Kapitel 77 - Verbündeter und Verräter

Ihre Hände berührten die glatte Oberfläche des Displays, verharrten jedoch, ehe ihre Finger das Bedienfeld erreichen konnten. Stumm verzog Sam das Gesicht. Wie oft war sie nun schon hier heruntergekommen? Wie oft hatte sie den Pin zum Öffnen der Pipeline eingegeben? Sie hatte Meta-Wesen besucht, dutzende, ja fast hunderte Male, doch diesmal fiel es ihr so schwer wie nie zuvor. Denn diesmal, da ging es nicht um ihre Forschung. Es ging um den Mann den sie liebte und der offenbar ein Geheimnis hatte. Noch eins. Konnte sie es tun? Konnte sie Karma aufsuchen und sie fragen, was sie in den Augen ihres Liebsten gesehen hatte? Sams Finger begannen zu zittern. Sie zögerte, konnte diese unsichtbare Schwelle vor ihr einfach nicht übertreten.
Mit einem leisen Keuchen ließ die Brünette ihre Hand wieder sinken und und lehnte sich kraftlos an die Wand neben der Steuerkonsole. Ihr Gesicht in ihren Fingern vergrabend sackte sie zusammen und wusste - sie konnte es nicht. Sie konnte Harrison nicht so hintergehen, denn was auch immer es war, was er verbarg, was auch immer Karma gesehen haben sollte - sie wollte es von ihm hören und von niemandem sonst. Er sollte ihr offenbaren, wer er wirklich war und kein Meta-Wesen, das die Kraft besaß die Leute zu durchschauen. Sam ließ ihre Hand auf Höhe ihres Herzens sinken, ihre Finger gruben sich in jene Bluse, die Caleb Stunden zuvor in der Uni gelobt hatte und knitterten sie.
Sie war hinunter in die Pipeline gegangen, um sich Antworten zu holen, weil sie Owens Worte allmählich verrückt gemacht hatten, doch wusste sie nun, dass dies nicht der Weg war, den sie gehen wollte. Der Agent versuchte einen Keil zwischen ihr und den Wissenschaftler zu treiben und sie zu überzeugen, er hätte irgendetwas mit dem Reverse Flash am Schaffen, doch dem war nicht so. Harrison Wells hatte vielleicht die Explosion des Beschleunigers zu verantworten, doch zu sowas wäre er nie in der Lage. Zur Zusammenarbeit mit dem Mörder von Barrys Mutter. Er mochte Barry, sie waren ein eingespieltes Team. So schüttelte Sam ihren Kopf, sich schämend, dass sie tatsächlich hierher gekommen war. Dass ihre Zweifel nun schon so weit gingen. Doch konnte sie nicht leugnen, bitterlich enttäuscht zu sein und je mehr Zeit verstrich, desto mehr wankte ihr Weltbild, das sie rund um den Wissenschaftler aufgebaut hatte, mit ihm als ihrem Dreh- und Angelpunkt.
Sam glitt an der Wand herunter, das Gesicht gepeinigt verzogen und kaum erreichte sie den Boden, da lösten sich auch schon die ersten Tränen aus ihren Wimpern. Fester gruben sich ihre Finger in den Stoff ihrer Bluse, während sie der Herzschmerz heimsuchte, der den ganzen Tag unter der Oberfläche verborgen gelegen hatte und nun machtvoll nach Außen brach. Wann würde er wahrhaftig ehrlich zu ihr sein? Bedeutete sie ihm denn nicht genug, dass er endlich seine Mauern fallen ließ?

Rote Blitze surrten durch die Straßen Central Citys und schossen ein Gebäude hinauf. Auf dem Dach kam Eobard schließlich zum Stehen, sich vergewissernd, dass Barry nicht zufällig in seiner Nähe war und ihn verfolgt hatte. Möglich wäre es, denn war der junge Speedster ähnlich wie Sam auch besessen vom Reverse Flash, da musste er achtsam sein. Genau wie vor Owen Madock, der seine Drohung wenige Momente zuvor hoffentlich verstanden hatte.
Schwer atmend zog er sich die Maske vom Kopf und stützte sich am Geländer ab, das vor einigen Wochen erneuert worden war. Der Stahl glänzte, auch sah man die Stelle, an der er frisch zusammengeschweißt worden war. Eobard wusste, um welches Hochhaus es sich handelte. Es war jenes Gebäude, von dem Sam beinahe in den Tod gestürzt wäre, hätte er sie nicht gerettet. Hier oben hatten sie gestanden, er maskiert als Reverse Flash und doch hatte er zeitgleich das erste Mal in ihrer Gegenwart seine Maske abgelegt - es war die reinste Ironie.
Das Geländer mit seinen Fingern umfassend starrte der Speedster ins Leere, keine Miene verzogen. Denn anders als Barry, der sich stets von seinen Gefühlen leiten ließ, war er kein Mann der Empfindung, ja hatte er sogar stets geglaubt rein gar nichts empfinden zu können bis auf Hass und Verachtung für den scharlachroten Blitz. Doch seit Sam bei ihm war, hatte sich etwas verändert. Unter dem rot-schwarzen Blitzemblem, das auf seiner Brust prangte, war plötzlich ein Gefühl, dass er so nie empfunden hatte, sein Leben lang nicht. Und dieses Gefühl gebührte einzig und allein der jungen Frau, die seinen Plan durchkreuzte, immer wieder und wieder, ohne es zu wissen. Doch jetzt, wo sie nicht mehr bei ihm war, da hinterließ sie zeitgleich auch eine erdrückende Einsamkeit in ihm. Er konnte es nicht leugnen, sie hatte ihm jeden Tag mehr das Leben in dieser Zeit versüßt, ihn sich zugehörig fühlen lassen. War gar so etwas wie sein Zufluchtsort geworden, an den er sich zurückgezogen hatte um der niederschmetternden Tatsache, dass er in einem Reich der Toten lebte, zu entkommen.
Eobard schloss seine Augen und atmete die kühle Abendluft ein, von der er hoffte sie würde seinen Denkprozess anregen. Doch so sehr er auch versuchte, die Sache logisch zu sehen, die Dinge distanziert und objektiv zu analysieren, eine Gleichung konnte er trotz größter Bemühungen nicht lösen. Weil es dafür keine Formel gab. Und es machte ihn wütend, ja fuchsteufelswild, dass es ausgerechnet ihm, einem Planer, Strategen und Genie passiert war. Die eine Sache, die er auch nach hundert Jahren akribischer Planung niemals vorausgesehen hätte.
Er hatte sich in Samantha Jones verliebt.

Der Schlüssel landete mit einem Klirren in der Schale auf der Kommode, als Sam den Flur betrat. Sie schloss die Tür, schlüpfte aus ihrer Jacke und hängte sie an den dafür vorgesehenen Ständer. Eine tiefe Erschöpfung hatte sich in ihrem Innern ausgebreitet, vermutlich durch das Weinen, das sie einerseits zwar etwas befreit, andererseits jedoch wieder heruntergezogen hatte. Hinzu kam der lange Tag - zuerst Uni, dann Star Labs. Für gewöhnlich machte es ihr nichts aus, ihr quasi ‚Doppelleben', doch heute bekam sie die Nebenwirkungen davon deutlicher denn je zu spüren. Vermutlich lag es daran, weil sie Harrison den ganzen Tag nicht gesehen hatte und sie noch immer nicht miteinander im Reinen waren. Einmal mehr wurde ihr bewusst, dass dieser Mann fast so etwas wie ihr Lebenselixier war und das schon seit Jahren. Die Quelle ihrer Kraft.
Träge schlürfte Sam den Gang entlang, auf dem Weg zu ihrem Zimmer, doch blieb ihr die dringend benötigte Ruhe für den Moment verwehrt, als Amber ihr entgegenkam.
„Am?", fragte sie, da die Blondine einen seltsamen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte.
„Hey Sammy, alles klar?", fragte sie und lächelte, doch wirkte diese Geste wenig wie die starke Polizistin, die sie eigentlich war.
„Ist irgendwas passiert?", fragte die Brünette geradeheraus, ohne die zuvor gestellte Frage zu beantworten. Amber seufzte tief, fuhr sich durchs kurze Haar und lehnte sich gegen die Flurwand.
„Ja, so gesehen schon. Nur...", geduldig wartete sie, bis ihre Freundin damit herausrückte, „ist der Reverse Flash vorhin vor Owen und mir aufgetaucht, einfach so." Eine Antwort, mit der sie am allerwenigsten gerechnet hätte, weshalb sie die Augen aufriss und ihr ihre Tasche über die Schulter rutschte.
„Bitte was?!", hakte sie entgeistert nach.
„Ja, du hast richtig gehört", murmelte sie.
„Was wollte er von euch? Hat er was gesagt? Was getan?" Sie ließ ihren Blick über Ambers Körper gleiten, um sicherzugehen, dass sie nicht verletzt war, denn auch, wenn der Reverse Flash ihr das Leben gerettet hatte, so war er noch immer unberechenbar. „Owen geht's gut?" Eine Frage, die sie nur wegen Amber stellte.
„Er hat weder was gesagt, noch was getan. Uns beiden geht's gut", winkte sie ab. „Owen ist nach der Sache in sein Hotel gefahren. Eigentlich wollte er mich dorthin mitnehmen, aber was soll ich sagen, die Stimmung war tot, dank diesem gelben Arsch. Also hat er mich nach Hause gefahren", brummte Amber. Sam hob eine Augenbraue.
„Du musst dringend deine Prioritäten überdenken, Am. Sei froh, dass es gut ausgegangen ist und dass er nur zufällig da war." Die Polizistin schüttelte den Kopf.
„Kein Zufall", sagte sie. „Er hat Owen angesehen, auf diese seltsame Art und Weise. Er wollte ihn treffen, hat wohl ganz bewusst nach ihm gesucht." Die Blondine rutschte die Wand entlang und setzte sich auf den Parkettboden. Sam tat es ihr gleich, denn hatte sie das Gefühl, dass Amber etwas auf dem Herzen hatte. So seltsam wie jetzt hatte sie sie nie erlebt, denn auch, wenn sie weiterhin trockene Witze riss und augenscheinlich nur das Eine im Kopf hatte, so war der Ausdruck in ihren Augen sonderbar.
„Meinst du, der Reverse Flash weiß, dass Owen nach ihm sucht?" Ein Nicken. Amber zog ihre Beine an ihren Körper und stützte ihr Kinn auf ihre Knie.
„Ja, das glaube ich. Sonst wäre er nicht vor ihm aufgetaucht und hätte ihn so angesehen. Scheinbar stinkt es ihn ziemlich an, dass Owen sich an seine Fersen hängt und wollte ihn irgendwie warnen." Nachdenklich verzog Sam ihre Lippen.
„Du, Am?"
„Hm?" Sam zog nun ebenfalls ihre Beine an ihren Körper und lehnte ihren Rücken gegen die Flurwand.
„Du machst dir Sorgen um Owen, oder?", riet sie. „Du hast Angst, dass ihm was passiert." Aufmerksam musterte Sam das Gesicht ihrer Freundin. Sie wusste, dass Amber sich vehement gegen Gefühle, Beziehungen und alles, was damit zutun hatte sträubte. So war sie schon gewesen, als sie einander kennengelernt hatten, doch bei Owen, da war es anders. Sam wusste längst, dass der Agent mehr für sie war als eine bloße, belanglose Liebschaft. Amber hatte schon einige Männer ab und zu hier gehabt, doch so angesehen wie sie Owen ansah, hatte sie sie nie.
„Was heißt Angst", schnaubte sie abwehrend. „Dieser Idiot soll halt einfach aufpassen, dass er sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnt, weil gegen einen Speedster kann er nichts ausrichten. Da muss Flash ran", murmelte sie und vermied jeglichen Blickkontakt.
„Und das wird er", sagte sie, ihre Hand streichelte sanft über Ambers Schulter. „Ich bin gerade dabei mich nochmal intensiver mit dem Reverse Flash zu befassen und versuche herauszufinden, wie wir ihn orten können. Die Grundlage dafür ist da, die zündende Idee fehlt uns nur", erklärte sie und glaubte selbst kaum, was sie anschließend hinzufügte: „Und du kannst Owen sagen, dass Star Labs mit ihm gemeinsam nach dem Reverse Flash suchen wird, dann muss er da nicht alleine ran."
Mir großen Augen sah Amber zu ihr, wohlwissend, wie sie momentan zum Agenten stand, der für all das Chaos verantwortlich war.
„Du willst echt wieder eine Kooperation starten? Bei dem Mist, den er fabriziert hat?" Sam lächelte träge.
„Ich will den Reverse Flash schnappen, wissen, wieso er mich gerettet hat und was sein Plan ist und ich will zudem beweisen, dass Harrison absolut nichts mit ihm zutun hat. In dem Fall ja, kooperiere ich mit Madock, wenn es sein muss, aber nur, um Harrisons Unschuld zu bezeugen", erklärte sie. Amber schenkte ihr ein Lächeln, diesmal ein echtes, mehr typisches. Sie hob ihren Arm und legte ihn um ihre Schultern.
„Danke, Sammy." Worte, die mehr über Ambers Gefühle verrieten, als sie preisgeben wollte, doch im Grunde gab es nichts zu erklären. Sie wusste auch schon so Bescheid.
„Kein Ding", erwiderte sie und sah auf die gegenüberliegende Wand, während Ambers grüne Augen weiterhin auf ihr hafteten.
„Sammy?"
„Ja?"
„Wie geht's dir denn?" Sie spürte einen fiesen Druck hinter den Augäpfeln, zwang sich jedoch weiterhin geradeauszusehen und keine Miene zu verziehen.
„Es geht mir ganz gut", antwortete sie, während ihr Herz bitterlich weinte. Und obwohl sie nichts davon preisgab oder es offen aussprach, rutschte Amber dichter an sie heran, ihren Arm weiterhin um sie gelegt.
„Ist schon gut, Sammy", wisperte sie. „Ich weiß, dass dem nicht so ist." Worte, die sie stumm das Gesicht verziehen ließen, denn hatte Amber mit ihrer Aussage ins Schwarze getroffen. Es ging ihr wirklich nicht gut.

Es hieß, dass Schlaf gegen Herzschmerz half. ‚Schlaf, danach wird es dir bessergehen', sagte man und für den Bruchteil einer Sekunde war dem auch so. Einen läppischen Wimpernschlag lang, in dem sie alles vergessen hatte und daran dachte wieder in Harrisons Armen zu liegen, als sie die Erinnerungen plötzlich heimsuchten und ihr Herz vergifteten. So beschloss sie, ihren Physikkurs heute sausen zu lassen. Sie wollte zu Star Labs fahren und still im Labor ihre Arbeit erledigen, anstatt den ganzen Tag das falsche Lächeln vor Riley, Josh und auch Caleb aufzusetzen, auch, wenn sie ihm am wenigsten etwas vormachen musste.
Während sie sich im Bad die Zähne putzte tippte sie mit einer Hand eine SMS an den Braunhaarigen, in der sie ihm erklärte heute nicht in der Uni zu sein, dafür jedoch zu klären ob sie die Tage in ihrem Labor am Projekt arbeiten durften.
Alles klar, gute Besserung! Und wenn was ist, kannst du immer anrufen, folgte die Antwort Calebs wenige Minuten nach Versenden der Nachricht. Es entlockte Sam ein leichtes Schmunzeln, ehe sie ihr Handy wegpackte und fortfuhr sich fertig zu machen.
Die Busfahrt zum Labor verging gewohnt schnell, sodass sie fast das Gefühl hatte direkt von ihrer Türschwelle aus ins Labor zu treten, das lediglich zehn Minuten Autofahrt von ihrer Wohnung entfernt lag. Ihr Weg führte sie geradewegs in ihr Labor, auch, wenn sie zuvor mit dem Gedanken gespielt hatte in den Cortex zu gehen, sollten Cisco, Caitlin oder gar Barry anwesend sein, weil es im CCPD nichts zutun gab, doch lief sie eben auch Gefahr Harrison über den Weg zu laufen, weshalb sie es sich wieder anders überlegte. Es war unschwer zu erkennen, dass sie sich nicht nur von ihm, sondern auch von ihrem Team abschottete, doch wusste niemand der Drei was wirklich zwischen ihr und dem Wissenschaftler lief, da wäre es schwer, die Sache zu erklären.
Und so begann sie zu arbeiten. An ihrer Theorie, wie der Reverse Flash wohl seine Fähigkeiten bekommen haben könnte, denn wurde sie das Gefühl nicht los dass sie dieses Wissen geradewegs zu ihm führen könnte. Zu diesem Zweck nahm sie die Probe des Serums, die Riley ihr gegeben hatte, es fühlte sich an wie ein Deja-vú. Schwere Zeiten, weil sie nicht schnell genug gewesen war und Shannon Anderson deshalb gestorben war, doch wiederum auch eine Zeit, in der Harrison und sie sich nahegekommen waren. Sich über die Schläfe reibend schloss sie die Augen und versuchte die Erinnerungen daran zu verdrängen. Der Reverse Flash, damit musste sie sich befassen. Mit ihm und wie sie ihn aufspüren könnten. Doch bevor sie von Neuem in ihrer Arbeit versinken konnte, ertönte ein leises Klopfen, das sie zur Tür sehen ließ, die im nächsten Moment geöffnet wurde.
Von einer Sekunde zur nächsten wog ihr Herz zentnerschwer in ihrer Brust, kaum erblickte sie das Gesicht des Wissenschaftlers, der in ihr Labor gefahren kam. Wie erstarrt saß sie auf ihrem Stuhl und freute sich zum einen, ihn zu sehen, denn vermisste sie ihn so schrecklich, doch andererseits zerriss es ihr das Herz.
„Sam", sagte er ruhig. Sie drehte sich wieder herum, in Richtung des Computers, auf dem ihre Eingebungen zum Reverse Flash sowie ihre Versuche seine Dunkle-Materie-Frequenz zu simulieren, prangten. Plötzlich war sie maßlos überfordert damit, dass er hier war. Sie starrte auf den Bildschirm, doch spürte sie, wie er sich ihr näherte, Meter für Meter. Bis er schließlich direkt neben ihr zum Stehen kam und sein Duft zu ihr herüberwehte. Dieser Geruch, der sie wahnsinnig machte.
„Hey", erwiderte sie leise. Ihre Stimme zitterte, obgleich sie versuchte es zu verbergen. Doch wozu überhaupt? Vor ihm konnte sie nichts verheimlichen, er schien hingegen ein wahrer Meister darin. Sie spürte, wie ihr Herz beim bloßen Gedanken daran einriss.
„Wie geht es dir?", fragte er sie. Leicht presste sie ihre Lippen zusammen.
„Wie soll es mir schon gehen?" Anders als bei Amber versuchte sie sich gar nicht erst an einer Lüge, nicht bei ihm. Sie wollte ehrlich zu ihm sein, wollte ihm alles von sich zeigen, wieso er also nicht? Was war sie denn nun für ihn? Die Frage, die er ihr damals nur ausweichend beantwortet hatte, doch sie hatte es zugelassen.
„Sam", raunte er. Seine Beine berührten ihre, er streckte seine Hand vor und umschloss sanft ihre Finger. „Ich will die Sache endlich klären, zwischen uns. Ich weiß, dass du bitter enttäuscht von mir bist, aber ich möchte das wieder in Ordnung bringen." Ein trauriger Schimmer zog durch ihre Augen, während sie ihren Kopf zu ihm drehte. Sie sahen einander an, einen langen Moment lang. „Du fehlst mir, Sam", wisperte er, näherte sich ihr, sodass seine Nasenspitze über ihre Ohrmuschel streichelte. Ergeben schloss sie ihre Augen. „Und das ist die absolute Wahrheit." Schwer schluckte sie und drehte ihren Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. Ihre Gesichter waren sich so nahe, dass sein Atem ihre Lippen streifte.
„Du hast mich die ganze Zeit belogen", hauchte sie.
„Ich weiß." Das Glänzen ihrer Augen wurde stärker. Sie blinzelte wiederholt, um die Tränen zu vertreiben.
„Bei Mrs. Anderson, bei Bette und immer dann, wenn ich dich vor Anderen verteidigt habe, du hast nie was gesagt."
„Ich weiß", raunte er, hob seine Hand, ließ seine Fingerrücken über ihre Wange streicheln und wischte eine Träne fort, die sich trotz ihrer Bemühungen nach Außen gemogelt hatte. „Und mir ist bewusst, dass das ein riesiger Fehler war, dass ich von Anfang an ehrlich zu dir und dem Team hätte sein müssen und das tut mir Leid. Glaubst du, du kannst mir vergeben, Sam?", fragte er sie leise und umfasste ihre Wange mit seiner Hand.
„Hattest du überhaupt vor, es mir zu sagen?", wisperte sie, ohne auf seine Frage einzugehen. Sie sah ihm in die Augen und versuchte etwas zu erkennen, versuchte ihn zu sehen, die Person die er war hinter diesem erhabenen Ausdruck in seinem Gesicht, dem besonnenen Blick, dem freundlichen Lächeln. „Hätte ich es je erfahren, hätte Madock es nicht ausgesprochen?" Er schnaubte lächelnd, unterbrach den Blickkontakt und drückte ihre Hand.
„Sam, natürlich hättest du das. Viel zu lange habe ich dieses Geheimnis nun schon mit mir herumgetragen", begann er, doch unterbrach sie ihn, noch ehe er sie mit geschickt gewählten Worten vom Wesentlichen ablenken konnte. So, wie es im Grunde immer der Fall war.
„Wieso verbirgst du dein Inneres vor mir?", hauchte sie enttäuscht. Er sah zu ihr auf, fragend.
„Sam, das tue ich nicht."
„Doch, tust du. Und es ist auch meine Schuld, weil ich es all die Monate einfach zugelassen habe, aber jetzt möchte ich, dass du ehrlich zu mir bist und mich nicht mehr belügst", bat sie.
„Ich belüge dich nicht, Sam", plädierte Harrison. Sie sahen einander in die Augen, einen langen Moment. Traurig verzog sie ihr Gesicht und löste ihre Hand aus seinem Griff.
„Doch, das tust du", wisperte sie, rollte mit ihrem Stuhl zurück und drehte sich wieder zu ihrem Computer. Sie spürte seinen Blick auf sich, die Verwirrung und auch die Frustration, weil sie dieses Mal nicht klein bei gab. Nicht wie die letzten Male, denn wog ihr Schmerz dieses Mal so viel tiefer. Es ging nicht nur um den Beschleuniger. Um Bette, Mrs. Anderson, denn hatte Harrison sicher nie geplant dass sie und viele andere Menschen starben, als er egoistisch gehandelt hatte. Es ging ihr darum, dass sie nicht mehr darüber hinwegsehen konnte, dass er sich ihr einfach nicht öffnen wollte und sie im Grunde überhaupt nicht zu ihm durchdrang. Was war es, was er noch verbarg? War die Wahrheit denn so schrecklich, dass er sie nicht mit ihr teilen wollte?
Harrisons Blick wanderte zum Bildschirm ihres Computers, überflog ihre bisherigen Ergebnisse zum Reverse Flash. Danach blickte er wieder zu ihr.
„Sam", versuchte er es erneut, berührte ihre Schulter, doch sah sie starr geradeaus, in der Hoffnung, er würde wieder gehen. Wiederum hoffte sie, dass er blieb, aber dann sein wahres Ich und nicht der Schauspieler, der stets die perfekten Worte fand. Doch anstatt sich ihr anzuvertrauen wandte er sich herum, sodass sie gepeinigt das Gesicht verzog, als die Labortür wieder ins Schloss fiel.

Während Arthur das Plättchen mit der Blutprobe Flashs unter das Mikroskop schob, wanderte sein Blick hin und wieder zu Riley, die seit einigen Minuten nun schon unruhig im Labor auf und ab tigerte. Ihr Smartphone zwischen Schulter und Kopf geklemmt, während sie Notizbuch und Laptop balancierte, da sie wohl versäumt hatte die beiden Dinge abzulegen.
„Ich mache mir einfach Sorgen, okay? Sammy war hundert pro nicht wegen ihrem Job nicht in der Uni, sondern weil es ihr nicht gut geht, das hat man gestern total gesehen. Und ich weiß einfach überhaupt nicht, was los ist, ich könnte nur spekulieren, dass es wegen dem Video ist."
Arthur war nicht sonderlich erpicht darauf, ein Jugenddrama mitzuerleben, doch kam er nicht umhin als mit einem Ohr zuzuhören, während er arbeitete.
„Du hast leicht Reden, Caleb, du siehst die Dinge immer so locker", seufzte sie und schaffte es endlich Laptop und Notizblock beiseite zu legen. Es hatte ihn innerlich schon wahnsinnig gemacht, das Risiko, dass die Utensilien herunterfallen könnten. Denn war Arthur Weber vor allem eines: ein Mann, der gerne auf Nummer sicher ging. Das Klischee eines Deutschen bedienend achtete er daher stets auf Ordnung und Taktung, kam nie zu spät und zog sich an wie ein Geschäftsmann aus dem neunzehnten Jahrhundert. Seine Hemden waren stets gebügelt, schlugen keinerlei Falten und seine Schuhe geputzt. Auch die Brille auf seiner Nase war tadellos gesäubert, sodass er genügend sah und sich nicht in Gefahr begab. Doch war er nicht schon immer so gewesen. Allem voran seine Krankheit zwang ihn dazu, so akribisch auf sich und sein Umfeld zu achten. Er hatte es als Kind lernen müssen, seines eigenen Überlebens wegen.
Apropos überleben. Der Wissenschaftler sah auf seine lederne Armbanduhr, die Punkt Sechs anzeigte. Er legte seine Arbeit beiseite und kramte stattdessen etwas aus seiner Aktentasche. Ein Tablettenkasten, so lang wie der eines Achtzigjährigen, doch hatte er sich bereits vor vielen, vielen Jahren an die bunten Pillen gewöhnt, die er tagtäglich mit sich herumschleppte.
„Redet sie denn wenigstens mit dir? Ihr beide wirkt so vertraut in letzter Zeit, keine Ahnung. Ich hoffe einfach, dass sie sich irgendwem anvertraut, wenn schon nicht mir", lenkte ihn die Stimme der Blondine ein weiteres Mal ab. Er sah auf, anstatt auf seine Hände und ließ die Tabletten versehentlich fallen. Mit großen Augen zuckte er zusammen und beobachtete, wie die bunten Kügelchen in unterschiedlichste Richtungen rollten. Er rutschte von seinem Stuhl zu Boden, kniete sich hin und versuchte sie einzusammeln, jede einzelne von ihnen, wobei seine Hände panisch zitterten. Eins, zwei, drei - eine fehlte. Er sah sich um, geriet ins Schwitzen, denn waren die Tabletten genauestens abgezählt, er konnte es sich nicht leisten eine davon zu verlieren. Er sah sich um, immer wieder, sein Herzschlag beschleunigte sich. Es war nicht gut für sein schwaches Herz, wenn es so schnell schlug.
„Arthur", ertönte Rileys Stimme von Neuem, doch galt sie diesmal ihm und nicht dem Telefon, das sie mittlerweile weggelegt hatte. Er sah zu ihr, danach auf ihre geöffnete Handfläche, in der die gesuchte Tablette lag. Ein Stein fiel ihm vom Herzen.
„Vielen Dank", murmelte er, nahm die Pille entgegen und schluckte sie sogleich zusammen mit den anderen. Er setzte sich auf seinen Stuhl, trank einen kräftigen Schluck Wasser und musste den kurzen Schock verdauen.
„Geht's wieder?", wollte seine Laborpartnerin wissen und tätschelte freundlich seine Schulter. Er nickte, wirkte jedoch noch immer recht blass um die Nase. „Wenn das Serum fertig ist", begann sie und beugte sich zu ihm, sodass sie auf einer Augenhöhe waren, „dann kann vielen Menschen geholfen werden." Er sah in ihre blauen Augen, danach auf ihr Lächeln. „Auch dir, Arthur. Dann musst du keine Angst mehr haben." Er zwang sich ebenso zu einem Lächeln, während er nickte. Anschließend wanderte sein Blick zu der Blutampulle neben ihm. Ja, das Serum könnte ihn retten, denn eine Operation würde es nicht.
Doch war Arthur Weber vor allem eines: ein Mann, der gerne auf Nummer sicher ging.

Sam wusste nicht, wieso es sie ausgerechnet hierher verschlug. Auf das Dach, von dem sie beinahe gestürzt wäre, vor mehreren Wochen. Für gewöhnlich kehrte man nicht an den Ort zurück, den man mit Tod assoziierte, doch tat sie das nicht. Dieser Platz symbolisierte für sie vor allem den Beginn jener Nacht, in der Harrison sie das erste Mal geküsst hatte. Der Beginn von allem. Sie stützte ihre Unterarme auf das Geländer und betrachtete die Skyline der Stadt, die in der Dunkelheit leuchtete. Hatte er sie damals geküsst, weil er so schreckliche Angst um sie gehabt hatte? Nur deshalb? Bereute er es vielleicht, aber fand keinen Weg zurück? Tieftraurig senkte Sam den Blick und stützte ihr Kinn auf ihre Arme. Sie wusste nicht, was er dachte, was er fühlte. Doch versuchte sie logische Antworten darauf zu finden, wieso er sich so vor ihr verschloss.
„Mach die Augen auf, Jones. Der Beschleuniger, die Meta-Wesen, Eiling, der Reverse Flash - er ist der verdammte rote Faden, der sich durch all das hindurchzieht, wann wirst du das endlich begreifen?"
Sie schüttelte ihren Kopf, versuchte die Gedanken an Owens Worte zu vertreiben. Er hatte unrecht. Harrison hatte nichts mit dem Reverse Flash zutun, das konnte und wollte sie nicht glauben, ganz gleich, wie sehr sie gerade an allem zweifelte. Es gab nur eine Möglichkeit, diese Theorie aus der Welt zu schaffen: sie musste ihn finden. Musste gemeinsam mit Cisco und den Anderen herausfinden, wie man ihn ortete und dafür wiederum benötigte sie Spuren oder zumindest das Wissen, wie er an seine Fähigkeit gekommen war. Etwa auch mithilfe eines Serums? Hatte er etwas hergestellt, dass ihn zum Speedster hatte werden lassen? Doch wie sollte das gehen, ohne einen Speedster vor ihm? Denn soweit sie wusste, war der Reverse Flash der erste überhaupt. So viele Fragen. Schwer seufzend vergrub sie ihr Gesicht in ihren Armen. Es musste eine Möglichkeit geben. Vielleicht durch Reproduzieren von Barrys Verwandlung in einen Speedster. Dort könnte sie ansetzen, so, wie sie es im Computer notiert hatte.
Ein plötzlicher Windstoß ließ sie sich aufrichten und herumfahren. Und was sie dann sah, das verschlug ihr für einen Moment den Atem. Es glich einem Deja-vú, denn jene Situation, in der sie jetzt gerade steckte, hatte sie genau hier vor ein paar Monaten erlebt. Rote Augen, rote Blitze, ein gelber Anzug. Das Gesicht, das vibrierte. Der Reverse Flash. Mit geöffneten Lippen und aufgerissenen Augen starrte Sam ihn an. War es seltsam, dass sie keinerlei Angst verspürte? Überraschung ja, Gott, wie überrascht sie war, aber fürchten tat sie sich nicht. Sie setzte einen Schritt auf ihn zu, nicht realisierend, dass die Antwort auf so viele ihrer Fragen gerade wie aus dem Nichts vor ihr erschienen war.
„Was - was tust du hier?", hauchte sie, als sie glaubte ihre Stimme wiedergefunden zu haben. Der Speedster sagte nichts, sondern sah sie nur an. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. „Wieso hast du General Wade Eiling getötet?", fragte sie weiter. „Was hast du vor?"
Wieder ein Windhauch. Und plötzlich war er verschwunden, sodass Sam dachte er wäre wieder fort, doch spürte sie plötzlich seinen Atem in ihrem Nacken. Keuchend hielt sie inne, versteifte sich, während die roten Blitze des Reverse Flash ihren Körper umspielten. Er stand direkt hinter ihr, so nah, dass sie glaubte seine Vibration zu spüren wie ein seichtes Kitzeln. Und doch so machtvoll, dass sie wusste, nur ein Wimpernschlag wäre nötig und sie wäre tot. Aber hatte sie nicht das Gefühl, dass er ihr etwas tun würde. Wieso wusste sie nicht, es war verrückt.
„Ich beobachte euch", sagte er mit verzerrter Stimme. Sam wagte es, ihren Kopf leicht zu drehen, um über ihre Schulter zu ihm zu blicken, doch kaum erfassten ihre Augen ihn, da war er wieder verschwunden. Diesmal stand er direkt vor ihr, doch wich sie nicht zurück, sondern sah zu ihm auf. „Dein Team und Agent Owen Madock." Die Luft um sie herum war schwer, von Elektrizität getränkt. Sie streckte ihre Hand nach einem der Blitze aus und zuckte leicht zusammen, als er ihr einen Schlag verpasste. Der Reverse Flash trat näher an sie heran, sodass sie wieder zu ihm aufsah. Ihr Herz hämmerte ohrenbetäubend in ihrer Brust, während sie in jene Augen blickte, die gefährlich rot leuchteten. „Hört auf, nach mir zu suchen." Ein Satz, aber die Drohung, die darin mitschwang, nicht zu überhören. Jene Botschaft, die auch Owen Madock bereits erhalten hatte am gestrigen Tag und nun war sie es.
„Woher weißt du, dass wir nach dir suchen?", fragte sie mit zittriger Stimme. Sie konnte sein Gesicht kaum erkennen, doch glaubte sie zu sehen, dass er lächelte.
„Ich weiß alles. Und das hier ist meine Warnung an dich, Samantha Jones."
Mit diesen Worten rauschte er davon, sodass sie der Windstoß einen Schritt zurückdrängte. Schützend hielt sie sich die Arme vors Gesicht und als sie sie wieder sinken ließ, da fehlte vom Reverse Flash jede Spur.

Am nächsten Tag trieb es Sam umgehend zu Star Labs, anstatt in die Universität. Sie traf sich mit ihrem Team und erzählte von der überraschenden Begegnung mit dem Reverse Flash. Überraschte Gesichter blickten ihr entgegen, eines nach dem anderen, wobei Barrys zusätzlich die Wut auf den Mann in Gelb zierte, die er wohl nie ablegen würde. Und sie erwartete es auch gar nicht von ihm.
„Aber er hat dir nichts getan, oder?", fragte er sie und berührte sie an der Schulter. Stumm schüttelte sie den Kopf.
„Nein, hat er nicht. Er sagte nur, wir sollen aufhören nach ihm zu suchen und dass er uns beobachtet." Sie ließ ihren Blick schweifen. „Uns alle."
„So wie Agent Madock auch", murmelte Cisco. Von dieser Begegnung hatte sie den Wissenschaftlern ebenso erzählt, sowie grundlegend alles zum Reverse Flash, bis auf die Tatsache, dass er einst bereits vor ihrer Wohnung aufgetaucht war und ihr gesagt hatte sie spiele eine größere Rolle. Vielleicht wurde es Zeit dazu. Ihr Blick glitt zu Barry. Wenigstens er hatte ein recht es zu erfahren, oder?
„Wir sollten auf der Hut sein, scheinbar weiß er, dass wir an einem Trackingsystem arbeiten, das in der Lage wäre ihn aufzuspüren und es scheint ihm nicht zu gefallen", raunte Harrison und ließ nachdenklich seinen Finger über sein Kinn fahren.
„Vielleicht tritt er deshalb in Aktion, weil er fürchtet, dass wir kurz davor sind ihn zu finden", murmelte sie. „Ein Grund mehr, nicht aufzuhören, oder?"
„Sehe ich auch so", stimmte Barry ihr zu.
„Samantha", intervenierte Harrison. „Deinen Eifer in allen Ehren, doch wenn er dir bereits gedroht hat, dann möchte ich nicht, dass du ihm einen Grund gibst das nächste Mal auf dich loszugehen, wenn du seine Warnung einfach ignorierst." Er ließ seinen Blick durch die Runde schweifen. „Vielleicht sollten wir wirklich kürzer treten, bis Barry schneller geworden ist und wir einen Weg gefunden haben uns besser zu verteidigen."
„Nein", intervenierte sie. Der Wissenschaftler sah überrascht zu ihr. „Ich werde nicht aufhören, nach ihm zu suchen, da kann er mir hundert Mal drohen. Ich glaube, ich bin kurz davor herauszufinden, wie er sich tracken lässt."
„Ach echt?", fragte Cisco und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
„Ja, es fehlt nur noch die zündende Idee, der Ansatz", erklärte sie gestikulierend und wich dabei bewusst Harrisons Blick aus. Sie wusste, dass es ihm missfiel, dass sie ihm nicht gehorchte. Und anders, als er vielleicht dachte, tat sie es nicht um ihm eins auszuwischen. Tatsächlich wollte sie den Reverse Flash deshalb so dringend finden, weil sie somit seine Unschuld beweisen könnte. Enttäuschung und Streitereien hin oder her, dies war es, was sie für den Mann, den sie liebte, tun wollte. Obgleich sie ihn nun wirklich kannte oder nicht.

Eine Weile unterhielt sich das Team noch über ihre Theorien und Ansätze, die sie vorstellte, doch der berüchtigte Fingerschnipp, das aufgehende Licht im Kopf, das blieb ihnen verwehrt. Aber wusste Sam, wenn sie all ihre Gedankenkraft aufwendete und das gesamte Team mit an Board holte, würden sie den Reverse Flash finden und dann konnten sie herausfinden wer er war und was er vorhatte.
Der Blick auf die Uhr unterbrach sie jedoch inmitten ihres nächsten Satzes. Es war bereits nach Drei, sie war mit Caleb verabredet in ihrem Labor. Sie sah zu ihrem Team, entschuldigend lächelnd.
„So Leute, ich muss jetzt aber los. Caleb wartet bestimmt schon unten in der Lobby und wir wollen ja nicht riskieren, dass er hier im Labor herumstromert und zufällig den Cortex mitsamt Flash-Anzug findet", witzelte sie. Cisco machte große Augen.
„Also kommt dein Kommilitone echt hierher?" Sie zuckte mit den Schultern.
„Die Uni-Instrumente sind für den Arsch und in meinem Labor wird er nichts finden, was unsere Arbeit hier verrät, das habe ich gestern extra noch aufgeräumt." Ihr Blick wanderte zu Harrison, der sie schweigend musterte. „Es ist doch noch in Ordnung, dass er hierher kommt, oder, Dr. Wells?"
„Natürlich ist es das, Samantha. Ich gab dir die Erlaubnis und die nehme ich nicht zurück. Du weißt, deine Uniausbildung ist mir sehr wichtig, da unterstütze ich dich, wo ich nur kann." Sie lächelte. Er ebenso. Doch waren beide gespielt, ebenso unecht wie das Gespräch. Zwei leere Hüllen, die ihre Rollen verkörperten, mehr nicht. Da war sie fast froh, dass Caleb gleich bei ihr war, denn alles, was er sagte, war echt. Bei ihm wusste sie, mit wem sie es zutun hatte.
„Okay, dann gehe ich mal arbeiten. Wir sehen uns später, Leute", verabschiedete sie sich mit einem Winken und verließ den Cortex.

Das Team blieb zurück. Eobard blickte der Brünetten hinterher, einen langen Moment. Er fragte sich, wann sie ihm endlich vergeben würde, doch hatte Madocks Offenbarung viel mehr losgetreten, als er zu Beginn geglaubt hatte. Sie begann zu erkennen, dass er eine Maske trug und verlangte von ihm, dass er sie ablegte. Zeitgleich suchte sie immer akribischer nach dem Reverse Flash, obwohl er ihr gestern erschienen war und sie gewarnt hatte sie solle es unterlassen. Sam hatte nicht die leiseste Ahnung, dass sie am Ende beider Wege, die sie gerade begann einzuschlagen, letztlich denselben Mann finden würde. Und das durfte sie nie erfahren, es würde sie endgültig von ihm abkapseln und ihre Zukunft gefährden. Sie so zerstören, dass sie jenen Weg, den er für sie vorgesehen hatte, vielleicht nie einschlug. Doch was, wenn nicht? Diese Frage schwirrte in Eobards Gedanken, seit geraumer Zeit. Was, wenn Sam ihn so akzeptieren konnte wie er wirklich war? Eobard Thawne, den Reverse Flash und nicht Harrison Wells, den perfekten Wissenschaftler. Wäre sie dazu in der Lage auch ihn zu lieben? Den Mann, der er wirklich war? Er schloss seine Augen, verbannte den Gedanken. Er hatte es immer schon gewusst. Liebe war Gift, sie verpestete den Verstand und vertrieb jede Logik. Liebe war das, was Barry Allen schwach werden ließ und er hatte sich geschworen diesen Fehler nie zu tun und doch war es ihm passiert.
„Cisco, was tust du denn da?", riss ihn Caitlins Stimme aus seinen Gedanken. Der Dunkelhaarige drehte seinen Kopf und beobachtete seinen Schützling, der sich soeben durch die Innenkameras der Einrichtung zappte.
„Ich will nur sehen, wen wir da gerade in unsere heiligen Hallen lassen", erklärte er mit einem kindlichen Grinsen.
„Er wird schon in Ordnung sein, wenn er mit Sam befreundet ist", seufzte sie. „Du bist doch einfach nur neugierig, gib es zu."
„Und, ist das verboten? Ich bin Wissenschaftler, ich bin nun mal neugierig. Ah, da sind sie!", verkündete er und deutete auf den Bildschirm.
„Ist das nicht ein wenig frech, sie auszuspionieren?", murmelte Barry und kratzte sich unbeholfen am Nacken.
„Was denn, denkst du, sie knutschen jeden Moment?", witzelte er. Eobard spürte, wie sich sein Inneres bei diesen Worten zusammenzog. Lächerlich, die Liebe. Dass sie ihn solche Dinge denken ließ. Sam war ihm verfallen, niemandem sonst. Niemand könnte mit ihm konkurrieren, obgleich sie momentan zerstritten waren.
„Das meinte ich damit nicht..."
„Oh wow, sie hat nie erwähnt, wie gut er aussieht", kommentierte Caitlin, die nun ebenfalls auf den Bildschirm sah, da die Neugier offensichtlich über die Moral gesiegt hatte.
„Was, echt?", fragte Barry, trat ebenfalls an den Computer heran.
„Aha, jetzt ist es auf einmal in Ordnung."
„Wer ist dieser Caleb, hat sie euch schon mal von ihm erzählt?"
„Nur, dass sie ihn damals in der Mall das erste Mal getroffen hat und dass sie in einem Studiengang sind."
Eobard fuhr an das Pult heran, denn wollte er sehen, mit wem Sam ihre Zeit verbrachte. Er beäugte das Abbild des männlichen Gesichts auf dem Bildschirm, das breite Grinsen. Die braunen Haare, die braunen Augen. Ein seltsames Gefühl machte sich in ihm breit, denn glaubte er, diesen jungen Mann schon mal irgendwo gesehen zu haben.
„Oh seht nur, ein Studentenausweis", nuschelte Cisco.
„Du hast ihn jetzt nicht ernsthaft gehackt."
„Wie gesagt, wir sollten auf Nummer sicher gehen, wen wir in unsere Hallen lassen. Ich bin nur gründlich."
„Cisco, wenn Sam das herausfindet..."
„Dann bist du dran", vollendete Caitlin Barrys Satz. Doch interessierte sich Eobard nicht für das Gespräch, ja gelang es ihn in diesem Moment nicht einmal das falsche Lächeln aufrecht zu erhalten, denn überflogen seine Augen den Namen des jungen Mannes, der soeben mit Sam durch den Flur schlenderte. Er spürte es in sich hinaufkochen, ein Gefühl, so machtvoll, dass es ihn für den Augenblick gänzlich in seiner Kontrolle hatte. Seine Finger um die Rollstuhllehne verkrampften sich, sein Kiefer spannte.
Caleb Monroe, las er den Namen wiederholt und betrachtete erneut das Gesicht des Studenten, um ganz sicher zu sein. Doch ohne Zweifel, er war es. Er hatte von ihm gelesen, in seiner Zeit. Die Bücher berichteten auch über ihn, über die Erfolge, die er erzielt hatte, doch nicht namenhaft genug, um in die Geschichte einzugehen. Das, was ihn für Eobard so berühmt machte, war etwas Anderes, denn hieß er in den Büchern nicht mehr Caleb Monroe. Er würde später den Nachnamen seiner Ehefrau annehmen, weshalb er dem Speedster besser bekannt war unter dem Namen Caleb Jones.

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