41- Innerer Winter
Der Herbst ist ausgebrochen. Er erschien mir immer so bunt. Und jetzt? Jetzt ist er einfach nur noch grau. Und eiskalt.
Drei Wochen sind vergangen. Seit drei Wochen schwieg ich. In zwei Tagen würde ich meine neue Wohnung beziehen. Hanna nahm mich die Zeit, bis ich eine Wohnung fand bei ihr auf. Sie sprach mir jeden Tag, drei Wochen lang gut zu. Helfen konnte es mir trotzdem nicht wirklich. Klar für einige Momente konnte ich mich von allem ablenken, aber Lesley ist ein zu großes Thema für mich. Ich sehe sie trotz der Trennung jeden Dienstag und Donnerstag, und trotz der Trennung unterrichtet sie mich. Es fällt ihr sichtlich nicht leicht. Die Trauer in ihrem Gesicht ist mindestens genauso deutlich geschrieben, wie die in meinem. Trotzdem bin ich froh sie wenigstens so sehen zu können. Ohne die zwei Male in der Woche die ich sie sehen kann, würde ich es nicht aushalten. Sie läuft mir sehr selten über den weg, vor 3 Wochen nur war es noch sehr häufig. Als wären wir zwei Magneten, die sich einander anziehen. Und jetzt sind wir einfach nur noch Magneten vom selben Pol. Ich vermisse sie so schrecklich.
Nicht einmal mehr seit es vorbei ist, hat sie mir in die Augen gesehen. Ich kann ihren Schmerz spüren. Ich kann ihn sehen. Ich kann ihn fühlen, zumindest denke ich das. Nur un mir sicher zu sein würde ich so gern sehen können, was sich in ihr abspielt. Auch wenn die Wahrheit schmerzen wird. - Dehr, da bin ich mir sicher.
Ich muss nur ein Mal in ihre Augen blicken. Nur ein Mal
Langsam packte ich meine Materialien zusammen, Nataly zog mich schon am Arm mit in den nächsten Fachraum. Ich blieb wie angewurzelt stehen, als ich auf den Raumnamen sah. ,,Du Nataly es ist doch erst Mittwoch. Wir haben morgen erst wieder Deutsch.", Nataly sah mich fragend an. ,,Sophie, du redest nicht mit mir. Du bekommst gar nichts mehr mit. Wir haben jetzt, wie letzte Woche und die Woche davor uuuund die Woche davor schon Vertretung bei Frau Schleier. Warum bist du so abwesend? Nimmst du Drogen? Hast du Stress zu Hause? Liebeskummer?", ihre Fragen waren nichts neues, und meine Antworten auch nicht. ,,Kann man wohl sagen.", so ging es seit 3 Wochen jeden Dienstag und Donnerstag. Anscheinend auch jeden Mittwoch.
Ich stand komplett neben mir, aber dennoch War ich voll dabei. Ich dachte viel nach, fühlte. Ich fühlte Trauer, Wut. Wie ich selbst in mir zusammen brach. Dennoch muss Lesley damit klar kommen. Sie wird schon irgendwann darüber hinweg sein. Irgendwann, dann ist sie über mich hinweg. Lieber früher als später. Ich will nicht, dass es ihr schlecht geht.
,,Kommst du jetzt oder was", fauchte Nataly. ,,Hmm", ich löste mich aus ihrem Griff, um keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Mit schnellem Schritt, in der Hoffnung Lesley würde mich nicht bemerken rannte ich förmlich auf meinen Platz. So viel zu keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Ständig überkam mich ein Schwindelgefühl, wenn ich an ihr vorbei ging. Ständig verlor ich meine Fassung. Ständig stand ich kurz vor den Tränen. Und ständig stand ich kurz davor einfach auf sie zu zu gehen um mit ihr zu sprechen. Doch es ging nicht.
,,Hallo Klasse. Ich warne euch im voraus schon einmal vor...", ihre Stimme klang bedrückt. Wie konnte ich sie nur so verletzen? Warum kann sie nicht einfach über uns hinwegsehen? Ich hoffe so sehr sie kommt bald drüber hinweg. Sie hat es verdient glücklich zu sein. Drei Wochen. Drei beschissene Wochen. Ohne Lesley fühlten sich diese drei Wochen an wie drei Jahre. Ohne sie vergeht die Zeit zu langsam. Ich halte es nicht mehr aus. Aber ich muss. Ich kann nicht ohne sie. Doch ich muss und ich verzweifle.
Ich kann sie nicht einfach ansprechen und ihr alles erklären. Ich weiß nicht, ob mir dieses Arschloch immer noch an den Versen hängt. Und solang ich nicht weiß, ob es so ist, oder wer es ist kann ich auch nicht mit ihr reden.
Viele Sachen zu packen habe ich ja nicht. Mein Vater hat mir vor 2 Wochen Geld auf mein Konto überwiesen. Von dem Geld habe ich mir erstmal neue Kleidung gekauft. Hanna War überall mit bei. Sie ist die einzige, die von dem ganzen Scheiß weiß. Hanna ist ein Engel. Bisher dachte ich immer reiche Leute wären spießig, doch Hanna könnte auf jeden Fall auch in einem Karton leben. Sie ist zwar immer sehr eitel und streng gekleidet. Aber ich mag diesen Stil an ihr. Momentan diskutiere ich noch mit ihr darüber, dass sie mir nicht meine Einrichtung kaufen muss. Ich habe mich um einen Job in einem Kaffee beworben. Eigentlich mag ich Kaffees nicht, vielleicht kann ich so ja meinen Hass gegenüber Kaffees überwinden.
Lesley lief ruhig durch die Gänge, durch jeden, außer an mir vorbei. Sie mied mich wie es nur ging. Dennoch genoss ich ihren Anblick. Auch wenn sie echt fertig aussah. Es bereitet mir Schuldgefühle. Drei Wochen ohne sie sind wie drei Wochen Nordsee bei Ebbe. Mit der Zeit sterben viele Tiere ab. So ähnlich geht es mir dabei mit Glücksgefühlen, meinem Herzen und meinen Synapsen. Ich habe das Gefühl nicht mehr denken zu können. Mein Herz ist taub und gelacht habe ich schon lang nicht mehr. Die letzte Zeit erschien mir so surreal. Das Leben ist anstrengend. Atmen ist anstrengend. In diesem Moment alles anstrengend. Alles wirkt so unwirklich, und die ständige Konfrontierung mit der Wahrheit, lässt mich tief stürzen. Sehr tief.
Ich legte meinen Kopf auf die Bank. Atmete tief ein und aus. Tränen stiegen in meine Augen, ich bekam kaum noch Luft. Ich keuchte, zog die Aufmerksamkeit aller auf mich. Na super.
Nataly wusste Bescheid. ,,Wo ist dein Spray?" Sie war nervös. ,,Ich habe keins", antwortete ich knapp. Nataly lief zum Fenster und riss es auf. Lesley lief derzeit aus dem Raum und telefonierte. Nein. Sie rief den Notdienst. Ich versuchte mich zu fangen. Doch ich konnte nicht. Meine Kehle war wie zu geschnürt. Alle standen um mich herum. Warum? Warum ausgerechnet jetzt? Warum hier?
Mein Kopf lag auf meinen Armen. Ich suchte verzweifelt nach Sauerstoff.
Männer in gelb und orange kamen in den Raum. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergang, gefühlt waren es Stunden. Sie gaben mir ein Spray und hielten mir daraufhin, mit der Anweisung regelmäßig zu atmen eine Maske an den Kopf. Lesley schickte die Schüler raus. Ich war allein mit Lesley und den Sanitätern. Ich sah sie nicht an, tat so als würde ich nicht mit bekommen haben, dass sie im raum war.
Und ja, ich spürte ihre Blicke auf mir und ja, ich hätte sie ansehen können. Doch ich schämte mich. Ich schämte mich so sehr für das gerade und allem anderen. Ich konnte sie einfach nicht ansehen.
Die Sanitäter brachten mich ins Krankenhaus. Ich wurde komplett untersucht. Dort bekam ich dann auch ein Rezept für ein Athmaspray.
,,Scheiß Tag", sagte ich als Hanna mich abholte. Ich fiel ihr in die Arme und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. ,,So siehst du auch aus", lachte sie. ,,Nett", stimmte ich sarkastisch ein.
Und schon bewucherte sie wieder meine Gedanken. Lesley.
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