Kapitel 8. Sowon
Mit meinen neuen Büchern, die ich mir gerade aus der Bibliothek geholt hatte, machte ich mich auf den Weg zum Hörsaal. Der Blick auf mein Handy verriet mir, dass ich, wer hätte es anders gedacht, zu spät war. Vielleicht würde Milo eine Ausnahme machen, weil er.....auf mich geprägt war.
Scheiße, früh aufstehen war mein Endgegner. Ich hasste es einfach und nie hörte ich mein Wecker. Ich brauchte immer 4 bis 5 Wecker, die in 5 Minuten Takt klingelten, damit ich wirklich wach wurde und selbst da gab es keine Garantie.
Vor der Tür stehend, zögerte ich. Du schaffst das. Versuchte ich mich selbst zu beruhigen. An meinem weißen Hemdkleid zupfend, der mit dem Gürtel um meine schmale Taille zusammengehalten wurde, atmete ich tief ein und öffnete die Tür. Sofort fand ich Milos Augen, als würden sie mich regelrecht anziehen. Er hatte mich nackt gesehen. Hatte mich geküsst und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es war schlecht. Denn es war unglaublich gut gewesen. Er konnte so toll küssen, aber das war egal, wir würden die Prägung sowieso auflösen.
»Entschuldigen Sie die Verspätung, Mr. Othello.« sagte ich und eilte zu einem Platz etwas weiter hinten. Eine Freundin aus meiner damaligen Klasse war zum Glück heute auch wieder da, weshalb ich mich zu ihr setzte.
Er sah mich nicht an, sagte aber: »Morgen Abend liegt auf meinem Schreibtisch ein vierseitiger Aufsatz über den Nutzen eines Weckers, Mrs. Kim.«
Die anderen Studenten lachten, weshalb ich den Kopf einzog. »Ja, Mr. Othello.« Also keine extra Behandlung.
Meine Freundin, Lea, stupste mich mit dem Ellbogen an und grinste vielsagend. »Na? Immer noch Probleme mit dem frühen aufstehen? Du hast doch kein bisschen verändert, Sowon.« kicherte sie.
Ich verzog das Gesicht, holte derweil meine Unterlagen raus. »Ich hasse es eben früh aufzustehen.« erwiderte ich leise zurück. Obwohl ich mir echt Mühe gab heute Morgen früh aufzustehen.
Ich seufzte und sah Lea wieder an, als sie zu Milo nickte. »Du bist eben kein Morgenmensch, aber sag mal, kommst du klar, dass dein Schwarm nun dein Professor ist?«
Natürlich wusste sie von meiner Schwärmerei für Milo. Meiner früheren Schwärmerei. »Er ist nicht mehr mein Schwarm.« sagte ich zwar, aber als ich zu ihm sah und....er in dem Moment meinen Blick erwiderte, als würde er uns hören, hüpfte mein Herz.
»Ach so, verstehe. Also ist es endlich vorbei. Naja besser so, hast ja echt genug Körbe bekommen.«
Ich liebte Lea als meine Freundin, aber manchmal sagte sie Sachen, die mich zu Weißglut brachten. Doch gerade konnte ich nur Milo anstarren. Seine Augen zogen mich in einen Bann und ich spürte wieder seine weichen Lippen auf meinen. Er hatte wirklich gut geschmeckt.
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Mrs. Kim. Nehmen Sie ihr Buch, Seite 27, erster Absatz, Zeile 9«, setzte er an und hörte einige Studentinnen verträumt seufzen, weil seine Muskulatur unter dem Hemd spielte. »Es wird dort von Marcus Aurelius zitiert: Alles, was wir hören, ist eine Meinung, keine Tatsache. Alles, was wir sehen, ist eine Perspektive, keine Wahrheit.« Er sah mich an. »Ihre Meinung dazu?«
Ich wuselte bei mir herum und suchte die Seite, als ich sie endlich fand, starrte ich auf den Text. Wieso hatte ich diesen Kurs noch einmal gewählt? Ach stimmt, das war ein Pflichtfach, um überhaupt zum Schluss bestehen zu können. »Ich-« zurück zu Milo schauend, war ich froh, das zumindest die meisten der Studentinnen ihn anstarrten, statt mich. Ich schluckte und sah nochmal ins Buch. »Meine Meinung dazu ist, dass wir nicht alles glauben sollten, was wir hören. Denn nicht alles, was wir hören stimmt. Und-« ich presste meine Lippen zusammen und schmeckte mein Lipgloss. Melone. »und nicht alles, was wir sehen ist die Wahrheit, da jeder Mensch die Dinge anders sieht....nein, ich meine anders wahrnimmt..... schätze ich.« wurde ich leiser und sah Milo an. Ich hatte totalen Mist geredet.
Ich kniff die Augen zusammen und ein paar Schüler lachten, weil sie wohl wussten, was jetzt kam. »Ich hatte um Ihre Sicht der Dinge gebeten und nicht darum, dass Sie das Zitat einfach anders formulieren, Mrs. Kim. Wenn sie in meinem Kurs bestehen wollen, müssen sie etwas tiefer gehen. Sich darauf einlassen.«
Darauf einlassen? »Unser Alpha ist echt heiß.« hörte ich Lea neben mir murmeln. Meine Wölfin knurrte unzufrieden und ich verzog das Gesicht. Zurück zu Milo sehend, nickte ich, auch wenn ich irgendwie das Gefühl hatte, er meinte damit etwas anderes als seinen Unterricht. »Ich werde mich mehr bemühen, Professor.« sagte ich etwas abgehakt. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.
»Das will ich hoffen. Mrs. Lexon? Selbe Frage. Zeigen sie Mrs. Kim, was ich in meinem Kurs von den Studenten erwarte.«
Die kleine Blonde nickte. »Marcus Aurelius weist darauf hin, dass unsere Wahrnehmungen und Eindrücke subjektiv sind. Was wir hören oder sehen, wird durch unsere individuellen Erfahrungen, Überzeugungen und Perspektiven gefiltert. Daher sollte man sich bewusst sein, dass unsere Interpretation der Realität nicht die absolute Wahrheit darstellt, sondern nur unsere persönliche Sichtweise ist«, begann sie. »Das Zitat betont, dass Meinungen oft als Tatsachen dargestellt werden, obwohl sie lediglich persönliche Interpretationen oder Urteile sind. Eine Meinung kann wahr sein oder auch nicht, aber sie ist keine objektive Tatsache, die unabhängig von der Wahrnehmung existiert. Ähnlich verhält es sich mit dem, was wir sehen. Unsere Sicht auf die Welt ist eine Perspektive, geformt durch unsere eigenen Erfahrungen und den Kontext, in dem wir leben. Diese Perspektive kann uns helfen, die Welt zu verstehen, aber sie ist nicht die ultimative Wahrheit.« Sie holte tief Luft und klimperte mir mit dichten Wimpern entgegen. »In der stoischen Philosophie wird großer Wert daraufgelegt, zwischen dem, was in unserer Kontrolle liegt, unsere Meinungen, Reaktionen, Gedanken, und dem, was außerhalb unserer Kontrolle liegt, wie äußere Ereignisse, andere Menschen, zu unterscheiden. Dieses Zitat spiegelt die stoische Praxis wider, die Realität zu akzeptieren, wie sie ist, und die Weisheit darin zu finden, unsere eigenen Wahrnehmungen und Urteile zu hinterfragen. Zusammenfassend erinnert uns Marcus Aurelius mit diesem Zitat daran, demütig und reflektiert mit unseren eigenen Wahrnehmungen und Urteilen umzugehen. Es ermutigt uns, kritisch zu hinterfragen, was wir für wahr halten, und uns der subjektiven Natur unserer Erfahrungen bewusst zu sein.«
Milo nickte zufrieden. »Sehr gut. Sehen Sie? Tiefer, Mrs. Kim.« Er sah mich an und fixierte mich. »Sehr, sehr viel tiefer.«
Ich hob eine Braue, lehnte mich zurück und murmelte: »Streberin.« dann legte ich ein Bein über das andere und sah auf das Buch. Steck dir dein Tiefer sonst wo hin. Was auch immer du mir damit sagen willst, nimm normale Wörter oder lass es. Dachte ich genervt, dass diese komische Blondine Milo beeindruckte. Warte....
War ich eifersüchtig?
Auf einen Menschen?
Er lehnte sich an seinem Pult und hob ebenfalls eine Braue. »Haben Sie dazu nichts zu sagen?«
»Nein. Gerade habe ich rein gar nichts mehr zu sagen. Aber ich werde über ihre Bitte-« ich sah ihn intensiv an. »es tiefer zu tun, nachdenken.«
Sein Mundwinkel zuckte und er breitet einen Arm aus. »Bitte, je tiefer, desto besser. Lassen Sie uns doch teilhaben, an Ihren Gedanken, Mrs. Kim. Wie tief, ist Ihnen denn tief genug?«
Die paar Rüden und Menschenmänner kicherten amüsiert.
Ich spürte Leas Blick auf mir, während ich Milo anstarrte. Wieso tat er das? Wollte er mich bloßstellen? Aber das konnte er vergessen. Ich war nicht mehr das schüchterne Mädchen von damals! Er wollte spielen? Gut, wir spielen. Dachte ich herausfordernd und richtete mich etwas auf. Die Rüden und Menschenmänner, die so dumm lachten, strafte ich mit einem bösen Blick. Arschlöcher. Meine Augen fuhren zurück zu Milo und mein hoher Zopf bewegte sich mit. »So tief, dass sie dort nichts mehr zu suchen haben.« antwortete ich und spielte die coole.
Einige ›Oh's‹, ›Oha's‹ und ›Uh's‹ ertönten und MIlo setzte sich langsam in Bewegung. Geschmeidig, wie ein Panther, lief er auf mich zu und beugte sich dann vor. Beide Arme an dem durchgezogenen Tisch vor mir abgestützt, neigte er den Kopf und sah mich über die Nase hinweg an. Was eine sehr wölfische und drohende Geste war. »Ich suche gerne an neuen Orten nach Antworten. Für mich, gibt es kein tief genug. ICH kenne keine Grenzen.«
Lea neben mir rutschte automatisch etwas weg. Egal wie heiß er auch aussehen mag, er war unser Alpha und auch ich spürte seine Präsenz. Aber weil ich ein idiotischer Sturkopf war, sah ich ihm weiter entgegen. »Nun, Professor-« setzte ich gespielt gelassen an. »dann müssen sie bei mir besonders tief suchen, um ihre Antworten zu erhalten. Mal sehen wie lange sie durchhalten, bevor sie aufgeben und-« ich wurde leiser. »ablehnen.« ich sah ihm in die Augen und dann auf die Lippen. Jetzt wo ich wieder daran erinnert wurde, wie gut sie schmeckten, wollte ich am liebsten mehr. Aber das war nur die Prägung. Ich hatte abgeschlossen. Kein Milo! Nie wieder. Er soll ablehnen, er soll doch endlich einfach ablehnen.
Mein gegenüber grinste. »Ich bin mehr als bereit, Ihnen zu zeigen, wie tief ich komme.« Eine Studentin hinter ihm stöhnte leise, doch er ignorierte es. »Die Frage ist ...« er beugte sich noch näher. »Ob Sie bereit sind, sich in meinem verdammten Kurs zu bemühen. Denn wenn ja, wird es der Beste, den Sie jemals hatten. Tiefgründig, mit harten, langen Themen und scharfer Zungenarbeit, sobald die Pforten für Diskussionen geöffnet sind.«
Mein Gesicht entgleiste komplett und ich starrte ihn einfach nur an. Flirtete Milo Othello mit mir? MIT MIR?! Seine Worte waren so verdammt zweideutig und lösten in meinem Kopf eine Fantasie aus, die ich nicht Händeln konnte. Meine Oberschenkel zusammenpressend, wusste ich, dass er meine Lust riechen konnte. Viel intensiver, als die anderen Rüden, die nicht auf mich geprägt waren. Meine Wölfin bellte und freute sich, sie wollte Milo, am besten hier und jetzt sofort. Aber zum Glück, bestand ich nicht nur aus meiner Notgeilen Wölfin. Ich wollte etwas erwidern, konnte es aber nicht. Ich war sprachlos und wusste nicht, was ich sagen sollte. Also starrte ich einfach nur weiter ihn an.
Und er starrte zurück, bis sein Lächeln verschwand und er einmal tief einatmete. Dann ... wandte er sich ab und lief zurück zum Pult. »Weiter im Text. Mr. Miller, lesen Sie bitte weiter, wo wir das letzte Mal aufgehört haben.«
»Hey, alles okay?« fragte Lea leise.
»Ja, alles okay.« antwortete ich, ohne sie anzusehen.
»Man, das war ja verrückt. Milo hat dich angesehen, als würde er das echt ernst nehmen, wenn du in seiner Vorlesung nicht aufpasst.«
Ich nickte nur.
Wenn es nur so wäre. Dachte ich mir und wünschte mir zum ersten Mal, ich hätte jemanden, mit dem ich über all das hier reden könnte.
Während mit der Vorlesung weitergemacht wurde, blieb ich still und starrte nur auf das Buch. Ich versuchte alles Wichtige mitzuschreiben, aber meine Gedanken spielten verrückt.
Und als endlich die Vorlesung beendet wurde, war ich wirklich froh. Meine Freundin Lea wurde von ihrem Gefährten, Jonathan abgeholt und verabschiedete sich von mir. Wir hatten jetzt verschiedene Vorlesungen, da ich ein anderes Wahlfach genommen hatte. Ich winkte den beiden nur und packte meine Sachen ein.
Milo lehnte sich mit der Hüfte an meinen Platz. »Ich hoffe, ich habe heute klargemacht, dass eine Bevorzugung ausgeschlossen ist.«
Mein MacBook eingepackt, sah ich zu ihm hoch. »Was? Also habe ich den Eindruck gemacht, dass ich so etwas erhofft hätte?« Ja, aber das würde ich ihm bestimmt nicht sagen.
»Du hast ziemlich überrascht gewirkt, als ich die dein Essay über den Wecker aufgedrückt habe.« Er zog sein Handy und tippte eine Nachricht. Dann packte er es wieder ein. »Sei pünktlich, dann lässt sich so eine Auseinandersetzung vermeiden. Wenn du das denn überhaupt willst.«
»Was? Nein..ich.. das also..« ich schloss meine Lippen, bevor weiter Unsinn rauskam. Stand auf und schulterte meine Tasche. »Hör mal zu, ich habe kein bisschen überrascht gewirkt. Ich und der Wecker haben ein Problem miteinander. Aber ich werde dir das Problem gerne näher in meinem Essay erläutern. Und was meinst du mit, wenn ich es denn überhaupt will? Also solche Auseinandersetzungen vor allen Studenten ist nichts, was ich will und schon gar nicht, wenn du solche zweideutigen Worte nutzt.« schimpfte ich mit ihm.
Milo schmunzelte. »Zweideutig? Unterstellst du deinem Professor da etwa unzüchtiges Verhalten? Was«, er sah mich an, »ziemlich heuchlerisch wäre, wenn man bedenkt, was ich gewittert habe.«
»Ja, das tue ich und nein, das hast du dir nur eingebildet. Das kam bestimmt von den anderen Studentinnen, die dich regelrecht anhimmeln.« verneinte ich zumindest das eine und stampfte aus der Reihe.
Mein Professor packte mich einhändig und zog mich ruckartig an seine Brust. Während er auf mich hinabsah, grinste er schief. »Ich kenne deinen Geruch, Sweetheart.«
Die Stelle, die er berührte, kribbelte. Und sein Duft hüllte mich ein. Nein, ich muss mich zusammenreißen. Ermahnte ich mich gedanklich. »Als wärst du ein alter Perverser Mann und hör auf mich so zu nennen.« stieß ich aus und starrte ihn an. Okay, das war vielleicht hart.
Milo wandte sich um und keilte mich mit seinen Armen zwischen dem Tisch und sich ein. »Alter Mann? Nein. Pervers? ... Du hast ja keine Ahnung.«
»Milo...« hauchte ich. Während ich seinen Blick erwiderte, versuchte ich gegen die Fantasie, die er wieder in mir auslöste, anzukämpfen.
»Hm?«, raunte er zurück, blähte die Nasenflügel und sah mir auf die Lippen.
»Das....sollten wir nicht tun. Lass uns die Prägung ablehnen, sonst passiert noch etwas.....das du bereust.« schaffte ich zu sagen und kämpfte gegen alles an. Meine Lust, meine Fantasie, mein Wolf und meinen Gefühlen, die wieder an der Oberfläche kratzten.
»Ich sagte dir bereits, dass ich dein Ablehnen ablehne.« Er drängte mich so weit zurück, dass ich mich auf den Tisch setzen musste, um ihm etwas zu entkommen. »Und jetzt sag mir, von welchem WAS redest du, dass wir deiner Meinung nach nicht machen sollen?« er senkte den Kopf und strich mit der Nase meinen Hals entlang.
Er meinte das also wirklich ernst? Er wollte meine Ablehnung nicht akzeptieren? Ich dachte, er hätte es einfach so daher gesagt, um mich zu verwirren, aus der Reserve oder so zu locken.
Meine einzelnen Haarsträhnen, die ich mit Absicht nicht in den Zopf mit reingenommen hatte, fielen mir leicht ins Gesicht, als ich meinen Kopf drehte.
Meine Tasche Rutsche mir von den Schultern und ich versuchte ruhig zu atmen, aber mein ganzer Körper reagierte auf ihn. Die Prägung. Das war alles die Prägung, nicht ich, nicht meine Gefühle. Redete ich mir ein und antwortete ich ihm halb seufzend: »Alles.«
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