3 - Himmlischer Geruch


Wie ein Irrer trat ich in die Pedale. Ich war zu spät losgefahren und musste mich nun beeilen, noch pünktlich zum Jugendkreis zu kommen. Es war heute eigentlich viel zu heiß, um Rad zu fahren. 

Obwohl wir schon abends hatten, stand die Luft immer noch und man schwitzte schon beim Nichtstun. Aber später wären die Temperaturen sicher angenehmer und ich war dank des Rades zumindest unabhängig von meinen Eltern – wer weiß wie lange das heute gehen würde.

Vorsichtig öffnete ich die Tür zum Jugendraum. Alle saßen da, mit gesenkten Köpfen und gefalteten Händen. Sam sprach gerade das Anfangsgebet. Leise schlich ich zu einem der freien Plätze. Mit Freude bemerkte ich, dass Esther nicht da war und witterte schon meine Chance.

"Amen!", sagte Sam in diesem Moment und die anderen echoten. Er blickte auf und als er mich entdeckte, breitete sich ein erleichtertes Lächeln auf seinen Lippen aus.


Sam hielt eine kleine Andacht mit uns. Es ging um die Bibelgeschichte, als die Jünger Jesu in einem Boot in ein starkes Gewitter gerieten. Jesus lief über das Wasser und bat Petrus, ihm zu vertrauen und zu ihm auf das Wasser zu kommen.

Sam erzählte die Geschichte so spannend, dass sie mich richtig mitriss. Fast fühlte ich mich, als säße ich selbst in dem wild schaukelnden Boot. Gerade in dem Moment, als er beschrieb, wie Petrus anstatt auf seinen Heiland auf das stürmische Wasser und die Blitze am Himmel schaute, ertönte ein so lauter Donner, dass wir alle vor Schreck zusammen zuckten. 

Ein paar schrien sogar laut auf. Erst jetzt bemerkten wir, dass draußen ein Sommergewitter aufgezogen war. Den Schreck überwunden, fingen wir an zu kichern. 

"Sehr passend mit auditiver Untermalung", meinte ich glucksend. Sam grinste mich an und fuhr dann mit der Geschichte fort.

Danach fragte er uns, wie wir diese Geschichte auf unser eigenes Leben anwenden könnten. Schnell meldete ich mich wieder. Schließlich hatte ich immer noch eine Mission und wieder wurde ich mit seinem zustimmenden Nicken belohnt.

Wie immer beteten wir am Ende noch zusammen und dann begann der interessante Teil des Abends. Verschiedene Knabbereien und Getränke wurden auf den Stehtischen verteilt. Einige setzten sich zusammen um zu quatschen, andere spielten Gesellschaftsspiele. 

Ich stand ein bisschen verloren im Raum und wusste nicht so recht, was ich tun sollte. Ich stellte mich deshalb an einen der Stehtische und knabberte ein paar Salzstangen, als meine Rettung nahte.

"Na, wie gefällt dir der Jugendkreis?", fragte Sam mich und griff ebenfalls zu dem Glas mit den Salzstangen.

"Ganz gut, denke ich. Ich komme bestimmt wieder", war meine Antwort.

"Freut mich", sagte er, "du weißt auch ganz schön viel. Mir gefallen deine Antworten. Du könntest auch mal eine Andacht machen."

"Oje", lachte ich und hob meine Hände abwehrend nach oben, "ich glaube, das kann ich nicht."

"Ach was, das kann im Grunde genommen jeder", grinste er.

"Ja ja, würde ich auch sagen als Pastorensohn", neckte ich ihn und hob mein Getränk an die Lippen um einen Schluck zu trinken.

"Ja, wenn das so ist, könnte ich dir ja helfen und wir bereiten zusammen eine Andacht vor."

Ich verschluckte mich an meiner Cola, an der ich gerade genippt hatte und hustete laut los. Hatte er das eben wirklich vorgeschlagen? Ich meine, ich hatte definitiv keine Lust, eine Andacht vorzubereiten und vor den anderen zu halten, aber der Vorschlag, es zusammen mit ihm zu machen, war ganz schön verlockend.

"Geht's?", fragte er und klopfte mir auf den Rücken, damit die Cola endlich wieder aus meiner Lunge kam.

"Ja." Ich hustete noch einmal und räusperte mich dann. "Jetzt geht's wieder. Danke!"

"Findest du die Aussicht, so schlimm mit mir die Andacht vorzubereiten?" 

Wieder dieses unwiderstehliche Grinsen, was ich sofort erwidern musste. War das schon flirten? Es fühlte sich zumindest ein bisschen so an. Wobei Sam niemals so sündig sein würde und mit einem Typen flirten würde. Außerdem gab es da ja auch noch Esther.

Er schaute mich immer noch fragend an. Ich hatte zu lange nachgedacht und jetzt fühlte ich mich unsicher.

"Ähm, also... ", stotterte ich.

Er bemerkte meinen Stimmungswechsel ebenfalls und ruderte verbal zurück: "Entschuldige, ich wollte dich zu nichts drängen. Wenn du nicht willst, musst du keine Andacht machen. Ich dachte nur, dass du das gut könntest."

Mist, jetzt hatte ich es vermasselt! "Ähm, ja, also ich würde es schon versuchen, aber eben nicht allein", versuchte ich sein Angebot aufrechtzuerhalten.

Wieder dieses Lächeln, dieser Blick.

Wir verabredeten uns für Freitagnachmittag und setzten uns dann noch zu ein paar anderen an den Tisch.


Wir hatten inzwischen kurz vor elf. Ich stand an der großen Tür unseres Gemeindehauses und schaute nach draußen. Es regnete immer noch in Strömen. Während die anderen kichernd durch den Regen zu ihren Autos rannten, warf ich einen gequälten Blick zu meinem Fahrrad. Nur in T-Shirt und kurzer Hose würde ich direkt klatschnass werden.

Eine warme Hand legte sich auf meine Schulter. "Du bist mit dem Fahrrad da?", fragte Sam mich.

"Jap", meinte ich und schaute zu ihm. Dieses Lächeln. Mein Bauch kribbelte plötzlich wie wild. Wie gerne hätte ich dieses Lächeln geküsst. Aber halt! Ich musste aufhören, solche Sachen zu denken. Vor allem, wenn ich direkt vor ihm stand.

"Soll ich dich nach Hause fahren?", fragte er.

Ich starrte ihn an. Mein Herz begann zu pochen. Am liebsten hätte ich "Ja!" geschrien, doch da war plötzlich wieder diese innere Stimme, die mich davon abhielt.

"Ähm nein, schon gut. Ich brauch' mein Rad morgen früh, um in die Schule zu kommen."

Er wirkte ein bisschen enttäuscht, doch dann hellte sich sein Blick direkt wieder auf. "Dann renne ich schnell rüber und hol' dir wenigstens meine Regenjacke, okay?"

Seine Familie wohnte direkt in dem angrenzenden Haus an der Kirche und bevor ich antworten konnte, sprintete er schon durch das Nass und verschwand dann in der Haustür.

Ich wartete keine drei Minuten, da kam er schon wieder zurück geflitzt, in der Hand eine dunkelgrüne Regenjacke.

"Hier", grinste er mich an, als er wieder bei mir im Trockenen stand. Er war ganz nass geworden. In seinen Haaren und Wimpern glitzerten Regentropfen und über seine Haut rannen kleine Rinnsale.

Dankbar nahm ich die Jacke entgegen, zog sie mir an und die Kapuze über meinen Kopf. Dann schloss ich den Reißverschluss bis ganz oben, sodass nur noch meine Augen und meine Nase zu sehen waren.

"Steht dir", schmunzelte er.

Gut, dass er meine Wangen nicht sehen konnte, die vermutlich gerade rot wurden.

"Dann sehen wir uns Freitag?", fragte ich noch nuschelnd in den Jackenkragen.

"Ja, genau. Ich freue mich."


Meine Hose war komplett durchnässt und der Regen peitschte mir in den noch freien Teil meines Gesichts, aber das machte mir nichts aus.

Ich grinste glücklich während ich in Sams dunkelgrüner Jacke steckte und nach Hause fuhr. Das Beste an der Sache war, dass die Jacke, die ich bis unter die Nase hochgezogen hatte, so himmlisch gut roch. Genauso wie Sam. Als wäre er ganz nah bei mir. Immer wieder steckte ich meine Nase in den Kragen und inhalierte das Sam-Aroma.

Und in diesem Moment war ich mir sicher: Wenn der Himmel einen Geruch hatte, dann musste er genau so riechen.


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