10 (neue Fassung)
Heute war ein schlechter Tag, Dienstag. So schön die letzten Tage gewesen sind, blieb heute morgen der aller letzte Rest meiner guten Laune im Bett und verkroch sich wie Bettwanzen in ihrer Scheu vor Licht in den kleinsten Fasern meiner Matratze. Das Aufstehen war dementsprechend ohne jegliche Motivation, weshalb man mir besser hätte einen Eimer Wasser androhen hätte sollen, dann wäre ich vielleicht auch nicht zu spät aufgestanden und sähe nicht aus wie jemand, der sich seit drei Wochen nicht gewaschen hat. Meine haare waren durch beginnende Fettung platt auf meinem Kopf verteilt und ich bekam einen tiefroten Pickel auf meiner rechten Gesichtshälfte. Nichts desto trotz, nach solch einem Anblick, beschloss ich dennoch in die Schule zu gehen. Was bliebe mir auch anderes übrig? Ich ging grundsätzlich in die Schule, auch wenn ich krank war, es sei denn meine Erkältung war derartig ansteckend, dass ich nicht in die Schule gehen durfte. Wie die Schweinegrippe, durch die sich mein Zimmer damals in eine Quarantäne-Zone verwandelt hat. Meine Eltern spannten, aus Angst vor Viren, ein Plastik-Zelt um mein Bett und schoben mir mein Essen durch einen kleinen Spalt in das Zelt hinein. Das schlimmste daran war, dass das Signal meiner Fernbedienung meinen Fernseher nicht erreicht hat, weswegen ich den Fernseher nie selbstständig betätigen konnte. Fünf Tage musste ich in diesem Zelt verweilen!
Der Weg zur Schule stimmte mich nur noch trister. Ich dachte an das gestrige Gespräch mit dem kurzen Herr Lange. Er fragte mich Dinge wie weißt du eigentlich, wie man Respekt zollt, oder Hast du eigentlich eine Ahnung, wie erniedrigend das für mich war. Definitiv wusste ich, wie erniedrigend das war. Entsprechend der Reaktion meiner Mitschüler, die sich köstlich darüber amüsierten, war es schwer nicht zu erkennen, wie erniedrigend das für ihn war. Jedenfalls entschuldigte ich mich dafür.
Ich habe ihm allerdings noch den Tipp fürs weitere Leben gegeben, dass er sich den Schülern gegenüber etwas öffnen könne, denn wenn er nicht so spießig sei, kämen ihm die Schüler nicht so respektlos entgegen. Gegenseitiges Respekt nenne man sowas.
In diesem Moment habe ich natürlich nicht damit gerechnet, dass er mir für meine Ehrlichkeit das Nachsitzen aufdrücken würde. Leider musste ich mich fragen, im Nachhinein, ob es an meiner Leichtsinnigkeit lag zu glauben er sei erwachsen genug um das zu verkraften, oder vielleicht doch daran, dass er ein alter verschlossener Sack war, weswegen das ganze in einem praktisch endlosen Streit endete.
,,Sophie", ich blickte um mich herum und alle Schüler begannen mich zu mustern. ,,Eh, Entschuldigung, was war die Frage?" Ich war so darin vertieft stumpf zu gucken, dass ich den Unterricht gänzlich ausgeblendet haben muss. ,,Warum beteiligen Sie sich nicht am Unterricht, was ist denn so spannend an der Wand?", ich überlegte ob ich jetzt frech sein sollte, doch ich kam zum Entschluss weiterem Nachsitzen aus dem Weg zu gehen. ,,Ich sagte bereits, dass es mir leid tut. Ich bin ab sofort aufmerksam.", die Lehrerin nickte und lächelte mir dann entgegen.
Ich war froh, als Pause in Sicht war und ich für einige Minuten mit meinen Neu-Bekannten und teilweise Freunden eine Zigarette genießen konnte. Nicht weit entfernt stand eine Gruppe von Lehrern, die sich miteinander unterhielten, ebenfalls mit einer Zigarette in der Hand. Als ich gerade in Richtung des Schulhauses sah, sah ich Frau Schleier die in meine Richtung lief. ,,Sophie, können wir uns kurz unterhalten?", ohne eine Antwort ging ich mit ihr mit. ,,Ich habe von Ihnen noch keine Antwort erhalten.", ,,Wegen der Nachhilfe meinen Sie?", ich sah Sie an. Gestern gab ich ihr tatsächlich keine Antwort auf die Frage ob morgen oder Freitag. ,,Was sagen Sie nun, morgen oder Freitag?", leicht kniff ich meine Augen zusammen, als ich sie ansah. Sie hatte wieder einmal ein verführerisches Outfit an. Ich musterte Sie von oben bis unten. ,,Gehen beide Tage? Ich weiß nicht, ob ich das so schnell verstehe und am Montag schreiben wir eine Kontrolle." Frau Schleiers Blick wanderte über mein Gesicht. ,,Sehen wir morgen erstmal wie es läuft.", sie schien nachzudenken. ,,Und am Freitag trinken wir einen Wein gemeinsam. Wenn noch Lernbedarf besteht. Natürlich nur wenn Sie das auch wollen.", ,,Sehen wir morgen erstmal, wie es läuft Frau Schleier.", erwiderte ich ihr frech. Wir blickten uns ganz tief in die Augen. Irgendetwas war da in ihrem Blick, das mich dazu zwang sie an mich reißen zu wollen. ,,Abgemacht", sagte sie und verschwand um mit den anderen Lehrern ihre Pause zu verbringen. Ich sah ihr noch kurz hinterher. Ihre Kleidung schmiegte sich perfekt um ihren Körper und ihr Hintern sah in ihrer Hose verdammt gut aus. Ich liebte ihre Kurven, manchmal stellte ich mir vor, wie ich sie berührte, nackt im Bett. Dieser Gedanke war so heiß wie Feuer. Sie zündete sich eine Zigarette an. Selbst wenn sie rauchte, sah sie verdammt elegant aus.
So langsam kam ich mir vor wie in einem falschen Film. Zwar ein guter, aber ein falscher Film. Denn so von seiner Lehrerin zu denken ist nicht korrekt und schon gar nicht wäre es korrekt, wenn sie diese Gedanken auch hatte. Natürlich könnte ich mir das auch alles nur eingebildet haben und sie wollte mir tatsächlich nur helfen und freundlich zu mir sein. Ohne mir nah sein zu wollen. Das wäre nämlich das, was an realistischsten ist. Klar stellte ich mir das heiß vor, mit einer Lehrerin, einer erfahrenen und intelligenten Frau eine verbotene Beziehung zu führen, allerdings ist das so unwahrscheinlich wie von einem Blitz getroffen zu werden. Doch der Reiz mir das vorzustellen, war einfach zu verführerisch.
Als ich zurück zu meiner Gruppe lief, sahen mich fünf Paar neugierige Augen an. ,,Was wollte Frau Schleier?", fragte Max, einer aus meinem Erdkundekurs. Wahrscheinlich war es sinnvoll nicht die Wahrheit zu sagen, deshalb dachte ich mir etwas aus. Es musste ja nicht jeder wissen, dass Frau Schleier sich mit mir in ihrer Freizeit trifft. Wahrscheinlich würde das nur falsche Lästereien verursachen. ,,Sie hat mich gefragt, ob ich einen Vortrag für Deutsch vorbereiten will.", antwortete ich selbstsicher in der Hoffnung, keiner würde einen Verdacht schöpfen über meine Lüge. ,,Und machst du einen?", fragte Max. ,,Nö, hab' da keinen Bock drauf.", sagte ich und damit war das Thema gegessen. Wir unterhielten uns bis zum Pausenklingeln über Gott und die Welt und der weitere Tag verlief ohne besondere Vorkommnisse. Ich ging nach Hause und sah mir eine Serie an, bis es spät wurde und ich einschlief.
Der nächste Morgen verlief wie jeder Andere, mit dem Unterschied, dass ich mich etwas mehr herausputzte als sonst. Immerhin traf ich mich heute mit Frau Schleier. Zwar kam ich bevor die Nachhilfe begann nochmals nach Hause, aber das sollte mich nicht stören. Vielleicht wollte ich auch provozieren, dass sie schonmal einen Vorgeschmack von dem bekommt, was sie nachher zu sehen bekam. Nicht dass ich sie ins Bett kriegen wollte, aber einen gewissen Eindruck wollte ich bei ihr hinterlassen. Schwierig war es nur das richtige Outfit zu finden. Deshalb war ich auch etwas später dran als sonst. Mein Schnellschritt zum Bus brachte mich beinahe um den Verstand. Meine Lunge hatte einfach nicht das nötige Volumen für einen solchen Lauf. An der Bushaltestelle angekommen, hüpfte ich noch schnell in den Bus hinein und sah mich um. Beim tiefen atmen fiel mir jemand auf, der mich ansah. Dieser jemand war ein gutaussehender junger Mann, ungefähr zwei bis vier Jahre älter als ich und konnte seine Augen nicht von mir lassen. Ich sah weg und stellte mich daraufhin an die Seite, da ich in wenigen Stationen den Bus wieder verließ. Unangenehm war es mir mittlerweile nicht mehr, wenn man mich in der Öffentlichkeit beobachtete. Ich war es mit den Jahren gewohnt, gerade weil ich eine schöne junge Frau war, die mit ihrem Aussehen etwas anzufangen wusste. Ich sah nicht aus wie die Standart-Brünette oder Blondine, was wohl einen gewissen Eindruck bei Menschen hinterließ. Im allgemeinen trage ich eher dunkle, elegante Kleidung.
,,Guten Morgen", kam es vom Lehrer. Herr Lange schien sehr begeistert von seiner jetzigen Stunde mit uns. Der Mathekurs wurde still, nicht weil sie Respekt vor ihm hatten, viel eher weil keiner Lust auf Ärger hatte. Ich vor allem nicht, gerade weil ich bereits wegen ihm am Freitag nachsitzen musste. Ein Gutes hatte die Sache, denn das Nachsitzen würde ohne ihn stattfinden. Zwar konnte ich mir nicht vorstellen, wen er anderes gefunden haben wollte, der freiwillig die Nachsitzende Dreizehntklässlerin beaufsichtigte aber beschweren wollte ich mich deswegen auch nicht. Außerdem war ich glücklich, denn ich freute mich auf den heutigen Abend.
Nachdem ich mich mit dem Unterricht von Herr Lange abgekämpft hatte, hatte ich nicht mehr viel Motivation, dem weiteren Unterricht zu folgen. Mit meinem Kopf war ich ganz wo anders, überhaupt nicht in der Thematik und eher abgeneigt von der Vorstellung in der Schule noch weitere zwei Blöcke vor mich her zu gammeln, um mir anzuhören, was für meine Abiturarbeit wichtig ist. Deshalb saß ich mit wenig Tatendrang einfach nur auf meinem Stuhl und wartete, wartete und wartete, bis Schulschluss war.
X
,,Hey Mama", rief ich ins Haus, als ich meine Schuhe von den Füßen riss. Der Flur schallte, denn er war noch nicht vollständig eingerichtet. Mit einem starren, kontrollierenden Blick lief ich an der Kellerklappe vorbei, um sicher zu gehen, dass sie sich nicht bewegt. Das letztens hat mich gezeichnet.
,,Hallo mein Schatz", gab sie mir lächelnd zurück. Es roch nach leckerem Essen, mit deftiger Soße. Auf dem Esstisch stand alles dampfend bereit. Wenn ich meiner Mutter eines lassen konnte ist es, dass sie immer im Blut hatte, wann ich nach Hause kam. Oder sie ortete mein Handy, was ich ihr sogar zutrauen würde. Es gab Hackbraten mit Kartoffeln und dunkler Soße. ,,Hast du heute noch etwas vor?", fragte meine Mutter mit vollem Mund. ,,Ja, wollte heute noch raus gehen.", gab ich ihr wieder. ,,Triffst du dich mit jemanden?", ich blickte sie prüfend an. Ich fragte mich, ob das wieder eine Anspielung auf ihre Vorstellung war, dass ich einen Jungen treffen könne, der mir gefiel. ,,Ja, aber das geht dich nichts an, Mama.", sagte ich mit ernstem Ton. ,,Ist ja schon gut, Spatz. Ich will mich auch gar nicht in dein Liebesleben einmischen.", erwiderte sie. Ja klar Mama, dachte ich. Deswegen brachte sie mein Treffen mit einer fraglichen Person auch gleich in Zusammenhang mit meinem Liebesleben. Auch wenn sie ausnahmsweise mal Recht hatte. Nur hatte sie aus meiner Sicht nicht verdient Recht zu haben. Denn für sie gab es nur schwarz und weiß, richtig und falsch, Hetero oder Abschaum. Sie war Katholisch erzogen worden, sehr rechthaberisch, stur und intensiv. Kontrolle war ihr wichtig. Mein Vater musste teilweise sehr unter ihr leiden, denn das was sie nicht an mir auslassen konnte, ließ sie an ihm aus. Da konnte ich ihn nur beglückwünschen, dass er oft auf Montage war, obwohl ich mir wünschte mehr Zeit mit ihm verbringen zu können. ,,Danke Mama, freut mich sehr. Denn du weißt ja, es ist mein Leben, ich bin alt genug um für mich selbst zu entscheiden, wen ich liebe. Auch wenn dir das schwer fällt.", ,,Na ja, Hauptsache du schleppst mir keine Frau an oder eine dieser Transen.", schon wieder solch ein Spruch. Manchmal fragte ich mich, ob sie merkte, dass sie mich mit solchen Aussagen beleidigte und tief verletzte. Ich hatte das Gefühl rot anzulaufen, weil ich plötzlich sehr wütend wurde. ,,Steckst du im Mittelalter oder was? Mir reichen deine blöden Kommentare. Ständig darf ich mir so etwas von dir anhören! Selbst wenn es so wäre, wäre es allein meine Entscheidung. Du hast dich da nicht ein zu mischen. Weißt du eigentlich wie verletzend das ist, zu wissen dass du, meine Mutter mich verstoßen würdest, wenn ich nicht dem Norm entspreche? Was bist du nur für ein Mensch!", ich ließ mein Besteckt auf den Teller fallen und verließ den Esstisch. Sie war still und sah mich an, ohne einen Ausdruck im Gesicht. Ich fand es immer wieder erstaunlich, wie trocken und kalt sie war. Ich holte meine Mathe Sachen und die Federtasche aus dem Rucksack, stopfte sie in einen anderen und ging zur Tür. ,,Ich gehe. Tschüss.". Hinter mir knallte ich die Haustür zu und lief Richtung Zentrum. Da ich mit Frau Schleier keine direkte Uhrzeit ausgemacht hatte, ging ich um mich abzuregen erst einmal einen Kaffee trinken, bei guter Musik. Das tat ich gern, wenn ich einfach runter kommen wollte. Um meine innere Mitte wieder zu finden.
Eigentlich konnte es mir saftig egal sein, was meine Mutter davon hielt. Im Grunde betraf es sie nicht, ich würde damit keinem schaden und außerdem, was wollte sie dagegen tun? Um mich ins Kinderheim zu stecken, bin ich schon zu alt und vor einem Rausschmiss hatte ich auch keine Angst. Eine Stunde im Kaffee um auf diesen Entschluss zu kommen, der mich letztlich beruhigte. Es war bereits siebzehn Uhr, deswegen machte ich mich auf den Weg Richtung Frau Schleier. Eigentlich wollte ich entspannt gehen, allerdings wollte mein Körper lieber beinahe rennen. Deswegen war ich etwas außer Atem. Selbstverständlich habe ich einen weiten Umweg um mein Zuhause gemacht, auch wenn ich letzten Endes in einer Luftlinie von nicht ein Mal einhundert Metern von meinem Haus entfernt war, als ich am Ziel ankam. Ich klingelte.
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