Kapitel 1. Milo

Ich saß über die Prüfungen gebeugt und schnaubte, als ich die nächste 4- einkringelte und ein Kommentar darunter kritzelte.

Was soll der Scheiß?
Warst du in meinem Kurs überhaupt mal anwesend und hast aufgepasst?
Das geht besser, Tamica!

Kopfschüttelnd unterzeichnete ich, lehnte mich in dem Bürostuhl zurück und rieb mir die Schläfe. Prof. für Philosophie an einer Uni zu sein war anstrengender als gedacht. Professor UND Alpha des Rudels meiner Stadt zu sein, war doppelt stressig. Über 70 Mitglieder und unzählige Studenten im Griff zu behalten, war ein zu einem Vollzeitjob geworden. Ich stand morgens in aller Frühe auf, kümmerte mich um alles, was das Rudel anging, machte mich dann auf den Weg in die Uni, um die Kurse zu geben, und alles was meine Studenten angeht zu erledigen – was ein Scheiß großer Haufen Arbeit war – und dann ab nach Hause, um ... wieder Rudelsachen zu erledigen. Tagein, tagaus.

Wann war ich das letzte Mal als Wolf unterwegs gewesen? Nur für mich? In der letzten Paarungswoche? Nein. Es muss länger her gewesen sein. Also definitiv mehr als einen Monat. Fuck.

Ich drehte den Stuhl und sah aus dem Fenster. Dabei ließ ich meine Gedanken schweifen und die Zeit etwas zurückwandern. Sieben Jahre war es jetzt her, die Sache mit Hope. Und seither hatte sich so viel verändert. Ich war, nach einem Jahr und somit sehr viel früher als gedacht zum Alpha geworden. Ich wollte es so und Dad, nun, er hatte sich gefreut, dass ich eine ›erwachsene Entscheidung‹ traf. Ich glaube, genau so hat er es damals formuliert.

Kurz darauf hatte ich mich auf Professor Gills Stelle beworben und auch diese bekommen. Ich hatte mein Leben radikal umgekrempelt. Keine Unmengen Alkohol mehr, kaum noch Partys, weniger Frauen und fast gar keine Drogen mehr. Bis heute hatte das wunderbar funktioniert. Nun es waren schon ein paar Frauen und etwas mehr als fast keine Drogen, aber das jetzt genau zu definieren, wäre Erbsenzählerei. Dennoch, mein Fehler mit Hope, hatte gesessen und mich wachgerüttelt.

Sie war mit Ji-hoo fast drei Jahre unterwegs gewesen. Drei. Die Gefährten hatten die Welt erkundet und waren unendlich glücklich zurückgekommen. Glücklich und Hope gerade frisch schwanger.

Ich lächelte. In der Zeit, als sie weg waren, hatte ich mich maßgeblich verändert. Meine Gefühle hatten sich verändert und nachdem wir, Hope, Ji und ich ein langes Gespräch geführt hatten, hatten wir unseren Frieden gefunden. Es dauerte noch etwas, aber Ji und ich, wurden gegen jede meiner Erwartungen wieder Freunde, und am Ende sogar wieder beste Freunde. Warum auch nicht? Uns stand nichts mehr im Weg. Er und Hope waren unvorstellbar glücklich, ich nicht mehr in sie verliebt und zum Teil erwachsen geworden. Es gab keinen Grund mehr, warum wir es nicht wieder angehen konnten.

Zudem ... ich hatte ihre Hilfe gebraucht. Denn obwohl ich gegen meine eigenen Erwartungen und Gedanken, sehr gerne Alpha war, gab es Dinge, die ... schwierig waren. Etwa der Frieden, den ich mit dem Polarrudel aufbauen wollte und letztlich auch aufgebaut hatte. Hopes Vater und ich arbeiteten gut zusammen und einmal im Jahr trafen sich die Rudel entweder hier oder am Pool, um zusammen voneinander zu lernen und sich zu helfen. Oh, die ersten Treffen waren interessant und endeten fast in einem Blutbad, doch es wurde jedes Jahr besser und die Rudelmitglieder fanden sich damit ab, was ich aufbauen wollte.

Frieden.

Das und, dass meine kleinen Stief-Neffen nicht dasselbe erleiden mussten, wie ihre Mutter es damals musste. Die mittlerweile zwei weißhaarigen Bestien von Welpen, hatten wie Hope schneeweißes Haar. Zwar keine roten Augen, doch ihr Fell war auffällig genug. Es durfte einfach nicht mehr sein, dass Wölfe wegen solcher Dinge gemobbt und gehasst werden.

Und fuck, ich hatte es geschafft. Die beiden Scheißer waren vollwertiges Mitglied des Rudels, wurden von allen geliebt und es gab sogar mehrere Zuwanderer aus dem Poolrudel, die jetzt in meinem lebten, als seine sie nie woanders gewesen.

Gott, ich hatte wirklich einiges geschafft. Aber dieses ›einige‹ kam auf Kosten meiner Freizeit. Jahrelang. Ich seufzte wieder und griff in die Schublade meines monströsen Holzschreibtisches, den ich noch von Professor Gill hatte. Ich griff mir die Kissenschachtel raus, ging zum Fenster, machte es auf und genau, als ich die Kippe anzündete und einen tiefen Zug nahm, ging die Tür auf und es kamen Ji und Hope in mein Büro.

Ich wollte die Kippe schon aus dem Fenster schnippen, als ich an ihnen vorbeisah. »Wo sind die tollwütigen Zwerge?«, fragte ich und grinste. »Sag bloß, ihr habt die Biester in einen Zwinger gesteckt und euch rausgeschlichen?«

Ji lachte, kam auf mich zu und schlug ein wie früher. »Yah, redet man so über seine Neffen?«

Ich hob eine Braue und er lachte, während ich ihn betrachtete. Er sah aus wie früher, der hübsche Penner. Einzig sein Haar ist etwas anders geschnitten, kürzer. Fuck, er war jetzt 29 und Hope 27 und beide zweifach Eltern. Sie standen mitten im Leben und als Betas dieses Rudels – Hope zudem als Alpha-Erbin des Polarrudels – war ihr Rang nach meinem der Höchste. Und ich? Wurde heute 30 und alles, was ich vorweisen konnte, war es, der Alpha zu sein und angesehener Prof.

Nach Hope hatte ich mich nicht mehr geprägt und nur zwei Beziehungen geführt. Das hieß, ich hatte es versucht, aber ... nun, einmal Arschloch, immer Arschloch, hm? Ich versuchte es wirklich, aber es war, als wolle das Universum mir nach Hope kein Glück mehr gönnen. Es hatte mir gezeigt, was Liebe war und sie mir dann weggenommen, um sie mich jetzt jahrelang schmerzlich zu vermissen.

Ich hob die Braue höher und sah Ji an, bis er schnaubte. »Fein, sie sind bei ihren Großeltern.« Er verdrehte die Augen und nahm unter Hopes bösen Blick, die Kippe weg, um selbst daran zu ziehen. »Ach, bevor ich es vergesse: Happy Birthday, Arschloch.«

»Danke, du Penner.« Ich sah zu Hope, die auf uns zukam und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Seine oder unsere Eltern?«

Meine Stiefschwester lachte. »Seine. Unsere haben die Nase voll und Mum erzählte mir heute Morgen, dass sie und Philipp einen Urlaub gebucht haben. Sie benehmen sich wie Rentner, als hätten sie nichts Besseres zu tun«, meinte sie kopfschüttelnd und lehnte sich an das Fenster. »Und wie ist die Arbeit gelaufen? Haben die Studenten wieder so schlecht abgeschnitten? Liegt bestimmt an deinem Aussehen«, scherzte sie und sah Ji-hoo an mit der Hoffnung, er verstand den Witz.

Mit einem schiefen Grinsen nahm ich Ji die Kippe wieder ab. »Wenn sie sich mehr auf meinen Inhalt, als den Prof. konzentrieren würden, müsste ich nicht so Noten verteilen.«

Ji schnaubte und zog Hope in den Arm, als seien sie verliebte Kids. »Du könntest dich auch mehr anziehen, wie ein Professor und weniger wie ein Badass-Model.«

Ich blinzelte und sah an meiner Jeans und dem schwarzen Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren und somit meine nun beiden tätowierten Arme zeigten, hinab. »Was ist daran verkehrt?«

Mein Kumpel schnaubte, deutete dann auf die Lederjacke und den Motorradhelm. »Das ist wohl der feuchte Traum jeder Studentin, Mann.«

Nun grinste ich breiter. »Möglich.«

Ji küsste Hope hinters Ohr. »Wie viel hast du schon abgeschleppt?«

»Studentinnen?«

Ji-hoo nickte.

»Keine, Bro.« Aus dem nicken wurde ein Lachen und ich seufzte. »Drei. Vier, wenn ich die Kleine aus dem Kurs von Nail mitrechne.«

Er lachte leise. »Du bist und bleibst ein Hurenbock.«

Ich nickte nur und sah dann auf die Uhr. »Was treibt euch her? Ich muss gleich los, ich hab' noch einen Arsch voll Rudelscheiße wegzuarbeiten.«

Ji sah Hope an und dann mich. »Nein Mann, wir gehen feiern. Heute ist dein Geburtstag.«

»Und?«

Nun sah Ji-hoo, Hope Hilfe suchend an.

»Ji hat recht, du musst mal ordentlich abschalten und Ji-«, sie sah ihn böse an, »kann auch echt mal mehr helfen.« Hope wandte sich an ihren Gefährten. »Du bist immerhin der Beta. Also lass Milo nicht immer mit allem alleine«, schimpfte sie und dann sah Hope uns beide überrascht an. »Stimmt, voll vergessen. Sowon kommt heute zurück aus Korea, seine Eomma holt sie, glaube ich, gerade ab, wenn ich es richtig in Erinnerung habe.«

Jetzt sah Ji sie fragen an. »Ja schon, aber was hat das mit der Party zu tun, auf die wir«, er schloss und alle in einer Handbewegung ein, »drei gehen wollen?«

Sowon. Jis kleine Schwester, die jetzt nicht mehr ganz so klein war, sondern verdammte 22 Jahre, war früher unglaublich in mich verknallt gewesen. Ich hatte das damals, als sie 15 und ich 23 Jahre alt waren, geflissentlich ignoriert, beziehungsweise für halb so wild gehalten. Bis an dem Abend auf der Party, als Sowon plötzlich deutlich mehr wollte, als es gut für sie war und alles eskalierte. Sie hatte mich, der voll betrunken, mit Drogen intus und bis über beide Ohren in Hope verknallt war, ohne es sich eingestehen zu wollen, geküsst.

Ji und Hope waren reingeplatzt und dann hatte es bei der Kleinen Klick gemacht. Sie hatte geweint und alle gehasst und verteufelt und wir ihr dennoch versucht milde klarzumachen, dass sie und ich keine Option waren. Nun, wie zuvor erwähnt, 23 und 15, UND sie war Ji-hoos kleine Schwester. Mehr gibts da wohl nicht zu erklären.

Ich hatte die kleine Nervensäge eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Nachdem ihre Versuche, sich an mich ranzumachen, irgendwann später aufgehört hatten und ich Hope und Ji weg, und wir damals keine Freunde waren, war der Kontakt regelrecht abgebrochen. Nur bei Rudel interne Dingen, und Sachen, die ich als Alpha mit der Beta-Hündin zu klären hatte, hatten wir geredet.

Was schade war, denn ich mochte sie. Die freche Pestbeule war Teil meines Lebens gewesen. Aber auch das hatte sich nun mal verändert und ich hatte es hingenommen und letztlich ihrem Wunsch daraufhin zugestimmt, sie dürfe nach Südkorea. Um ehrlich zu sein, hatte ich nicht mal nachgefragt, was genau sie da diese lange Zeit machte.

Die Zeit rannte.

Ich sah zu Hope. Gott, mir kam es alles vor wie gestern. Ich der riesengroße, verantwortungslose Mistkerl, der mit Hopes Gefühlen spielte, bis er begriff, was er wirklich fühlte. Zu spät. Hope, meine Stiefschwester, die in Ji-hoo und mich verliebt war und hin- und hergerissen wurde, und mein bester Freund, der von Anfang an, alles richtig gemacht hatte, indem er sich schnell eingestand, dass er die weiße Wölfin liebte. Das verrückteste Prägungsdreieck, das sich seither erlebt hatte. Von Außenstehenden, versteht sich.

Immerhin hatte es mich nicht wieder erwischt. Was ... scheiße war. Fuck ich war jetzt 30. 30! Und mittlerweile fiel es mir nicht mehr schwer, zuzugeben, dass ich das haben wollte, was meine Stiefschwester und mein bester Freund hatten.

Einen Gefährten.

Jemanden, den man mehr liebt, als sein Leben.
Eine Person, für die man alles tat.
Bedingungslose liebe zueinander.
Ich wollte die EINE Frau für mich finden und wollte zeitgleich der EINE für jemand anderen sein. DAS wollte ich. Ich musste es haben, wenn die Mondgöttin mir irgendwann verzeihen konnte, wie dumm ich damals gewesen war.

Schnauben zog ich an der Kippe und spürte Hopes Blick, auf mir. Die kleine Weiße kannte mich einfach viel zu gut und sah besorgt zu mir, doch ich lächelte sie milde an.

›alles okay?‹, schien sie still zu fragen, worauf hin ich nickte.

›Ja, alles bestens.‹

Ji riss uns aus unser Blickduell, indem er mehrmals schnippte. »Yah, ich hasse es, wenn ihr das macht. Dieses Gespräch mit den Augen ist echt ... euer Ding.«

Ich sah zu ihm und grinste. »Eifersüchtig, dass ich dir deine Gefährtin wegschnappe, und der neue Papi deiner Welpen werde?«, scherzte ich, weil wir wieder die Alten waren. Eine spaßige Drohung, die, selbst wenn ich es wollen würde, was nicht der Fall war, niemals umzusetzen würde. A: Empfand ich für Hope nichts mehr als Schwesterliebe und eine enge Freundschaft, und B: Die beiden waren so ekelhaft vernarrt, dass es selbst für Gefährten selten war.

Ja, dachte ich. Genau das will ich auch.

Mein Kumpel schnaubte. »Dann wärst du Onkel-Vater. Fucking ekelhaft.«

Ich lachte. »Genieß es, dass du fluchen kannst, sobald die Wirbelstürme weg sind.« Ich streckte mich. »Also, wohin soll es gehen?«

Ji, der Hope näher an sich zog, grinste. »Ins ›Billys‹.«

Kopfschüttelnd nickte ich. »Aber nur kurz. Ich habe wirklich eine Menge zu tun.«

Als wusste er, was ich nicht wüsste, wurde sein Lächeln diabolisch. »Wir werden sehen, was der Abend bringt, Bro. Oder, Jagiya?«, fragte er Hope, die noch immer mich ansah.

Hope nickte mir zu. ›Na schön‹, sagte sie mit den Augen, aber zeigte mir auch, dass sie mir noch nicht ganz glaubte. Dann wandte sie sich an Ji und sofort änderte sich ihr Blick. Wenn sie ihren Gefährten ansah, leuchtete er auf und unendliche Liebe strahlte. Es war, als würde sie etwas ansehen, von dem man immer und zu jeder Zeit fasziniert war.

»Ja, genau«, stimmte sie Ji-hoo zu und lächelte.

Ich seufzte erneut und schloss dann das Fenster. Ich nickte zur Tür. »Wir treffen uns dann da. Ich will wenigstens noch duschen.«

Damit verließen wir mein Büro sowie das Unigelände. Hope und Ji fuhren nach Hause, was das Anwesen des alten Alpha, also mein altes Haus war, und ich setzte mich auf mein Bike und fuhr zu meinem neuen Haus. Das etwas weniger ... groß war, für eine einzelne Person.
Vielleicht hatte ich ein Time-out ja wirklich mal nötig und die Party war eine gute Idee.

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