bunny

Zu seinem Unglück erwartet ihn am nächsten Tag eine Mathestunde.

Nach dem Desaster gestern hat er sich schleunigst auf den Heimweg gemacht, und als er festgestellt hat, dass er Jeno heute begegnen wird, wäre er vor Scham am liebsten einfach im Erdboden versunken.

Großartig. Was hält er denn jetzt bitte von ihm? "Ich bin mein Zwilling", noch idiotischer hätte er das ja wohl kaum formulieren können. Aber jetzt muss er sich wohl damit abfinden, dass Jeno ihn für einen Schwachmaten hält. Sie wären ja ohnehin nie in Kontakt gekommen.

Zumindest dachte Jaemin das. Aber als er am nächsten Tag allein in seiner Ecke sitzt, macht Jeno einen Umweg zu seinem Platz, um einen Zettel auf Jaemins Tisch zu hinterlassen.

Du hast doch nach Haarfarbe gesucht, oder?
Wenn du möchtest, helf ich dir. Schreib mir einfach

Dazu hat er seine Nummer gekritzelt, und Jaemin braucht jeden Fitzel seiner Selbstbeherrschung, um keine Reaktion zu zeigen.

Man kann es drehen und wenden, wie man will; Jaemin hat einen Crush auf den hübschen Mathematiker, der ihm jetzt auch ein Lächeln über die Schulter zuwirft. Das schon eine ganze Weile, ohne wirklich etwas über ihn zu kennen. Er hat sich auch immer mehr oder minder damit abgefunden, von Ferne für ihn zu schwärmen und zu schüchtern zu sein, um ihn tatsächlich einmal anzusprechen, egal aus welchem Hintergrund. Und nun kommt das auf einmal so aus dem Nichts von Jeno? Wie soll er denn damit zurechtkommen? Viel eher noch, wie soll er jetzt noch so tun, als ginge sein Herzschlag nicht völlig durch die Decke?

Himmel.

Noch vor der Stunde speichert Jaemin Jeno ein, allerdings wägt er noch ab, wann er ihn anschreiben soll, und so hat er es bis zum Ende nicht getan. Es wurmt ihn, aber er hat sich die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrochen, was seine erste Nachricht sein soll, sodass nun alles völlig bescheuert erscheint. Da macht er es doch lieber überhaupt nicht.

Mit dem Klingeln ist er aufgestanden und hat den Klassenraum wenige Augenblicke später verlassen, um Jeno aus dem Weg zu gehen und Chenle und Jisung zu finden. Lange dauert das nicht; er weiß genau, wo die beiden Unterricht haben und kann sie somit geradezu von ihrem Klassenraum abholen.

"Ihr müsst mir helfen", sagt er statt einer Begrüßung.

"Wobei?" Chenle legt neugierig den Kopf schief, und die beiden Jüngeren folgen ihm auf den Pausenhof, bevor er den Faden wieder aufnimmt, um sicherzugehen, dass sie ungestört bleiben.

"Jeno hat mir seine Nummer gegeben", gibt er dann zu. Zwei Sekunden schweigen Jisung und Chenle.

"Seine Nummer?!"

"Wer ist Jeno?", fragt Jisung verwirrt.

"Yah! Hyung redet ständig von ihm! Der aus seinem Mathekurs? Mit den braunen Haaren? Mister Eyesmile! M–" Jaemins Hand auf Chenles Mund verwandelt sein empörtes Gerede in gedämpftes Nuscheln, und er beschwert sich mit "Mh-mh!"s, bis er genau die Person, über die sie gerade gesprochen haben, etwas weiter entfernt an ihnen vorbeilaufen sieht.

"Soll's denn gleich die ganze Schule wissen?!", flüstert Jaemin hektisch. "Inklusive Jeno selbst?!"

"Sorry", nuschelt Chenle, als Jaemin seinen Griff lockert.

"Aber recht hast du", fährt der Ältere fort, "genau um den geht's. Und weil er mir die vor der Stunde gegeben hat, will ich ihn eigentlich schon angeschrieben haben, aber ich weiß einfach nicht, was ich ihm schreiben soll."

"Irgendwas! Ein Sticker reicht doch schon."

"Und dann weiß er nicht, was er darauf antworten soll."

"Er hat aber doch dir seine Nummer gegeben, dafür hat er dann doch bestimmt einen Grund gehabt", meint Jisung, den Kopf leicht schieflegend.

"Hat er auch, aber... Ich kann ja nicht erwarten, dass er damit auch anfängt!"

"Natürlich kannst du das!", empört Chenle sich. "Wenn du nicht weißt, was du schreiben sollst, dann ist das so! Und er wird schon was finden, wenn er wirklich mit dir Kontakt haben will."

"Und warum hab ich dann nichts gefunden?"

"Jetzt hör schon auf, hyung! So wie ich dich kenne, hast du dir die ganze Stunde den Kopf darüber zerbrochen und nicht aufgepasst, und wenn dir nach so langer Zeit nichts Passendes einfällt, dann nimm die simpelste Möglichkeit und schau, wie er reagiert!"

"Aber..."

Chenle gibt ein genervtes Seufzen von sich. "Gib mir dein Handy, hyung."

"Warum?" Zögerlich holt Jaemin es aus seiner Tasche und hält es Richtung Chenle, der es ihm wegschnappt und es entsperrt, ohne eine Antwort zu geben. "Lele", wiederholt Jaemin also mit Nachdruck, "was hast du vor?"

Er grinst zu ihm hoch, als er findet, was er gesucht hat. "Jeno schreiben."

"Du–! Hör sofort auf!" Jaemin versucht, sein Handy aus Chenles Händen zu reißen, doch der lacht nur auf und nimmt Sicherheitsabstand. "Chenle!"

"Nö!", ruft der, ihm die Zunge herausstreckend, ehe er den Blick wieder auf den Bildschirm senkt. Jaemin rennt ihm hinterher, aber er merkt es rechtzeitig und läuft vor ihm weg.

Jaemin ist allerdings schneller, holt ihn somit ein, und greift nach seinem Arm. "Gib das her!"

"Nicht bevor du nicht versprichst, es selbst zu machen", grinst Chenle, das Handy von ihm weghaltend.

"Bist du bescheuert? Nein!" Jaemin will ihn an seinem Arm zu sich ziehen, doch er will sich gleichzeitig in die andere Richtung losreißen, sodass er das Gleichgewicht verliert und gegen jemanden stolpert. Und dieser Jemand hat hellbraune Haare.

"Sorry", entschuldigen Chenle und Jaemin sich gleichzeitig, noch bevor sie ihn erkennen, doch dann bricht in Jaemin Panik aus. Großartig, ihre letzte Begegnung hat in einer Peinlichkeit geendet und jetzt ist die nächste gleich auch noch so eine, schlimmer geht es ja gar nicht mehr!

"Alles gut– Oh, Jaemin! Hast du sonst kurz Zeit für mich?"

"Hat er", antwortet stattdessen Chenle mit einem fröhlich-hinterhältigen Lächeln, bevor er, mit Jaemins Handy, abdampft. Jeno sieht ihn fragend an, und Jaemin nickt, ein Seufzen unterdrückend und gleichzeitig hoffend, dass seine Wangen nicht so rot aussehen, wie sie sich anfühlen.

Sie nehmen also etwas Abstand von Jenos Freunden – Jaemin will gar nicht darüber nachdenken, was sie jetzt wohl von ihm halten – und stehen einen Moment in peinlicher Stille voreinander, ehe Jeno sich räuspert und sein Handy herausholt.

"Welche Farbe willst du?", fragt er, zu Jaemin aufsehend.

"Blau", antwortet der sofort, "also, aber nicht all zu dunkel, aber auch... nicht hell hell."

"Blondierung?"

"Brauche ich auch noch."

Ein leichtes Lächeln erscheint auf Jenos Lippen und beeinflusst dennoch auch seine Augen. "Das kriegen wir auch so hin. Was hältst du von der?" Er drückt Jaemin sein Handy in die Hand, und er sieht mehr ein wenig überfordert auf den Bildschirm.

"Die ist permanent", erzählt Jeno ihm, "vielleicht ein bisschen dunkel, aber das geht relativ schnell immer, dass es sich rauswäscht und heller wird."

"Woher weißt du das?"

"Meine Schwester hat sich durch so ungefähr jede Farbe auf diesem Planeten probiert. Wenn sich jemand damit auskennt, dann sie, und ich habe das immerhin mehr oder weniger mitbekommen."

"Okay, und, äh, was ist mit einer Blondierung?"

"Wenn's dich nicht stört, komme ich mit, wenn du die Sachen kaufen gehst, aber sonst kann ich dir auch Bilder schicken."

"Stört mich nicht", beeilt Jaemin sich zu sagen, "ich will das nur möglichst schnell machen."

"Also heute?", schlussfolgert Jeno, und schmunzelt, als Jaemin ein wenig peinlich berührt nickt. "Okay. Ich hätte Zeit."

"Gleich nach der Schule?"

"Okay. Treffen wir uns am Haupteingang?" Jaemin nickt stumm. "Drinnen oder draußen?"

"Lieber drinnen."

"Okay." Jeno schenkt ihm ein Lächeln, das seinen Herzschlag aus dem Tritt bringt.

"Ich... schreibe dir noch irgendwie was", beeilt Jaemin sich zu sagen, vor allem, damit er sich nicht davor drücken kann.

"Hat dein Freund wohl schon für dich erledigt", schmunzelt Jeno, ihm sein Handy hinhaltend.

Jaemin will bei dem Hasensticker am liebsten im Boden versinken.

19.04.2021

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