

,,Hey Sophie, hast du die Mathe Hausaufgaben?" Ich erschrak, denn blitzschnell erinnerte ich mich daran, sie nicht gemacht zu haben. Sofort wurde mir flau im Magen. Die zweite Woche in der neuen Schule und schon meine Hausaufgaben vergessen, dachte ich. ,,Scheiße, nein! Hast du die?", ich sah Louise verzweifelt an. Nachdem ich das gesamte Wochenende damit zubrachte, mich gänzlich auf neue Dinge ein zu lassen, hatte ich total vergessen die Hausaufgaben für Mathematik zu erledigen. ,,Nein, wat meinst'e, warum ick frage? Aber kene Sorge, wir schreiben einfach schnell bei Nataly ab.", sagte Louise zielsicher. Kurzerhand verschwand sie und kam mit einem Blatt Papier in der Hand wieder. ,,Hier, jetzt aber schnell, wir haben noch fünf Minuten." Abschreiben war für gewöhnlich nicht mein Ding, bisher war ich immer die Traum-Schülerin eines jeden Lehrers. Grundsätzlich gute Noten und nie fehlende Hausaufgaben. Doch nicht heute. Zuletzt habe ich meine Hausaufgaben in der vierten Klasse vergessen, seither nahm ich die Schule sehr ernst, denn Zuhause gab es ein riesen Theater. Ich glaube ich habe in meinem Leben noch nie etwas so schnell abgeschrieben. Das Adrenalin kochte in mir, dieses Gefühl war noch überwältigender als das was ich empfand, als ich unmittelbar vor Frau Schleier stand. Ich fühlte mich, wie ein Musiker auf der Bühne, der voller Lampenfieber über seine Schatten hinaus sprang. ,,Alle setzen!", rief Herr Lange. ,,Und Hausaufgaben raus.", hing er ran. Schnell reichte Louise die Hausaufgabe an Nataly zurück, damit sie diese vorzeigen konnte, wenn Herr Lange seine Runde in der Klasse machte. ,,Gott, warum ist der immer so auf hundertachtzig? Der sollte mal runterkommen. Vielleicht mal einen Joint rauchen." mein Blick ging zu Louise. Wir sahen uns an und plötzlich fing ich laut an zu lachen. ,,Der sollte mal 'nen Joint rauchen.", wiederholte ich lachend. ,,Sophie! Was haben Sie gerade gesagt?" Mit einem Mal stand mir die Angst ins Gesicht geschrieben. ,,Fuck, habe ich das gerade laut gesagt?", flüsterte ich zu meiner Sitzbanknachbarin. ,,Ja hast du.", flüstere sie zurück. Ich schluckte. ,,Raus! Verlassen Sie meinen Unterricht. In der Pause kommen Sie zu mir. Ich muss wohl mal ein ernstes Wörtchen mit Ihnen reden." Ich packte nach und nach all meine Sachen ein und erhob mich von meinem Stuhl. Die Blicke all meiner Mitschüler waren auf mich gerichtet. Auf dem Weg nach draußen lief ich an einigen meiner Mitschüler vorbei, die mich bejubelten für das, was ich gerade gesagt hatte. Das ließ mich ehrlich gesagt ein wenig besser fühlen und ich ging gehobenen Hauptes, ohne mich zu entschuldigen aus dem Raum hinaus. Trotzdem hatte ich Bammel vor dem was mich erwarten wird. Beim hinausgehen stellte ich mir die schlimmsten Szenarien vor. 

Ich warf die Eingangstür der Schule auf, setzte mich auf eine Bank vor dem Gebäude, zwischen zwei gut bewachsenen Bäumen und verschränkte die Arme. Immerhin war gutes Wetter. Nach kurzer Zeit steckte ich mir Kopfhörer in die Ohren starrte an die mit rotem Pflasterstein versehene Hauswand. In meinen Trommelfeldern dröhnte laute Rockmusik. Solche Musik half mir, meine Gefühle in den Griff zu kriegen und mich auf den Boden der Tatsachen zurück zu bringen oder zu entspannen. Plötzlich kam seitlich von mir eine Person in mein Blickfeld getreten. Erschrocken riss ich meine Kopfhörer raus und blickte nach links. Damit hatte ich gerade überhaupt nicht gerechnet. Hätte ich mitgesungen wäre das jetzt äußerst peinlich geworden.

,,Oh hallo.", ,,Hallo Sophie, haben Sie keinen Unterricht?", Frau Schleier nahm neben mir Platz und sah mich erwartungsvoll an. ,,Doch schon.", gab ich knapp zurück. Ihre linke Augenbraue hüpfte nach oben. ,,Und warum sitzen Sie dann hier?", Ich atmete einmal tief ein und aus. Das mit der Augenbraue sollte sie dringend lassen. Es turnte mich unfassbar an. ,,Ich wurde rausgeschmissen.", für einige Zeit starrte ich den Boden an, mehr um mich in den Griff zu kriegen, als dass ich mich schämte. Dann sah ich in das amüsierte Gesicht Frau Schleiers. ,,Was haben Sie getan?", wieder Atmete ich tief ein und aus, sah sie ziemlich neutral an und antwortete ,,Ich habe über Herr Lange gelacht und etwas über ihn gesagt. Aber er hat das ganz falsch aufgefasst, in Wirklichkeit habe ich nur im Lachen wiederholt, was eine Mitschülerin gesagt hat und dafür bin ich dann geflogen. Der ist aber auch wirklich etwas aggressiv. Außerdem spuckt der mir immer ins Gesicht, wenn er mit mir spricht.", wieder starrte ich auf den Boden, nur erneut etwas verärgerter. ,,Ja, das ist furchtbar. Der Lange ist einer der Kollegen, die ich nicht leiden kann. Vor seiner Spucke muss man tatsächlich auf der Hut sein." Ihre Worte munterten mich auf. Ich musste ein wenig lachen. ,,Das mit dem Spucken ist wirklich an schlimmsten. Wenn ich mit ihm spreche, dann zumeist über einen breiten Tisch hinweg oder wenigstens einem Meter Abstand. Damit er mich nicht trifft. Eine Art Maulkorb wäre wahrscheinlich hilfreich.", ,,Ich habe absolut keine Ahnung, wie ich den Unterricht bei ihm aushalten soll, ganz davon abgesehen, dass ich überhaupt nichts von dem verstehe, was er uns versucht darzulegen.", Frau Schleier stütze ihren Ellenbogen auf der Rücklehne der Bank und legte ihren Kopf auf ihre Hand. ,,Wenn Sie Hilfe brauchen, kommen Sie einfach zu mir und wir beißen uns da gemeinsam durch." Der Anblick, der mir gegeben ist, ist zum träumen schön. Sie sieht verdammt Gut aus, dachte ich. Beinahe perfekt und zusätzlich unglaublich sexy. Sie machte mich heiß und das allein mit ihrem herrlichen Aussehen. ,,Sehr gern. Wie wäre es gleich mit heute Abend?", immerhin habe ich die heutige Stunde nachzuholen, andererseits habe ich es vielleicht auch einfach ein wenig zu eilig, sie wieder zu sehen. ,,Tut mir leid, heute Abend muss ich selber einige Dinge für die Schule erledigen. Es ginge dafür aber Mittwoch oder Freitag."  

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top