blush
Die Woche ist innerhalb eines Wimpernschlags um. Viel ist auch nicht passiert; in Mathe hat Jeno sich spontan neben ihn gesetzt und ihre Ellbogen haben sich die ganze Zeit berührt, aber das war auch so das Highlight der Woche. Jaemin hat vor allem Komplimente zu seiner Haarfarbe bekommen und wird in der Schule angestarrt, aber es macht ihm nichts aus, dafür gefällt sie ihm selbst zu gut. Und das Beste: Er wurde nicht ein Mal für seinen Bruder gehalten.
Das war es aber auch, und so ist es Sonntagabend, Jaemin packt seine Tasche für den Ausflug, sucht Essen zusammen und lauscht mit halbem Ohr den Nachrichten. Beim Sport driftet er ab, aber die Wettervorhersage holt ihn in die Realität zurück.
"...kaum bewölkt bei bis zu dreißig Grad. Über Nacht kühlt es ab..."
"Dreißig Grad?!", wiederholt Jaemin schockiert, und lehnt sich hinter seinen Eltern gegen die Sofalehne. "Das überlebe ich doch nicht!"
Seine Mutter tätschelt seine Wange. "Ich schmier dich morgen früh ein und dann geht das schon."
"Nein, das ist ja nicht einmal das Hauptproblem. Wir sind den ganzen Tag draußen, Eomma, und da ist Wasser und freie Fläche und das acht Stunden lang!"
"Nimm eine Kappe mit und versuch einfach, ganz viel im Schatten zu bleiben. Du kannst ja nicht zu Hause bleiben, so schlimm ist das auch wieder nicht."
"Ist es", murmelt Jaemin, aber statt weiter zu diskutieren, kehrt er in die Küche zurück.
"Nimm viel Wasser mit", ruft ihm seine Mutter noch hinterher, und er angelt seufzend zwei Flaschen aus der kleinen Vorratskammer.
"Wenn ich ohnmächtig werde, bringt mir das bisschen Wasser auch nichts", murrt er.
Den Abend verbringt Jaemin auf dem verhältnismäßig kühleren Fußboden, das Fenster aufgerissen, sein Handy in der Hand, ein breites Grinsen im Gesicht. Denn egal wie scheiße warm es ist, wenn er mit Jeno schreibt, ist er glücklich.
π
Schon direkt nach dem Aufstehen will Jaemin einfach nur den ganzen Tag unter der kalten Dusche verbringen. Stattdessen sind es kaum fünf Minuten und er muss sich danach in seine Klamotten quälen. Immerhin sind sie nicht dazu verpflichtet, ihre Uniformen zu tragen, und so kann er sich wenigstens einigermaßen an das Wetter angepasst anziehen.
Er wird wieder an den Samstag erinnert, an dem er Jeno das erste Mal in seiner Alltagskleidung gesehen hat, und sein Schwarm Schmetterlinge flattert leicht auf, als er daran denkt, dass das heute wieder passieren wird.
Ach ja, Jeno. Jaemin hat es mehrmals versuchen wollen und sich doch nie getraut, ihn zu fragen, ob sie heute zusammenarbeiten wollen. Er hofft, dass er den Mut entweder noch aufbringt oder Jeno ihn von sich aus fragt. Und selbst wenn er sich dabei blamiert; das ist noch besser, als nicht mit Jeno den Tag zu verbringen.
Acht Stunden. Entweder wird es ein Traum, oder die Hölle.
Bei der Hitze wohl eher Letzteres.
Es ist eher ruhig vor der Schule, und Jaemin setzt sich an die schattige Gebäudewand mit seinem Buch auf dem Schoß und Kopfhörern im Ohr, auch wenn er keine Musik hört und stattdessen seiner Umgebung lauscht. Noch sind nicht alle da; die Abfahrt wurde wegen einiger busfahrender Schüler um zehn Minuten verschoben, also ist damit zu rechnen, dass auch andere erst später kommen.
Die Schritte neben sich bekommt Jaemin gar nicht mit, so sehr ist er in sein Buch versunken, und er schrickt zusammen, als Jeno sich neben ihn setzt.
"Sorry", entschuldigt der sich sofort, "ich wollte dich nicht erschrecken."
"Alles gut." Jaemin zieht die Kopfhörer aus seinen Ohren und schlägt sein Buch zu. "Guten Morgen."
"Guten Morgen", lächelt der Ältere. "Die Farbe hält sich ja wirklich gut."
Verlegen streicht Jaemin sich durch die Haare. "Das war zu hoffen."
"Hmm." Jeno streckt die Beine aus. "Sag mal, wir sollen das ja alles in Pärchen oder Gruppen machen."
Jaemins Herz schlägt höher. "Ja...?"
"Hast du schon jemanden?" Jaemin schüttelt den Kopf. "Hättest du dann... Lust, das mit mir zu machen?"
Jetzt ist es ein Nicken. "Habt ihr die Zettel schon gekriegt?"
"Ja. Ihr?"
"Auch."
Sie schweigen eine Weile, während es auf dem Platz vor ihnen voller wird. Jaemin spielt mit seinen Buchseiten.
"Du kannst weiterlesen", versichert Jeno ihm.
"Aber dann gehst du ja wieder weg."
"Ich kann auch bleiben", lächelt er, und Jaemin nickt und schlägt das Buch auf, um nicht noch länger darüber reden zu müssen. "Worum geht's?", fragt Jeno leise, und Jaemin dreht ihm den Buchrücken zu, ohne seinen Blick von den Zeilen zu lösen. Sein Herz schlägt ihm noch immer bis zum Hals.
"Klingt gut", bemerkt Jeno nur, und Jaemin nickt und dreht sich wieder nach vorne.
Er ist auf der letzten Seite des Kapitels angekommen, als Jeno ihn anstößt.
"Wir müssen einsteigen", er deutet auf den Bus, an dem der Rest der Kurse bereits steht.
"Warte", murmelt Jaemin, überfliegt die letzten Zeilen und sieht dann auf, zu Jeno hoch, der ihm auf die Füße hilft. Jaemin betet inständig, dass seine Hand nicht verschwitzt ist.
"Sitzen wir nebeneinander?", fragt er leise.
"Ich wäre jetzt davon ausgegangen", lächelt Jeno, und weil er seine Hand nicht loslässt und Jaemin seine nicht loslässt, liegen ihre Hände ineinander, bis sie im Bus sitzen. Doch selbst dann hört Jaemins Herz nicht auf, einen Purzelbaum nach dem anderen zu schlagen. Er ist fast enttäuscht, dass sie nicht einfach weitermachen.
Und gleichzeitig bringt es ihn unglaublich durcheinander. Klar, Jeno hat sich großartig verhalten, seit sie das erste Mal miteinander gesprochen haben. Jaemin würde lügen, wenn er behaupten würde, dass er sich nicht schon mehr als das hier vorgestellt hätte, aber es ist eben gerade zwei Wochen her, dass sie sich wirklich kennengelernt haben. Den Crush, den er schon seit Monaten auf Jeno hat, zählt er nicht mit; immerhin heißt das nun wirklich nicht, dass er ihn zu der Zeit kannte. Er hat ihn lediglich angehimmelt, da er von Ferne so wundervoll erschien. Dass er das jetzt auch ist, bedeutet noch lange nicht, dass Jaemin wusste, womit er es zu tun hatte.
Himmel, darüber ist er sich ja bewusst. Und doch will er nichts lieber, als immer und überall Jenos Hand halten zu können, ohne dass es ihn stört. Oder eine Umarmung – Gott, was gäbe er nicht für eine Jeno-Umarmung –, oder kuscheln, oder– Nein, so weit will er nicht denken, wie hoch ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich küssen? Dafür müsste Jeno erst einmal auf Typen stehen, Jaemins Gefühle erwidern und bereit dafür sein. Das ist ja wohl nach zwei Wochen kaum der Fall! Und auch Jaemin selbst weiß noch nicht so recht, was er davon halten soll. Es wäre zu schön, um wahr zu sein, sollte es tatsächlich passieren – aber will er das denn? Er hat noch nie in seinem Leben jemanden geküsst, so richtig geküsst, wie er es mit jemandem täte, den er so richtig, richtig gern hat, und natürlich wäre es ihm ein Vergnügen, Jeno seinen ersten Kuss zu schenken, aber ist er dafür bereit?
Letztendlich kann er die Antwort nicht wissen, bis er sich nicht in einer Situation befindet, in der die Entscheidung für oder gegen einen Kuss steht. Die Hoffnung, dass er sich in dieser Situation mit Jeno befindet, wischt er ganz schnell wieder weg. Doch sie bleibt, ganz weit hinten, aber sie ist da. Auch als er sich mit seinem Buch ablenkt, auch als sie ankommen und aussteigen müssen, auch während sie sich auf den Weg zum Berg hoch machen.
Es ist jetzt schon unerträglich warm in Jaemins Augen, und er weiß nicht, wie er den Rest des Tages überleben soll. Besonders, da bis zum Rückweg keine Bäume in Sicht sind. Den Vormittag wird er also wohl durchgehend in knallender Sonne verbringen, und er könnte sich nichts Schlimmeres vorstellen.
"Ich hasse dieses Wetter", murmelt er, als die Lehrer sie auf ihre Schnitzeljagd für High School-Schüler gesendet und sie sich bereits etwas über den Weg verteilt haben.
"Du musst ausreichend trinken, wenn du hitzeanfällig bist", reagiert Jeno sofort, den Blick auf einen Auskunftspfeiler gerichtet, "nachher klappst du mir noch zusammen und ich bin zu unfähig, etwas zu tun."
"Du musst einfach nur dafür sorgen, dass ich mich nicht in irgendwelchen Gefahrenzonen befinde, während das passiert, mich in einen Schattenbereich bringen und wenn ich ohnmächtig werde, eine Lehrkraft verständigen. Ich hatte aber noch nicht wirklich so schlimme Fälle. Dass ich mir nicht dabei aus Versehen einen Arm abhacke, ist das Einzige, worauf ich eventuell nicht selbst achten kann."
"Macht es nicht Sinn, schon präventiv in den Schatten zu gehen, wenn du dich nicht so wohl fühlst?"
"Ja, bestimmt. Nur ist das so ein Dauerzustand bei mir, in den ich schon getreten bin. Ich könnte also gleich wieder nach Hause fahren."
"Hier, das musst du abschreiben", Jeno hält ihm sein Klemmbrett hin, und fährt mit dem Thema fort, während Jaemin auf seinen eigenen Zettel kritzelt. "Also muss ich dich einfach die ganze Zeit festhalten, einverstanden."
Jaemin schießt die Röte in die Wangen. "Ich– Musst du nicht, aber, wenn... Wenn du das willst, dann... dann halte ich dich nicht ab, weißt du..."
Mit einem liebevoll-boshaften Lächeln schiebt Jeno galant seine Finger zwischen Jaemins und zieht ihn mit sich den Pfad entlang. "Wir brauchen unsere Hände zwar, aber damit müssen wir leben."
"Und wie sollen wir das nachher Jung und Min erklären?"
Jeno lacht auf. "Okay, du hast recht. Was hältst du davon?" Er schlingt einen Arm um Jaemins Hüfte, der daraufhin zu einem glühenden Heißluftballon wird. "So musst du zwar die ganze Arbeit für mich machen, aber dafür passe ich auf dich auf."
"Ich– Ich glaube nicht– Ich glaube nicht, dass es so... so gedacht ist, die Aufgaben... die Aufgaben zu erledigen, erfüllen, auszufüllen."
"Na und wenn schon." Jeno ist ihm so unglaublich nahe, Jaemin hat das Gefühl, wirklich gleich in Ohnmacht fallen zu müssen. "Ich schreibe ab, während du bewusstlos bist."
"Nett", bemerkt Jaemin, und Jeno gluckst.
"So bin ich eben." Jeno lässt ihn los, und Jaemin ist davon sogar ein wenig enttäuscht. "Aber ganz im Ernst, wenn du dich an mir festhalten willst, dann kannst du das. Ich will mich dir aber nicht aufzwingen, deshalb überlasse ich das dir. Wenn ich mir Sorgen um dich mache, sage ich dir schon Bescheid."
"Danke", murmelt Jaemin, "ehrlich."
"Alles gut." Jeno kratzt sich verlegen am Hinterkopf. "Denk ans Trinken", erinnert er ihn, "ich bin gleich wieder da."
Mit einem leichten Grinsen wendet Jaemin sich der nächsten Aufgabe zu, für die er nur ein paar Meter weitergehen muss, während Jeno zu Renjun, ja, fast rennt, endlich mal dankbar, dass sie im gleichen Kurs sind. Jaemin sieht zwischendurch zu ihnen herüber und sieht Jeno aufgewühlt wirkend gestikulieren. Er wird das Gefühl nicht los, dass es bei der Diskussion um ihn geht, aber er konzentriert sich weniger darauf, da er immer noch Jenos Hand an seiner Hüfte spürt.
Er muss sich hinter seinen Klemmbrett verstecken.
Zur Ablenkung füllt er den Lückentext aus und trinkt mehrere Schlucke Wasser – wenn Jeno es ihm schon aufträgt, kann er es ja nicht nicht machen –, und gerade, als er nur noch ein wenig verloren dasteht, kommt Jeno zurück.
"Alles okay?", fragt Jaemin sofort, ihm mit besorgtem Blick entgegensehend.
"Ja, alles gut, sorry. Hast du schon weitergemacht?"
Jaemin nickt und hält ihm das Geschriebene entgegen. "Ich habe auch getrunken", murmelt er, während Jeno abschreibt, und es bringt diesen zum Grinsen.
"Dann ist ja gut. Sonst hätte ich dich gleich dazu gezwungen."
Jaemin lacht leise auf. "Gut, dass ich's schon gemacht habe."
"Wie, magst du Zwang nicht?"
"Nur manchmal."
Sie grinsen sich an, und sehen gleichzeitig peinlich berührt wieder weg.
28.04.2021
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