Kapitel 1, 2
Instinktiv umklammerte sie die kleine Pistole in ihrer Jackentasche fester, so fest, dass bestimmt ein Abdruck von dem kalten Stahl in ihrer Hand zurückbleiben würde. Was war das? Sie schlich an dem Tresen vorbei, der abgesehen von ein paar kreisrunden Ausschnitten, völlig mit einer zentimeterdicken Staubschicht überzogen war. Schützend hielt sie jetzt ihre Waffe vor sich, die Kordeln, die unter dem Türbogen hingen, schmiegten sich an ihren Körper, als sie hindurch schritt. Die bunten Perlen an den Kordeln klimperten leise. „Sccht", machte sie, als wollte sie ihnen sagen, dass sie sie nicht verraten sollten. Aber die Kügelchen wippten weiter hin und her, auch als sie schon längst nicht mehr in ihrer Nähe war.
Hinter dem Vorhang stapelten sich in einem Gang Kisten über Kisten, die den ohnehin schon schmalen Pfad kaum passierbar machten. Sie zog den Deckel von einer der schlecht zusammengenagelten Kisten. Ein Regen aus feinen Staubkörnern rieselte auf sie hinab und sie hustete. Igitt. Der Staub gelangte in ihren Mund und ihre Nase, es fühlte sich an, als hätte jemand mit Schmirgelpapier innen über ihre Kehle gewischt.
„Wasser", krächzte sie. Sie ließ von der Kiste ab und stürzte nach vorne, hinter den Tresen. „Da-klong", gab das Metall ihrer Waffe von sich, als es unsanft auf dem Boden aufkam.
Die Regale unter dem Tresen waren nahezu leer geräumt, Gläser waren auf dem Boden zerbrochen. Aber eine Flasche gab es, eine war noch ganz. Sie griff danach, drehte den Deckel herunter. Gierig nahm sie einen Schluck von der klaren Flüssigkeit.
„Pff!" Das Getränk sprenkelte in einem feinen Sprühregen genauso schnell wieder aus ihr heraus, wie es hineingelangt war. Es war, als hätte jemand tausend kleine Nadeln in ihre Lippen gesteckt, so brannte der Schnaps auf ihren von der Kälte offenen Lippen. Hastig tupfte sie die Reste davon mit einem Ärmel ihrer Jacke ab. „Boah, war das widerlich..."
Da - wieder ein Geräusch. Sie tastete nach ihrer Pistole, die sie unachtsam auf den Boden geworfen hatte. Vorsichtig schaute sie nach rechts, unter den Kordeln des Türbogens hindurch. Niemand war zu sehen. Nach links. Die Tür zu dem Laden stand ein kleines Stück offen. Verdammt. Hatte sie sie offen gelassen oder war noch jemand hier?
Endlich fanden ihre Finger den Griff der Pistole.
„Hey, Erin!" Ein paar Beine in schlammbespritzten Wanderstiefeln und olivgrünen Hosenbeinen brachte das Glöckchen an der Tür ziemlich in Bredouille. RUMPS! Die Tür wurde so fest aufgestoßen, dass das liebliche Klingeln jetzt eher einer kaputten Schallplatte ähnelte, über die die Nadel mit einem schiefen Kratzen ratschte. Ein letzter schiefer Ton quälte das dünne Häutchen in ihren Ohren, dann verstummte das Glöckchen für immer und die Tür blieb sperrangelweit offen stehen.
Die Stiefel schlurften nach links zu einem der Tische, ein Stuhl knarzte unter dem Gewicht des Fremden.
„Mann, Keneth!" Schritte näherten sich aus dem hinteren Teil des Ladens.
Scheiße. Ihr Atem beschleunigte sich, ihre Hände zitterten und dieses unendliche Gefühl der Verlorenheit, das man hatte, wenn man wusste, das es zu spät war, breitete sich in ihr aus. Ich hätte nicht zurückgehen sollen. Sie drängte sich in eines der Regale unter dem Tresen, schloss die Augen. Aber die dunkle Enge ihres Verstecks machte es nicht besser, im Gegenteil: Die Panik kroch in alle ihre Glieder und sie umklammerte ihre Waffe umso fester.
Ein anderes Paar Beine, es musste wohl diesem „Erin" gehören, kam durch den Perlenvorhang. Es blieb genau neben dem Tresen stehen. Die weißen Sneaker waren schwarz vom Dreck der Stadt und die schwarzen Skinny Jeans, die erst über den Knöcheln anfingen, waren viel zu kalt für diesen Tag. Obwohl der schwarze Pelz, der darunter hervorkam, es ziemlich gut auszugleichen schien.
„Was schreist du hier so rum? Wir sind nicht allein in der Stadt! Willst du, dass die uns finden?"
„Ne, Mann, wollte nur wissen, ob du was gefunden hast!"
„Ne, die Bude ist leer."
Der Stuhl quietschte auf dem alten Boden und die Stiefel gesellten sich zu den Sneakern. Sie waren schon ein recht ungleiches Paar. Früher hätte sie die Beiden für ihren schlechten modischen Geschmack ausgelacht, aber jetzt ... Nur nicht zu laut atmen, Kaya, sagte sie sich selbst im Stummen.
„Lass uns gehen." Die Sneaker bewegten sich vom Ausschank weg.
Ja, haut ab.
„Hey, warte mal! Was ist das?"
„Was denn?"
Die Wanderstiefel machten ein paar Schritte hinter den Tresen, dorthin, wo die durchsichtige Flasche mit dem Schwarzgebrannten lag. Sie gingen in die Knie und die olivgrüne Hose kniete sich auf den Boden. Hatte sich ihr Herzschlag vorhin wieder etwas beruhigt, so schlug er jetzt um das Dreifache schneller. Wenn er hochschauen und sie entdecken würde... Sie wagte nicht, auch nur zu blinzeln.
Die Hände von olivgrüner Hose griffen nach dem Deckel und drehten ihn auf die Flasche. Ein breites Grinsen breitete sich auf olivgrüner Hoses Gesicht aus. „Na, das ist doch was!"
Hose stützte sich auf seine rechte Hand. Dabei huschte sein Gesicht sehr nah an dem Regal vorbei, in dem sie sich versteckt hielt. Sie konnte den rauchigen, ekelhaften Atem des Fremden wie einen Windhauch über ihrem Gesicht spüren. Sofort stieg eine bittere, brennende Flüssigkeit in ihrem Hals empor, sie wollte sich übergeben. Nein. Angewidert schluckte sie das ätzende Gemisch in ihrem Hals wieder hinunter, es brannte ihre Kehle hinab. Beinahe schlimmer als der Alkohol, den der Fremde in der Hand hielt. Bloß nicht husten. Der Reiz kitzelte innen in ihrem Hals.
Einen Moment lang, der ihr wie eine Ewigkeit vorkam, betrachtete der Mann die Flasche andächtig. Dann drückte er sich vom Boden hoch und seine Schritte entfernten sich. Er schien sie nicht gesehen zu haben. Die Erleichterung breitete sich in ihr aus wie die wundervolle Wärme, die die ersten Strahlen der Sonne an einem Frühlingstag verströmten.
Sie kroch langsam aus dem Regal hervor und richtete sich auf. Die Luft, die sie die ganze Zeit unbewusst angehalten hatte, entwich ihren Lippen mit einem leisen Zischen, und das Husten, das sie jetzt viel zu lange unterdrückt hatte, bahnte sich seinen Weg nach oben. Das war gerade noch einmal gut gegangen. Aber ihr Herz schlug immer noch, als wollte es gleich aus ihrer Brust springen, und der widerliche Geschmack von Magensaft belegte immer noch die Wände ihres Gaumens. Sie schüttelte angewidert den Kopf, der Gestank dieses Mannes war unglaublich gewesen.
Sie schaute durch die Fenster. Die Straße vor dem Laden war frei, die Beiden schienen wirklich weg zu sein. Ihre Pistole steckte sie wieder in eine Tasche ihrer übergroßen Jacke, auf der in gepatchten Buchstaben „Mr. Baker" stand. Der Reißverschluss der Jackentasche aber wollte einfach nicht zugehen. Der Zipper entglitt immer wieder ihren Fingern. Drei, vier, fünf Versuche. Dann endlich hatte sie ihn. Sie zog daran und mit einem leisen „Rrrrr", das von einem Säuseln begleitet wurde, bissen die Zähne ineinander. „Autsch!" Sie lutschte hastig an ihrem Zeigefinger, ein metallischer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus.
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