Kapitel 4 - Gewöhnliche und ungewöhnliche Menschen
Der Teekessel zischte und pfiff laut, sodass Larry Jordan seine Zeitung, hinter der sein faltiges Gesicht bis eben noch vollständig versteckt gewesen war, sinken ließ. Er saß in einer hellen, gemütlichen Küche, an einem runden Esstisch. Blumentapeten zierten die Wände und es roch nach Flieder und Toast. Eine kleine, zierliche Frau kam in den Raum geschnellt. Sie trug eine pastellgelbe Schürze mit Vögeln darauf. Das Pfeifen des Teekessels auf dem Herd wurde lauter.
„Helen, um Himmels Willen, dieses Ding", grummelte der Grauhaarige und rieb sich das Ohr, „das macht mich wahnsinnig."
Helen Jordan, seine Frau, zog sich einen Topfhandschuh über und nahm den Kessel vom Herd.
„Es ist steinalt. Wieso kaufen wir uns nicht einen neumodischeren Teekessel?", fragte Larry und schüttelte den Kopf, ehe er wieder in seine Zeitung blickte. Er war ohnehin kein Teetrinker, Kaffee war ihm viel lieber. Helen goss sich das heiße Wasser in die zuvor präparierte Tasse ein und setzte sich mit einem sanften Lächeln zu ihrem Mann an den Tisch. Seine schlechte Morgenlaune konnte der Hausfrau nichts anhaben.
„Aber Liebling", begann sie. Ihre Stimme war sanft und hell. „Ich kann doch nicht einfach losziehen und alles Alte ersetzen", widersprach sie ihm und lächelte, sodass sich ihre Lachfalten noch deutlicher als zuvor von ihrem Gesicht hervorzeichneten. „Sonst müsste ich dich doch auch rauswerfen."
Larry lachte und legte seine Zeitung vom Neuen nieder. Helens Schlagfertigkeit war einer der Gründe, wieso er sie so liebte. Auch war sie die sanftmütigste Frau, die er kannte. Die Porzellantasse der Älteren klapperte leise, als sie diese auf den Unterteller stellte, nachdem sie kurz daran genippt hatte. Lächelnd sah sie zu ihrem Mann, er sah zu ihr zurück.
„Wohl wahr", gestand er. Er konnte nichts dagegensetzen.
Larry Jordan war Elektriker. Kein sonderlich spektakulärer Beruf, doch benötigte der Ältere kein Spektakel. Allgemein war der Einundsechzigjährige ein Mann, der ein gewöhnliches Leben führte. Er lebte in einem Vorort und das seit gut dreißig Jahren und war seit jeher mit derselben Frau verheiratet. Kinder hatte das Paar keine. Larry reparierte Tag ein Tag aus Telefonmasten, Sicherungskästen, Kabelanschlüsse und allerlei andere Dinge, die dann und wann den Geist aufgaben. In seiner Nachbarschaft war er gern gesehen, da er den Bewohnern immer wieder Gefälligkeiten tat, indem er ihnen Dinge reparierte und dabei keine Gegenleistung erwartete. Der Grauhaarige mochte sein Leben so, wie es war. Es war idyllisch. Es war einfach. Oder zumindest war es das gewesen.
Seit seinem Unfall vor etwa neun Monaten hatte es der Ergraute ruhiger angehen lassen. Bis auf ein paar Toaster und Mikrowellen seiner Nachbarn hatte er keine elektrischen Geräte mehr angefasst. Zum Zeitpunkt der Teilchenbeschleunigerexplosion hatte Larry einen Telefonmast repariert, dabei hatte Helen ihm immer wieder gesagt, er solle bei Gewitter die Finger davon lassen. Und so war es passiert. Die Druckwelle hatte einen Kurzschluss im Mast verursacht, Larry hatte einen Schlag bekommen. Er hatte großes Glück gehabt. Heute war er wieder fast komplett gesund und dankte jeden Tag Gott dafür, dass er noch immer hier sein durfte, bei Helen.
Die Genesung hatte ein paar Monate gedauert. Morgen sollte sein erster, richtiger Arbeitstag beginnen. Ein Telefonmast in der Innenstadt musste repariert werden. Seit seinem Unglück hatte sich der Elektriker von diesen Teufelsdingern bewusst ferngehalten, auch von der Stadt selbst. Starke Kopfschmerzen plagten Larry seit jeher, da behagte ihm der Trubel in Central City nicht, doch morgen war es an der Zeit, wieder in den Sattel zu steigen. Auch, weil das Geld allmählich knapp wurde.
Mit aufgehellter Miene, da seine Frau ihm trotz anhaltender Kopfschmerzen den Tag versüßte, widmete sich der Ältere wieder seiner Zeitung und trank einen Schluck von seinem Kaffee. Helen widmete sich ihrem Tee.
Das Festnetztelefon klingelte.
„Ich gehe schon, mein Liebling", sagte die Dunkelhaarige und erhob sich. Larry musterte ihre fein gedrehten Korkenzieherlocken und als sie außerhalb seines Blickfelds war, presste er sich die Hände auf die Ohren und verzog das Gesicht.
„Ja, hallo?", ertönte Helens Stimme in seinem Kopf, so als stünde sie direkt neben ihm und nicht ein Zimmer weiter. „Linda, welch eine Freude!"
Larry versuchte Helens Stimme sowie die seiner Schwägerin in seinem Kopf zu unterbinden. Ein Fiepen entstand in seinen Ohren, ähnlich dem des Teekessels. Der Elektriker wusste, dass etwas nicht mit ihm stimmte und das seit seinem Unfall. Er hörte absonderliche Geräusche und Stimmen. In der Nähe von Telefonen und Radios zu sein schmerzte seinen Kopf, bei anderer Elektrik war es kaum besser. Doch was sollte er tun? Helen wäre außer sich vor Sorge. Larry Jordan mochte sein gewöhnliches Leben und so ignorierte er das nun Ungewöhnliche darin. Auch, wenn es ihn immer mehr ängstigte.
Ein fröhliches Summen hallte durch das Zimmer einer Vierraumwohnung in Central City. Sam war soeben damit beschäftigt, ihre Bücher in ihre Unitasche zu packen. Zu diesem Zweck hatte sie die große, braune Ledertasche auf ihrem Schreibtisch abgestellt, neben dem sich ein großes Fenster befand, durch das das Licht der Sonne den Raum flutete. Sam liebte natürliches Sonnenlicht, doch war dies nicht der entscheidende Grund dafür gewesen, wieso sie dieses Zimmer bezogen hatte. Der entscheidende Faktor für die Wahl dieser Wohnung war die Aussicht gewesen, denn sah Sam von ihrem Zimmerfenster aus das, was zeitgleich auch der Grund für ihre gegenwärtige gute Laune war, oder zumindest einen erheblichen Anteil daran hatte – Star Labs. Das Labor ihrer Träume, von dem sie neun Monate lang geglaubt hatte, es wäre für immer geschlossen worden. Ein Irrtum, wie sie vor rund einer Woche erfahren hatte. Star Labs existierte noch immer, wenn auch nicht so wie zuvor, denn war es jetzt die Hauptzentrale für ein kleines Team, das Jagd auf Meta-Wesen machte, durch dunkle Materie genetisch veränderte Menschen als Folge der Teilchenbeschleunigerexplosion. Und dennoch, das Labor lebte und mit ihm Sams Traum, dass es eines Tages zu seinem alten Glanz zurückfinden würde, dann, wenn alle Meta-Wesen eingefangen und geheilt worden waren.
Sams Blick glitt zu dem Poster über ihrem Bett. Sogleich bildete sich ein strahlendes Lächeln auf ihren Lippen, während sie das Abbild von Harrison Wells betrachtete. Lange konnte sie es jedoch nicht ansehen, denn fing die Brünette glücklich zu glucksen an, ähnlich wie ein Teenagermädchen auf ihrem ersten Justin Bieber Konzert. Ja, sie hatte ihn getroffen, den Mann, zu dem sie schon so lange aufsah. Der Wissenschaftler war ihr ganz persönlicher Rockstar, ihr Held, ihr Idol. Und er war noch viel charmanter, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Dr. Wells leitete das Team, das die Meta-Wesen ausfindig machen wollte. Innerhalb dieser sieben Tage hatte sich die junge Studentin oft an das Zusammentreffen mit ihm zurückerinnert sowie an die netten Dinge, die er zu ihr gesagt hatte, seine Lobpreisungen und vor allem die Tatsache, dass er bereits gewusst hatte, wer sie war, da er ihre Publikation zu Wurmlöchern gelesen hatte. Dementsprechend schwebte die Brünette auf Wolke neun. Ihre andauernde depressive Phase hatte Sam hinter sich gelassen, sie blickte nun voller Hoffnung und mit neuem Mut gen Zukunft. Wieder sah sie zum Poster und wieder kicherte sie leise. Sie konnte noch immer nicht glauben, was vor einer Woche alles passiert war.
„Was gibt's zu lachen?", fragte Amber monoton, die am Türrahmen stand, eine Tasse Kaffee in der einen, die Fernbedienung in der anderen Hand. Sie trug eine Jogginghose und ein schwarzes T-Shirt. Sam drehte sich zu ihrer Freundin herum. Es war der Blondine anzusehen, dass sie – ganz im Gegensatz zu Sam – schlechte Laune hatte. Joe hatte Amber zwangsbeurlaubt, damit sie sich vom Giftgasangriff vollständig erholen konnte. Zu ihrem Schutz, was die Studentin guthieß, denn wäre ihre Freundin bereits am nächsten Tag wieder auf dem Revier erschienen. Joe West jedoch, Ambers Vorgesetzter, war niemand, dem man widersprach, nicht einmal die sture Polizistin. So war sie Zuhause geblieben, eine ganze Woche lang und mit jedem weiteren Tag war Ambers Laune mehr in den Keller gesunken. Sie hasste es, herumzusitzen und nichts zu tun. Bücher lesen oder Fernsehen schauen lagen ihr nicht, sie langweilte sich schnell, wenn in ihrem Leben nichts actionreiches passierte. Zudem verabscheute die Blondine das Gefühl, nutzlos zu sein.
„Nichts, ich habe einfach nur gute Laune", beantwortete Sam die Frage ihrer Freundin. Amber verzog keine Miene. Ein bisschen wirkte sie wie ein bockiges Kind, das keinen Lutscher haben durfte, nur, dass in dem Fall das CCPD der Lutscher war.
„Aha", kam es zurück.
Nicht einmal Ambers Miesepeter-Getue konnte Sam von ihrer kuscheligen Wolke herunterholen, weshalb sie ihre Unitasche schwungvoll schulterte, nachdem sie auch das letzte Buch hineingestopft hatte, und zur Polizistin lief. Mit einem breiten Grinsen umfasste sie Ambers Schultern.
„Komm schon Am, ab morgen darfst du wieder arbeiten gehen, du hast es fast geschafft", versuchte sie ihre Freundin aufzumuntern. „Und heute Abend gehen wir zur Feier deiner Genesung ins Kino, das ist doch auch was! Ich lade dich sogar ein", fuhr Sam fort und grinste breiter. Amber hob eine Augenbraue.
„Die depressive Sam gefiel mir besser", murmelte sie, doch auch ihre Lippen zierte allmählich ein leichtes Grinsen.
„Das stimmt doch gar nicht", entgegnete die Wissenschaftsstudentin und klopfte auf die Schulter ihrer Freundin. „Noch einen Tag Am. Mach's dir vor dem Fernseher bequem und ab morgen jagst du wieder böse Jungs", sagte Sam lachend, ehe sie an der Blondine vorbei in den Flur lief, wo sie in ihre Schuhe schlüpfte. Amber folgte ihr.
„Ein Glück, sonst wird das nächste Verbrechen in dieser Wohnung stattfinden", murmelte sie sarkastisch, woraufhin die Brünette, die sich soeben ihre Jacke überzog, grinsend zu ihr sah.
„Dafür liebst du mich zu sehr. Eher würdest du Mrs. Peterson im vierten Stock töten", erwiderte Sam amüsiert, woraufhin Amber nachdenklich nickte.
„Wie kann man auch fünf Mal am Tag staubsaugen?", fragte sie entrüstet.
„Sie kann ja zu uns saugen kommen, wenn es ihr so viel Spaß macht", witzelte Sam und kicherte. Die Polizistin blickte zu ihr.
„Jaja, ich gehe ja schon", murmelte die junge Studentin und hob kapitulierend die Hände. Amber hatte sie schon darauf hingewiesen, dass ihre gute Laune allmählich belastend wurde, doch war sich Sam sicher, dass ihre Freundin wesentlich weniger gereizt sein würde, sobald sie wieder arbeiten durfte. Sie war schon halb zur Tür raus, drehte sich jedoch noch einmal um und sah der Blondine ins Gesicht. Zaghaft kräuselte Sam ihre Lippen. „Schreibst du mir, falls du die Wohnung verlässt? Und auch sonst, ob alles in Ordnung ist?", fragte sie Amber, die mit den Augen rollte, da sie diese Überfürsorge nicht mochte. Dennoch nickte die Polizistin anschließend.
„Mache ich", murmelte sie. Sam strahlte sie an und huschte dann davon.
Federleichten Schrittes lief Sam die Treppen hinunter und aus dem Wohnhaus, wo sie das wärmende Licht der Sonne empfing. Sie hatte erst gegen Mittag ihre ersten Kurse, weshalb sie heute sogar hatte ausschlafen können. Es war ein schöner Tag und vielleicht lag es an ihrer Laune, doch kam Sam der Himmel noch blauer vor als sonst und das Sonnenlicht noch heller. Mit einem Lächeln auf den Lippen tapste sie den Gehweg entlang, auf den Weg zur Uni. Sie hatte das große Marmorgebäude fast erreicht, als sie jemanden rufen hörte.
„Sam!", ertönte eine weibliche, sanfte Stimme. Mit einem Lächeln, da sie die Stimme kannte, drehte sie sich herum und erblickte eine kleine, zierliche Frau mit schulterlangem, aschblondem Haar. Auf ihrem Gesicht hatten sich aufgrund des breiten Lächelns einige Grübchen gebildet. Neben ihr stand ein junger Mann mit bräunlicher Haut und schwarzem, kurzen Haar. Sie umfasste den Henkel ihrer Unitasche und lief zu den beiden.
„Hey!", grüßte sie ihre Freunde und kam vor ihnen zum Stehen.
„Du bist ja ausnahmsweise einmal früh dran", lobte die Blondhaarige Sam, wobei ihre blauen Augen sanft schimmerten.
„Diese Woche sogar schon das vierte Mal", kommentierte der junge Mann, der genauso groß war wie sie. Sie lachte und stupste beiden mit ihren Fingern in den Bauch.
Riley und Joshua waren ihre besten Freunde an der Uni. Die meisten Kurse hatte sie mit ihnen, sodass sie sich bereits früh zusammengerafft hatten. Aus anfänglichen Lerngruppentreffen hatte sich bald eine waschechte Freundschaft entwickelt.
„Lasst uns reingehen", schlug Sam mit einem Grinsen vor, denn wenn sie schon wiederholt pünktlich war, dann wollte sie dies auch nicht aufs Spiel setzen, indem sie sich vor der Uni verquatschte. Joshua und Riley setzten sich mit ihr in Bewegung, sodass sie gemeinsam die großen Steintreppen emporstiegen, zur Fakultät für Naturwissenschaften. „Wie geht's eigentlich deiner Mom? Du hast sie gestern Abend besucht, oder?", fragte Sam ihre Freundin.
Riley, die gut einen Kopf kleiner war als Sam, sah zu ihr auf. Ein trauriger Schimmer zierte ihre Augen, dennoch versuchte sie zu lächeln.
„Nicht so gut, ihre Leber und ihr Herz machen es nicht mehr so mit. Aber sie steht jetzt ganz oben auf der Transplantationsliste", erzählte sie. Mitfühlend verzog die Brünette das Gesicht und streichelte der Kleineren über die Schulter.
„Wenn sie ganz oben auf der Liste steht, dann kann es jeden Tag soweit sein, dass sie neue Organe bekommt", versuchte Sam ihre Freundin aufzumuntern. Josh neben ihr nickte.
„Ja Riles, bestimmt ist es bald soweit", stimmte er ihr zu. Die Blondine nickte dankbar lächelnd.
Rileys Mutter war zum Zeitpunkt der Teilchenbeschleunigerexplosion im Auto gewesen, um Einkäufe zu erledigen. Die Druckwelle der Explosion hatte sie die Kontrolle über den Wagen verlieren lassen – sie war gegen einen Baum geknallt. Nach einer ganzen Reihe von Operationen, um die schweren Unfallschäden zu beseitigen, hatten schließlich erst ihre Leber, dann ihr Herz schlappgemacht. Anders als Sam war Riley somit direkt von den Folgen der Explosion betroffen, denn schwebte Misses Anderson noch immer in Lebensgefahr, doch trotzdem gab sie – im Gegensatz zum Rest der Stadt – Star Labs und Harrison Wells speziell keine Schuld an dem Unglück. Auch sie war der Meinung, dass es ein Unfall gewesen war, den man so nicht hatte voraussehen können. Riley stand über den Dingen, einer der Gründe, wieso Sam die Blondine so mochte. Auch wusste Riley, dass ihre Freundin noch immer an Harrison Wells hing und er ihr Idol war, weshalb sie nie ein schlechtes Wort über ihn verloren hatte. Die Brünette hingegen hatte ihre Bewunderung für den Wissenschaftler seit jeher vor Riley auch nicht mehr an die große Glocke gehängt, sie hielt sich aus Respekt vor ihrer Mutter eher bedeckt vor ihren Freunden, was den Wissenschaftler anbelangte. Dafür bekam Amber die volle Ladung ab, sobald Sam Zuhause war.
„Und wie geht's Amber?", fragte Josh sie, als sie den Hörsaal betraten. Seine dunkelbraunen Augen musterten Sam und auch Riley verharrte einen Moment, während sie nebenbei nach freien Plätzen Ausschau hielt.
„Es geht ihr besser. Ab morgen darf sie wieder arbeiten", erzählte die Brünette glücklich. Selbstverständlich hatte sie den beiden nicht die genauen Umstände von Ambers Vergiftung erzählen dürfen. Auch hatte Sam verschwiegen, dass sie endlich Harrison Wells persönlich getroffen hatte. Riley hätte ihr sicher gern zugehört, dennoch wollte Sam auf keinen Fall ignorant sein, denn wusste sie, es würde der Blondine trotz ihres sanften Lächelns, das sie dann aufgesetzt hätte, nahegehen. „Nur ihre Laune ist", fügte Sam hinzu und formte ihre Finger zu einer Waffe, die sie sich an den Kopf hielt. Joshua und Riley lachten.
„Also ganz die Alte", bemerkte ihre Freundin und deutete dann auf drei freie Plätze. „Da vorn!", rief sie und lief los. Sam und Josh folgten ihr. Sie mussten sich an ein paar Studenten vorbeiquetschen, wobei die Brünette versehentlich auf ein paar Füße trat und sich jedes Mal hastig entschuldigte. An ihren Plätzen angekommen konnte sich Sam wieder entspannen. Mit einem Lächeln ließ sie sich auf dem Stuhl nieder und packte ihr Notizbuch sowie ihre Kurslektüre aus.
„Und", begann Josh unverfänglich, da er wusste, dass Riley nicht weiter über ihre Mutter sprechen wollte und bezüglich Amber alles gesagt war, und sah zu den beiden Frauen. „Wie sieht's mit morgen aus? Seid ihr dabei?", fragte er, doch musste Sam einen Moment überlegen, wobei sie dabei war, während Riley neben ihr wild nickte. Die junge Studentin dachte nach und verzog dabei das Gesicht, sodass ihre Freunde zu ihr sahen. „Hast du es vergessen?", fragte Josh und lehnte sich lässig vor, während er seinen Kopf mit der Hand abstützte.
„Mercury Labs, Tag der Zukunft", erinnerte Riley sie zuvorkommend.
Sam formte ihre Lippen zu einem ‚O' und stöhnte.
„Stimmt", lachte sie und rieb sich über die Stirn. Die ganze Sorge um Amber sowie ihre Tagträume über Harrison Wells hatten es völlig aus ihrem Kopf verdrängt.
„Wir wollten zu Dritt hingehen.", fuhr Joshua fort und verengte skeptisch die Augen. „Du bist doch noch dabei, oder Sam?", hakte er nach und die Brünette zögerte. Jetzt, wo sie wusste, dass Star Labs doch noch existierte und es vielleicht nur eine Frage der Zeit war, bis es wieder offiziell geöffnet wurde, hatte sie ihren Ausweichplan, bei Mercury Labs anzufangen, in die hinteren Bereiche ihres Kopfes verschoben.
„Sammy", bettelte Riley, die sich schon seit Wochen darauf freute. „Die bieten Werkstudentenstellen an, das ist unsere Chance! Wie cool wäre es, neben dem Studium dort zu arbeiten?", erklärte sie und nahm Sams und Joshs Hände. „Stellt euch nur vor, wir Drei in einem waschechten Labor. Das wäre so schön", schwärmte sie.
„Und der Tag der Zukunft ist die ideale Chance, um Kontakte zu knüpfen", stimmte der Schwarzhaarige zu.
„Genau. Und es ist zurzeit das führende Labor, landesweit", fügte Riley hinzu. Absichtlich ließ sie den Nachsatz ‚Jetzt, wo Star Labs aus dem Rennen ist' aus, Sam zuliebe, um sie nicht zu verletzen. Die Brünette seufzte und nickte dann, woraufhin Riley begeistert klatschte.
Der Tag der Zukunft glich einem Tag der offenen Tür. Nur, dass es geschäftlicher war. Allerlei Studenten wurden zu Lesungen und Vorträgen eingeladen. Es war die Möglichkeit, mit Mercury Labs erstmals richtig in Berührung zu kommen, um die dort heißbegehrten Stellen zu ergattern oder zu diesem Zweck erste Kontakte zu knüpfen. Christina McGee würde ebenfalls anwesend sein. Sie war die Hauptrednerin.
Sam wusste, sie würde in den nächsten Monaten und wahrscheinlich Jahren nicht in Star Labs arbeiten können. Es entsprach nicht ihrem eigentlichen Plan, doch musste sie wohl bei Mercury Labs einsteigen, aber sobald Star Labs wieder geöffnet wurde, würde sie sich sofort dort bewerben. Auch, weil sie in Mercury Labs bis dahin allerlei Erfahrungen gesammelt hätte. Nachdenklich lehnte sich die Brünette auf ihrem Stuhl zurück, als auch schon der Professor den Hörsaal betrat.
„Also treffen wir uns morgen vor Mercury Labs und gehen dann zusammen rein?", hakte Riley mit gesenkter Stimme nach, da das Getuschel und Gemurmel im Hörsaal nach und nach verstummte, und sah mit ihren großen, blauen Augen zu Sam und Joshua.
„Abgemacht", sagte der Schwarzhaarige, ehe die Blicke der beiden zu der Brünetten wanderten.
„Okay", stimmte auch sie zu und lächelte.
Am Abend gingen Sam und Amber wie geplant ins Kino. Bisher hatte sich die Laune der Blondine nicht gebessert, doch hoffte die Studentin, dass Popcorn, Nachos und ein guter Film ihre Stimmung vielleicht heben würden.
Sam kam gerade von der Kinokasse zurück, bei der sie die Karten für Amber und sich besorgt hatte, als sie plötzlich jemanden wiedererkannte. Er ragte über der Menge aufgrund seiner Größe hervor und trug ein kariertes Hemd sowie einen leichten Pulli darüber. Seine braunen Haare waren zur Seite gegelt. Sam, die keinerlei Berührungsängste hatte, wenn es um Menschen ging, die nicht als Poster über ihrem Bett hingen, lief zu ihm, ein sonniges Lächeln auf den Lippen.
„Hey, Barry!", grüßte sie den Großgewachsenen, der sich überrascht zu ihr herumdrehte.
Er war in Begleitung, was der jungen Wissenschaftsstudentin erst jetzt auffiel, andernfalls hätte sie sich nochmal überlegt ihn so ungeniert anzusprechen.
„Samantha", grüßte er sie überrascht.
„Hi", sagte sie und blieb vor ihm und seiner Begleiterin stehen. Sie war eine schöne Frau mit dunkler, schier porenfreier Haut. Ihre dunklen Haare fielen seidig über ihre Schultern. Neugierig beäugte sie Sam, die sich nun ebenfalls vorstellte und der Unbekannten ihre Hand reichte.
„Samantha Jones", stellte sie sich vor und die junge Frau ergriff ihre Hand mit einem Lächeln.
„Iris West", erwiderte sie freundlich. Irgendwoher kannte Sam diesen Namen. West wie Joe West, offensichtlich, doch damit hatte ihr Stutzen nichts zu tun. Iris war schließlich kein geläufiger Vorname, daher war sie sich umso sicherer, ihn irgendwo schon einmal gelesen zu haben.
„Woher kennt ihr beide euch?", fragte Iris, sodass Sam ihre Konzentration wieder auf sie lenkte. Im Hintergrund arbeitete ihr Kopf jedoch noch weiter.
„Wir kennen uns von", begann sie und bemerkte im Augenwinkel Barrys akribisches Kopfschütteln, der leicht hinter Iris stand, sodass sie von alledem nichts mitbekam. Von Star Labs, aber das durfte seine Begleiterin offenbar nicht erfahren. Was sollte sie also stattdessen sagen? Er war Forensiker, arbeitete er beim CCPD? Nur hatte sie ihn dort nie zuvor gesehen, was auch nicht verwunderlich war, da Sam bisher nur zwei Mal dort gewesen war. „Ähm", murmelte Sam und beobachtete, wie Barry mit seinen Lippen etwas formte, sie konnte es jedoch nicht ablesen.
„Was?", fragte sie versehentlich laut.
„Was?", erwiderte Iris und nervös lachend sah Sam zu ihr.
„Nein, ich meinte, wir kennen uns", begann sie und machte eine kurze Pause, sodass Barry einspringen konnte.
„Vom CCPD", fügte er hinzu.
„Vom CCPD, genau", stimmte sie ihm zu und deutete mit der Hand auf ihn. Sie hatte eigentlich geglaubt, er hätte ‚Skilanglaufsee' gesagt, was, jetzt, wo sie genauer darüber nachdachte, wenig Sinn ergab. „Meine Freundin Amber arbeitet dort, sie ist Polizistin, daher sind wir uns ab und zu über den Weg gelaufen", schloss Sam, um ihr kleines Fauxpas auszubessern und die Geschichte glaubwürdig rüberzubringen. Sie konnte förmlich spüren, wie Barry erleichtert ausatmete.
„Ach so, verstehe", erwiderte Iris mit einem Lächeln, ehe sie mit einem Blick, den die Brünette nicht deuten konnte, zum Forensiker sah. Derweil hatte Sam einen Moment Zeit um nachzudenken und da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
„Iris West, natürlich. Du bist die Bloggerin", riet sie und sogleich drehte sich die junge Frau mit einem glücklichen Ausdruck im Gesicht zu ihr.
„Du kennst meinen Blog?", fragte sie geschmeichelt und wild nickte Sam. Sie hatte ihn für ihre Recherche verwendet, als Kyle Nimbus begonnen hatte Leute anzugreifen. Der Gasmann hatte sie auf die anderen seltsamen Dinge, die sich in der Stadt abspielten, aufmerksam gemacht, darunter auch der rote Streifen auf den Schnappschüssen, der scheinbar Menschen rettete. Nun wusste sie, dass es Flash war, ein Meta-Wesen, das so schnell rannte, dass es von den Kameras nicht erfasst werden konnte. Er arbeitete mit Star Labs zusammen, doch durfte Sam darüber kein Wort verlieren. Iris hatte über ihn in ihrem Blog geschrieben.
„Ja, ich kenne ihn. Er ist wirklich sehr spannend und die Geschichten über Flash sind echt gut geschrieben", lobte Sam, doch verzog Iris nachdenklich das Gesicht.
„Flash?", fragte sie und neigte leicht ihren Kopf.
„Ich nenne ihn in meinem Blog eigentlich immer Red Streak."
Ups.
„Ja, weißt du", begann Sam und lachte nervös. „So nenne ich ihn immer, für mich selbst", versuchte sie sich herauszuwinden und scheinbar funktionierte es, denn begannen Iris' Augen zu strahlen.
„'Flash', das klingt wirklich wunderbar! Könnte ich diesen Namen zukünftig für meinen Blog verwenden?", fragte sie begeistert, woraufhin Sam lapidar mit den Schultern zuckte.
„Natürlich kannst du das, wir sind schließlich ein freies Land", scherzte sie, während Iris den Namen auf ihrem Handy notierte. Hoffentlich war es nicht allzu schlimm, dass der Name bald in aller Munde sein würde, doch solange niemand wusste wer er war und mit wem er zusammenarbeitete, war alles Paletti. Unauffällig rieb Sam ihre schwitzenden Handflächen über ihre Hose. Auch Barry schien leicht ins Schwitzen geraten zu sein, doch lag auch ein gewisser Stolz in seinen blaugrünen Augen, während Iris den Namen auf ihrem Handy notierte. Er beobachtete sie dabei.
„Iris West ... So wie Joe West?", versuchte Sam das Thema wieder umzulenken und sah sich unauffällig nach Amber um. Wo steckte sie nur? War die Schlange am Snackstand so lang?
„Ja genau, er ist mein Dad", entgegnete Iris, die ihr Handy wieder zurück in ihrer Tasche verschwinden ließ. Erkenntnisvoll öffnete Sam ihre Lippen. Amber hatte schon viel über Joe geredet, auch darüber, dass er sehr streng sein konnte, aber eben auch ein grandioser Polizist.
„Verstehe", sagte die junge Wissenschaftsstudentin mit einem Lächeln und erblickte dann Amber, die sich versuchte durch die Menschentraube durchzukämpfen und ihr vom Weiten winkte. Sam deutete auf sie. „Also, ich muss dann", sagte sie freundlich und musterte Barry und Iris. „Ich wünsche euch viel Spaß beim Film", verabschiedete sie sich aufrichtig und winkte den beiden.
„Mach's gut, Sam", verabschiedete sich Iris und auch Barry winkte ihr mit einem freundlichen Lächeln, ehe sie zurück zu Amber schritt und die Kinokarten hochhielt.
„Das hat ganz schön gedauert, Am", mahnte sie ihre Freundin, die das Paar, mit dem sich Sam soeben unterhalten hatte, neugierig musterte.
„Ja, tut mir leid, die Schlange war echt überirdisch lang", entgegnete sie. Sam konnte sie nicht abstellen, ihre Sorge, seitdem Amber von einem Giftgas-Meta-Wesen angegriffen worden war. Das Ereignis hatte sie dahingehend traumatisiert, dass sie ihrer Freundin mehrmals am Tag schrieb und fragte, ob alles in Ordnung war. Auch sorgte sie sich umgehend, wenn Amber länger wegblieb als gewöhnlich. Die Blondine mochte es nicht, das war Sam bewusst, doch sagte sie auch nichts dagegen, da Sams Reaktion verständlich war.
„Wer sind die beiden?", fragte die Polizistin neugierig, um das Thema ruhen zu lassen und kurz sah Sam über ihre Schulter und musterte Barry und Iris, die soeben in den Kinosaal gingen.
„Das war Barry, der Forensiker, der Star Labs bei deinem Fall geholfen hat, was aber niemand außer uns wissen darf. Und seine Begleiterin war Iris West", erzählte sie und drehte sich wieder zu Amber. „Joe Wests Tochter", fügte sie mit einem Lächeln hinzu, während Amber wie Sam zuvor erkenntnisvoll die Lippen öffnete.
„Wir sollten uns mit ihr anfreunden, dann hab' ich es vielleicht leichter mit Joe", erklärte die Polizistin trocken, woraufhin Sam kurz mit den Augen rollte und lachte.
„Gehen wir rein, der Film fängt gleich an", wies Sam ihre Freundin hin und schob sie in Richtung Kinosaal. „Ich habe auch extra einen Actionfilm ausgesucht, um dich für morgen schon Mal in Stimmung zu bringen", fügte die Brünette mit einem Grinsen hinzu. Amber ließ ein lautes Seufzen verlauten.
„Vermutlich werde ich nach der Sache sowieso wieder hinter den Schreibtisch verbannt", murmelte sie. Sam, die nun neben der Polizistin lief, sah nachdenklich zu ihr.
„Ich dachte du kannst es kaum erwarten, morgen wieder im CCPD zu arbeiten", erwiderte sie fragend. Amber nickte.
„Weißt du, selbst die Büroarbeit dort erfüllt mich", erklärte sie. Sam verstand, was sie meinte. Wenn man etwas wirklich liebte oder mit voller Leidenschaft tat, sowie Amber das Dasein als Polizistin und sie selbst hingegen als Wissenschaftlerin, die träumte bei Star Labs zu arbeiten, dann gab es nichts, was man diesbezüglich ungern arbeitete.
„Aber dennoch", fuhr die Blondine fort, während sie ihre Plätze aufsuchten, wobei Amber das Licht ihres Handys benutzte, um ihnen den Weg zu leuchten, „ich will endlich raus aufs Schlachtfeld und echte Polizeiarbeit leisten", gestand sie. Nachdem sie ihre Plätze eingenommen hatten, tätschelte Sam die Schulter ihrer Freundin.
„Das wirst du Am, da bin ich mir ganz sicher. Es wird schneller kommen, als du denkst", erklärte sie überzeugt und entlockte Amber das erste, echte Lächeln an diesem Tag.
Am nächsten Morgen war es endlich soweit – Amber fuhr zur Arbeit, zum CCPD. Ihre Genesungszeit war vorüber, doch war sie der Meinung, dass sie die Woche Ruhe nicht gebraucht hätte. Sie wäre sofort am nächsten Tag wieder auf der Matte erschienen und das putzmunter und kerngesund. Das Problem nur war gewesen, dass Dr. Snow, die Ärztin bei Star Labs, die sie wiederhergerichtet hatte, Joe darüber informiert hatte, dass eine Woche Auszeit ihr wohl guttäte. Und Joe war streng. Auch wusste Amber nun, dass er Vater war, denn hatte sie seine Tochter gestern Abend bei ihrem Kinobesuch mit Sam kurz gesehen. Väter reagierten ohnehin immer empfindlicher auf Gefahr als andere Menschen. Dennoch, ihre Auszeit war vorüber und Sams Hoffnung wurde erfüllt, denn besserte sich die Laune der Polizistin just in dem Moment, in dem sie das Gebäude des CCPDs erblickte. Zufrieden lächelte Amber und trat strammen Schrittes ein.
Im CCPD herrschte reges Treiben. Ein ruhiger Tag auf dem Revier war ebenso eine Seltenheit wie ein Skateboard fahrender Hund, wobei es davon mittlerweile sogar schon einige gab. Allerlei Polizisten eilten in den Büros umher und drückten ihren untergeordneten Kollegen Zettel in die Hand. Die erfahreneren Cops schoben Aufgaben wie Berichte schreiben und Recherche gern auf die jüngeren Polizisten ab, Amber blieb davon nicht verschont. Sie wollte soeben zu ihrem Arbeitsplatz laufen, als ihre Kollegen ihre Anwesenheit bemerkten und urplötzlich das, was sie davor getan hatten, unterbrachen. Stille kehrte ein, sodass Amber stutzig ihren Blick durch den Raum schweifen ließ. Jackson, ein Cop in den Vierzigern, erhob sich von seinem Stuhl und begann zu applaudieren. Es löste eine Art Kettenreaktion aus, denn folgten weitere Polizisten seinem Beispiel, sodass bald tosender Applaus im Büroabteil des CCPD herrschte. Amber war kein Mensch, der errötete und dennoch zierte in diesem Augenblick ein leichter Rotschimmer ihre sonst blassen Wangen. Verwirrt setzte sich die Blondine wieder in Bewegung, wobei ihr immer wieder auf die Schulter geklopft oder über den Rücken gestreichelt wurde. Hin und wieder hörte sie ein ‚Reife Leistung, Mason' oder ein ‚Wirklich mutig'. An ihrem Schreibtisch angekommen erwartete sie bereits Joe. Sie musterte ihren Vorgesetzten, der wie immer seine strenge Miene aufgesetzt hatte, die Amber jedoch weder beeindruckte noch verunsicherte. Die anderen Polizisten gingen allmählich wieder ihren Aufgaben nach.
„Wofür war das?", fragte sie den Älteren und legte ihre Jacke ab.
„Es hat sich schnell im Revier herumgesprochen, was Sie getan haben, Mason", erwiderte Joe, der mit vor der Brust verschränkten Armen an ihrem Schreibtisch lehnte, sich nun jedoch wieder aufrichtete, sodass er in seiner vollen Größe vor ihr stand. Amber glaubte ein kleines Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen.
„Ich habe mich zwar bereits bedankt, dennoch möchte ich heute noch einmal offiziell meinen Dank aussprechen", erklärte der Detective und reichte ihr seine Hand. „Von Cop zu Cop", konkretisierte er.
Einige Polizisten sahen zu ihnen, manche unauffällig, andere weniger. Amber blickte ihrem Vorgesetzten in die Augen, ehe sie lächelte, seine Hand ergriff und sie schüttelte.
„Ich bitte Sie Sir, das ist nichts, wofür Sie sich bedanken müssten. Weder offiziell, noch inoffiziell", winkte sie ab. Joe schüttelte den Kopf.
„Nicht viele hätten das getan, was Sie getan haben. Sie haben zudem schnell reagiert, gute Fertigkeiten für einen Cop", widersprach er ihr. Amber spürte ein glückliches Kribbeln in ihrem Brustkorb. Seine Anerkennung, danach hatte sie gestrebt. „Vielleicht wird aus Ihnen ja doch mal eine annehmbare Polizistin", fügte Joe hinzu und unweigerlich musste die Blondine grinsen.
„Danke, Sir."
Der Ältere nickte.
„Also dann, Mason, zurück an die Arbeit. Der Urlaub ist vorbei", fügte er an und reichte ihr eine Akte, die er die ganze Zeit in seiner Hand gehalten hatte, die Amber jedoch erst jetzt bemerkte. Sie nahm das Schriftstück entgegen. Sogleich entflammte der Ehrgeiz in ihr, sich ein weiteres Mal zu beweisen.
„Eine Serie von Raubüberfällen. Die Tresore wurden mit einem Kältestrahler aufgebrochen. Tragen Sie alle wichtigen Daten zu diesem Fall zusammen und erstellen Sie ein Täterprofil", befahl Detective West. Umgehend nickte Amber.
Sie hatte sich bereits an ihren Schreibtisch gesetzt und die Akte aufgeschlagen, als Joes Stimme ein weiteres Mal ertönte.
„Ach und Mason?", fragte er, sodass Amber aufsah.
„Ja, Sir?"
„Setzen Sie das nächste Mal nicht so leichtfertig Ihr Leben aufs Spiel."
„Ja, Sir."
Joe nickte zufrieden und ließ sie dann allein. Die junge Polizistin blätterte sich umgehend durch die Akte. Ein Täterprofil erstellen – eine der schwierigeren Aufgaben. Nichts, was man einfach so an unerfahrene Kollegen weitergab. Es war ein Test und Amber wusste, sie wollte ihn um jeden Preis bestehen.
In einem kleinen Randbezirk in Central City bereitete sich auch Larry auf seine bevorstehende Aufgabe vor. In seinem blauen Overall trat er vor die Tür, seinen Helm unter den Arm geklemmt. Er trug einen großen, wuchtigen Metallkoffer bei sich, in dem er seine Werkzeuge aufbewahrte. Helen hatte ihn bis vor die Tür begleitet. Er hauchte seiner Frau einen Abschiedskuss auf die Wange.
„Pass auf dich auf, mein Liebling", sagte sie mit einem Lächeln und streichelte über seinen runden Bauch. Der Elektriker nickte.
Helen stand die Sorge ins Gesicht geschrieben. Er wusste, dass sie sich wünschte er würde diesen Auftrag ablehnen, doch stand sein Job allmählich auf der Kippe. Die letzten Monate war sein Arbeitgeber aufgrund seines Unfalls nachsichtig gewesen, doch war damit allmählich Schluss. Er musste wieder einsteigen.
„Mache ich, mein Schatz. Wir sehen uns zum Abendbrot", sagte der Grauhaarige ruhig, um seiner Lebensgefährtin die Angst zu nehmen. Danach drehte er sich um und lief zu seinem Wagen. Helen winkte ihm noch einmal, ehe sie zurück ins Haus ging. Larry stieg in seinen alten Van und fuhr los. Musik lief in seinem Auto, jedoch verzog der Ältere bereits nach wenigen Sekunden das Gesicht und schaltete es aus. Auch vom Radio bekam er seit einiger Zeit Tinnitus. Eine der Nebenwirkungen, seitdem er den Unfall gehabt hatte. Und je mehr er sich der Stadt näherte, desto schlimmer wurde das Fiepen in seinem Ohr.
In der Aberdeen Street angekommen wuchtete der Elektriker seinen Koffer aus dem Van und musterte den Mast, den er reparieren sollte. Vor einiger Zeit hatte das Wetter verrückt gespielt und ein Auto dagegen krachen lassen. Dabei waren einige Kabel geschädigt worden und diese sollte Larry nun ersetzen. Wieder verzog der Grauhaarige sein Gesicht und rieb sich die Schläfe. Er hörte dutzende Stimmen, die durcheinander sprachen, dabei waren nur wenige Menschen auf der Straße unterwegs, da ein Großteil auf der Arbeit war. Larry schloss die Augen und versuchte die Stimmen auszublenden. Der Elektriker schüttelte den Kopf, so als wolle er eine lästige Fliege vertreiben, und lief dann zum Mast. Er erklomm die kleine angebrachte Stahlleiter. Das notwendige Werkzeug sowie die neuen Kabel, die er bereits im Van gehabt hatte, hatte er bei sich. Larry nahm soeben eine Beißzange aus der Halterung an seinem Gurt, als das Fiepen wieder lauter wurde. Er hielt inne.
„Und du hast an den Sellerie gedacht?", ertönte es in seinem Kopf.
„Wie war es in der Schule?"
„Und dann hat er allen ernstes Lucie Boldwin nach einem Date gefragt."
„Ich sage es dir noch einmal, so kann das nicht weitergehen!"
„Ich wollte mich erkundigen, ob meine Reservierung zu um Acht angenommen wurde."
Die Stimmen wurden lauter. Es wurden mehr. Sie sprachen durcheinander. Alles war ohne Kontext, ohne Sinn, doch konnte Larry die Geräusche nicht abstellen.
„Zum Teufel nochmal", fluchte er verzweifelt. Es wurde schlimmer. Mit jedem Tag. Allmählich bekam es der Grauhaarige mit der Angst zu tun.
„Hallo, Pizzalieferdienst, was kann ich für Sie tun?"
„Ich möchte nicht, Okay? Lass mich bitte in Ruhe."
„Das sollten wir unbedingt wiederholen, was sagst du, nächsten Freitag?"
Larry stieß einen wütenden Laut aus. Er konnte nicht einmal mehr seine eigenen Gedanken hören, so laut wurden die Stimmen allmählich.
„Verflucht nochmal, seid endlich still!", wetterte er, fuchtelte mit dem Arm umher und spürte, wie er das Gleichgewicht verlor. Er hatte vergessen, wo er sich befand, nämlich gut zehn Meter über der Erde. Der Ergraute versuchte sich festzuhalten, doch zu spät – er verlor den Halt und kippte nach hinten. Mit weit aufgerissenen Augen fiel er. Er dachte an Helen, hoffte, dass sie sich nicht allzu sehr sorgen würde, wenn der Anruf vom Krankenhaus kam. Er hatte vergessen seinen Helm aufzusetzen. Er kniff die Augen fest zusammen und sein Herz raste, er hatte Todesangst. Der erwartete Aufprall jedoch blieb aus.
Larry Jordan war verschwunden.
Lediglich die Beißzange, die er zuvor noch in der Hand gehalten hatte, landete mit einem lauten Klirren auf dem Asphalt. Der Telefonmast sprühte ein paar Funken. Es knackte und knisterte unheilvoll – danach wurde es still.
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