Kapitel 32 - Beschützerinstinkt
An diesem Morgen nahm Sam den Bus, anstatt von ihrer Wohnung aus bis zu Star Labs zu laufen. Sie hatte kein Interesse, Eiling vom Neuen zu begegnen, denn offensichtlich ließ er das Labor tatsächlich bewachen, so, wie Dr. Wells es bereits spekuliert hatte.
Die Brünette stieg aus dem Gefährt und lief über den großen, leeren Parkplatz. Dabei rieb sie sich gedankenverloren das Handgelenk. Der General hatte sich gewiss nicht zurückgehalten, als er sie gepackt hatte. Der Abdruck war noch immer zu erkennen, mittlerweile hatte er sich leicht bläulich verfärbt. Eine Warnung an sie, dass sie den Grauhaarigen nicht unterschätzen sollte.
Sam sah auf ihre Hand und drehte sie. Es schmerzte kaum. Ein blauer Fleck, mehr war es nicht. Sie sah wieder nach vorn, betrachtete Star Labs. Eiling hatte gewusst, wie er sie ködern musste und tatsächlich malte sie sich hin und wieder gedanklich aus, wie schön es wäre, wenn das Labor seine Zulassung zurückbekommen würde. Nur ein Tagtraum, leider, denn annehmen würde sie das Angebot, obgleich es sie gereizt hatte und noch immer reizte, sicher nicht. Nicht für den Preis, den sie dafür zahlen müsste. Sie würde andere Wege finden, ehrliche Wege.
Die Brünette betrat den Fahrstuhl und betätigte den Knopf, der sie in die Hauptebene des Gebäudes bringen würde. Abwesend beobachtete sie, wie die Zahlenanzeige am oberen Rand der Fahrstuhlkabine nach oben kletterte. Als das helle, wohltuende ‚Pling' ertönte und sich die Türen öffneten, stieg Sam aus. Sie lief durch den Flur und begegnete gerade heute, gerade jetzt, wo sie es nicht wollte, dem Wissenschaftler, so, wie sie es sich gestern eigentlich gewünscht hatte. Manchmal spielte das Universum unfair.
„Samantha", grüßte sie der Dunkelhaarige mit einem erhabenen Lächeln.
„Hallo, Dr. Wells", sagte sie und lächelte ebenfalls, während sie unauffällig ihre verletzte Hand hinter ihrem Rücken verbarg. Sie wollte nicht, dass er darauf aufmerksam wurde.
„Morgen ist es endlich soweit", erinnerte er sie.
Nun kam Sam nicht umhin als breit zu grinsen, während sie ihren Blick senkte. Ja, morgen war Weihnachten, endlich. Und seltsamerweise war ihr gestern Abend im Bett, nach ihrer unschönen Begegnung mit Eiling, eingefallen, was sie dem Dunkelhaarigen schenken könnte.
„Ja, ich kann es kaum erwarten", gestand Sam glücklich und blickte wieder in die eisblauen Augen ihres Gegenübers. „Und ich hoffe, Sie können unsere kleine Feier im Cortex ebenfalls genießen, Dr. Wells, auch, wenn Sie Weihnachten nicht so mögen."
Der Dunkelhaarige schnaubte lächelnd.
„Bestimmt kann ich das", antwortete er.
„Ich werde mir auf jeden Fall Mühe geben, dass es so kommt", lachte Sam und fuhr sich durchs Haar. Versehentlich mit ihrer verletzten Hand, sodass Harrison auf ihr bläuliches Handgelenk aufmerksam wurde. Seine Augen wanderten zu der Stelle, ehe er sie fragend verengte und sich auf sie zubewegte.
„Samantha", sagte er, Ernst lag in seiner Stimme sowie Sorge. Er hob seine Hand und umfasste ihren Arm, um ihn zu sich zu ziehen. Ganz anders als Eiling ging er dabei sanft vor, behutsam. „Was ist passiert?", fragte er, während er die Stelle beäugte.
Nun wurde der jungen Wissenschaftlerin ihr Fehler bewusst. Verärgert über ihre eigene Unachtsamkeit biss sie sich auf die Unterlippe.
„Das? Das ist nichts", winkte sie ab.
Harrison hob eine Augenbraue.
„Es sieht aber nicht nach ‚Nichts' aus, Samantha." Er betrachtete die Stelle eingehend und ließ seinen Daumen vorsichtig über ihre verfärbte Haut fahren. Sam spürte, wie mehrere Stromschläge durch ihren Körper zuckten, ausgehend von der Stelle, an der er sie berührte. Ihr Herzschlag begann sich rapide zu beschleunigen, während ihr gesamter Arm zu kribbeln begann, so als würde er taub werden.
Harrison sah ihr wieder in die Augen.
„Wer war das?", wollte er nun wissen. Sein Blick war eindringlich, sodass die junge Frau ihren Kopf zur Seite drehte und leicht die Lippen verzog.
„General Eiling, er", begann sie zögerlich, denn wollte sie das Aufeinandertreffen mit dem Soldaten nicht an die große Glocke hängen, „es ging wieder um Bette. Er war gestern vor meiner Wohnung, aber es ist nicht so schlimm, wie es aussieht, Dr. Wells", beschwichtigte Sam.
Der Dunkelhaarige hielt ihr Handgelenk nach wie vor umschlossen. Sie spürte, wie ihr allmählich jegliches Blut in die Wangen schoss. Wenn es nach ihr ginge, dann sollte er sie nicht loslassen.
„Er war vor deiner Wohnung?", fragte er, Wut lag in seiner Stimme „Das ist inakzeptabel. Er ist zu weit gegangen." Sein Blick glitt wieder zu ihrer Hand. „Definitiv zu weit", schloss er.
„Es ist in Ordnung, es ist ja nichts weiter passiert", sagte Sam leise.
„Nein, es ist nicht in Ordnung, Samantha." Harrison sah ihr wieder in die Augen, sein Daumen streichelte ein weiteres Mal über ihr Handgelenk. Der jungen Frau wurde schwummrig, sie fühlte sich wie benommen. Zu ihrem Leid ließ er wieder von ihr ab. „Samantha", sagte er, ein Appell in seiner Stimme. „Ich möchte nicht, dass du in nächster Zeit alleine nach Hause läufst. Caitlin kann dich fahren oder Barry dich bringen."
Zaghaft schüttelte Sam ihren Kopf. Sie wollte sicher keine Belastung sein, für niemanden.
„Dr. Wells, das ist nicht nötig, ich" -
„Doch, es ist nötig", sagte er mit Nachdruck. „Eiling kennt keine Grenzen, Samantha und ich kann sicherlich erst ruhig schlafen, wenn ich weiß, dass du sicher Zuhause angekommen bist. Im Notfall kann auch ich dich nach Hause bringen."
„Barry und Caitlin, ich frage sie mal", erwiderte sie wie aus der Pistole geschossen.
Als ob sie das Angebot, dass der Wissenschaftler persönlich sie nach Hause geleitete, annehmen könnte. Sie wollte seine kostbare Zeit nicht verschwenden und zudem würde es ihr Herz vermutlich nicht überleben. Ein Spaziergang am Tage war das Eine. Der Gang zu ihrer Wohnung bei Abend etwas völlig Anderes. Bettes Worte begannen in ihrem Kopf umher zu schwirren.
„Ich werde sie wohl besser selbst fragen, denn habe ich das Gefühl, dass du es nicht tun wirst, weil du ihnen nicht zur Last fallen willst", erwiderte der Wissenschaftler mit hochgezogener Augenbraue.
Sam öffnete ihre Lippen, musste jedoch gestehen, dass er mit seiner Aussage ins Schwarze getroffen hatte.
„Deine Selbstlosigkeit in allen Ehren, Samantha, aber dann lass wenigstens mich auf dich Acht geben, in Ordnung?"
Zaghaft lächelte die junge Wissenschaftlerin.
„In Ordnung, Dr. Wells. Wenn Sie dann Nachts ruhiger schlafen können."
Der Ältere lachte leise.
„Ja, kann ich."
Sein Blick glitt wieder zu ihrem Handgelenk.
„Hast du Schmerzen? Wenn ja werde ich Caitlin gleich bitten, dass sie es sich ansieht", schlug er vor. Hastig schüttelte Sam ihren Kopf und umfasste die Stelle, die er wenige Minuten zuvor berührt hatte. Sie kribbelte noch immer.
„Nein, es tut nicht weh."
Ein blaues Augenpaar musterte sie eingehend.
„Wirklich", bekräftigte sie verlegen grinsend.
„Nun gut", gab er sich zufrieden, wenn auch mit leichtem Widerwillen. Es schmeichelte Sam, wie sehr er sich um sie sorgte.
„Also dann", sagte die junge Frau sanft und deutete hinter Harrison. „Ich werde dann mit Bette trainieren, wenn das okay ist."
Der Dunkelhaarige lächelte wieder.
„Natürlich", sagte er, ehe er mit seinem Rollstuhl zur Seite fuhr, um ihr Platz zu machen. „Ich wünsche dir viel Erfolg, Samantha. Wenn du etwas brauchst, ich bin im Cortex", ließ er sie wissen. Die Wissenschaftlerin nickte.
„Okay", erwiderte sie und verschränkte ihre Hände ineinander. „Wir sehen uns dann später, Dr. Wells."
„Bis später", antwortete der Dunkelhaarige warmherzig.
Während Sam mit Bette und Cisco an den Fähigkeiten der Rothaarigen arbeitete, war sie zugegeben etwas abgelenkt. Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, nicht jedoch zu Eiling, der ihr durchaus Angst gemacht hatte mit seiner Drohung. Nein, Sams Gedanken waren bei Harrison, der sich wie stets fürsorglich um sie kümmerte, auf sie Acht gab. Wie er ihr Handgelenk berührt hatte - es war seltsam. Des Öfteren schon hatte der Wissenschaftler sie an der Hand berührt, doch heute, da hatte es sich anders angefühlt. Heute hatte sie noch viel intensiver darauf reagiert und Sam kam nicht umhin als an Bettes Worte zurückzudenken. Vielleicht jedoch waren ihre Reaktionen auf die Berührungen Harrisons schon immer gleich gewesen, nur ihre Wahrnehmung hatte sich gewandelt. Was es auch war, etwas hatte sich verändert, so als säe sie die Dinge jetzt klarer. Sam jedoch versuchte weiterhin, ihre Augen vor dem zu verschließen, was schon so lange offen vor ihr lag.
Es knallte.
„Ach, verdammt", grummelte Bette und warf ihren Lederhandschuh wütend auf den Boden.
Sam war nicht die einzige heute, die abgelenkt war. Die Soldatin schien ebenfalls nicht auf der Höhe, denn war das Training wenig erfolgreich. Die Papierschnipsel, die Sam ihr reichte, explodierten nach einiger Zeit. Spätestens dann, wenn Cisco ein lautes Geräusch von seinem Handy abspielte, um Bette zu erschrecken oder sie zumindest abzulenken. Eine neue Aufgabe, die sich die junge Wissenschaftlerin für ihren Kollegen ausgedacht hatte, schließlich mussten sie Bette unter normalen Bedingungen konditionieren. Im realen Leben, dort, wohin sie zurückwollte, da war es nicht ständig ruhig und still. Sie musste mit Druck umgehen können, mit Lärm und Ablenkung und es dennoch schaffen ihre Fähigkeiten zu beherrschen.
„Hier, versuch's nochmal", bot Sam mit einem warmen Lächeln an und reicht ihr das nächste Zettelchen.
Zögerlich nahm sie es entgegen und hielt es in ihrer Hand. Die Drei warteten, Bette verzog leicht angestrengt ihr Gesicht. Schweigend musterte Sam den Schnipsel, der nach wie vor weiß blieb. Sie warf Cisco einen Blick zu, dieser kam der stummen Aufforderung nach und ließ ein helles Trompetentröten ertönen.
Sogleich verfärbte sich der Zettel Lila, Bette schmiss ihn von sich. Er segelte zu Boden.
Drei, zwei, eins. Er explodierte.
„Verdammt!", wetterte Bette.
Mitleidig verzog Sam ihr Gesicht.
„Das bringt doch nichts."
Sam näherte sich der Rothaarigen und berührte sie zaghaft an der Schulter. Mit ihrer gesunden Hand, wohlgemerkt. Sie musste nun wirklich nichts von Eilings unliebsamen Besuch mitbekommen.
Bette sah über ihre Schulter zur Wissenschaftlerin. Sam konnte es sehen, konnte sehen, dass sie nicht konzentriert war.
„Willst du vielleicht eine Pause einlegen?", bot sie an und lächelte sanft.
Bette nickte.
„Klingt gut, sonst haue ich ihm noch eine rein, mit seiner blöden App", murmelte sie und deutete mit einer kurzen Kopfbewegung auf Cisco, der sein Handy schüttelte, um ein Peitschengeräusch entstehen zu lassen und sich wahnsinnig darüber freute.
Sam prustete leise.
„Das kann ich verstehen", sagte sie. Bette löste sich von ihr, zog sich ihren Handschuh rasch über und verließ dann den Teilchenbeschleuniger. Nachdenklich blickte die Brünette ihr hinterher, beschloss jedoch, ihr zu folgen und herauszufinden, was mit ihr los war. Seit Tagen schon schien die Soldatin über etwas zu brüten.
„Cisco, wir legen eine Pause ein. Ich gehe mit Bette mit, wir sehen uns später, ja?", ließ sie den Langhaarigen wissen, der soeben ein Elefantentröten ertönen ließ. Mit einem kindlichen Grinsen blickte er zu Sam.
„Alles klar", erwiderte er.
Daraufhin setzte sich die Wissenschaftlerin in Bewegung und eilte der Rothaarigen hinterher.
Im Flur holte Sam die Meta-Frau schließlich ein.
„Bette, warte", bat sie die Rothaarige, die ihrer Aufforderung nachkam und stehenblieb. Fragend drehte sie sich zur jungen Wissenschaftlerin herum.
Leise schnaubend kam sie neben ihr zum Stehen. Sam hatte definitiv nicht so viel Ausdauer wie Bette, die Soldatin hingegen war ungeduldiger als es die Brünette war - zumindest in Bezug auf ihre Fähigkeiten.
„Was gibt's denn?", fragte ihr Gegenüber nun.
Sam lächelte zaghaft.
„Ich wollte nur fragen, ob alles in Ordnung mit dir ist."
Verwirrt verzog Bette ihr Gesicht.
„Naja, weil du heute abgelenkt wirkst, deshalb. Ich mache mir ein wenig Sorgen um dich, weil ich es schon in den letzten Tagen beobachtet habe und es scheint schlimmer zu werden", erklärte sie und gestikulierte dabei unbeholfen mit ihren Händen. Sie wollte die Soldatin sicher nicht belagern, doch sah sie in ihr seit einiger Zeit nunmehr eine Freundin als einen bloßen Gast in ihrem liebsten Labor.
Bette drehte sich gänzlich zu ihr herum und fuhr sich seufzend durchs feuerrote Haar. In Gegenwart Sams war sie offener geworden, zugänglicher. Das anfängliche Misstrauen gänzlich verschwunden.
„Ja, weißt du, ich bin heute nicht so in Stimmung", murmelte sie. Ihre grünen Augen musterten die Brünette entschuldigend.
„Ja aber, morgen ist Weihnachten", erinnerte sie sie, so, wie Dr. Wells es zuvor bei ihr getan hatte.
Die Soldatin zog eine Augenbraue nach oben. Offensichtlich zog dieser Aufmunterungsversuch nur bei ihr selbst. Nachdenklich verzog die Jüngere ihre Lippen.
„Darf ich fragen, was dich bedrückt?", hakte die junge Frau jetzt stattdessen nach, willens, Bette irgendwie zu helfen, wenn sie ihre Stimmung schon nicht mit der Tatsache, dass in weniger als vierundzwanzig Stunden Weihnachten war, heben konnte.
Bette zögerte einen Moment, entschied sich jedoch dazu, die Brünette in ihre Gefühlswelt einzuweihen. Sie erkannte Sams guten Willen, ihre Aufrichtigkeit.
„Ich bin eingesperrt, Sam", offenbarte sie.
Sams Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Was? Nein, Quatsch, du bist doch nicht eingesperrt. Wir halten dich hier doch nicht fest, wir versuchen nur dir zu helfen", widersprach sie sanft.
„Ihr haltet mich nicht gefangen, das weiß ich. Aber dennoch bin ich eingesperrt, ich kann nicht raus, an die frische Luft. Kann nicht in den Schnee, ich sehe ihn immer nur von meinem Fenster aus, mehr nicht. Wells betont immer wieder, dass es zu riskant wäre, nach Draußen zu gehen, weil Eiling spekuliert, dass ich hier bin", erklärte die Rothaarige. „Ich war so oft schon kurz davor, mir einfach eine Mütze zu schnappen und mich nach Draußen zu schleichen, in der Hoffnung, dass seine Männer mich nicht entdecken oder erkennen."
Mitleidig verzog Sam ihr Gesicht. Sie konnte Bette verstehen. Seit Wochen sah sie nichts als das Innere dieses Labors, dabei weckten Labore schlechte Erinnerungen in ihr. Die Brünette konnte sich nur im Entferntesten ausmalen, wie sich die Soldatin wohl fühlen musste.
Sie blickte zur Seite und musterte ihr Handgelenk, das sie hinter ihrem Rücken versteckt hielt. Es war definitiv zu gefährlich, Bette nach Draußen zu lassen. Eiling würde sie schnappen und Schlimmes mit ihr anstellen. Sie durften es nicht riskieren, vor allem nicht bei einem Monster wie ihm.
Sam sah wieder zu Bette, nach einer Alternative suchend. Einen Kompromiss, um weiterhin die Sicherheit der Soldatin zu gewährleisten, ihr jedoch auch jenes zu geben, nach dem sie sich so sehr sehnte - Freiheit.
Und da kam ihr ein Gedanke. Die Brünette schnippte.
„Warte, gib mir ein paar Minuten", bat sie die Rothaarige mit einem Lächeln.
Fragend zog Bette ihre Augenbrauen zusammen.
„Ich habe da vielleicht eine Idee, aber ich muss das zuerst abklären, in Ordnung?"
„In Ordnung", murmelte die Meta-Frau, noch immer perplex. Lächelnd tätschelte Wissenschaftlerin ihre Schulter und joggte schließlich los.
Sams Weg führte sie geradewegs in den Cortex.
Barry, Caitlin und Dr. Wells waren anwesend. Die Drei unterhielten sich, betrieben Smalltalk. Die Stimmung war, aufgrund der Tatsache, dass morgen der Tag war, an dem sich vielleicht auch das Böse einmal freinehmen würde, ausgelassen.
Harrison drehte seinen Kopf über seine Schulter, als er ihre Anwesenheit bemerkte, und musterte sie.
„Samantha", sagte er. Nun sahen auch Barry und Caitlin zu ihr. „Ist etwas passiert?"
Sam schüttelte rasch ihren Kopf und gab somit Entwarnung.
„Nein, nein, es ist alles in Ordnung", versicherte sie ihm mit einem schüchternen Lächeln und trat an das Pult heran. „Ich wollte nur was mit Ihnen besprechen."
Harrison drehte sich mit seinem Rollstuhl herum, die Ärztin und der Speedster blickten weiterhin über ihre Schultern, neugierig darauf, was sie wohl zu sagen hatte.
„Es geht um Bette", leitete sie ihr Anliegen ein.
Aufmerksam musterte der Dunkelhaarige sie und verschränkte seine Arme vor der Brust.
„Ja?", animierte er sie dazu, weiterzusprechen.
„Sie muss raus, Dr. Wells. Dringend. Frische Luft schnappen", erklärte sie und verzog einfühlsam ihr Gesicht. „Es ist allein schon eine Zumutung für sie, überhaupt in einem Labor zu wohnen, aber dass sie regelrecht hier eingesperrt ist, das tut ihr nicht gut. Sie musste schon genug durch machen, muss es noch immer."
Der Wissenschaftler fuhr mit seinem Daumen nachdenklich über seine Unterlippe.
„Ich verstehe dein Anliegen, Samantha, tue ich wirklich, nur befürchte ich, dass es viel zu riskant ist, Miss Sans Souci nach Draußen zu lassen."
Sam lächelte leicht.
„Ja, das weiß ich und ich wusste auch, dass Sie das sagen würden, Dr. Wells. Daher habe ich mir was überlegt, einen kleinen Kompromiss."
Der Dunkelhaarige hob interessiert beide Augenbrauen an.
„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg", sagte Sam überzeugt und deutete mit dem Finger nach oben.
Einige Minuten später fand sich das gesamte Team auf dem Dach des Gebäudes wieder.
Es war mit Schnee bedeckt.
Glücklich ließ Sam ihren Blick umherschweifen. Dadurch, dass das Dach sonst niemand betrat, war der Schnee unberührt. Keine Fußabdrücke, außer jene, die unter den Schuhen der Teammitglieder entstanden. Nur Weiß. Strahlendes, weiches Weiß.
Bette stand einige Meter abseits vom Team und sah sich, ebenso wie Sam, um. Tief atmete die Soldatin ein und schloss dabei mit einem Lächeln auf den Lippen ihre Augen. Sie genoss. Genoss die Freiheit, vergaß für einen Moment die Mauern, die sich unter ihren Füßen befanden sowie die Wachhunde Eilings, die sie umzingelt hatten. Hier oben war sie für einen Moment frei.
Glücklich beobachtete Sam die Rothaarige, wobei sich ihre Mundwinkel zufrieden nach oben zogen.
Caitlin neben ihr atmete ebenfalls tief ein und genoss die frische Luft.
Cisco fröstelte.
„Es ist arschkalt", murmelte er und rieb sich die Arme.
„Psht", unterbrach Sam ihn und warf ihm einen mahnenden Blick zu. „Du machst den Moment kaputt. Genieße einfach."
Schmollend verzog Cisco seine Lippen.
Harrison neben ihnen schnaubte amüsiert, ehe er wieder zu Bette sah.
„Das war eine gute Idee, Samantha", lobte er ihren Einfallsreichtum. Die junge Frau schmunzelte.
„Ja, das finde ich auch", erwiderte sie.
Harrison hob spielerisch eine Augenbraue.
„Nanu, heute so selbstbewusst?", fragte er sie und entlockte ihr ein leises Lachen.
„Immer, Dr. Wells, immer", konterte sie mit einem Zwinkern. Wenn sie ehrlich war, dann fielen ihr die Minusgrade gar nicht auf und das, obwohl sie so wie die Anderen keine Jacke trug. Nicht, wenn sie neben dem Wissenschaftler stand. Da benötigte sie keine Jacke.
Sams Inneres begann vom Neuen zu kribbeln, als sich ihre Blicke trafen, sodass sie wieder rasch nach vorn blickte und jene Gedanken, die sich in ihrem Kopf manifestieren wollten, verdrängte. Es war Weihnachten, da wurde sie immer gefühlsduselig. Dass sie so empfand, wie sie es jetzt gerade tat, das lag am Schnee und am morgigen Feiertag. An ihrer Euphorie.
Langsam schritt die Brünette auf Bette zu. Ihre Schritte verursachten ein leises Knirschen.
„Und wie ist es?", fragte Sam leise, da sie die Soldatin nicht stören wollte und lächelte warmherzig. „Ich weiß, es ist nicht dasselbe, wie wirklich frei zu sein, aber wenigstens kannst du frische Luft schnappen", erklärte sie ihren Gedanken hinter dem kleinen Ausflug.
Bette schenkte ihr ebenfalls ein Lächeln. Ein echtes Lächeln.
„Danke, Sam", sagte sie. „Es geht mir tatsächlich schon etwas besser."
Glücklich strahlte die junge Wissenschaftlerin.
„Das freut mich, Bette. Das freut mich aufrichtig", sagte sie.
Am liebsten hätte Sam den innigen Moment zwischen der Rothaarigen und ihr noch etwas länger genossen, doch landete im nächsten Augenblick ein Schneeball in ihrem Gesicht, sodass sie erschrocken zusammenzuckte. Augen und Mund aufgerissen erstarrte Sam. Es war nass. Und kalt. Sie drehte sich herum.
„Cisco!", wetterte sie, musste jedoch dabei lachen. „Du Arsch!"
„Was denn? Ich genieße, wie du gesagt hast", flötete er und setzte ein provokantes Grinsen auf.
Zugegeben, am liebsten würde sie Bette werfen lassen, stattdessen formte Sam jedoch selbst einen Schneeball und warf ihn nach dem Langhaarigen. Er verfehlte ihn knapp.
„War das alles?", animierte er sie und schmiss selbst wieder mit Schnee nach ihr.
Lachend wich Sam aus., während das Team die Szene amüsiert beobachtete.
„Pass mal auf, hier kommt die Schneeball-Bazooka", rief sie, knetete einen weiteren Schneeball und schmiss ihn infolge einer ungeschickten Armbewegung nach dem Langhaarigen.
Zumindest hatte sie es vorgehabt. Sam war miserabel im Werfen, was weitere Distanzen anbelangte. Im Bierpong gut, in einer Schneeballschlacht mies.
Denn anstatt Cisco zu treffen, landete der Schneeball in Harrisons Gesicht.
Sam erstarrte, Cisco schlug sich die Hand vor den Mund.
Barry und Caitlin sahen mit großen Augen zur Brünetten, danach zu ihrem Mentor, der langsam seine Brille abnahm, deren Gläser mit Schnee bedeckt waren. Ebenso wie der Rest seines Gesichts.
„Oh mein Gott", entwich es Sam. Für einen Moment war sie zu Stein erstarrt. „Dr. Wells!", sagte sie und eilte zu ihm. Ihr Gesicht war feuerrot angelaufen und bildete einen starken Kontrast zum weißen Schnee um sie herum. „Das tut mir so, so, so leid!"
Cisco prustete nun laut in seine Hand. Bettes Mundwinkel zuckten stark.
„Samantha", sagte der Wissenschaftler, kam jedoch nicht weiter, denn hatte sich die junge Frau bereits zu ihm gebeugt und begann über sein Gesicht zu wischen, um den Schnee zu beseitigen. Dabei nuschelte sie immer wieder ‚so, so Leid'.
„Samantha", versuchte es Harrison erneut und schnaubte amüsiert. „Es ist in Ordnung."
„Nein, ist es nicht, Sie sind mein Idol und ich habe Sie mit Schnee beworfen", murmelte sie jenseits von Gut und Böse, derweil ihre Finger zaghaft über sein Gesicht strichen, um den Schnee zu beseitigen. Dabei gingen sie so behutsam vor, als bestünde der Dunkelhaarige aus Glas, das zerbrach, wenn sie auch nur minimal zu viel Kraft anwandte.
„Ja, jedoch versehentlich, oder?" Er zog eine Augenbraue nach oben, ließ sie jedoch nach wie vor gewähren den Schnee von seinem Gesicht zu wischen.
„Natürlich versehentlich!", sagte sie erschüttert und sah in seine Augen, die sie amüsiert musterten. Da wurde ihr bewusst, dass sie dicht vor ihm stand und über sein Gesicht streichelte. Rasch zog sie ihre Hände wieder zurück und entfernte sich einen Schritt von ihm.
„Du bist so leicht aus dem Konzept zu bringen", kommentierte er belustigt, rieb seine Brille an seinem Pullover trocken und setzte sie sich nun wieder auf. Sein Gesicht war größtenteils von Sam gesäubert worden, so wischte sich der Wissenschaftler ein letztes Mal mit dem Ärmel über die Wangen und sah anschließend zu seiner kirschroten Untergebenen.
Sam schwieg.
„Kommt da nichts zurück? Kein Gegenkommentar?", fragte er interessiert.
„Nein", nuschelte sie und rieb sich verlegen übers Gesicht, während Cisco zu ihr gelaufen kam und lachend seinen Arm um ihre Schulter legte.
„Systemabsturz, Dr. Wells. Sie muss erst neugestartet werden."
Barry und Caitlin lachten ebenfalls, ja sogar Bette entwich ein Laut der Belustigung, wobei sie gleichzeitig vielsagend zu Sam sah, während Cisco mit der Brünetten rangelte, die noch immer das Gefühl von Harrisons weicher Haut auf ihren Fingerspitzen fühlen konnte.
Durchgefroren aber ausgelassen saß das Team im Cortex. Es herrschte allgemeine Aufbruchsstimmung. Harrison hatte darauf bestanden, dass Caitlin Sam nach Hause fuhr. Die Brünette wusste, dass er aus Sorge handelte, Sorge wegen Eiling, und wenn sie ehrlich war, dann war es ihr ebenfalls lieber, in Begleitung vor ihrer Wohnung anzukommen. Ein weiteres Mal wollte sie dem General ganz sicher nicht in der Dunkelheit begegnen, allein. So fügte sie sich dem Wissenschaftler und bedankte sich bei der Ärztin, die für sie einen kleinen Umweg in Kauf nehmen würde. Den Grund jedoch, wieso er darauf bestand, dass sie von jemandem nach Hause gebracht wurde, den verschwieg Harrison dem Team, wofür Sam ihm dankbar war.
Die junge Frau lief zum Wissenschaftler, ihre braune Ledertasche geschultert, und schenkte ihm ein nervöses Lächeln. Die Szene vom Dach würde sie wohl bis in ihre Träume verfolgen. Es war ihr nach wie vor ungeheuer peinlich.
„Dr. Wells?", fragte sie ihren Mentor, der sie mit einem eigentümlichen Lächeln besah. Sam hatte das Gefühl, dass ihm ein neckischer Kommentar auf der Zunge lag, sein Gesichtsausdruck verriet es ihr, doch hielt er sich ihr zuliebe zurück.
„Ja, Samantha?", fragte er höflich und faltete seine Hände auf seinem Schoß.
„Wegen Bette", begann sie und sah über ihre Schulter zur Rothaarigen, die mit Cisco redete, während dieser in seine Jacke schlüpfte. „Wir müssen einen Weg finden, wie wir ihr Eiling vom Hals schaffen können, langfristig. So kann das nicht weitergehen."
Harrison besah Sams Handgelenk.
„Ja, da stimme ich dir zu", erwiderte er ruhig. Innerlich jedoch war Harrison nicht so besonnen wie er vorgab.
„Wir müssen uns was einfallen lassen. Für Bette. Damit sie das Leben führen kann, das sie will, ohne Angst haben zu müssen wieder in einem von Eilings Laboren zu enden", fügte die junge Frau traurig hinzu.
Der Dunkelhaarige schenkte ihr ein aufbauendes Lächeln.
„Das werden wir, Samantha. Wir werden uns was überlegen", versprach er ihr.
Die Wissenschaftlerin nickte dankbar lächelnd. Sie war zuversichtlich. Harrison gab ihr Zuversicht, so wie er es stets tat. Gab ihr Mut und Sicherheit.
„Okay", wisperte sie und senkte verlegen schmunzelnd ihren Blick. „Und tut mir nochmal leid, wegen vorhin. Das, mit dem Schneeball", nuschelte sie.
Der Ältere lachte rau. Es jagte einen wohligen Schauer über Sams Rücken.
„Nicht doch, das kann ich dir nun wirklich nicht übel nehmen, nicht mal dann, wenn ich wollte", winkte er ab.
Grinsend sah die Brünette zu ihm.
„Okay, da bin ich erleichtert", antwortete sie und fuhr sich durchs klamme Haar. „Dann sehen wir uns morgen, Dr. Wells. Zur Weihnachtsfeier." Unweigerlich musste Sam Lächeln, so breit, dass ihre Grübchen zum Vorschein kamen.
„Ja, das tun wir, Samantha. Schlaf gut und pass bitte auf dich auf."
Er schenkte ihr einen warmen Blick. Die junge Frau spürte, wie sich ihre Haut erhitzte.
„Schlafen Sie auch gut", erwiderte sie und biss sich leicht auf die Unterlippe. Am liebsten hätte sie ihn umarmt.
Es war spät am Abend.
In den Häusern der Innenstadt brannte nur noch wenig Licht. Auf den Straßen waren vereinzelt Personen unterwegs, ansonsten war es ruhig.
General Wade Eiling verließ soeben das Gebäude, das er temporär mit seinem Team für seine Ermittlungen bezogen hatte. Eine stillgelegte Lagerhalle. Perfekt für eine Operation, die kein Aufsehen erregen durfte.
Der Grauhaarige war auf dem Weg zu seinem Wagen. Seine Leute bewachten Star Labs sowie relevante Teile der Stadt. Darunter den Bahnhof, den Flughafen und die Highways. Heute Nacht jedoch - so hatte es der Soldat im Gefühl - würde Bette Sans Souci dortbleiben, wo sie war. In Star Labs.
Eiling zog seinen Autoschlüssel aus seiner Hosentasche, verharrte jedoch, als er eine Silhouette neben seinem Geländewagen erkannte. Skeptisch verengte der Grauhaarige seine Augen und hob eine Augenbraue, als er schließlich erkannte, wen er da vor sich hatte.
„Harrison", sagte er. Die Frage danach, wie der Wissenschaftler hierher gefunden hatte beschäftigte ihn weniger als den Grund für sein Erscheinen. Er trat an seinen ehemaligen Arbeitspartner heran und musterte ihn abschätzig.
„Wade", grüßte der Dunkelhaarige reserviert zurück. Seine Hände ruhten auf den Lehnen seines Rollstuhls.
„Was verschafft mir die Ehre?"
Eiling wusste, oder konnte sich zumindest denken, was der Wissenschaftler hier wollte. Der Zeitpunkt seines Erscheinens verriet ihn. Einen Tag, nachdem er die Brünette vor ihrer Wohnung bedroht hatte, es war mehr als offensichtlich. Dennoch stellte sich der Soldat dumm, spielte mit seinem Gegenüber. Dieses Spiel jedoch - Harrison beherrschte es ebenfalls und das deutlich besser als Wade Eiling. Er hatte es erfunden. Das Spiel der Masken.
„Ich frage mich nur, was dich dazu bewegt hat, meiner Mitarbeiterin nachzustellen und sie zu bedrohen", sagte Harrison ruhig. Er sah zum General auf und faltete seine Hände auf seinem Schoß.
„Bedrohen? Ich habe sie sicher nicht bedroht. Wir haben nur geredet", erwiderte der Grauhaarige schauspielerisch. Der Brillenträger jedoch hatte kein Interesse an diesem kleinen Rollenspiel und bei weitem nicht die Geduld dafür.
Er näherte sich dem Soldaten, der nur belustigt schnaubte. Er empfand keine Angst. Sollte er jedoch.
Harrison verengte seine Augen. Seine eisblauen Iriden schimmerten gefährlich im fahlen Licht der Straßenlaterne, die wenige Meter neben den beiden Männern stand.
„Hör zu, Wade, ich habe keine Zeit für deine Spielchen", sagte der Wissenschaftler.
Eiling machte eine herablassende Handbewegung.
„Dann geh zurück in dein Loch, Harrison", kam es schelmisch zurück.
Es interessierte den Dunkelhaarigen nicht, dass der General ihn und sein Labor beleidigte. Er war wegen etwas Anderem hier.
„Es ist mir gleich, dass du hinter Bette Sans Souci her bist und dafür mein Labor rund um die Uhr bewachen lässt. Es kümmert mich nicht", sagte er mit schneidender Stimme. Der Wissenschaftler fuhr ein Stück mit seinem Rollstuhl vor, er stand dem General nun direkt gegenüber. Harrisons Blick war eisig, stechend, so als würden sich Eiszapfen direkt ins Herz bohren. „Was mir jedoch nicht gleich ist, ist, dass du meine Mitarbeiter verfolgst und bedrohst."
Der Dunkelhaarige beugte sich vor und umfasste den Unterarm des Soldaten. Harrisons Griff war kräftiger, als man es ihm zutrauen würde. Er sah hinter seinen Brillengläsern zu Eiling auf, sein Blick tödlich.
„Wenn du Samantha noch ein Mal belästigst", begann er, "wenn du sie noch ein einziges Mal berührst, sie auch nur ansiehst, dann werde ich dich vernichten, Wade und damit meine ich nicht deine Karriere", raunte er.
Eiling musterte sein Gegenüber, nicht wissend, ob er das, was er sagte, auch tatsächlich ernst meinte. Er betrachtete Harrisons eisblaue Iriden, die Seen zum Gefrieren bringen könnten. Wade Eiling war kein Mann, der sich einschüchtern ließ, erst recht nicht von jemandem, der im Rollstuhl saß. Der Blick des Wissenschaftlers jedoch ließ den sonst furchtlosen Soldaten verstummen.
Für einen Moment lang herrschte Stille.
„Hast du mich verstanden?", fragte Harrison mit schneidender Stimme. Er hatte seinen Blick nicht eine Sekunde lang von seinem Gegenüber gelöst.
Eiling schnaubte herablassend.
„Wie du meinst, Harrison", sagte er.
Der General war kein Narr. Trotz seines Egos erkannte auch er Gefahr. Und sie saß direkt vor ihm, im Rollstuhl und warf ihm diesen stechenden, eiskalten Blick zu.
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