Kapitel 88 - Vertigo
Your love is my Vertigo and it's taking me high,
Your love is my Vertigo and it's making me cry.
I tried to forget that you let me fall so deep again.
And I pray this ist he end.
But I need to fly with you again.
- Madeline Juno
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Auf gute Neuigkeiten folgte ein guter Tag, hoffte Sam. Cisco und sie hatten die Tachyonen am Schauplatz von Barrys Kampf gefunden und somit die Gewissheit, dass Vertigo tatsächlich die Zeit zurückdrehen konnte. Das waren in der Tat gute Neuigkeiten, denn nun konnten sie einen Schlachtplan erörtern, wie sie das Meta stoppen könnten, bevor es das nächste Mal zuschlug.
„Stell dir vor, du könntest mit jedem Menschen ausgehen. Du baggerst ihn an und drehst die Zeit einfach zurück, bis es klappt", zählte Cisco den bislang fünfzehnten Punkt seiner Liste auf, wieso Vertigos Fähigkeiten ‚astrein' waren. „Und wie viele verschiedene Eissorten man probieren könnte ohne zuzunehmen."
„Oder wie viele Gespräche man besser machen könnte", fügte Sam einen Punkt hinzu, der ihr persönlich am wichtigsten war.
„Ach, das nicht mal", winkte Cisco ab. „Ich finde ja, die wichtigsten Gespräche sollten von Herzen kommen."
Wie recht er doch hatte. Und Sam wünschte sich manchmal, Harrison würde so denken wie Cisco.
Je näher sie dem Cortex kamen, desto nervöser schlug ihr Herz in ihrer Brust. Sie hatte ihn seit dem gestrigen, unglücklichen Gespräch nicht mehr gesehen. Einerseits wartete sie sehnsüchtig darauf, in seine eisblauen Augen sehen zu können. Anderseits fürchtete sie sich vor dem, was sich vielleicht darin finden ließ.
„Da sind wir wieder!", machte Cisco auf sich aufmerksam und nahm Sam somit jede Gelegenheit sich vorzubereiten. Es war der bekannte Sprung ins eiskalte Wasser, als Caitlin und Harrison sich fast synchron zu ihnen herumdrehten. Barry schlüpfte soeben in sein Shirt, Sam erhaschte nur einen kurzen Blick auf den Verband um seinen Bauch. Alles in allem wirkte der Speedster jedoch wieder so fit wie eh und je, sodass sie erleichtert ausatmete.
„Was konntet ihr herausfinden?", fragte Harrison. Kein ‚Hallo', kein charmantes ‚Wie war dein Tag?' Nicht, dass Sam dergleichen in einer ernsten Situation wie dieser erwartete, doch was sie verletzte war, dass Harrison sie nicht einmal ansah.
„Tachyonen, wie Sie vermutet haben, Dr. Wells", verkündete Cisco und wedelte mit dem Messgerät herum. „Wir haben es tatsächlich mit einem Meta zutun, dass die Zeit zurückspulen kann."
„Faszinierend", murmelte der Wissenschaftler und schob sich die Brille zurecht. „Lässt du mich einen Blick auf die Daten werfen?" Cisco gab das Messgerät an ihn weiter, das Team positionierte sich hinter Harrison am Pult. Er besah die Daten und gab sie anschließend in den Rechner ein, wobei seine langen Finger geschickt über die Tastatur schnellten. Nach kürzester Zeit waren seine Berechnungen beendet und Sam durfte wieder einmal feststellen, was für ein Genie der Wissenschaftler doch war.
„Die Konzentration der Tachyonen lässt darauf schließen, dass unser Meta nur um wenige Minuten zurückspulen kann. Ich schätze auf circa sieben Minuten."
„Jedes Mal Sieben?", fragte Barry.
„Davon gehe ich stark aus, da jede Fähigkeit an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Außerdem scheint die Tachyonen-Konzentration vor der Bank gleichmäßig exponentiell gestiegen zu sein, ebenfalls ein Indiz dafür, dass er die Zeit um die immer gleiche Anzahl Minuten zurückdrehen kann."
„Und das ist seine Schwachstelle", riet Sam.
„Ganz genau", erwiderte Harrison. Wenigstens sah er sie nun an, wenn auch für eine flüchtige, unbedeutende Sekunde. Sam sehnte sich nach der Wärme, die seine Augen stets ausgestrahlt hatten. Sie fühlte sich einsam und kalt.
„Aber wie soll ich ihn besiegen? Auch, wenn er die Zeit nur um sieben Minuten zurückdrehen kann, so wird er doch stets wissen, was ich in diesen sieben Minuten tue. Weil er einfach alles wiederholen kann, so oft er möchte", warf Barry ein und kräuselte die Stirn.
„Indem du eine Zeitlinie erschaffst, in der Vertigo nicht weiß, was geschehen wird."
„Und das soll wie gehen?"
Das Lächeln, das sich auf Harrisons Lippen bildete, war scharf wie tausende Messer. Er schob seine Brille zurecht, die Lider selbstzufrieden gesenkt, ehe er seine Augen auf Barry richtete. „Indem wir dich ebenfalls in der Zeit zurückschicken."
„Eine Zeitreise?", sagte das restliche Team im Chor.
Sam spülte ein Kribbeln der Vorfreude in ihren Fingerspitzen, während sie Barry den Tachyonen-Beschleuniger anlegte. Das, was sie vorhatten zutun, war zuvor keinem Wissenschaftler je gelungen. Eine Zeitreise. Es war aufregend, bahnbrechend und ekstatisch und doch war Sam nicht mit ganzem Herzen bei der Sache. Nur halbherzig lauschte sie Cisco, der die von Harrison und ihr in Auftrag gegebenen Besserungen des Tachyonen-Beschleunigers nannte. Kurz gesagt: stabileres Material, eine bessere Haptik.
„Damit du uns nicht wieder durchbrennst", witzelte der kurz geratene Wissenschaftler und entlockte der Gruppe ein Lächeln, dem Sam mit einzustimmen versuchte. Dabei wanderte ihr Blick zu Harrison, der sie ebenfalls für einen kurzen Moment musterte. Nie wusste sie, was in ihm vorging. Nie konnte sie sagen, was er dachte oder fühlte.
„In Ordnung, dann testen wir den Beschleuniger jetzt", erhob Harrison seine Stimme, sodass Sam ihren Blick betreten senkte.
Gemeinsam begab sich das Team in den angrenzenden Nebenraum, der durch die Glasscheibe von Barrys Trainingsareal getrennt war. Der Speedster betrat das Laufband – es wurde ernst. Wenn der Beschleuniger funktionierte, dann konnten sie ihn auf seine erste, kleine Zeitreise schicken. Und wenn das funktionierte, war Vertigo dran.
Unruhig knobelte Sam an ihrer karierten Bluse, während Harrison das Startsignal gab. Barry rannte los, zuerst langsam. Irgendwann waren von seinen Beinen nur noch rote Lichtreflexe zu sehen sowie die Blitze, die stets aus seinen Gliedmaßen sprießten, wenn er eine bestimmte Geschwindigkeit erreichte. Ihr Blick richtete sich auf seine Brust, wo sich der Tachyonen-Beschleuniger befand, der beim letzten Versuch Feuer gefangen hatte. Nur dieses Mal, da blieb er unversehrt. Es funktionierte! Die Geschwindigkeitsanzeige kletterte nach oben, weit über den von Barry sonst erreichten Bereich, sodass sich Sam schwungvoll zu Harrison herumdrehte und ihm ein breites Lächeln schenkte. Er nickte zurück, zufrieden mit der Arbeit, die sie geleistet hatten.
„Das reicht, Barry", wies Harrison den Speedster an.
Barry gehorchte wie stets und verlangsamte seine Schritte nach und nach, während das Team in den Trainingsraum strömte. Sam vornweg, um ihren Freund zu seinem Erfolg zu gratulieren, vielleicht auch etwas sich selbst, als sie wie vom Blitz getroffen innehielt. Barry kam auf sie zugelaufen, wiederum verschwamm das Bild, sodass sie einen schwarzen Pullover sowie eine schwarze Hose vor sich sah. Brille, eisblaue Augen.
Harrison.
Er kam auf sie zugelaufen. Gelaufen. Oder vielmehr gepirscht, wie ein Raubtier. Ein eiskalter Schauder jagte über ihren Rücken, sie zuckte zusammen, als eine Hand auf ihrer Schulter landete.
„Sam?"
Sie blickte auf in Barrys Gesicht, das eine Falte zwischen den Augenbrauen zierte. Auch das restliche Team musterte sie fragend.
„Es ist nichts", winkte sie ab. „Ich bin nur so geflasht von unserem Erfolg, das ist alles."
Die Gruppe lachte, während Sam nur daran denken konnte, was sie eben gesehen hatte. Es glich einer Erinnerung, die tief in ihrem Unterbewusstsein verborgen lag. Oder einem längst vergangenen Traum. Was auch immer es war, es kratzte an der Oberfläche ihres Bewusstseins wie ein Tier im Käfig, das danach dürstete herauszukommen. Sie rieb sich die Stirn. War ihre Sehnsucht nach Harrison bereits nach dieser kurzen Zeit so gewaltig, dass sie nun an Halluzinationen litt? Sie kam sich lächerlich vor.
„Ich kann nochmal aufs Laufband, ich denke, da geht noch was", riss sie Barrys Stimme wiederholt aus ihren Gedanken.
„Das ist gar nicht nötig, Barry. Wir wollen den Beschleuniger nicht überlasten."
„Aber ich weiß, dass ich noch schneller sein kann."
„Die Geschwindigkeit, die du bereits erreicht hast, reicht aus, um dich in der Zeit zurückzuschicken", schilderte Harrison, die Köpfe der Gruppe schnellten zu ihm. „Ich habe es genau berechnet, während Cisco am Tachyonen-Messgerät gearbeitet hat."
Sam versuchte den Schmerz darüber, dass er die Berechnungen ohne sie ausgeführt hatte, herunterzuschlucken.
„Alles, was noch fehlt, ist eine gerade Strecke von mehreren Kilometern zurückzulegen. Im Kampf gegen Vertigo reichen die Hauptstraßen Central Citys aus, doch da wir für Übungszwecke kein Aufsehen erregen wollen, schlage ich eine andere Laufstrecke vor", fuhr Harrison fort.
„Die da wäre?"
Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Der Teilchenbeschleuniger."
Ambers lustvolles Stöhnen hallte durch das kleine Aktenzimmer. Sie hielt sich am Stahlarm des Regals vor ihr fest, so gut sie konnte, während sie ihr Becken Owen entgegenschob. Seine Bewegungen waren fest, doch nicht ruppig wie früher. Sie waren leidenschaftlich sanft, eine höchst effektive Kombination, die Amber den Kopf vernebelte.
Wieder entwich ihr ein Stöhnen. Diesmal landete Owens Hand auf ihrem Mund, um ihre Laute zu dämpfen. Er senkte seinen Kopf und biss in ihren Nacken, Amber bäumte sich auf. Sie hatte sich geschworen, nie wieder in diesem Aktenraum zu landen, rücklings zu Owen gewandt und sich ihrer Lust hingebend, doch genau das war passiert. Und verdammt, es fühlte sich einfach zu gut an, als dass sie ihre Vernunft siegen lassen wollte. Die leisen Zweifel in ihrem Hinterkopf, ob er ihr nicht wieder wehtun würde.
Überrascht japste Amber auf, als Owen sie herumdrehte. Er packte ihre Oberschenkel und hob sie in seine Arme, während er sie gegen das Regal drückte, das ihren Rücken stützte. Dabei sah er ihr für einen langen Moment in die Augen, ehe er fortfuhr sich zu bewegen. Leidenschaftlicher. Schneller. Amber dämpfte ihr letztes Stöhnen, indem sie ihr Gesicht tief in Owens Halsbeuge vergrub. Ihre Finger krallten sich in sein geöffnetes Hemd und knitterten den Stoff, doch schien sich der Agent nicht daran zu stören. Er hielt sie, so fest, dass Amber glaubte er wolle sie nie wieder loslassen.
Schließlich war nur noch ihrer beider Atmung zu hören.
Amber genoss den Moment des Friedens und der Ruhe und kuschelte sich an Owen. Sein Duft stieg ihr in die Nase, der sich stets mit dem Kaffee vermischte, den er wie Luft konsumierte. Sein Bart kitzelte ihre Schläfe und sein Haar schmiegte sich sanft an ihre Fingerspitzen, als sie ihre Hand hindurch fahren ließ. Sie war nie die Art Frau gewesen, die Schutz benötigte. Auf dem Schulhof war sie es, die die üblen Schlägertypen verdroschen hatte, um den Schwächeren zu helfen. Sie war es, die nach Verabredungen fragte und beim Tanzen führte. Doch wenn Owen bei ihr war, dann fühlte sich Amber sicher und geborgen. Und sie erlaubte sich, die Führung einmal abzugeben. Und verletzlich zu sein.
Eine angenehme Stille herrschte im Lager, während die Polizisten in ihre Klamotten schlüpften. Owen reichte ihr die Hose sowie die Bluse, die er ihr förmlich vom Körper gerissen hatte. Ein Knopf hing nur noch lose an einem Faden daran, doch kümmerte es sie nicht. Der Agent und sie tauschten einige vertraute Blicke, während Owen seine Krawatte richtete und Amber ihre Gürtelschnalle schloss.
„Wie gehen wir bezüglich Wells vor?", stellte sie jene Frage, die sie hatte besprechen wollen. Bevor sie im Aktenraum gelandet waren.
„Wir brauchen mehr Infos", erwiderte Owen. „Wir müssen herausfinden, wie er an zwei Orten gleichzeitig sein konnte. Und danach brauchen wir stichhaltige Beweise, um seine Schuld belegen zu können. Vor seinem Team und auch vor dem CCPD."
Das schlechte Gewissen schwoll in Ambers Brust wie Hefeteig. „Also müssen wir ihn beschatten. Ihn und das Labor."
„Es wird nicht auffallen. Du bist ohnehin oft mit Samantha zusammen und wir beide sind dort keine fremden Gesichter. Star Labs ist doch an einem neuen Fall dran, oder nicht? Der Bankraub", sagte Owen.
„Ja, richtig. Es wird wieder eine Kooperation geben."
„Der ideale Vorwand. Sie werden unsere Anwesenheit nicht hinterfragen."
Auch nicht Sam. Sie würde denken, Owen und sie wären aus polizeilichem Interesse dort und nicht, weil sie Wells beschatteten. Sam würde ihr munter alle Informationen geben, nach denen sie fragte, nicht wissend, dass sie hinter dem Mann her waren, den sie liebte. Doch war es besser, die beiden im Auge zu behalten. Wenn Wells tatsächlich der Reverse Flash war, dann schwebte Sam in großer Gefahr. Ihre Sicherheit hatte Priorität, selbst, wenn es bedeutete, sie zu hintergehen.
„Amber?" Owen schob seine Hand unter ihr Kinn und hob es an, um sie anzusehen.
„Ist es verwerflich, wenn ich mir wünsche, dass wir falsch liegen? Es würde Sam das Herz brechen, wenn Wells der Reverse Flash ist."
„Nein, das ist es nicht", raunte Owen. „Es zeigt nur, dass du eine gute Freundin bist."
Amber lächelte schief. So eine gute Freundin nun auch wieder nicht. Sie strich Owen über die Wange und das Haar aus der Stirn, ehe sie sich zum Gehen herumwandte. Doch gerade, als sie die Tür öffnen wollte, stemmte Owen seinen Arm dagegen und schloss sie wieder. Fragend blickte Amber zu ihm auf.
„Ich will nicht, dass es bei den Treffen im Aktenraum bleibt", raunte er. „Ich will dich ausführen, Amber, so, wie du es verdient hast. In ein schickes Restaurant, bevor ich dir die Kleider vom Leib reiße."
Ambers Herz raste ohrenbetäubend in ihrer Brust. War es das, von dem sie dachte, dass er es sagen wollte? „Du meinst... als Date?", fragte sie ungewohnt kleinlaut.
„Richtig", erwiderte Owen, so als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. So als hätten sie sich zuvor nicht Wochen angeschwiegen und er ihr an den Kopf geworfen, dass sie ihm auf die Nerven gehe. So als hätte der gestrige Tag etwas in ihm verändert. Oder die Minuten zuvor. Er hob seine Hand an ihre Wange, sein rauer Daumen streichelte sanft darüber. „Ich möchte das mit dir vertiefen, Amber, sofern du es auch willst. Doch zuerst müssen wir uns um den Reverse Flash kümmern, damit du sicher bist. Damit ich keine Angst haben muss, dass er dich tötet, sollte ich dich in der Öffentlichkeit küssen."
Mit diesen Worten senkte Owen seinen Kopf und hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. Sanft und weich, wie warmer Sommerregen. Amber war wie hypnotisiert. Ihre Lider flatterten und ihr Herz galoppierte in ihrer Brust wie ein junges Fohlen.
„Denk darüber nach", murmelte er gegen ihre Lippen. „Ob du es mit einem egoistischen Arschloch wie mir aushalten könntest."
Unweigerlich musste sie grinsen. Sie gab ihm keine Antwort. Nicht jetzt und nicht hier. Auch, wenn sich ihr Herz längst entschieden hatte.
„Immer wieder krass hier zu sein!"
Ciscos Echo hallte durch den Beschleunigerring, in dem sie standen. Für die Welt ein Unfall, für Eobard nur ein Teil seines Plans. Es gab so viele Geheimnisse, die er hütete und die sich niemand aus seinem Team je ausmalen würde.
Samantha am wenigsten.
Sie stand neben ihm, ungewohnt schweigsam, die Schultern gesenkt. Eobard versuchte es zu ignorieren. Das Gefühl der Reue, das in seiner Brust pochte. Das ihm die Luft zum Atmen nahm und die Kapazität zum Denken. Er versuchte das Bedürfnis zu unterdrücken, Sam anzusehen. Sie anzulächeln. Und ihr jene süße Reaktionen zu entlocken, die ihn immer wieder faszinierten.
Versuchte, konnte jedoch nicht. Nicht immer. Dann und wann trafen sich ihre Blicke und er konnte die Frage in Sams Blick erkennen. Was ist mit dir los? Die Vorwürfe. Habe ich was falsch gemacht? Die Sorge. Wird es nun so bleiben?
Eobard war der Mann der Antworten und doch hatte er keine einzige parat, wenn es um Sam ging. Sie vernebelte seinen Kopf und seine Sinne. Ließ sein Herz die Vorherrschaft übernehmen, obwohl es stets sein Verstand gewesen war, der die Entscheidungen getroffen hatte, sein Leben lang.
„Also Barry", räusperte er sich und wandte sich zum Speedster herum. Ihm gebührte Eobards Aufmerksamkeit und nicht der anziehenden Brünette, die ihm verstohlene Seitenblicke zuwarf. „Es gibt einige Regeln, die ich dir für eine Zeitreise mitgeben Kann. Theoretisch gesprochen, doch ich denke, dass sie sich in der Praxis ebenso gut anwenden lassen."
Eine fette Lüge und das Team glaubte ihm. Niemand würde darauf kommen, dass er ein Meister der Zeitreise war, weil er all das bereits getan hatte. Und dass er wusste, wie fürchterlich schief es laufen konnte.
„Du wirst einem anderen Ich von dir begegnen. Jenem Ich, dass in dieser Zeitlinie existiert. Kein Blickkontakt, kein Wort zueinander. Du musst dich um Vertigo kümmern und ihn ausknocken, danach reist du zurück."
Das Team klebte an seinen Lippen. Hinterfragte keines seiner Worte. Stand hinter ihm. Hinter diesem Namen, der nur eine Lüge war und hinter dem Gesicht, nur eine Verkleidung. In manchen Momenten spürte Eobard die Einsamkeit in sich schwellen. Hatte er sich deshalb zu Sam hinreißen lassen? War er ihr deshalb verfallen? Dieser liebreizenden, jungen Frau die nur Augen für ihn hatte und doch für den falschen.
Denn Harrison Wells und er waren nicht dieselbe Person.
„Moment", intervenierte Cisco und ließ seine Hände durch die Luft gleiten. „Also reist Barry in die Zeit zurück, in den Moment, wo er noch mit Vertigo kämpft. Wodurch wir eigentlich nur sehen werden, wie ein zweiter Barry kommt und Vertigo vermöbelt, während unser Barry den Kampfplatz nie zu verlassen haben scheint?"
Sam neben ihm verzog niedlich ihr Gesicht, während sie darüber nachdachte. Für den Moment gab Eobard sich die Blöße und beobachtete sie dabei, ehe er sich wieder Cisco zuwandte.
„Das ist korrekt, Cisco. Für uns wird es so aussehen, als hätte Barry den Schauplatz nie verlassen. Sofern alles richtig läuft. Aber da sind wir noch nicht, zuerst muss Barry lernen, eine kontrollierte Zeitreise zu veranstalten. Da es sich jedoch nur um wenige Minuten handelt, bin ich sicher, dass du das hinbekommen wirst."
Und beim nächsten Mal? Da würde es sich um Jahre handeln, doch wäre Barry dann soweit. Seine Pflanze, das er sich heranzog, ehe aus Knospen Blüten wurden. Auch Sam war seine Knospe.
Eobard gab seinem Schützling alle Ratschläge mit auf den Weg, die er ihm offenbaren konnte, ohne den Verdacht zu wecken. Derweil überprüfte Sam ein letztes Mal, ob der Tachyonen-Beschleuniger richtig saß. Ihre dünnen Finger glitten behutsam über den Beschleuniger, ehe sie mit ihrem Nicken das Zeichen gab.
Barry begab sich auf Position, während das Team gespannt wartete. Seine Finger ineinander gefaltet beobachtete Eobard den Speedster dabei, wie er davon düste und sie bald dutzende Male umkreist hatte, bis er verschwand. Für den Bruchteil einer Sekunde, sodass sich seine Mundwinkel zufrieden nach oben zogen. Und ehe sie es sich versahen, tauchte Barry wieder hinter ihnen auf. Sein begeistertes „Woah!" hallte durch den Beschleunigerring.
„Hat es funktioniert?", fragte Cisco aufgeregt.
„Das war der Hammer!", jubelte der Speedster.
„Hat es scheinbar", erwiderte Caitlin mit einem Lächeln, während Barry aufgeregt zu erzählen begann. Wie er sich doppelt gesehen hatte. Und das Team. Wie er der Erklärung, die Harrison gegeben hatte, ein weiteres Mal im Verborgenen gelauscht hatte.
„Moment! Dann war dein Zukunfts-Ich also hier, vor wenigen Minuten? Ohne, dass wir es gemerkt haben?"
„Das ist so cool", kicherte Sam, teils fasziniert, teils verwirrt. Ihr Lachen bahnte sich den Weg bis tief in Eobards Herz, doch er versuchte es auszusperren, bis er wusste, wie er vorgehen sollte. Was er mit seinen Gefühlen für Sam anstellen sollte.
„Ich bin verwirrt. Aber ja, ich denke schon", grinste Barry breit und nahm den Tachyonen-Beschleuniger ab. „Wie es aussieht, bin ich bereit für Vertigo, oder, Dr. Wells?"
„Daran habe ich nicht eine Sekunde lang gezweifelt, Barry", lächelte der Wissenschaftler.
Gut gelaunt und in Feierlaune verließ das Team die Pipeline wieder. Barry und Cisco sprachen aufgeregt über die Möglichkeiten, die man durch eine Zeitreise hätte und Caitlin mahnte sie stets, Theorie nie in Praxis umzuwandeln. „Ihr wisst nie, was ihr für Chaos anrichten könntet." Ganz der besonnene Kopf im Team, der die übereifrigen Jungs zurecht wies, wenn ihm Zeit oder Lust dazu fehlten. Oder er seinen Gedanken nachhing, wie in diesem Moment.
Eobards Blick fiel auf Sam, die vor ihm trottete. Er konnte schwören, dass ihre Schritte langsamer wurden und tatsächlich hatte er sie bald eingeholt. Sie blieb stehen, ihre zarte Stimme hielt ihn zurück.
„Was gibt es, Samantha?", fragte er und versuchte, all seine Besonnenheit in seine Stimme zu stecken. Er hatte geahnt, dass sie ihn ansprechen würde.
„Was ist los?", fragte sie mit einer Direktheit, die er wiederum nicht erwartet hatte.
„Was meinst du?"
„Komm schon", sie lächelte freudlos, „du kannst mir doch nicht sagen, dass alles in Ordnung ist. Du bist seit gestern Abend total komisch."
„Samantha, es ist alles in Ordnung. Wir müssen uns um das Meta-Wesen kümmern, das hat Vorrang."
„Ja, das ist mir auch klar, nur...", sie schabte unruhig mit dem Fuß auf dem Boden. Er sah den Schmerz in ihren braunen Augen flackern. Konnte ihn in ihrer Stimme hören. „Barry geht es wieder gut, die Wunde ist verheilt und er hat eben gelernt in der Zeit zu reisen. Und doch verhältst du dich mir gegenüber, als hätte sich alles geändert... zwischen uns", fügte sie in einem leisen Nachsatz hinzu.
„Es ist nichts", versicherte er ihr.
„Also fahren wir zu dir, so wie immer?"
„Samantha..."
„Harrison, komm schon", schnaufte sie sanft. „Ich bin es doch. Du kannst mit mir reden, über alles." Ihre Hand landete auf seiner Schulter. Ihre Finger strichen sanft über seinen Pullover, während ihr Duft nach Vanille Eobard förmlich einlullte. Und ihre schokobraunen Augen dazu einluden, in ihnen zu versinken. Doch genau das durfte er nicht tun. Sie war ein Zeitvertreib, nicht mehr. Ein spannendes Experiment. Eine Schachfigur. All das, doch nicht seine Partnerin. Und nicht seine Zukunft.
„Wir sind hier, um zu arbeiten, Samantha. Die Arbeit hat immer Vorrang, denn dafür sind du und ich hier", sagte er, schroffer als beabsichtigt, und schob ihre Hand von seiner Schulter. Und so sehr sich Sam auch Mühe gab, es vor ihm zu verbergen, so konnte er ihren Schmerz förmlich in der Luft schmecken.
„Okay", hauchte sie und wandte sich herum. Es kostete Eobard all seine Mühe, sie nicht am Handgelenk zu packen und zurückzuhalten. Sie zu küssen. Doch er verharrte, wie er es schon so oft hätte tun sollen.
Meta-Wesen konnten nie lange still halten. Zumindest nicht jene, die sich und ihre Fähigkeiten maßlos überschätzten, wie es bei Vertigo der Fall war. Auf dem Bildschirm im Cortex beobachtete Sam, wie der kleine Juwelier, in dem sich Vertigo soeben bediente, von diversen Polizeiwagen umstellt worden war. Eine schier ausweglose Situation, die Vertigo trotz alledem meistern würde. Denn immer dann, wann er scheiterte, spulte er einfach zurück.
Sam wollte sich gar nicht ausmalen, wie viele hunderte oder vielleicht tausende Male sie diesen Augenblick bereits erlebt hatte. Wie oft sie bereits hier gestanden und sich die größte Mühe gegeben hatte, nicht zu weinen. Nicht zu Harrison zu sehen, der eine Hundertachtziggradwendung hingelegt hatte, was sie betraf. Gestern noch hatte er sie gefragt, ob sie bei ihm wohnen wolle und nun strafte er sie mit gleichgültiger Distanziertheit. Sie verstand die Welt nicht mehr.
„Das CCPD soll sich zurückhalten, sonst wird das nichts", ertönte die Stimme des besagten Wissenschaftlers neben ihr. „Wir müssen Flash aufs Schlachtfeld schicken, nur dann haben wir eine Chance."
Die Worte gingen an Owen, der gemeinsam mit Amber am Pult stand. Die Polizisten hatten sich für die Kooperation in den Cortex gegeben anstatt aufs Schlachtfeld, für die reibungslose Kommunikation, die Owen mittels eines Funkgeräts gewährleistete. Er sprach den Befehl in das Mikrophon.
Sam wandte sich Barry zu, der gerade ein paar letzte Anweisungen von Harrison erhielt. Nur das Übliche, das sie bereits diverse Male gehört hatte. Wann er eingreifen sollte, wie, und dass er danach schnellstmöglich zurückkehren sollte. „Keine Spielchen", fügte Harrison mit sanfter Strenge hintenan. Es war bescheuert. Da war Sam doch tatsächlich eifersüchtig auf Barry, weil Harrison mit ihm redete. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und zwang sich, auf den Computer zu schauen.
„Also, Ladies und Gentleman, machen wir uns bereit für die große Show! Die erste Zeitreise in der Geschichte der Menschheit", leitete Cisco ein und verbeugte sich tief vor Owen und Amber.
„Ich dachte Vertigo ist schon vor Flash in der Zeit gereist"; intervenierte Amber.
„Er hat sie nur zurückgespult!", stellte Cisco mit erhobenem Finger klar. „Deshalb kann er das stets auch nur für exakt sieben Minuten. Flash könnte so weit reisen wie er will. Minuten oder ganze Jahre."
„Und wie habt ihr das mit der Zeitreise gleich rausgefunden?", fragte Owen beiläufig.
„Na mit diesem Baby hier", Cisco streichelte über das Tachyonen-Messgerät, das neben ihm auf dem Pult lag. Danach wandte er sich dem Bildschirm zu, auf dem das Geschehen zu sehen war. Barry erschien auf der Bildfläche. „Oh, es geht los!"
„Fehlt nur noch Popcorn", kommentierte Sam trocken, lachte jedoch kurz auf, als Cisco tatsächlich eine Tüte hervorzog. „Auf dich ist Verlass, Cisco", sagte sie und langte in die Tüte, um sich an der Süßigkeit zu bedienen. Sie half ihr, sich abzulenken.
Barry hatte schon oft Meta-Wesen gegenübergestanden. Einige größer, stärker und gewiefter als jenes, das heute vor ihm stand. Doch das erste Mal in seinem Leben verspürte er diese gewisse Aufregung und Anspannung, was mehr mit der Art, wie er den Kampf gewinnen sollte zutun hatte, als mit Vertigo selbst.
„Ich dachte mir schon, dass du hier aufkreuzt!", rief das Meta-Wesen. Er trug zwei Taschen, vermutlich voller Edelsteine und Schmuck. Dreist wie er war hatte sich Vertigo zudem in einen todschicken Anzug geworfen, komplett in Weiß gehalten, mit schwarzer Fliege und einem Wrack an der Rückseite. Er wollte prahlen. Mit seinem Reichtum angeben und ihm vermitteln: „Ich bin das letzte Mal entkommen. Wieso sollte es diesmal anders sein?"
Barry lächelte nur und ersparte sich seine Antwort. Anders als Vertigo würde er seine Trumpfkarte nicht so zur Schau stellen, indem er in einen schicken Anzug schlüpfte. Sein Blick wandert seinen Körper herunter zu seinem Blitz-Emblem. Gut, zumindest weniger offensichtlich...
„Wird Zeit, dass wir dir das selbstgefällige Grinsen aus der Visage wischen", verkündete Barry laut.
„Und das willst du wie schaffen?", fragte Vertigo provokativ zurück.
Der Speedster lächelte verschmitzt. „Na warte mal ab." Und so rannte er los, auf Vertigo zu. Denn zuerst, so hatte Harrison ihm befohlen, müsse er einen waschechten Kampf antäuschen. Auch, wenn er den verlieren würde. So holte Barry zum Schlag aus, den Vertigo zu parieren wusste, und kassierte einen Treffer. Dann noch einen. Und noch einen. Diesmal glaubte der Speedster, dass Vertigo die Zeit so oft zurückgespult hatte, bis der Kampf absolut reibungslos verlief und wirklich jeder Schlag saß. Barrys Kopf brummte, als er auf dem Boden landete.
„Habe ich es dir nicht gesagt?", fragte Vertigo und verbeugte sich. „Du hast keine Chance, wenn die Zeit nicht auf deiner Seite ist, mein roter Freund."
„Hast du", grinste er. „Aber anders als du prahle ich meinen Trumpf nicht nach draußen." Mit diesen Worten erhob sich der Speedster, doch ging er nicht auf Vertigo los. Stattdessen machte er kehrt, um die Hauptstraße entlang zu düsen, so schnell ihn seine Beine trugen. Er spürte das Glühen auf seiner Brust. Die Elektrizität, die durch seine Adern waberte und so viel intensiver war als sonst. Er biss die Zähne zusammen und rannte schneller, bis sich in naher Ferne ein blau schimmerndes Portal öffnete, durch das er hindurch preschte. Im Tunnel, durch den Barry nun raste, war Zeit relativ. Sie flog in Bildern und unendlich langsam an ihm vorbei, sodass er seine zuvor erlebten Momente sehen konnte. Und jene, die noch folgen würden. Barry schloss seine Augen und konzentrierte sich, so, wie Dr. Wells es ihm befohlen hatte. Als er das Portal wieder verließ, stand er in Central City, das ganz und gar so wirkte, wie er es kannte. Nur, dass die große Uhr, an der er vorbei gedüst war, sieben Minuten zurück gestellt worden war.
Ein triumphierendes Grinsen zog auf seine Lippen, ehe er Kehrt machte. Die Hauptstraße zurück, mitten aufs Kampfgeschehen zu. Er sah sein vergangenes Ich, wie es mit Vertigo redete. So, wie er es getan hatte. Nur diesmal, da würde das Gespräch anders ablaufen.
Barry preschte vor, seine Faust erhoben, und verpasste Vertigo einen saftigen Schlag. Dieser taumelte zurück, doch gab sich der Speedster nicht damit zufrieden. Voller Genugtuung verpasste er dem Meta-Wesen einen weiteren Hieb und dann noch einen, bis es zu Boden kippte und nicht mehr aufstand. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich die Blicke seines Vergangenheits-Ichs und seinem. Er grinste und nickte ihm zu. Danach machte er Kehrt, um wieder durchs Portal zu reisen.
Zurück in seine Zeit. Sieben Minuten in der Zukunft.
Sam beobachtete voller Spannung das Geschehen auf dem Bildschirm. Wie Barry von Vertigo davon rannte, die Hauptstraße hinauf, und schließlich wie aus dem Nichts verschwand. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, so fest, dass ihre Fingernägel kleine Halbmonde auf ihrer Handfläche hinterließen. Dann plötzlich kehrte Barry zurück, so als sei er nie fort gewesen. Und Vertigo? Er lag auf dem Boden, bewusstlos.
Mit einem ungläubigen Keuchen raufte sie sich die Haare. „Das ist der Hammer!" Cisco und sie jubelten laut auf und schlugen ein. Amber und Owen hingegen wussten scheinbar nicht, was hier los war.
„Wie, das war's schon?", fragte die Blondine entrüstet. „Aber wo war denn die Zeitreise?"
„Na die konnten wir nicht sehen", lachte Sam, das Adrenalin pumpte durch ihren Körper. „Barry ist sieben Minuten zurückgereist und hat dort seinem Vergangenheits-Ich geholfen, Vertigo plattzumachen. Das konnten wir jedoch nicht sehen, weil unsere Zeitlinie eine andere ist. Aber Tatsache ist: der Ausgang bleibt derselbe", sie deutete auf das bewusstlose Meta. „Vertigo bleibt besiegt, in beiden Zeitlinien."
„Das ist verrückt, total verrückt...", murmelte Amber. „Also willst du mir weismachen, dass es Barry in dieser Zeit doppelt gab?"
„Ganz recht. Er hätte quasi mit sich selbst kämpfen oder reden können", stimmte Sam zu.
Plötzlich verstummte Amber. Sie sah zu Owen, die beiden tauschten einen intensiven Blick aus. Sam verstand nicht. Sie kräuselte die Stirn und legte den Kopf schief, doch war der Moment vorbei, noch ehe sie ihn hinterfragen konnte.
„Dann dankt euch das CCPD für die Kooperation", riss Owen das Wort an sich. „Bringt das Meta weg. Es wird wie die anderen in Star Labs verwahrt", sprach er ins Funkgerät und klemmte es an seinen Gürtel.
Im nächsten Moment tauchte Barry auf, ein freudestrahlendes Grinsen zeichnete sich unter seine Maske ab. „Das war Wahnsinn!", keuchte er mit kindlichem Elan. „Und total krass!"
Cisco und er schlugen ein. Auch Sam ließ sich den Moment des Triumphes nicht nehmen und streckte dem Speedster ihre Hand entgegen, sodass das Klatschen durch den Cortex hallte. Harrison stimmte mit ein. Er tauschte mit allen seine Glückwünsche, Freude und seinen Stolz aus.
Nur mit Sam nicht, die sich fühlte, als hätte er seine Mauer ausgebaut. So hoch, dass es ihr einfach nicht gelingen wollte, darüber zu klettern.
Es war bereits spät am Abend. Das Team hatte es sich im Cortex gemütlich gemacht, zusammen mit Amber und Owen, die heute besonders anhänglich schienen. Doch störte sich niemand daran, Cisco am wenigsten. Er redete den Agenten voll mit allerlei Infos über Meta-Wesen, die es vor seiner Zeit gegeben hatte.
Sam saß nur dort und lauschte. Nickte dann und wann, obwohl sie mit ihren Gedanken ganz woanders war. Amber sah zu ihr, eine stumme Frage in ihrem Blick, die Sam nur mit einem Kopfschütteln abtat.
Einige Minuten darauf klinkte sich Harrison aus. Er wünschte dem Team eine gute Nacht und begab sich aus dem Cortex. Sam nutzte die seltene Gelegenheit und verabschiedete sich ebenfalls. Es war ihr egal, ob ihr Verhalten verdächtig war. Ob das Team erkannte, dass sie wegen Harrison ging. Nur er zählte in diesem Moment und die Wahrheit darüber, was hier wirklich los war.
Diesmal war Sam so klug, ihn nicht mitten auf dem Gang zurückzuhalten. Stattdessen wartete sie, bis Harrison in seinem Büro verschwunden war und folgte ihm. Sie schlug ihre Fingerknöchel zweimal sanft gegen die Tür und trat dann ein. Diesmal, ohne seine Erlaubnis abzuwarten.
„Samantha." Mahnung lag in Harrisons Stimme. Vielleicht auch ein bisschen Wut. Doch auch Sam spürte, wie ihre Verzweiflung und Trauer allmählich einem anderen Gefühl Platz machten. Es schwoll in ihrer Brust wie ein Geschwür, das immer heftiger pochte und nur darauf wartete, zu platzen.
„Kannst du mir jetzt endlich sagen, was hier los ist, Harrison?" Sie sah ihn an, flehend, doch kam die immer gleiche Antwort: „Es ist nichts."
„Das kannst du mir doch nicht weis machen wollen", murmelte Sam und trat an den Wissenschaftler heran. Sie schnappte sich einen Stuhl und nahm direkt vor ihm Platz, um auf einer Augenhöhe mit ihm zu sein. „Es hat angefangen, seit der SMS, die du zu spät gelesen hast. Es sind deine Schuldgefühle, richtig? Weil du glaubst, dass du etwas hättest ausrichten können, wärst du hier im Cortex gewesen, anstatt bei dir Zuhause. Mit mir."
„Barry hat oberste Priorität, Sam", raunte Harrison.
„Das weiß ich doch", sie legte ihre Hand auf seine, „und mir würde nie einfallen, mich über Barry zu stellen. Oder über unsere Arbeit hier im Labor. Aber Harrison... du benimmst dich seit dem Vorfall so seltsam. Und auch davor hatte ich trotz allem, wie schön es zwischen uns gelaufen ist, immer das Gefühl, da sei etwas."
„Sam", raunte er, doch entgegen der Sanftheit in seiner Stimme zog er seine Hand schließlich zurück.
„Du kannst doch mit mir reden", beschwor sie ihn zärtlich. „Über alles, das weißt du. Welche Schattenseite da auch immer in dir schlummert. Welches Geheimnis du auch immer birgst, ich-"
„Es ist genug, Sam." Der Schneid in Harrisons Stimme ließ sie abrupt innehalten. Er sah sie an, mit zornigem Blick und wäre er dazu in der Lage, wäre er jetzt wohl aufgesprungen und gegangen. „Das hier, zwischen uns", Harrison deutete auf sie und sich, „das nimmt Ausmaße an, die wir uns nicht erlauben können. Die dem Team und unserer Arbeit schaden würden."
Sam benötigte einen Augenblick, um zu realisieren, was hier gerade geschah. Was er ihr damit sagen wollte. Sie spürte, wie Risse durch ihr Herz zogen. Schmerzvolle, tiefe, tiefe Risse, die mit jedem weiteren Herzschlag größer wurden.
„Es war schön, das mit uns. Aber ich denke, es wäre besser, wenn wir unsere Beziehung wieder lediglich auf die Arbeit beschränken würden, zum Wohle des Teams und zum Wohle der Wissenschaft."
„Zum Wohle der Wissenschaft", keuchte sie freudlos. Sam zwang sich, nicht zu weinen. Verdammt, diese Genugtuung wollte sie ihm nicht geben. Stattdessen schluckte sie all ihren Schmerz herunter und drängte ihre Tränen mit ein paar schnellen Wimpernschlägen zurück. „Was ist es, wovor du solche Angst hast, Harrison?"
Der Wissenschaftler sah sie an, sagte jedoch nichts. Doch entgegen seiner Bemühungen konnte Sam sehen, dass diese Frage etwas in ihm auslöste. Verborgen hinter seiner dicken Mauer, die er so vehement zu schützen versuchte.
„Verdammt, du kannst das zwischen uns doch nicht einfach so wegwerfen", hauchte sie und erhob sich. „Wie einen Arbeitsvertrag, den man beendet oder ein verdammtes Experiment, das man zum Scheitern verurteilt!" Sams Stimme wurde lauter. „Was ist es nur? Was ist es, das dort in dir vorgeht, das du mir nicht zeigen willst?"
„Samantha", raunte er.
„Nein! Du kannst mir nicht weismachen, dass da nichts ist! Und du kannst mir nicht weismachen, dass dir das zwischen uns nichts bedeutet, oder nicht genug bedeutet. So, wie du mich geküsst hast und so, wie du mich berührt hast..." Die Tränen flossen nun doch. Sie konnte einfach nicht anders. „Ich habe es die ganze Zeit gespürt, Harrison. Deine Mauer. Aber ich habe ausgeharrt, dich nie bedrängt. Du warst es, der mich geküsst hat! Immer wieder. Du warst es, der mich zu dir ins Bett gezogen hat, nachdem dich der Reverse Flash angriff. Du hast das zwischen uns zum Laufen gebracht", schluchzte sie.
„Und deshalb werde ich derjenige sein, der es nun beendet", erwiderte Harrison. So kalt. So unnahbar. Wo war der freundliche, charismatische Wissenschaftler, der sie seit Tag eins in seinen Bann gezogen hatte? Und Sam? Sie hatte ihm alles durchgehen lassen. Jede Annäherung, jeden Schritt zurück. All das Hin und Her hatte sie geduldet, bis jetzt.
„Ich bin nicht dein Spielzeug, Harrison", presste Sam hervor. „Ich bin nicht deine Puppe, die du nehmen und wieder weglegen kannst, wie es dir beliebt."
„Du bist kein Spielzeug für mich, Sam. Das bist du nie gewesen." Plötzlich konnte sie etwas in seinen Augen flackern sehen. Es war Schmerz. Verzweiflung. Und es ließ auch den letzten Damm in Sam brechen.
„Was ist es, dass du mir nicht sagen willst?"
„Samantha, lass es jetzt gut sein."
„Nein! Weißt du was, Harrison? Du bist ein Feigling! Du traust dich nicht, mir zu sagen, was auch immer in dir vorgeht. Weil du glaubst, alles zu wissen. Weil du glaubst, du wüsstest, wie ich reagieren, was ich denken und wie ich fühlen würde. Aber das tust du nicht! Und ich kann nicht fassen, dass du mir immer noch nicht vertraust, nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben!"
„Samantha..."
„Was ist es?!"
„Das kann ich dir nicht sagen!", platzte es aus ihm heraus. So laut, dass seine Stimme von den Wänden zurückgeworfen wurde und Sam zusammenzucken ließ. Die Wucht der Situation prallte unbarmherzig auf sie hinab wie eine Flutwelle. Und sie riss sie von den Füßen, spülte sie hinfort und ließ sie treiben. Verloren. Ziellos. Ungewollt.
Sam wartete, ob Harrison noch irgendetwas zu ihr sagte. Doch seine Lippen blieben versiegelt. Und diese Geste war Antwort genug für sie, sodass sie sich herumwandte und davon stürmte. Und just wurde ihr klar, dass ihre allgegenwärtige Angst nie unbegründet gewesen war. Nicht irrational, wie ihr stets gesagt worden war. Vielmehr war ihre Angst, Harrison zu verlieren, gerechtfertigt gewesen, zu jeder Sekunde.
Wie eine dunkle Vorahnung, die im Schatten auf sie lauerte.
Amber und Owen waren verharrt wie Raubtiere auf der Pirsch. Geduldig hatten sie gewartet, bis Cisco und Caitlin müde wurden. Und ihnen die Jagd somit vereinfachten. Mit einem Gähnen erhob sich der kurzgeratene Wissenschaftler, sodass Amber Owen einen flüchtigen aber vielsagenden Blick zukommen ließ. Und er verstand. Es war, als hätten sie nie aufgehört ein Team zu sein.
„Wir sollten dann nach Hause fahren. Es war ein echt langer Tag und eine kurze Nacht davor."
„Gute Idee", erwiderte Amber und erhob sich ebenfalls. Caitlin und Cisco setzten sich in Bewegung, da die Ärztin ihren Kollegen mit dem Auto mitnehmen würde. Owen und Amber würden ebenfalls zusammen fahren. Doch ließ sich die Blondine extra viel Zeit, um in ihren Mantel zu schlüpfen, wobei Owen ihr behilflich war.
„Kommt ihr?", fragte Cisco am Türrahmen.
„Einen Moment. Ich möchte nur kurz mit Mason sprechen", erwiderte Owen, seine Hand war auf ihrer Schulter verharrt. Caitlins Augen blitzten auf. Sie glaubte zu wissen, worüber Owen und sie sprechen wollten. Und zog Cisco demnach mit sich, anständig wie sie war. Kaum waren die beiden Wissenschaftler aus Sicht- und Hörweite, wandte sich Amber Owen zu, ein verspieltes Grinsen auf den Lippen.
„Nicht schlecht, Agent Madock. Das macht mich fast schon ein bisschen an."
Owen lachte rau. „Du musst dich nur noch kurz gedulden", raunte er, ließ seine Finger unter ihr Kinn gleiten und hauchte einen Kuss auf ihre Nasenspitze. Danach wandte er sich herum und lief zum Pult, wo das Tachyonen-Messgerät lag. Owen hatte Cisco so geschickt in einen Redefluss gelenkt, dass dieser ihm jegliche Funktionsweisen der Geräte im Labor erklärt hatte. Auch die des Messgeräts. Und wieso auch nicht? Es war kein Geheimnis. Niemand aus dem Team wusste, wie wertvoll dieses Wissen für Owen und Amber tatsächlich war, die auf der Suche nach den letzten, fehlenden Puzzleteil waren.
„Wenn sich hier in Star Labs Tachyonen finden lassen", raunte Owen und wiegte das Messgerät in seiner Hand, „dann ist Wells in der Zeit gereist und hat ein zweites Ich von sich hergeholt. So konnte er sich selbst verprügeln, um jeglichen Verdacht gegen ihn zu zerstreuen."
Amber schluckte schwer. Sie besaß noch den kleinsten Hoffnungsschimmer, dass dem nicht so war. Dass sie sich irrten. Und es nur mit einer Aneinanderreihung von Zufällen zutun hatten. „Finden wir es heraus", sagte sie an Owen gewandt. Er betätigte die Knöpfe und hielt das Gerät vor sich. Die Nadel ruhte, sodass Amber tief ausatmete. Doch kaum bewegte sich Owen in Richtung Flur, schlug sie aus. Zuerst schwach. Dann immer stärker.
Amber blieb das Herz in der Brust stehen. Nicht wegen ihr und auch nicht wegen Harrison. Sie hatte keine Bindung zu dem Wissenschaftler, ja mochte ihn nicht einmal besonders. Es war wegen Sam. Weil der Mann, den sie vergötterte, ein Speedster war. Ein Lügner. Und ein Schauspieler. Und weil sie vielleicht in höchster Gefahr schwebte.
„Er ist es", raunte Owen. „Er ist der Reverse Flash."
Amber wollte losrennen, wurde jedoch vom Agenten am Arm zurückgehalten. „Ich muss zu ihr!", keuchte sie. „Sie darf nicht allein bei Wells sein, auf keinen Fall! Was, wenn sie sich an das, was sie wohlmöglich gesehen hat, erinnert? Was tut er ihr dann an?" Sie kämpfte gegen Owens Griff, doch er ließ nicht locker. Er zog sie an sich und diente als Boxsack, den Amber in diesem Moment bitter nötig hatte.
„Du darfst kein Wort darüber verlieren, Amber, vor niemandem!", beschwor er sie, die Ernsthaftigkeit ließ seine Stimme eisern klingen.
„Aber Sam-"
„Ist in Sicherheit, solange alles so läuft wie bisher. Solange sie nichts herausfindet und Wells nicht das Gefühl hat, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind."
„Also soll ich ihr einfach nichts sagen? Und sie weiterhin mit diesem Betrüger schlafen lassen? Mit einem Mörder?!", keuchte sie.
„Nur so kannst du sie beschützen, ja."
Owens Worte hallten in Ambers Kopf wie ein Lied, dessen Text sie nicht verstand. Wieder und wieder wiederholte es sich und sie zwang sich, die Melodie im Gedächtnis zu behalten. Zu Sams Schutz. Da sie sonst in noch größerer Gefahr schwebte als ohnehin schon.
Amber wollte auf etwas einschlagen. Am liebsten auf ihre Flurwand, die sich ihr offenbarte, als sie das Licht in ihrer Wohnung anschaltete. Der bloße Gedanke daran, dass Sam jetzt bei ihm war... In seinem Haus, weit abgeschieden von allem. Amber wusste nicht, wie sie mit diesem Wissen je wieder ruhig schlafen sollte.
Sie schreckte auf, als eine Tür geöffnet wurde. Mit großer Überraschung stellte Amber fest, dass es Sam war, die aus ihrem Zimmer kam. Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen und gerötet, ihre Unterlippe bebte. Und ihre Nase erinnerte an Rudolphs.
„Sammy?", fragte Amber vorsichtig und trat an ihre Freundin heran. Noch immer perplex.
„Er hat Schluss gemacht", hauchte sie mit brüchiger Stimme. „Er hat das zwischen uns beendet, einfach so. Von jetzt auf gleich."
Es bedurfte keiner weiteren Worte. Amber eilte auf Sam zu und schloss sie in eine feste Umarmung, in die sich die Brünette regelrecht floh. All ihre Dämme brachen und so begann Sams gesamter Körper zu beben, während sich tiefe Schluchzer aus ihrer Kehle lösten. „Ich verstehe die Welt nicht mehr, Amber", weinte Sam bitterlich. Ihr Finger krallten sich in Ambers Oberteil. „Gestern noch wollte er, dass ich bei ihm wohne und jetzt macht er Schluss."
„Es tut mir so schrecklich leid, Sammy", wisperte Amber in ihr Haar und versuchte, all ihre Überzeugung in ihre Stimme zu packen. Doch die Wahrheit sah ganz anders aus. Denn in Wahrheit war Amber wohl nie erleichterter gewesen als in diesem Moment.
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