Kapitel 11

𝕋𝕙𝕖 𝕋𝕣𝕖𝕖𝕙𝕠𝕦𝕤𝕖

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𝕸𝖆𝖙𝖙𝖊𝖔

Eine Stunde später kämpfte ich mich durch den dichten, verwilderten Wald. Die Äste kratzten an meinen Armen, das Laub raschelte unter meinen Füßen, während ich versuchte, den alten Weg zum Baumhaus wiederzufinden. Der Pfad war fast vollständig überwuchert, die Natur hatte sich über die Jahre ihren Platz zurückerobert. Der Himmel war von den dichten Baumkronen verdeckt, und es roch nach feuchtem Moos und Erde.

Schließlich stieß ich auf den schmalen Weg, der mich zu dem Baum führen würde, an dem so viele meiner Erinnerungen hingen.

Als ich schließlich ankam, blieb ich stehen und sah mich um. Das Baumhaus war noch da, versteckt in den hohen Ästen, aber niemand war zu sehen. Die Stille des Waldes drückte auf mich ein, und ich fragte mich, ob es ein Fehler gewesen war, sie hierher zu rufen. Vielleicht würde sie gar nicht erscheinen. Die Zweifel nagten an mir, während ich näher an den Baum herantrat, den Kopf in den Nacken legte und zu dem kleinen, verfallenen Haus hinaufsah, das so viele Geheimnisse aus unserer Kindheit bewahrte.

Erinnerungen überkamen mich plötzlich. Ich konnte Alessio und mich fast hier sehen, wie wir als Kinder durch diesen Wald rannten, auf der Flucht vor den strengen Blicken unserer Eltern. Wie wir uns hier versteckten, uns eine eigene kleine Welt bauten, fernab der Erwartungen und der Konflikte unserer Familien. Ein schwaches Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als ich an all die Abenteuer dachte, die wir hier gemeinsam erlebt hatten.

Doch bevor ich weiter in der Vergangenheit schwelgen konnte, riss mich eine scharfe Stimme aus meinen Gedanken. „Das machst du also, wenn du mir nicht gerade auf die Nerven gehst.“

Ich fuhr überrascht herum und da stand sie.

Isabella Rossi.

Ihre Präsenz war wie ein Blitzschlag in der ruhigen Kulisse. Ihre Augen funkelten vor Verärgerung, aber auch ein Hauch von Neugier war darin zu erkennen. Ich erwiderte ihren Blick, meine Gedanken rasten, doch ich zuckte nur beiläufig mit den Schultern. „Nicht alles in meinem Leben dreht sich um die kleine Rossi,“ sagte ich und versuchte, so gleichgültig wie möglich zu klingen.

Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und sie trat einen Schritt näher. „Gut,“ sagte sie, ihre Stimme war fest und abwartend, „was willst du, und warum sind wir hier?“ Ihr Blick schweifte umher, als ob sie die Antwort in den Bäumen finden könnte, bis sie schließlich wieder auf dem alten Baumhaus ruhte.

Für einen Moment war da ein Ausdruck in ihrem Gesicht, der zeigte, dass auch sie sich an die Vergangenheit erinnerte.

Aber diese Regung verschwand schnell, und stattdessen stand wieder die kühle Distanz zwischen uns, während sie darauf wartete, dass ich den Grund für dieses Treffen erklärte.

„Komm,“ sagte ich knapp und wandte mich von Isabella ab, während ich nach einem großen Ast griff, der in der Nähe lag. Ich konnte spüren, wie sie mich verwirrt anstarrte, ihre Augen verengten sich misstrauisch. Ohne sie weiter zu beachten, begann ich, die Strickleiter zu suchen, die irgendwo in den Ästen versteckt sein musste. Endlich entdeckte ich sie, verheddert und von Moos überzogen. Mit einem kräftigen Ruck zog ich sie herunter und warf einen Blick zurück zu Isabella, die mich immer noch beobachtete, nun mit einem Hauch von Belustigung in ihren Augen.

„Schleppst du so deine Freundinnen ab?“ fragte sie trocken, wobei sie versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, das ihre Lippen nur leicht verzog.

Ich verdrehte die Augen und erwiderte grinsend: „Nee, nur die Mädchen, die mir auf die Nerven gehen.“ Mit einem Nicken deutete ich auf die Leiter. „Und jetzt rauf da.“

Mit einem leisen Brummen begann sie, die wackelige Leiter hinaufzuklettern, wobei sie bei jedem Schritt leise fluchte. Ich wartete geduldig, bis sie oben angekommen war, bevor ich selbst hinaufkletterte. Die Leiter schwankte unter meinem Gewicht, und ich konnte hören, wie Isabella über mir leise den Atem anhielt, als sie die dünnen Sprossen fest umklammerte.

Oben angekommen, zog ich die Leiter wieder hoch und sah mich um. Das Baumhaus sah fast genauso aus wie früher, nur dass der Zahn der Zeit daran genagt hatte. Überall lagen welkes Laub, das durch den Wind hereingeweht worden war, doch die vertrauten Dinge waren noch immer da. Die alten, verstaubten Kissen, die flackernde Taschenlampe, die Decken, die wir damals mitgebracht hatten, und sogar die alten Brettspiele lagen noch verstreut herum, als hätten wir sie nur für einen Moment beiseitegelegt.

Isabella schob mit den Füßen ein paar Blätter beiseite, bevor sie mich wieder ansah, ihre Augen funkelten vor Skepsis. „Wenn du mich umbringen willst, sag es lieber gleich und mach nicht so ein Geheimnis daraus.“

Ich seufzte innerlich. Jetzt wusste ich wieder, warum es eine dumme Idee gewesen war, sie hierher zu holen. Sie war wirklich anstrengend, schlimmer als meine große Schwester mit ihrem ständigen Nörgeln und der unendlichen Ungeduld. Trotzdem ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen.

„Wie geht es Alessio?“ fragte ich vorsichtig, die Sorge nagte an mir.

„Er lebt,“ antwortete sie knapp, ihre Stimme war so neutral, dass sie mich frösteln ließ. Doch das reichte mir.

Leise atmete ich durch, versuchte meine Gedanken zu ordnen und nickte dann leicht. „Okay, gut. Und wie geht es dir?“ fragte ich weiter, obwohl ich sofort sah, dass diese Frage bei ihr nur Verwirrung auslöste. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, und sie sah mich an, als ob ich gerade etwas völlig Absurdes gesagt hätte.

„Du bist so komisch, Matteo Moretti. Du bestellst mich hierher, um mich zu fragen, wie es mir geht? Hättest du das nicht einfach schreiben können?“ Ihre Stimme klang genervt, fast schon spöttisch, und sie ließ sich ohne ein weiteres Wort auf den staubigen Holzboden des Baumhauses sinken. Ihre Augen fixierten mich noch immer, als ob sie versuchte, in meinem Gesicht irgendeine Erklärung zu finden, warum ich sie in diesen verfallenen Rückzugsort gelockt hatte.

Ich seufzte laut, spürte die Schwere des Moments auf meinen Schultern, und setzte mich ebenfalls hin, einige Schritte von ihr entfernt. Mein Blick wanderte an den verwitterten Holzwänden entlang, an denen noch schwach die Kritzeleien aus unserer Kindheit zu erkennen waren. Namen, kleine Zeichnungen und verwegene Träume, die wir damals auf das Holz gezeichnet hatten. Ich starrte stumm auf die Wand, versuchte die Worte zu finden, die irgendwo in mir vergraben waren, aber sie blieben unausgesprochen, stecken fest zwischen uns, während die Stille des Waldes langsam das Baumhaus umhüllte.

Isabella musterte mich, ihre Augen verengten sich leicht, als ob sie versuchte, meine Gedanken zu durchschauen. „Ich weiß, ihr wart früher Freunde, Matteo,“ begann sie mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme. „Aber wenn du unbedingt wissen willst, was mit ihm ist, warum besuchst du ihn dann nicht selbst? Ich werde bestimmt nicht deine Eule spielen und zwischen euch hin- und herfliegen.“

Ihre Worte trafen mich, doch ich nickte nur stumm, unfähig, eine schlaue Antwort zu finden. „Ich will einfach nur verstehen, wie das passieren konnte. Mehr nicht,“ erklärte ich schließlich, meine Stimme war  rau und voller unausgesprochener Fragen.

Isabella schien für einen Moment über meine Worte nachzudenken. Ihre Miene entspannte sich etwas, und sie nickte langsam. „Ich auch,“ sagte sie schließlich, und in ihrem Ton lag eine Spur von Traurigkeit, die mir zeigte, dass sie genauso ratlos war wie ich. In der Stille, die folgte, spürte ich, dass wir beide fast mehr verloren hatten, als wir zugeben wollten.

Nicht nur einen Freund,

sondern auch die unbeschwerten Tage,

die wir beide mit ihm geteilt hatten.

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