7.

Davor, zuvor, Vergangenheit

Finley und ich bleiben zurück. Ebenso eine betretende Stille, die wir beide zu durchbrechen versuchen.

„Ich den-..."

„Darf ich-..."

Ich lache etwas verlegen und verstumme.

„Was wolltest du sagen?", fragt er sanft.

„Ich wollte nur sagen, dass ich jetzt besser wieder nach Hause gehe."

„Darf ich dich begleiten?", fragt er höflich und lächelt mich mit seinem warmen Lächeln an. „Es wird bald dunkel."

Ich nicke nur und wir schlagen den Weg zu mir nach Hause ein.

Er, ein paar Zentimeter größer als ich, gelassen. Ich, bibbernd neben ihm. Daran könnte ich mich gewöhnen. Nicht an das bibbern. Nein. An seine Anwesenheit. An ihn. An uns. Das ist das erste Mal, dass ich darüber nachdenke, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn wir ein Paar wären und ich bin mir sicher, dass es nicht das letzte Mal sein wird.

Nur wenige Minuten später bleibt er stehen und sieht mich mitleidig an.

„Julie, ist dir nicht kalt?", fragt er vorsichtig. „Darf ich dir meinen Mantel geben?"

Wieso fühlt es sich so anders an, wenn Finley mir dieses Angebot macht? Er ist doch auch ein Junge, genau wie David. Aber da ist etwas anders. Ich schaue zu ihm hoch, in seine besorgten Augen und sehe eine unglaubliche Wahrhaftigkeit.

„Es geht schon. Ich möchte nicht, dass dir kalt wird."

Die belegte leicht zitternde Stimme schiebe ich auf die Kälte, aber mein wohlwollender Blick kommt von mir. Ich will wirklich nicht, dass ihm kalt wird. Nicht meinetwegen.

„Du möchtest, dass mir nicht kalt wird, aber ich soll dir dabei zu sehen, wie dir deine Finger vor Kälte beinahe abfallen?"

Wie um seiner Aussage noch mehr Nachdruck zu verleihen, nimmt er meine Hand in seine und betrachtet meine Finger, die so verfroren sind, dass ich sie fast nicht mehr bewegen kann. Er hebt seinen Blick wieder und ein Einfall blitzt in seinen Augen auf.

Er knöpft seinen Mantel auf und schaut mich fragend an, bevor er ihn mir gibt. Kurz darauf folgt sein Pullover, den er sich über den Kopf zieht und sein T-Shirt dabei leicht nach oben gezogen wird, wodurch ich einen kurzen Blick auf seinen Bauch erhaschen kann. Ein muskulöser Bauch. Schnell schaue ich wieder hoch und auf seine Lippen schleicht sich ein schiefes Grinsen, als er das T-Shirt wieder nach unten zieht und mir jetzt auch noch den Pullover in die Hand drückt. Mir dafür aber den Mantel abnimmt, den er sich wieder überstreift. Auch den Pullover holt er sich zurück, nur um mir wieder diesen fragenden Blick zuzuwerfen bevor er mich in den Hoodie schlüpfen lässt.

„So, jetzt ist dir nicht mehr kalt und mir auch nicht."

Zufrieden betrachtet er sein Werk. Sein Pulli, der locker auf meiner dünnen Jacke liegt, geht mir bis zu den Oberschenkeln und meine verfrorenen Finger verschwinden in den langen Ärmeln. Zufrieden ziehe ich meine Schultern hoch und lächle ihn glücklich an. In dem Pullover hängt der Geruch eines Laubwaldes nach einem Regenschauer, aber auch den durchdringenden Geruch nach Rauch nehme ich wahr. Vielleicht hätte ich mir denken können, dass er raucht, aber eine kleine Stimme der Hoffnung meldet sich und wirft ein, dass der Pullover auch aus einem anderen Grund nach Rauch riechen könnte. Sein Blick ruht immer noch auf mir und ich verwerfe den Gedanken wieder. Es spielt doch nicht wirklich eine Rolle, ob er raucht oder nicht.

Sanft legt er eine Hand auf meine Rücken und schiebt mich etwas nach vorne. Wir gehen weiter. Etwas verhalten laufe ich neben ihm her. Weiß nicht genau, was ich sagen sollen. Dass ich etwas sagen möchte, weiß ich.

„Wusstest du, dass im Parlament in Island beinah so viele Frauen wie Männer sitzen?", fragt Finley in die entstandene Stille hinein.

„Nein, nicht wirklich, aber wie kommt das?"

Aus diesem etwas holprigen Anfang einer Konversation entsteht eine angeregte Unterhaltung. Über Politik. Über Skandinavien. Über die Politik in Skandinavien. Jedes Mal, wenn er etwas über sein Land oder seine Familie erzählt, beginnen seine Augen zu leuchten. Sie werden noch schöner ebenso, wie dieses hübsche Gesicht, das auf mich noch etwas anziehender wirkt. Warte. Das Gesicht eins Jungen wirkt auf mich anziehend? Noch einmal riskiere ich einen Blick in Finleys grüne Augen. Wieder regt sich etwas in mir. Wieder schlagen mehrere Schmetterlinge in meinem Bauch Purzelbäume. Aber ich kenne ihn doch erst seit heute Mittag. Und er ist ein Junge. Eigentlich kann ich Jungs nicht leiden...

„34 hattest du gesagt, oder?"

Mit seiner Frage reißt Finley mich aus meinen Gedanken. Meine Gedanken über ihn. Ich muss ein paar Mal blinzeln bevor seine Frage bei mir ankommt. Ich nicke. Er nimmt die Hände aus den Manteltaschen und macht einen Schritt auf mich zu. Mein Instinkt rät mir einen Schritt zurück zu machen. Ich bleibe stehen. Mein Herz beginnt zu rasen. Ich bleibe stehen. Er schließt mich in seine Arme. Ich bleibe stehen. Erst etwas verkrampft, aber dann entspanne ich mich und erwidere die herzliche Umarmung.

„Ich hoffe, wir sehen uns morgen."

„Ja, das hoffe ich auch."

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