Kapitel 10
𝕋𝕙𝕖 𝕡𝕒𝕤𝕥 𝕔𝕒𝕥𝕔𝕙𝕖𝕤 𝕦𝕡 𝕨𝕚𝕥𝕙 𝕞𝕖
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𝕸𝖆𝖙𝖙𝖊𝖔
„Matteo, wo bleibst du denn?!" Alessios Stimme hallte laut über die Straße, sie war durchdringend und ungeduldig. Ein breites Grinsen stahl sich auf mein Gesicht, als ich in meiner Jacke herumfummelte, die sich widerspenstig über meine Arme ziehen ließ. „Ja, entspann dich, Alessio. Ich komme ja schon!" rief ich zurück, schloss die Haustür mit einem dumpfen Knall und rannte über den Hof, meine Schritte federten leicht auf dem kalten Asphalt.
Als ich bei ihm ankam, schlugen wir uns grinsend die Hände ein.
„Irgendwann bekommen wir noch richtig Ärger, weil wir immer zusammen abhängen", seufzte ich, während ich die Hände tief in meine Jackentaschen schob, um sie vor der Kälte zu schützen. „Mein Vater kann deinen Vater und deinen Onkel einfach nicht leiden." Ein Schatten huschte über meine Gedanken, aber bevor ich ihn festhalten konnte, schob Alessio ihn beiseite.
„Ja, und?", entgegnete er mit einem entschlossenen Blick. „Ich lasse mir nicht meinen besten Freund wegnehmen, nur weil unsere Familien zu doof sind." Seine Stimme war ernst, fast trotzig, und in seinen Augen flackerte dieser unerschütterliche Wille, der uns immer wieder zusammengeschweißt hatte.
Ich nickte stumm, die Worte in meinem Hals waren gefangen und wir marschierten entschlossen weiter in den Wald am Ende der Straße.
Nach etwa zehn Minuten, in denen wir wortlos durch das dichte Unterholz stapften, erreichten wir endlich unseren geheimen Ort. Alessio, der wie immer der Anführer war, griff nach einem dicken, knorrigen Ast und zog mit einem kräftigen Ruck die Strickleiter vom Baum herunter. Die Seile knarrten leise, als die Leiter sich entfaltete und zu uns herabfiel, wie ein leises Echo in der stillen Waldluft. Mit einem vergnügten Grinsen begann ich, hinter ihm die Leiter hinaufzuklettern, jede Sprosse unter meinen Füßen war vertraut und doch jedes Mal war es ein kleines Abenteuer.
Oben angekommen, zogen wir die Leiter wieder zu uns hinauf, sorgfältig darauf bedacht, keine Spuren zu hinterlassen.
Unser Baumhaus war ein kleines Meisterwerk, ein Versteck, das wir mit den Händen unserer Fantasie und harter Arbeit gebaut hatten. Das Innere wurde immer gemütlicher; wir hatten Decken, ein paar alte Kissen und sogar eine kleine Lampe, die uns nachts Licht spendete. In diesem Raum, versteckt hoch oben in den Bäumen, gab es keine Erwachsenen, die uns Vorschriften machten, keine Familienfehden, die unsere Freundschaft bedrohten.
Hier waren wir einfach nur Matteo und Alessio, zwei Zehn und Elf Jährige Jungs, die gegen die Welt ankämpften, Seite an Seite und unzertrennlich.
„Denkst du, wir bleiben für immer Freunde?" Meine Stimme war leise, fast als würde ich die Antwort fürchten. Der Zweifel, den ich in mir spürte, war wie ein kleiner Schatten, der sich zwischen uns schieben wollte. Alessio, war mein bester Freund seit dem Kindergarten, er hielt plötzlich mitten in der Bewegung inne und sah mich ernst an. In seinen Augen lag keine Spur von Unsicherheit.
„Natürlich," sagte er fest und entschlossen, als wäre die Frage selbst absurd. „Warum sollten wir das nicht? Was unsere Eltern sagen, ist mir egal. Das ändert sich niemals."
In diesem Moment war ich mir sicher, dass er es ernst meinte. Sein Lächeln war nicht nur beruhigend, sondern strahlte auch eine Unerschütterlichkeit aus, die mich mit einer Welle von Zuversicht erfüllte. Ich spürte, wie die Sorgen in mir langsam zu schmelzen begannen.
Ich lehnte mich zurück, ließ die kühle, beruhigende Waldluft durch mich hindurchströmen, und schloss die Augen. Der Duft von feuchtem Moos und Holz umgab uns, während das Rascheln der Blätter wie eine leise Melodie im Hintergrund spielte.
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Ich öffnete meine Augen und starrte an die Decke. Die Erinnerung an die Vergangenheit hing wie ein schwerer Schleier über mir. „Beste Freunde," murmelte ich leise und seufzte tief. „Das waren wir mal." Die Worte schmeckten bitter, als ob die Vergangenheit sich in meinem Mund auflöste und nur noch einen Nachgeschmack aus Enttäuschung und Bedauern hinterließ. Langsam setzte ich mich auf, das vertraute Gewicht der Einsamkeit drückte auf meine Schultern, und griff nach meinem Handy, das auf dem Nachttisch lag.
Ich wusste, dass das, was ich gerade vorhatte, keine gute Idee war. Der Gedanke, den ich nicht abschütteln konnte, würde mich mit Sicherheit in eine Situation bringen, die ich später bereuen würde. Trotzdem fühlte es sich an, als ob eine unsichtbare Macht mich weiter vorantrieb, als ob das Schicksal schon längst entschieden hätte.
Mit zitternden Fingern entsperrte ich das Display und öffnete Instagram. Ich suchte den Account von Isabella Rossi, ihre Bilder und Worte tauchten vor mir auf, wie Erinnerungsfragmente einer anderen Zeit. Ein letztes Mal zögerte ich, ließ meinen Daumen über dem „Folgen"-Button schweben, bevor ich tief durchatmete und schließlich den Button drückte. Ein leises Pling bestätigte meine Entscheidung, und ein seltsames Gefühl der Erleichterung mischte sich mit der Unruhe in meinem Bauch.
Dann öffnete ich den Chat. Die leere Textzeile starrte mich an, als wollte sie mich herausfordern. Ich begann, eine Nachricht zu tippen, einfache Worte, die doch so viel zu sagen hatten. Aber kaum waren sie auf dem Bildschirm, fühlten sie sich falsch an. Sofort löschte ich sie wieder, löschte den Mut, den ich in mir zusammengesammelt hatte.
Wieder und wieder wiederholte sich dieses Spiel. Worte kamen und gingen, Gedanken formten sich und zerbrachen, bevor sie überhaupt eine Chance hatten, gehört zu werden. Es war viel schwieriger, als ich gedacht hatte. Die Stille im Raum schien lauter zu werden, als ob sie mir sagen wollte, dass es keinen Ausweg gab, zumindest keinen, den ich einfach so finden konnte.
Zwei Minuten später war die Nachricht endlich geschrieben. Ich starrte auf den Bildschirm, die Worte leuchteten kalt im Dunkel meines Zimmers:
@matteomoretti_official: Ciao Isabella,
kennst du das alte Baumhaus von Alessio? Komm da in einer Stunde hin.
Matteo.
Es fühlte sich an, als ob diese wenigen Worte alles Gewicht der Welt auf sich trugen. Sie waren einfach, fast zu schlicht, aber was sollte ich auch schreiben? Eine lange Erklärung, ein umständliches Geständnis? Nein, das war nicht mein Stil, und das war auch nicht das, was die Situation brauchte.
Ich ließ meinen Blick noch einmal über den Text gleiten, suchte nach etwas, das ich ändern könnte, etwas, das diese Nachricht perfekter, vielleicht klarer machen würde. Aber da war nichts. Kein Wort mehr oder weniger, das es verbessern könnte. Trotzdem gefiel mir der Text nicht, er fühlte sich unvollständig an, als ob er nicht alles ausdrücken konnte, was in mir vorging. Aber was hätte ich noch schreiben sollen? Ein ganzes Kapitel unserer verkorksten Geschichte? Dafür war kein Platz, weder auf dem Bildschirm noch in dieser einen Nachricht.
Also schickte ich sie ab, ohne weiter nachzudenken. Sofort bereute ich es. Eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Angst überkam mich. Die Sekunden nach dem Absenden zogen sich wie zäher Sirup, jede tickende Sekunde schien ein Urteil zu fällen, über mich und über das, was ich gerade getan hatte. Mein Herzschlag war laut in meinen Ohren, während ich auf eine Antwort wartete, die vielleicht gar nicht kommen würde. Die Ungewissheit nagte an mir, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Das Spiel hatte begonnen, und der nächste Zug gehörte ihr.
Nach ein paar Minuten vibrierte mein Handy in meiner Hand, und mein Herz setzte einen Schlag aus. Nervosität breitete sich in meiner Brust aus, als ich langsam den Chat öffnete.
Da war es, ihre Antwort. Knapp und kühl, ohne jede Emotion:
@isabelladellarosa: Ja, kenne ich. Gut, bis später.
So wenig Worte, aber sie trafen mich wie ein Schlag. Die Antwort war nicht besonders herzlich, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Trotzdem reichte es, um meinen Entschluss zu festigen. Ich wusste, dass das, was ich tat, ein Fehler war, eine Mischung aus Neugier, Schuldgefühlen und einem Drang, die Vergangenheit nicht ganz loszulassen. Aber es war auch die einzige Möglichkeit, die ich gerade sah, um herauszufinden, wie es Alessio wirklich ging und, auf eine Art, auch Isabella.
Die knappen Worte hätten mich beruhigen sollen, aber stattdessen spürte ich, wie die Anspannung in mir wuchs. Das hier war mehr als ein Treffen an einem alten Versteck. Es war eine Reise zurück in die Vergangenheit, zu Entscheidungen, die uns alle geprägt hatten. Und nun stand ich am Rande, bereit, die Tür zu öffnen, die ich vielleicht besser geschlossen gehalten sollen.
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