Kapitel 8
ℕ𝕠𝕨 𝕚𝕥 𝕒𝕝𝕝 𝕞𝕒𝕜𝕖𝕤 𝕤𝕖𝕟𝕤𝕖
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𝕴𝖘𝖆𝖇𝖊𝖑𝖑𝖆
„Wo ist er!? Wo ist mein Alessio?!“ Eine durchdringende Stimme hallte plötzlich durch den Krankenhausflur. Ich erstarrte. Diese Stimme war mir vertraut, viel zu vertraut. In einem Anflug von Unbehagen stand ich auf und trat aus dem Warteraum.
Als ich um die Ecke spähte, sah ich sie.
Felicia.
Sie stand mitten im Flur, ihr Gesicht war vor Angst und Verzweiflung verzerrt, während sie eine Krankenschwester lautstark zur Rede stellte. „Wo ist mein Freund!? Er wurde angeschossen! Ich will zu ihm!“ Ihre Schreie durchdrangen die sterile Atmosphäre des Krankenhauses, und die Emotionen in ihrer Stimme schnürten mir die Kehle zu.
Ich blieb wie angewurzelt stehen, mein Verstand kämpfte gegen die widersprüchlichen Gefühle, die in mir aufwallten. Hass und Mitleid, Wut und Verständnis, alles vermischte sich zu einem verwirrenden Strudel. Wie konnte sie hier auftauchen und so tun, als würde sie ihn lieben, nachdem sie ihm das Herz gebrochen hatte? Und doch… als ich in ihre tränenerfüllten Augen sah, konnte ich den Schmerz und die Angst darin nicht ignorieren.
Sie litt.
Aufrichtig.
Warum hatte sie ihn betrogen, wenn sie ihn wirklich liebte? Und wenn sie ihn nicht mehr liebte, warum war sie dann hier, aufgelöst vor Sorge um sein Leben? Diese Gedanken zogen in rasender Geschwindigkeit durch meinen Kopf, aber Antworten fand ich keine. Ich verstand die Welt nicht mehr.
Noch bevor ich eine Entscheidung treffen konnte, was ich tun sollte, hatte Felicia mich entdeckt. Ihre roten, geschwollenen Augen fixierten mich, und im nächsten Moment rannte sie auf mich zu. Sie wirkte wie ein Schatten ihrer selbst, ihre Schminke war vom Weinen verlaufen, und sie sah kaum besser aus als meine Tante, als sie vorhin hereingekommen war. Ich stand wie erstarrt da, meine Füße klebten förmlich am Boden. Sollte ich weggehen? Sie konfrontieren? Oder einfach abwarten, bis sie an mir vorbeilief? Doch ich hatte keine Zeit, einen Entschluss zu fassen.
Felicia stand plötzlich vor mir, und bevor ich reagieren konnte, schlang sie die Arme um mich und drückte mich fest an sich. „Isa…“ schluchzte sie, ihre Stimme war ein zerbrechliches Flüstern, erstickt von der Panik und dem Kummer, die sie durchdrangen. Ihre Verzweiflung war so echt, so greifbar, dass es mir den Atem raubte. Für einen Augenblick stand ich nur da, steif wie ein Brett, während sie sich an mich klammerte. Doch dann konnte ich nicht anders und legte zögerlich meine Arme um sie, drückte sie an mich.
„Ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen... Es ist alles meine Schuld...“ weinte sie in meine Schulter, ihre Worte von tiefen Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen durchzogen. Diese Worte durchbohrten mich, und gegen meinen Willen stiegen auch mir die Tränen in die Augen. Ich wusste, wie sehr Alessio sie geliebt hatte, und jetzt, in diesem Moment, sah ich, dass sie ihn vielleicht doch geliebt hatte, auch wenn ihre Taten das Gegenteil vermuten ließen.
„Er ist stabil... Aber er kämpft trotzdem noch...“ flüsterte ich heiser, meine Stimme war kaum mehr als ein raues Hauchen. Felicia löste sich langsam von mir, ihre Augen suchten verzweifelt meinen Blick, als ob sie in meinem Gesicht die Bestätigung für ihre größte Hoffnung finden könnte.
„Er... er lebt...? Wo ist er..? Kann ich zu ihm?“ Ihre Worte kamen hastig, ihre Hände zitterten leicht, als sie sich an meinen Armen festklammerte, als ob ich die einzige Verbindung zu Alessio wäre, die ihr geblieben war.
Ich zuckte leicht mit den Schultern, versuchte ein beruhigendes Lächeln aufzusetzen, doch mein Herz war zu schwer, um wirklich Trost spenden zu können. „Bisher durften nur seine Eltern zu ihm...“ erklärte ich leise. Ihre Miene veränderte sich, Hoffnung mischte sich mit neuer Unsicherheit, aber zumindest wusste sie jetzt, dass Alessio am Leben war. Sie ließ mich langsam los, ihre Augen fixierten die Tür, hinter der Alessio lag, als wäre dort der Schlüssel zu ihrer eigenen Erlösung verborgen.
Wir standen eine Weile schweigend da, und ich konnte nicht anders, als zu hoffen, dass diese Nacht irgendwann ein Ende finden würde, dass wir alle aus diesem Albtraum erwachen und einen Weg finden würden, weiterzumachen. Aber in diesem Moment war alles, was wir hatten, das Warten. Auf Antworten, auf Genesung, auf eine Zukunft, die wir uns noch nicht vorstellen konnten.
„Komm, wir holen uns was zu trinken,“ schlug ich leise vor. Felicia sah mich an, ihre Augen waren noch immer glasig und rot von den Tränen, bevor sie stumm nickte.
Zusammen gingen wir die endlos erscheinenden, weißen Flure des Krankenhauses entlang, bis wir das kleine Café erreichten. Das Summen des Automaten, der uns Kaffee ausspuckte, schien fast zu laut in der bedrückenden Stille, die zwischen uns herrschte. Wir setzten uns an einen der Tische, jeder von uns mit einem dampfenden Becher in der Hand. Doch die Stille blieb, schwer und erdrückend. Es lag etwas in der Luft, das unbedingt ausgesprochen werden musste, doch keiner von uns schien die richtigen Worte zu finden.
Ich spürte, wie das Schweigen uns beide erdrückte, wie es das Gewicht der unausgesprochenen Fragen und Ängste noch verstärkte. Ich hatte so viele Fragen, die mir auf der Zunge brannten, doch ich brachte kein Wort heraus. Schließlich war es Felicia, die das Schweigen durchbrach.
„Wir hatten einen heftigen Streit,“ sagte sie plötzlich, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, das in der stillen Cafeteria widerhallte. Sofort richtete ich mich auf und sah zu ihr, ich war überrascht von ihrer Offenheit.
„Oh... das tut mir leid,“ hauchte ich, meine Stimme war voller Mitgefühl, obwohl ich innerlich gespaltener war, als ich es mir selbst eingestehen wollte. Felicia rührte abwesend in ihrem Becher herum, als ob sie darin eine Antwort auf ihre quälenden Gedanken finden könnte.
„Ich war feiern mit einer Freundin, die im Hotel neben uns gewohnt hat. Sie war ebenfalls mit ihrem Freund im Urlaub, wir vier hatten uns super verstanden," begann sie zu erzählen und ihre Augen verloren sich in der Erinnerung. „Wir haben alles zusammen gemacht. Nur an diesem Abend war es anders." Ihre Stimme war brüchig, und ich konnte die Anspannung in ihr spüren, die sie zu erdrücken schien.
Ich zögerte kurz, bevor ich leise nachfragte: „Was ist passiert?“ Auch wenn ich die Antwort bereits ahnte, wollte ich es aus ihrem Mund hören. Ich musste verstehen, was wirklich geschehen war.
Felicia holte tief Luft, als ob sie sich für die Wahrheit wappnete. „An dem Abend hat mich Lara zu einer Party in der Stadt eingeladen. Ihr Freund war auch dabei, aber Alessio wollte nicht mit. Er wollte lieber für sein Studium lernen, was ich natürlich verstand. Ich zog mit den beiden los, und alles war super. Wir hatten ein paar Drinks, feierten und hatten Spaß." Ihre Stimme wurde leiser, als sie fortfuhr. ,,Aber ich war auch etwas betrunken..."
Ich konnte spüren, wie sie sich innerlich wand, als sie die Worte aussprach. „Lara ging kurz auf die Toilette, und plötzlich flirtete mich so ein Typ an. Er ließ nicht locker, egal, was ich sagte. Ich dachte, ein Tanz wäre okay, um ihn abzuwimmeln, aber er hat es wohl anders verstanden."
Ihre Stimme begann zu zittern, und ich sah, wie sie sich unwillkürlich schüttelte, als ob die Erinnerung ihr körperliche Schmerzen bereitete. „Plötzlich küsste er mich... erst am Hals, dann auf den Mund. Er fasste mich überall an, und ich...“ Ihre Stimme brach, und sie musste tief durchatmen, um nicht in Tränen auszubrechen.
Mein Herz schlug schneller, und ich konnte mich nicht rühren. Ich wollte ihr sagen, dass alles gut wird, dass sie nichts falsch gemacht hatte, aber die Worte blieben mir im Hals stecken. Felicia fuhr schließlich fort, ihre Augen waren voller Schmerzen und Schuld Gefühlen. „Ehe ich mich von ihm losreißen konnte, hatte Alessio es gesehen. Er war so sauer... Er schlug den Kerl zu Boden.
Aber als wir zurück im Hotel waren, glaubte er mir nicht. Er dachte, ich hätte ihn betrogen... Der Streit ist komplett eskaliert, und dann... dann ist er einfach gegangen.“ Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten und brach erneut in Schluchzen aus, ihr Körper zitterte vor unterdrückter Verzweiflung.
Ich war wie gelähmt. Die Wahrheit, die Felicia gerade enthüllt hatte, war weit schlimmer als alles, was ich mir zuvor ausgemalt hatte. Sie hatte Alessio nicht betrogen, sie war fast vergewaltigt worden. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Alles, was ich geglaubt hatte, all die Wut und der Hass, die ich auf sie projiziert hatte, brachen in sich zusammen und hinterließen nur ein tiefes Gefühl von Ohnmacht.
„Felicia...“ brachte ich endlich hervor, aber meine Stimme versagte. Was konnte ich überhaupt sagen? Keine Worte konnten den Schmerz ungeschehen machen, den sie und Alessio durchleben mussten. Dennoch schaffte ich es, meine Hand auf ihre zu legen und sie leicht zu drücken. „Es war nicht deine Schuld,“ flüsterte ich schließlich, meine eigene Stimme war kaum hörbar über das Geräusch ihres leisen Weinens hinweg.
In diesem Moment wurde mir klar, dass die Welt nicht immer so einfach und schwarz-weiß war, wie ich es gerne hätte.
Die Wut, die ich auf Felicia verspürt hatte, wich allmählich einem tiefen Verständnis für das, was sie
durchgemacht hatte. Und ich wusste, dass der Weg, den wir alle vor uns hatten, nicht leicht sein würde.
Doch in diesem Moment traf es mich wie ein Blitz: Ich war nicht viel anders als Alessio. Was er zwischen Felicia und diesem Typen gesehen hatte, war nur ein verzerrter Ausschnitt der Wirklichkeit. Er kannte lediglich einen winzigen Bruchteil des Geschehens, nicht das volle Ausmaß.
Und vielleicht... vielleicht war es bei mir und Matteo genau das Gleiche. Vielleicht hatte ich nur die Bruchteile wahrgenommen, die ich wahrnehmen wollte, und nicht die, die ich hätte sehen müssen.
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