Kapitel 45 - Aktion und Reaktion
Es glich einem Traum. Einem Traum, den Sam seit einer Ewigkeit schon träumte, auch, wenn es lange gedauert hatte, bis sie sich dessen bewusst geworden war und noch länger, es sich letztlich einzugestehen. Doch nun saß sie hier, vor dem Mann, den sie liebte, zu ihm gebeugt, ihre Lippen auf seinen liegend. Sie waren weich. Weich und warm und sie schmeckten so wahnsinnig gut, dass Sam für einen kurzen Augenblick alles um sich herum vergaß. Eiling, ihre Trauer um Bette, den Mann vom FBI sowie die Handvoll neuer Probleme, die mit dem Auftauchen des neuen Agenten einhergingen. Auch vergaß sie, dass sie jenes, das sie gerade tat, eigentlich gar nicht tun sollte, es nicht durfte. Sam dachte nicht, sie handelte einfach. Und es fühlte sich gut an.
Sanft verstärkte sie den Druck ihrer Lippen, während sich ihr Inneres in einen Schwarm voller Schmetterlinge aufzulösen schien. Die Brünette hob ihre Hand, streichelte zärtlich über den Kiefer des Dunkelhaarigen und genoss. Genoss das Gefühl seiner Haut auf ihren Fingern; sie spürte seine Bartstoppeln auf ihren Fingerspitzen. Genoss seine Nähe, seine Wärme, seinen Geschmack. So lange hatte sie sich schon gefragt, wie er wohl schmecken möge und endlich wusste sie es.
Just in dem Moment, in dem sie einen Gegendruck von seinen Lippen wahrnahm, durchfuhr es Sam jedoch wie ein Blitzschlag. Plötzlich nahm ihr Kopf wieder seine Funktion auf, fing an zu arbeiten, sodass ihr abrupt bewusst wurde, was sie gerade tat. Sie riss ihre Augen auf, löste sich hastig von ihrem Mentor und brachte Abstand zwischen sich und ihn, während sie ihn mit tellergroßen Augen ansah. Zwei eisblaue Augen sahen zurück.
„Oh Gott", presste sie hervor und rutschte mit ihrem Stuhl zurück. Ein Quietschen hallte durch das Büro. „Oh großer Gott", wiederholte sie, da ihr immer mehr bewusst wurde, was sie gerade getan hatte und vor allem mit wem.
„Sam", intervenierte Harrison, doch schüttelte sie nur hastig ihren Kopf und erhob sich. „Sam, es ist nichts passiert", versuchte es der Dunkelhaarige erneut, aber war jene, die seine Worte hören sollte, nicht in der Lage, zuzuhören. Sam wusste nicht, was schwerer wog: Scham oder Verzweiflung. Scham darüber, dass sie ihren Mentor und Helden, jenen Mann, für den sie den allergrößten Respekt empfand, einfach so geküsst hatte und Verzweiflung, weil es sich so gut angefühlt hatte, dass sie es sofort wieder tun wollte. Was war nur los mit ihr? Sie hatte es doch bisher immer geschafft, diese Grenze nicht zu überschreiten und plötzlich hatte sie es doch getan. „Samantha", sagte der Wissenschaftlerin ein drittes Mal. Er umfasste ihr Handgelenk, doch entzog sie ihre Hand rasch seinem Griff und schüttelte ihren Kopf.
„Es tut mir Leid, Dr. Wells. Ehrlich. Ich weiß nicht, was - es tut mir Leid", begann sich die junge Wissenschaftlerin eilig zu entschuldigen, während sie ein paar Schritte rückwärts lief. Ihr Gesicht war mittlerweile purpurrot angelaufen, sodass Harrison für einen Moment tatsächlich Sorge hatte, sie würde ihm aus den Latschen kippen.
„Sam", versuchte er es wieder, doch war die junge Frau derzeit nicht in der Verfassung für ein klärendes Gespräch. Sie entschuldigte sich erneut, drehte sich herum und floh. Der Dunkelhaarige ließ sie passieren, wohlwissend, dass es nichts bringen würde sie aufzuhalten, und sah ihr stattdessen einfach hinterher. Dabei presste er seine Lippen leicht aufeinander, auf denen noch immer Sams süßer Geschmack haftete wie Honig.
Sam fühlte sich noch immer wie benommen, als sie ihre Zimmertür hinter sich schloss, sich gegen diese lehnte und daran herunterrutschte. Es war ähnlich wie zu Weihnachten, als sie die allesverändernde Erkenntnis erlangt hatte, dass sie in den Wissenschaftler verliebt war und eben diese Gefühle hatten sie in ihre jetzige Situation gebracht. Peinlich berührt vergrub die Brünette ihr Gesicht in ihren Händen und seufzte kraftlos. Alles war so wahnsinnig kompliziert und verworren. Konnte sie zurückgehen und weitermachen? Konnte sie Harrisons Worten, dass sie in der Lage war Großes zu vollbringen, wenn sie nur fest genug an sich glaubte, trauen? Und vor allem, könnte sie ihm je wieder in die Augen sehen? Fragen über Fragen. So viele Zweifel und Ängste, so viel Ungewissheit. Auch war da immer wieder der Kuss, der sich in ihre Gedanken schleichen wollte, die Erinnerung daran verfolgte sie regelrecht und ließ ihr Herz fast aus ihrer Brust springen, so schnell schlug es. Sie durfte nicht daran zurückdenken, es war ein riesiger Fehler gewesen und hatte ihre ganze Situation nur noch verkompliziert. Leicht zuckte die junge Wissenschaftlerin zusammen, als ein Klopfen an der Tür ertönte.
„Sammy?", drang Ambers Stimme gedämpft durch das Holz. Sam ließ ihre Hände sinken und drehte ihren Kopf leicht, antwortete jedoch nicht. Auch, wenn es der Blondine vielleicht ungerecht gegenüber war, doch war ihr nicht nach reden zumute. Sie wollte viel lieber allein sein und sich sammeln, so gut es ging. „Sammy, ich weiß, dass du da bist und ich mache es kurz. Ich denke, du hast vielleicht von Barry schon von ihm gehört, von Owen Madock, dem FBI-Agenten, der gerade das CCPD auf den Kopf stellt." Ja, hatte sie. Er war eine der vielen, vielen Sorgen, die ihr Herz schwer wie Blei machten. „Jedenfalls bin ich ihm direkt unterstellt, Sam. Wir mussten alle eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen, was bedeutet, dass ich dir nichts von dem, was wir während unseren Ermittlungen tun, weitergeben darf. Würde das rauskommen, könnte ich meinen Job verlieren", fasste Amber zusammen. Sam verstand. Sie würde ihre Freundin nie in diese Lage bringen, wo sie doch wusste, dass der Polizistin ihre Karriere alles bedeutete. „Ich möchte dich nur warnen. Er will die Meta-Wesen künftig vor Flash erwischen und er meint es ernst. Ihr solltet ihn nicht unterschätzen, okay?"
„Okay", antwortete Sam nun doch. So leise, dass sie glaubte, Amber hätte sie nicht gehört.
„Gut. Dann schlaf schön, Sammy", sagte sie, woraufhin die Brünette wusste, ihre Freundin hatte sie doch gehört.
„Du auch", murmelte sie, hörte, wie sich die Schritte der Polizistin entfernten und vergrub anschließend tief seufzend ihr Gesicht in ihren Knien, nachdem sie ihre Beine angewinkelt und an ihren Körper gezogen hatte.
Wenige Minuten, nachdem Sam sein Büro fluchtartig verlassen hatte, hatte sich der Wissenschaftler in seine Zeitkammer begeben, um nachzudenken. Den Rollstuhl hinter sich gelassen stand Eobard vor dem weißen Podest und beäugte den Zeitungsartikel, der über die Erhaltung des Nobelpreises durch Samantha Jones berichtete. Er flackerte hin und wieder, was nicht am Hologramm lag, auch nicht an der Elektrizität des Labors, sondern daran, dass die Zeitlinie Gefahr lief sich zu verändern. Es war ein schlechtes, ein wirklich schlechtes Zeichen. Sams Zukunft, jene Zukunft, die er aufrechterhalten musste, stand auf der Kippe. Die nächsten Tage waren entscheidend, alles, was er sagte, jedes Wort musste perfekt gewählt sein.
Doch war da der Kuss, der ihn zugegeben überrascht hatte. Es war nicht so, als wisse er nicht, was sie für ihn empfand, es war ihm mehr als bewusst, dennoch hatte Eobard nicht geglaubt, dass Sam wagte diesen Schritt zu gehen. Immer wieder überraschte ihn diese junge Frau, stellte all jenes, das er glaubte über sie zu wissen, auf den Kopf. Seufzend fuhr sich Eobard übers Gesicht und massierte sich den Nasenrücken. Anschließend fuhr sein Zeigefinger nachdenklich über seine Lippen, die die Brünette Minuten zuvor geküsst hatte. Er musste Sam dringend auf den richtigen Weg zurückführen, musste ihr ihre Angst und ihre Zweifel nehmen und er wusste, er konnte es. Er hatte diese Macht über sie, nur musste er noch herausfinden, wie er es am besten anstellte.
Seine Hand wischte durch die Luft. Der Zeitungsartikel über Flash, seine Versicherung, dass seine Zukunft intakt war, erschien vor ihm. Wenigstens um den Speedster brauchte er sich vorerst keine Sorgen machen, so konnte er all seine Konzentration auf Sam lenken, um sie zurückzuholen, ehe seine Aufgabe wieder darin bestehen würde, an der Geschwindigkeit Flashs zu arbeiten. Sein Ticket nach Hause.
„Ein Umspannwerk", murmelte Owen und fuhr sich über seinen Bart, während er vor einer mit allerlei Informationen gefüllten Tafel stand, inmitten seines provisorischen Büros. „Wieso ausgerechnet ein Umspannwerk?" Sein Blick glitt zu den zusammengetragenen Informationen des forensischen Berichts. Lichtbögen, aber keine Oberleitung weit und breit. Also ein Meta-Wesen, das Strom kontrollierte? Owen hatte die Berichterstattungen im Fernsehen gesehen, die Bilder und Aufnahmen, die im Netz kursierten, dennoch fiel es einem Mann wie ihm, der nie an an Übernatürliches geglaubt hatte, schwer, seine Denkweise zu ändern. Er musste umdenken, musste sich auf jenes, das in dieser Stadt vorging, einlassen. Ohne sich umzudrehen streckte er seine Hand vor und schnippte mit den Fingern, um die beiden Jüngeren, die mit ihm zusammen arbeiteten, auf sich aufmerksam zu machen, da er schon eine ganze Weile vor der Tafel stand und nachdachte. Die Versuche der beiden, mitzureden, hatte er gekonnt ignoriert, doch war es jetzt an der Zeit, die Gedanken zusammenzutragen.
„Manson", sagte er streng.
„Es heißt Mason", kam es murrend zurück. „Sehen Sie? Steht sogar hier auf dem Kaffeebecher, extra groß. Außerdem stand es auch mal auf Ihrem Becher, da kann es doch nicht so schwer sein -"
„Wieso ein Umspannwerk?", unterbrach er sie, ohne auf ihre Worte einzugehen und drehte sich zu ihr herum. „Was ist die Ressource, die ein Umspannwerk bietet?"
„Strom?", erwiderte die junge Blondine, woraufhin Owen nickte.
„Ganz richtig. Sie haben nun schon öfter mit Meta-Wesen zutun gehabt. Also sagen Sie mir, wieso Strom? Gehen wir davon aus, dass es sich um einen Menschen handelt, der Elektrizität kontrollieren kann, aber wieso begeht er dann einen Mord, nur um in ein Umspannwerk zu gelangen?" Die Polizistin zuckte mit den Schultern. „Denken Sie nach", animierte er seine Kollegin streng und trank einen Schluck von seinem Kaffee. Danach drehte er sich wieder zur Tafel herum. „Bei der Leiche handelte es sich um Casey Donahue, dem Leiter des Petersburg Umspannwerks. Seine ID wurde verwendet, um noch in der Mordnacht hineinzugelangen, danach verzeichnete das Umspannwerk einen erheblichen Leistungsverlust", murmelte Owen vor sich her. „Folgt man diesen Hinweisen, kann man davon ausgehen, dass er die Energie aus irgendeinem Grund angezapft hat. Wenn er soweit ging, um das zu erreichen, wird er den Strom brauchen, wie Wasser zum Leben. Demnach ist es fast sicher, dass er erneut zuschlagen wird, um noch mehr zu bekommen." Owen schnippte erneut. „Miller", sagte der Bartträger jetzt laut.
„Ja, Sir?", fragte der Angesprochene, der kurz zusammengezuckt war.
„Gehen Sie zu unserem Technikteam. Ich will, dass das Stromnetz der Stadt rund um die Uhr bewacht wird. Bei einem nennenswerten Leistungsverlust will ich verständigt werden, verstanden?"
„Ja, Sir!", sagte der Braunhaarige energiegeladen und strahlte übers ganze Gesicht. Er beugte sich kurz zu Amber herüber, die mit vor der Brust verschränkten Armen am Tisch lehnte und den Anzugträger abschätzig musterte. „Ist er nicht total cool?", fragte Dunkin, der immer mehr zu einem Fanboy des Agenten mutierte. Amber rollte nur mit den Augen.
„Heute noch, Miller?", blaffte Owen, woraufhin sich der Jüngere rasch auf den Weg machte. Amber sah ihm kurz hinterher, danach blickte sie wieder zu ihrem Vorgesetzten.
„Und Sie sind sich sicher, dass es sich um ein Meta-Wesen handelt? Kann ja sein, dass es so ist, wie Allen gesagt hat und uns lediglich ein Indiz fehlt, das den ganzen Fall aufklären würde", warf Amber ihre Zweifel ein. Owen, der soeben eine neue Information auf dem Whiteboard notierte, richtete sich wieder auf und drückte die Kappe des Markers mit einem leisen Klacken auf den Stift.
„Wissen Sie, wieso ich der Beste bin?", richtete er eine Gegenfrage an sie. Amber zog eine Augenbraue nach oben.
„Wegen Ihrer Bescheidenheit, nehme ich an", erwiderte sie sarkastisch. Der Blonde drehte sich zu ihr, schnaubte amüsiert und grinste anschließend provokant, während er sich ihr langsamen Schrittes näherte.
„Nein, ganz bestimmt nicht", erwiderte er, kam ihr immer näher und blieb schließlich direkt vor ihr stehen. Überdeutlich fiel der Polizistin auf, dass der Anzugträger einen halben Kopf größer war als sie. „Ich bin der Beste, weil ich meinem Instinkt vertraue und daher nie falsch liege", raunte er. Amber sah zu ihm auf, ihre grünen Augen fixierten seine. „Und mein Instinkt sagt mir, dass es sich um ein Meta-Wesen handelt, also ist es auch so. Falls Sie aber denken, dass wir es mit einem normalen Mordfall zutun haben und ich lediglich etwas übersehe, dann bitte, da ist die Tür", sagte er und deutete mit dem Arm in besagte Richtung. „Oder aber Sie ziehen Ihren Kopf aus dem Arsch und arbeiten mit."
Mit diesen Worten drehte sich der Agent wieder herum und lief zum Whiteboard, während Amber ihm verdutzt und mit leicht geöffneten Lippen hinterher starrte. Danach fuhr sie sich lautlos durchs kurze Haar und verzog gereizt und gleichermaßen frustriert ihr Gesicht. Was für ein Arschloch.
Schweigend saß Cisco auf seinem Stuhl im Cortex, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, während er immer wieder auf die Uhr blickte, um zu überprüfen, wie spät es war. Er wartete darauf, dass Sam endlich eintraf, damit er sich bei ihr entschuldigen konnte. Er hatte seine Worte von gestern rekapituliert und war zu dem Entschluss gekommen, wie unsensibel er doch gewesen war. Er hatte einfach nicht nachgedacht, dabei lag es auf der Hand, dass Sam noch immer um Bette trauerte und auch er hatte mit dem Verlust der Rothaarigen zu kämpfen, wenn auch nicht so schlimm wie die Wissenschaftlerin. Und jetzt dachte sie, es wäre ihm wohlmöglich egal, was mit Bette passiert war. Er wollte die Dinge richtig stellen.
„Meinst du, Sam ist noch immer böse auf mich?", fragte er an Caitlin gewandt, die direkt neben ihm saß. Die Ärztin drehte ihren Kopf zu ihm und schenkte ihm ein aufbauendes Lächeln.
„Das glaube ich nicht. Du hast sie gestern nur auf dem falschen Fuß erwischt, bestimmt könnt ihr beide die Sache wieder klären", sagte sie sanft und tätschelte kameradschaftlich die Schulter des Langhaarigen. Cisco nickte zögerlich und seufzte tief, ehe sein Blick erneut zur Uhr glitt. Sams Unikurse waren längst vorbei. Er drehte seinen Kopf zu Harrison, der unweit neben ihm am Pult saß und sich nachdenklich über die Lippen fuhr. Er schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein.
„Kommt Sam heute nicht, Dr. Wells?", fragte der Jüngere seinen Mentor und holte ihn just aus seiner Gedankenwelt, denn blinzelte er, um seinen Blick zu fokussieren und sah anschließend zu Cisco.
„Nicht, dass ich wüsste", erwiderte er nachdenklich. Der Ingenieur schürzte seine Lippen und drehte sich wieder herum zu Caitlin, um mit ihr zu plaudern, während Harrison von Neuem seinen Gedanken nachhing. Er durfte nicht zulassen, dass Sam auch nur in Versuchung kam vom Labor und vor allem von ihm fernzubleiben. Sicherlich lag es am Kuss und ihrer damit einhergehenden Scham, wieso sie heute nicht kam. Sollte er ihr den Tag Abstand geben, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können? Als Schritte aus dem Flur in den Cortex hallten, drehten sich die drei Teammitglieder herum. Ein jeder hoffte auf Sam, in der Reihenfolge, in der sie saßen, aufsteigend. Harrisons Blick haftete auf dem Eingang, in dem er die Brünette jeden Moment erwartete, doch anstatt Sam tauchte Barry auf und blickte verdutzt in drei enttäuschte Gesichter.
„Huch, ist was?", hakte der Speedster perplex nach. Cisco verzog seine Lippen zu einem Schmollmund.
„Wir dachten, du wärst Sam", klärte er seinen Freund ungeniert auf und drehte sich wieder zum Computerpult herum, Caitlin und Harrison taten es ihm gleich.
„Na schönen Dank auch", erwiderte der Forensiker empört und betrat den Cortex. Er lief um das Pult herum.
„Wieso bist du eigentlich heute auch erst so spät hier?", wollte Cisco jetzt wissen und verschränkte seine Arme vor sich auf dem Tisch, ehe er sein Kinn darauf stützte. Barry seufzte tief, während er sich über den Nacken fuhr. Harrison sah zu seinem Schützling.
„Der neue FBI-Agent, dieser Owen Madock, der hält das CCPD ganz schön auf Trap. Ich sollte ihm meinen forensischen Bericht nochmal im Detail mündlich vortragen, weil Konversation gedankenfördernd sein kann, meinte er. Ich sag euch, dieser Kerl kann ganz schön einschüchternd sein", murmelte der Speedster, was nicht zuletzt amüsant war, weil er Flash, der Superheld war. Doch auf dem Revier, da war er nur Barry. Der Blick des Forensikers glitt zu seinem Mentor. „Außerdem meint er es echt ernst, die Jagd auf das Meta-Wesen. Er hat nur geringfügige Indizien dafür, dass es sich überhaupt um ein Meta handelt und trotzdem lässt er das Stromnetz Central Citys bewachen, so wie wir", offenbarte der Braunhaarige, während sich eine Sorgenfalte auf seiner Stirn abzuzeichnen begann.
„Gut, dass du viel schneller bist als er", kommentierte Cisco nuschelnd und entlockte Barry ein leises Schnauben.
„Ja, das mag sein, dennoch sollten wir aufpassen. Vielleicht sollte ich ihn mal als Flash aufsuchen und mit ihm reden. Möglich, dass wir eine Lösung finden können, ohne, dass sich das Ganze zu einem Wettkampf entwickelt", schlug der Speedster vor.
„Das ist eine vernünftige Idee, Barry", stimmte Harrison seinem Untergebenen zu und lächelte. „Einen Streit auf diplomatischem Wege zu schlichten ist ein besserer Lösungsansatz, als gleich den Kampf zu suchen. Dennoch sollten wir uns vorerst auf unser Meta-Wesen konzentrieren und danach mit Agent Madock in Verbindung treten", befahl der Brillenträger. Das Team nickte einvernehmlich.
„Konntet ihr denn schon was Neues herausfinden?", fragte Barry die Gruppe und lief um das Pult herum, als Cisco mittels eines Nickens antwortete, sich aufsetzte und auf der Tastatur herum zu tippen begann.
„Wir haben das Gesicht, das sich kurz auf der Videoaufnahme von Mr. Jordan erkennen ließ, vergrößert und durch die Datenbank gejagt. Dadurch konnten wir unser Meta-Wesen schon mal identifizieren", begann Cisco zu erklären und deutete auf das Bild des kleingewachsenen, kurzrasierten Mannes mit blauen Augen und Karamellteint. „Sein Name ist Farooq Gibran. In der Nacht der Teilchenbeschleunigerexplosion befand er sich mit zwei Freunden an einem Strommast und hat einen heftigen Stromschlag bekommen", fasste der Ingenieur zusammen und deutete auf den kurzen Zeitungsartikel, dem er diese Information entnommen hatte. Barry überflog ihn, ehe plötzlich ein Alarm im Cortex ertönte, der die Aufmerksamkeit aller auf sich zog.
„Was ist los?", fragte der Speedster an Cisco gewandt, der den Zeitungsartikel wieder schloss und stattdessen die Ursache für das Geräusch ausfindig machte.
„Das Stromnetz", sagte er und öffnete eine Karte der Stadt, „das spielt gerade verrückt." Seine Augen huschten über den Bildschirm. Er deutete auf einen roten Punkt. „Da. Das Stadion. Irgendjemand zapft von dort aus den Strom der Stadt an", verkündete Cisco. Mehr Informationen benötigte Barry nicht, er wusste, wer dafür verantwortlich war und er wusste auch, was zutun war.
„Barry", wies Harrison ihn mit ernster Stimme an, denn hatte er bereits alle Hände voll mit Sam zutun und konnte daher nicht riskieren, dass sich der Speedster unnötig in Gefahr begab. „Sei bitte vorsichtig."
Barry nickte, war im nächsten Moment jedoch auch schon verschwunden, sodass Harrison stumm seine Lippen zusammenpresste und anschließend zum Bildschirm sah, auf dem sie die Route des Speedsters verfolgen konnte.
Mit verzogener Miene, da der neue FBI-Agent, obgleich er erst seit zwei Tagen im CCPD ansässig war, ihre Laune gehörig verdarb, hockte Amber über mehreren Kisten gefüllt mit Akten ungeklärter, mysteriöser Fälle. Owen Madock meinte es ernst, er wollte tatsächlich herausfinden, was in dieser Stadt vor sich ging, denn hoffte er inmitten dieser Berge von Akten versteckte Hinweise auf potentielle Meta-Wesen zu finden. Und wer hatte die unliebsame Aufgabe, die Papierstapel zu durchsuchen, zu ordnen und zusammenzufassen bekommen? Sie. Wieso gelang es ihr auch nicht, einfach die Klappe zu halten? Bestimmt hatte sie der Agent dazu verdonnert, weil sie ihn provoziert hatte, denn war Dunkin in der Rangordnung unter ihr und der hatte eine viel bessere Aufgabe bekommen.
„So eine blöde Drecks-Scheiße" nuschelte Amber leise vor sich her, während der Braunhaarige am Schreibtisch neben ihr begeistert recherchierte.
„Wir arbeiten mit dem FBI zusammen, ist das nicht wahnsinnig cool?", fragte er sie und drehte seinen Kopf zu ihr. Seine braunen Augen strahlten. Ein wenig erinnerten sie die Blondine in diesem Moment an Sams, nur, dass sie ihre Freundin schon eine ganze Weile nicht mehr so angesehen hatte. Der Gedanke daran versetzte ihr einen Stich ins Herz. Wann würde es Sam wieder bessergehen? Und was konnte sie tun? Sie sollte viel eher bei ihr sein, sie unterstützen, anstatt hier sinnlos über Akten zu hocken.
Als Antwort auf Dunkins unpassende Worte reagierte Amber mit einem Augenrollen. Plötzlich ertönte das Geräusch von über den Boden schabenden Stuhlbeinen. Sie hob ihren Kopf und zog fragend eine Augenbraue nach oben, Dunkin tat es ihr gleich.
„Agent Madock", meldete sich einer der Männer, die als technischer Support eingeteilt wurden und deutete auf den Computerbildschirm vor sich. „Es tut sich was. Das Stromnetz Central Citys verzeichnet erhebliche Leistungsabfälle." Amber wurde hellhörig. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und lief auf den Tisch zu, an dem sich gerade die ganze Action abspielte. Owen kam fast zeitgleich mit ihr an. Er beugte sich vor und betrachtete den Bildschirm. „Da, sehen Sie. Am schlimmsten ist es vor dem Stadion, irgendjemand zapft dort den Strom an", erklärte der Kurzhaarige. Owen hatte genug gehört. Er schritt zu seinem Platz, nahm sein Jackett von seinem Stuhl und zog es sich beim Losgehen über.
„Kommen Sie", befahl er ihr. Verwirrt blinzelte die Blondine und deutete auf sich.
„Ich?"
„Ja, Sie, oder brauchen Sie noch eine schriftliche Einladung? Los geht's, wir gehen auf Meta-Wesen-Jagd, Manson."
Ambers Miene hellte sich auf. Sie schnappte sich ebenfalls ihre Jacke und eilte dem Agenten hinterher.
„Es heißt übrigens immer noch Mason. MASON, ist das so schwer zu merken?"
„Geben Sie mir einen Grund dazu, dann werde ich mir Ihren Namen merken", konterte Owen trocken.
„Wir arbeiten zusammen, ist das nicht Grund genug?", erwiderte sie, ehe das ungleiche Duo im Treppenhaus verschwand und ihre Stimmen verstummten.
Die Hände erhoben schloss Farooq Gibran seine Augen und keuchte. Blaue Blitze schlängelten sich durch die Luft, ausgehend von der Oberleitung neben dem Stadion. Im ungleichen Takt bewegten sie sich, zuckten und hinterließen dabei ein unheilvolles Zischen. Farooq schloss seine Augen. Unter seiner Haut leuchtete es. Die Adern in seinem Gesicht, teilweise schwarz nachgezeichnet, leuchteten an einigen Stellen. Da, wo die hohe Menge an Strom hineinfloss, die für einen normalen Menschen tödlich wäre, doch nicht für ihn. Farooq wollte, nein brauchte diese Ladung an Elektrizität, für ihn war es wie Wasser zum Leben und er war durstig, äußerst durstig. Er streckte seine andere Hand zur Seite und richtete sie auf das Sportstadion neben sich. Die Flutlichtanlage begann zu flackern und zu knistern, während weitere Blitze durch die Luft zogen, direkt auf Farooq zu, so als zöge er sie magnetisch an.
Mehr. Er brauchte noch viel, viel mehr davon. Denn erst, wenn sein Durst gestillt war, wenn seine Batterie aufgeladen war, konnte er sich seinem wahren Bedürfnis widmen: Rache. Rache an dem Mann, der ihm das angetan hatte. Harrison Wells.
Sam saß auf ihrem Fenstersims und hielt ein Buch in den Händen, wirklich lesen tat sie jedoch nicht. Vielmehr starrte sie die Wörter auf dem Papier einfach an, so als machten sie keinen Sinn. Nichts machte irgendeinen Sinn. Ihr Leben lag in Scherben; alles brach auseinander. Lautlos fuhr sich Sam über ihr Gesicht, ehe sie etwas vernahm. Ein Flackern. Fragend sah sie zur Schreibtischlampe unweit von ihr entfernt, die sie vor wenigen Minuten angeschaltet hatte, da die Sonne allmählich unterging und nur noch wenig Licht spendete. Die Lampe knackte leise, während sie wiederholt flimmerte. Fragend verzog die Brünette ihr Gesicht, während sie den ungleichmäßigen Takt beobachtete und sich eine Vorahnung in ihr breitmachte. Das Meta-Wesen. Sie sollte lieber zu Star Labs gehen, oder? Vielleicht wurde ihre Hilfe benötigt. Die Brünette ließ das Buch auf ihren Schoß sinken und presste ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Sie wollte gehen, wollte helfen, doch fühlten sich ihre Beine wie taub an.
Barry erreichte das Stadion und musterte Farooq, der gerade dabei war den Strom der Oberleitungen sowie den der Flutlichtanlage anzuzapfen, denn konnte der Speedster sehen, wie es im Inneren des Stadions flackerte. Auch der beleuchtete Außenring des Gebäudes büßte an Licht ein, flimmerte immer wieder.
„Ey!", machte Barry auf sich aufmerksam. Sein Gegenüber hielt inne, ließ seine Hände sinken und drehte sich zu ihm herum. Das Flackern stoppte. „Du weißt schon, dass später ein wichtiges Baseballspiel ist, oder? Wäre echt uncool, wenn das im Dunkeln stattfinden müsste", rief er dem Strommann zu. Dieser verengte nur verwirrt seine Augen, ehe er sich gänzlich zum Speedster herumdrehte, die Arme von seinem Körper gestreckt. Um Farooq herum knisterte es. Er war elektrisch geladen, das konnte Barry mit bloßem Auge erkennen, denn entgingen ihm nicht die Blitze, die dann und wann aus dem Körper des Meta-Wesen sprießten. Sein Gesicht leuchtete seltsam, ähnlich wie seine Arme, so als befänden sich Knicklichter unter seiner Haut. Es erinnerte den Braunhaarigen an Bette. Sein Herz zwickte, doch ignorierte er den Schmerz des Verlustes, denn hatte er eine Aufgabe.
„Mehr", hörte er Farooq murmeln. „Ich brauche mehr."
„Mehr von was?", rief ihm der Speedster zu, doch anstatt ihm zu antworten streckte Blackout seine Hände vor und ließ eine Ladung Blitze in seine Richtung schießen. Barry reagierte gerade rechtzeitig und sprintete zur Seite, um dem Angriff auszuweichen, doch kam da auch schon die nächste Ladung auf ihn zugeschossen. Wieder sprintete der Braunhaarige zur Seite. Als Farooq seine Hand von Neuem ausstreckte, reagierte der Speedster schneller, wurde jedoch von seinem Gegenspieler ausgetrickst, denn schmetterte er seinen nächsten Angriff einige Meter weiter nach rechts, sodass er Barrys Laufbahn durchkreuzte und ihn diesmal erwischte. Schreiend hielt der Jüngere inne, war wie paralysiert, während er spürte, wie ihm jegliche Kraft aus den Gliedmaßen entzogen wurde. Er ging zu Boden. Farooq hingegen besah seine Hände, seine Augen gierig geweitet.
„Was ist das?", fragte er sich. „Diese Energie, sie fühlt sich gut an", murmelte er wie ein Besessener.
„Barry", ertönte Harrisons besorgte Stimme aus seinen Kopfhörern. „Barry, was ist los?"
Der Braunhaarige wollte los rennen, weg von hier, denn wusste er, diesen Kampf hatte er vorerst verloren, doch war er diesmal zu langsam. Blackouts Blitze schossen ein weiteres Mal auf ihn zu und erfassten ihn. Wie Speere bohrten sie sich durch das Blitz-Emblem auf seiner Brust, während Barry schreiend seinen Rücken durchstreckte und seinen Kopf in den Nacken legte. Seine Energie. Sie schwand.
Farooq labte sich an seinem Gegenspieler, solange, bis er auch den letzten Funken Energie aus ihm herausgesaugt hatte. Danach keuchte er und ging in die Knie. Er fühlte sich überladen, hatte das Gefühl, dass die Elektrizität in seinem Körper jeden Moment aus ihm herausbrechen würde. Er riss seine Augen auf und murmelte immer wieder leise vor sich her: „Zu viel. Zu viel Energie."
Barry schaffte es, sich wieder zu erheben. Die Anweisung seines Mentors, sofort von dort zu verschwinden, drang in seine Ohren. Er nickte stumm, stützte sich an einem Laternenpfeiler ab und wollte losrennen. Er setzte ein paar Schritte vor, doch passierte nichts. Das elektrisierende Gefühl, das normalerweise durch seine Adern jagen würde, in exakt diesem Moment - es blieb aus. Er fühlte sich erschreckend normal.
„Leute", murmelte der Braunhaarige, leichte Panik in seiner Stimme. Er versuchte es erneut, doch wieder gelang es ihm nicht, seine Kräfte freizusetzen. „Meine Kräfte", keuchte er verwirrt. „Sie sind verschwunden." Er drehte sich um zu Farooq, der zu seinem großen Glück genauso überfordert schien wie er, denn krümmte er sich auf dem Boden und schien ihn völlig vergessen zu haben. Barry nutzte den Moment der Blöße und rannte los. Als Normalsterblicher in seinem trägen Sprint.
Mit quietschenden Reifen kam Owen Madocks Wagen vor dem Stadion zum Stehen. gefolgt von zwei Streifenwagen, die ihm mit Blaulicht und Sirene hinterhergefahren waren. Er und Amber stiegen aus, wobei das Herz der Blondine noch immer aufgrund des rasanten Fahrstils ihres neuen Vorgesetzten vom Adrenalin raste.
„Da vorn!", sagte sie und deutete auf Farooq Gibran, der sich nach wie vor krümmte. Blitze schossen aus seiner Haut, reagierten mit der Oberleitung über sich, woraufhin sich Ambers Augen erkennend weiteten. „Sie hatten Recht", murmelte sie und drehte ihren Kopf zu Owen, der soeben seine Waffe zog. „Es ist wirklich ein Strom-Meta."
„Sagte ich doch", erwiderte der Agent selbstsicher. Die junge Polizistin hatte in diesem Augenblick tatsächlich größte Mühe, ihre Bewunderung für die Auffassungsgabe des Blonden zu verstecken. „Sie da!", schrie Owen im nächsten Moment und lief vor zu Farooq. „Hände hoch und keine Bewegung!" Amber folgte ihrem Vorgesetzten und zückte nun ebenfalls ihre Pistole. Der Angesprochene hob seinen Kopf. Adern schlängelten sich über seine Stirn, auch sonst sah der Mann ungesund aus. Seine Augen hatten eine seltsame Färbung angenommen und Teile seiner Haut waren schwarz. Außerdem zierten dicke Augenringe sein Gesicht und ließen ihn noch kränklicher aussehen. Farooq erhob sich langsam und spreizte seine Finger, während seine irren Augen auf Owen hafteten.
„Hände hoch, habe ich gesagt! Sonst schieße ich!", rief er ihm mit fester Stimme entgegen. Amber schluckte schwer, umfasste den Griff ihrer Waffe fester und verengte ihre Augen. Dann plötzlich hob das Meta-Wesen völlig unerwartet seine Hände, doch nicht, um sich zu ergeben. Die Oberleitung über ihnen begann zu knistern. Sowohl Amber als auch Owen blickten hinauf. Farooq vollführte eine schnelle Handbewegung - der Agent verstand. „Mason!", schrie er, als ein Blitz von oben auf die junge Polizistin zugeschossen kam. Er hastete zu ihr, riss sie zur Seite, sodass der Strom-Angriff sie beide um Haaresbreite verfehlte. Owen landete unsanft auf dem Boden, Amber auf ihm. Verwirrt riss sie ihre Augen auf und sah zum Agenten. Als Farooq vom Neuen in Aktion trat schnellte Owens Kopf zu ihm. Er schob die Blondine von sich und hob seine Waffe auf, die ihm beim Sturz aus der Hand geglitten war, doch waren diesmal nicht sie beide das Ziel, sondern die Autos neben ihnen. Blackout schleuderte eine Ladung Energie auf die Fahrzeuge und ließ sie so in die Luft gehen. „ Vorsicht!", wies er sie an, die beiden duckten sich, wobei sich der Bartträger schützend vor seinen Schützling stellte. Autoteile flogen durch die Luft, die Wracks neben ihnen brannten und Farooq Gibran verschwand.
Sams anfänglicher Zwiespalt war mittlerweile zu einem ausgeprägten Dilemma herangereift. Unruhig tigerte sie in ihrem Zimmer auf und ab, während sie darüber haderte, ob sie zu Star Labs gehen oder sich, wie heute von ihr beschlossen, vom Labor fernhalten sollte. Sie wollte gehen, denn war es möglich, dass ihre Hilfe benötigt wurde und sie wollte ihr Team ganz sicher nicht im Stich lassen. Doch hatte sie zeitgleich auch schreckliche Angst, wieder in eine heikle Situation zu geraten, die alles von ihr abverlangte, ehe sie am Ende doch nur wieder versagte. Mrs. Anderson, Bette, es war wie ein elender Kreislauf. Der Kreislauf ihres Versagens sowie der Menschen, die sie dabei verlor. Der bloße Gedanke an die Rothaarige ließ Sam innehalten, während ein vernichtender Schmerz durch ihre Brust jagte. Sam hob ihre Hand und vergrub ihre Finger in ihrem waldgrünen Pulli, auf Höhe ihres leidenden Herzens. Diesmal blieb ihr jedoch keine Zeit, sich ihrer Trauer hinzugeben, denn klingelte im nächsten Moment ihr Handy und hielt sie davon ab. Sam zog es aus ihrer Hosentasche und beäugte die Nummer auf dem Display. Es war Ciscos. Unruhe machte sich in der jungen Wissenschaftlerin breit. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Trotz ihres inneren Konflikts konnte Sam in diesem Moment nicht anders, als abzunehmen, denn musste sie wissen, was vorgefallen war. Erst das Flackern ihres Lichts, jetzt der Anruf. Cisco meldete sich sicherlich nicht, um zu plaudern. Es gab einen Grund.
„Ja?", meldete sie sich unsicher, nachdem sie den Anruf entgegengenommen und sich das Telefon ans Ohr gehalten hatte und schluckte.
„Sam", ertönte die Stimme des Langhaarigen. Die Brünette hatte das Gefühl, ihr Herz würde ihr gleich aus der Brust springen. Ihr Teampartner begann zu berichten. Über das Zusammentreffen von Barry und Blackout, wie sie das Strom-Meta genannt hatten. Darüber, dass mehrere Angriffe den Speedster erwischt hatten und er, wie es schien, temporär seine Fähigkeiten verloren hatte. Sams erste Frage war jedoch, ob Barry wohlauf war, ob es ihm soweit gut ging, denn wusste sie, einen weiteren Verlust würde sie nicht verkraften. Als ihr Freund die Frage bejahte und sie schließlich bat, ins Labor zu kommen, stimmte die Brünette zögerlich zu. Es ging Barry gut. Immerhin. Vielleicht würden sich seine Kräfte wieder erholen und sie mussten gar nichts tun.
Sam nahm den Bus, um zum Labor zu gelangen. Nachdem sie mit dem Fahrstuhl in die Hauptebene gelangt und den Flur entlang zum Trainingsraum, in dem sich das Team laut Ciscos Erzählung befand, gelaufen war, merkte die Brünette, dass die Situation mit Barrys Kräften vielleicht doch verzwickter war, als sie zu Beginn angenommen hatte. Der Braunhaarige rannte soeben auf dem Laufband, sofern man diese Bewegungen, die er vollführte, überhaupt als rennen bezeichnen konnte. Sam erinnerte sich, wie ihr damals versehentlich herausgerutscht war, Barry laufe wie eine Ente und so peinlich ihr diese Aussage zu gegebener Zeit auch gewesen war: sie hatte Recht gehabt. Er lief wirklich wie eine Ente.
„Er läuft ja sogar für einen Normalsterblichen irre langsam", murmelte sie trocken und lenkte somit die Aufmerksamkeit aller auf sich. Drei Köpfe schnellten zu ihr herum, während Barry, der sie aufgrund der Glaswand, die diesen und seinen Raum trennte, nicht gehört hatte, weiterlief.
„Samantha", ertönte Harrisons Stimme. Ein Unterton schwang in ihr mit, den sie nicht so recht zu deuten wusste. Kurz wanderte ihr Blick zu ihm, doch wandte sie sich umgehend wieder ab, da just in diesem Moment die Erinnerung des Kusses auf sie hereinbrach. Sie war viel zu weit gegangen, hatte eine Grenze überschritten und es war ihr so peinlich, so unangenehm, dass sie nicht wagte ihm länger als eine Sekunde in die Augen zu sehen. Sie näherte sich dem Team, ohne Harrison noch einmal anzusehen, wobei sie seinen Blick auf sich haften spürte.
„Was ist passiert?", wollte sie wissen, denn hatte ihr Cisco am Telefon nur die Kurzfassung erzählt.
„So genau wissen wir das selbst noch nicht. Bisher sieht es so aus, als hätte Blackout Barrys Energie, die er zum Rennen verwendet, angezapft und gänzlich ausgesaugt. Wir lassen gerade ein paar Tests laufen", erläuterte Caitlin und deutete auf das Tablet in ihrer Hand. Sam biss sich nachdenklich auf die Unterlippe.
„Ist es möglich, dass er seine Fähigkeiten komplett verloren hat?", fragte Sam besorgt, während sie zurückkehrte: ihre tiefe, innere Unruhe.
„Das glaube ich nicht", erwiderte Caitlin kopfschüttelnd. „Die Meta-Wesen, so auch Barry, wurden bei der Explosion des Teilchenbeschleunigers auf genetischer Ebene verändert. Ein einfacher Angriff wie dieser wird nicht in der Lage sein, Barrys DNA zu verändern."
Sam fasste sich seufzend an die Stirn. Ja, natürlich, was für eine überflüssige Frage. Es lag doch auf der Hand und eigentlich hätte sie die Antwort auch selbst gewusst, doch herrschte ein heilloses Durcheinander in ihrem Kopf und hinderte ihn daran, effizient zu arbeiten. Es war wie eine Denkblockade.
„Ja, du hast Recht. Das hätte mir auch selbst in den Sinn kommen können", murmelte sie betreten. Sie spürte Harrisons eingehenden Blick auf sich, spürte, wie er versuchte sie zu analysieren, sie zu durchschauen. Vielleicht gelang es ihm ja, denn ihr tat es das nicht. Sam sah selbst nicht in dem Chaos, das Bettes Tod in ihr hinterlassen hatte, durch. Sie trat an die Scheibe heran und beobachtete, wie Barry seine Schritte verlangsamte und schweißgebadet vom Laufband stieg. Erschöpft hielt er sich an der Halterung daneben fest, sodass sie beschloss zu ihm zu gehen. Sie öffnete die Tür zum Raum, das Team folgte ihr.
„Hey", grüßte Barry sie mit einem müden Lächeln und deutete auf seine Beine. „Traurig, oder?"
„Nicht trauriger als alles Andere, was hier schon passiert ist", kommentierte Sam trocken, bereute ihre Worte jedoch sofort und schloss kurz die Augen, das Gesicht dabei verziehend. Anschließend sah sie Barry wieder an. „Tut mir Leid", entschuldigte sie sich beim Speedster, der jedoch nur lächelnd abwinkte, da er ihre Worte nicht böse nahm.
„Die Ergebnisse sind da", verkündete Caitlin im nächsten Augenblick und tippte etwas auf ihrem Tablet ein. Sam und Barry drehten sich neugierig zu ihr herum. Die Gruppe versammelte sich um die Ärztin, um einen Blick auf die Daten und Werte, die das Auswertungsprogramm soeben ausspuckte, werfen zu können. Die braunen Augen der Studentin glitten über das Display. Caitlin hatte Recht, die DNA des Braunhaarigen war nach wie vor unverändert, doch seine Zellen, sie schienen jegliche Energie verloren zu haben. Wie ein Auto ohne Benzin, nur, dass es bei Weitem nicht so simpel wäre es wieder aufzutanken.
„Und?", forderte Barry nach mehreren Momenten der Stille schließlich das Statement der Wissenschaftler ein. „Was sagt ihr, wie schlimm ist es?" Sein Blick wanderte zu Sam. Die Brünette reagierte überfordert, denn sah sie zu ihm auf und spürte, wie ihr Herz nervös in ihrer Brust zu flattern begann. „Kriegt ihr mich wieder hin?"
Für gewöhnlich würde Sam jetzt mit ‚Ja' antworten. Würde versichern, dass alles wieder gut werden und dass sie es hinbekommen würde. Sie hatte es zu Mrs. Anderson und Riley gesagt. Zu Bette. Hatte es diesen Menschen versprochen, dennoch war sie jedes Mal kläglich gescheitert und hatte ihr Versprechen gebrochen. Die Brünette senkte ihren Blick und sah mit verzogenen Lippen auf die Fliesen unter sich.
„Ich weiß es nicht", murmelte sie leise.
„Wir denken uns was aus", mischte sich Caitlin rasch ein. Barry, dem kurz die Gesichtszüge entglitten waren, sah jetzt zur Ärztin. „Es ist, wie Sam sagt, noch wissen wir nicht genau, ob und wie wir deine Geschwindigkeit zurückholen können, aber wir arbeiten daran, Barry. Wir denken uns was aus", versprach sie und berührte den Braunhaarigen sanft an der Schulter. Sam hingegen starrte weiterhin schweigend auf den Boden, während Harrisons eisblaue Augen auf ihr hafteten und kaum etwas von der Frau wiedererkannten, die sie eigentlich war und die sie eines Tages sein musste.
Wortlos hielt sich Owen den Kühlbeutel, den er von einem seiner Kollegen gereicht bekam, an die Stirn. Eine Platzwunde prangte darauf, die Amber mit verzogenem Gesicht und vor der Brust verschränkten Armen beäugte.
„Vielleicht sollten Sie die besser nähen lassen", schlug sie vor.
„Dafür habe ich auch später noch Zeit", kam Owens knappe Antwort zurück. Die Blondine hob eine Augenbraue, ehe sie tief seufzend ihre Arme sinken ließ und neben ihrem Vorgesetzten Platz nahm.
„Das war ziemlich waghalsig, wissen Sie das? Einfach so gegen das Meta-Wesen anzugehen", murmelte sie. Er war ihnen leider entwischt, der Strommann. Es ärgerte Amber so sehr wie den Agenten, dennoch saß auch der Schock in ihren Knochen, da sie bereits einmal von einem Meta-Wesen attackiert worden war und das war damals nicht so vergleichsweise glimpflich verlaufen wie heute.
„Was hätte ich sonst tun sollen?", kam die Gegenfrage. Amber zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, vielleicht auf Flash warten?"
„Und somit einem Mann im roten Anzug die Sicherheit einer Stadt gänzlich überlassen? Das können Sie vergessen. Was ist, wenn er mal nicht auftaucht, um die Menschen zu beschützen? Wer ist dann da, um die Meta-Wesen aufzuhalten, die weiß der Teufel woher gekommen sind?" Amber öffnete ihre Lippen, sagte jedoch nichts. „Eine gewisse Waghalsigkeit gehört nun mal dazu, wenn man diesen Beruf ausüben will, anhand Ihrer Akte hatte ich geglaubt, dass Sie ebenso dazu fähig sind, etwas aufs Spiel zu setzen", erklärte Owen mit fester Stimme. Er legte den Eisbeutel beiseite. Amber schürzte ihre Lippen. „Mein Job ist es, Ordnung in diese Stadt zu bringen und die Rätsel zu lösen, aber auch, die Menschen zu beschützen und das werde ich tun. Dafür bin ich Polizist geworden, aus diesem bestimmten Grund. Dann haben wir unseren ersten Kampf eben verloren, und? Ich werde es wieder versuchen, solange, bis ich weiß, wie man diese Menschen aufhalten kann." Der Agent erhob sich und sah zu Amber hinab, die ihn beeindruckt musterte, denn jenes, das er sagte, sie sah es ganz genauso oder hatte es zumindest vor geraumer Zeit so gesehen. Owens Elan, er erinnerte sie an ihren eigenen, nur hatte sie ihn mit den Monaten, in denen Flash ihr immer wieder zuvor gekommen war, Stück für Stück verloren. „Also sagen Sie, Mason, sind Sie dabei oder muss ich mir einen neuen Partner suchen? Ihre Entscheidung." Amber erhob sich ebenfalls von ihrem Stuhl und sah in die blauen Augen des Bartträgers. Feurige Entschlossenheit glomm in den ihren.
„Ich bin dabei", sagte sie.
Eobard stand in der Zeitkammer. Seine Hand an seine Stirn gehoben massierte er sich die Schläfen. Vor ihm prangte ein Zeitungsartikel, der über irgendetwas Belangloses berichtete, jedoch nicht über jenes, über das er eigentlich berichten sollte.
„Gideon", sagte er. Seine Stimme zitterte kaum merklich, unter der Oberfläche brodelte es. „Starte einen neuen Suchlauf. Stichwort: Flash", befahl er der KI. Ohne Umschweife kam sie seinem Befehl nach.
„Keine Ergebnisse gefunden, Dr. Wells", kam es höflich zurück.
„Suche nach ‚Barry Allen'", sagte er. Dasselbe Ergebnis, nämlich gar keins. Eobard hob seine Hände hinter seinen Kopf, wandte sich ab. Er presste seine Zähne zusammen, verzog sein Gesicht. Danach drehte er sich ruckartig um und wischte durch die Luft, um Sams Artikel zu öffnen. Ebenfalls fort. Der Eintrag, der eigentlich darüber schreiben sollte, dass sie als jüngstes Genie ihrer Zeit den Nobelpreis erhalten hatte, war nicht länger dort. Eobard fegte über das Pult und warf die kleine Schachfigur darauf zu Boden. Er schlug auf die weiße Oberfläche der Anhöhe und stemmte seine Arme dagegen.
„Verdammt!", platzte es aus ihm heraus. Er atmete schwer, als er seine Augen schloss und versuchte, sich wieder zu beruhigen. Er durfte nicht die Beherrschung verlieren, nicht jetzt. Seinen Verstand, er brauchte ihn noch und Wut wäre Gift für sein Denkvermögen. Eobard atmete tief ein und aus, derweil seine Finger das Pult umschlossen. Langsam öffnete er seine Augen und betrachtete das Hologramm. Er musste sie beide auf ihren Pfad zurückführen, Sam und Barry. Und das so schnell wie möglich.
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