Kapitel 21 - Tunnelblick

Das Wasser glitzerte in der untergehenden Sonne wie tausende Diamanten. Die Wellen schwappten seicht gegen die Felsen der Küste, ein leichter Wind wehte und sorgte dafür, dass Sam vereinzelt Haarsträhnen ins Gesicht fielen. Zum wiederholten Male schob sie sich diese hinters Ohr.
Es wurde allmählich kühler. Der Winter kündigte sich an. In einem Monat war Weihnachten, ihr liebstes Fest und für gewöhnlich war die junge Frau nun schon in Weihnachtsstimmung und stand Plätzchen backend in ihrer Wohnung. Dieses Jahr jedoch war es anders. Dieses Jahr hatte Sam andere Sachen im Kopf als Weihnachtslieder, Lichterketten und Plätzchen.
Leicht fröstelnd vergrub sie ihre Hände in ihren Jackentaschen. Die Brünette trug eine beige Winterjacke sowie einen langen Schal. Harrison, der neben ihr auf dem Gehweg, der sich entlang des Wassers schlängelte, herfuhr, wiederum einen schwarzen Mantel, der ihm ausgesprochen gut stand, wie sie fand. Es war fast schon zur Gewohnheit geworden, dass sie zusammen hier entlang spazierten, um den Kopf freizukriegen. Nun, eigentlich hatte Harrison sie mehr oder minder dazu verdonnert, denn würde es ihre Arbeit nur beeinträchtigen, wenn sie zu verbissen war, hatte er gesagt und er hatte recht. Die Spaziergänge mit ihm taten gut. Sie gaben Sam die nötigen Pausen und ließen sie von all dem Stress herunterkommen.
„Ist dir kalt?", fragte der Wissenschaftler fürsorglich und sah zu ihr auf. Mit einem sanften Lächeln schüttelte Sam ihren Kopf.
„Nein, geht schon. Die Sonne wärmt ja", entgegnete sie und sah in seine eisblauen Augen, die in der Sonne noch viel schöner leuchteten, als das Wasser zu ihrer Linken. Und wenn sie ehrlich war, wirklich kalt war ihr nie, wenn er in ihrer Nähe war. Immer mehr bildeten sich eindeutige Anzeichen dafür heraus, was die Brünette empfand, doch war Sam eine Meisterin der Verdrängung. Sie konzentrierte sich vollständig auf ihre Forschung und übersah bewusst alles Andere. Ihr Vater hatte es immer den Tunnelblick genannt.
„In Ordnung, ich möchte nämlich nicht, dass du dich unterkühlst", antwortete Harrison und sah wieder nach vorn. Unauffällig musterte Sam sein Seitenprofil, zwang sich nach wenigen Augenblicken jedoch dazu, ebenfalls wieder geradeaus zu schauen.
„Keine Sorge, meine feurige Leidenschaft für die Wissenschaft hält mich warm", scherzte sie und entlockte dem Dunkelhaarigen ein Lachen. Glücklich schmunzelte Sam in sich hinein.
„Das glaube ich dir aufs Wort", antwortete Harrison amüsiert und sah wieder zur Brünetten auf. „Es läuft nun auch besser mit der Forschung", kommentierte er zufrieden. Eifrig nickte Sam.
„Ja, das tut es. Das Kultivieren der iPS-Zellen aus Barrys Zellen geht voran. Es ist zwar ein langwidriger Prozess, aber wenigstens ein Fortschritt, denn nehmen seine Zellen endlich das Retrovirus an. Bald können wir versuchen, aus ihnen ein Serum zu entwickeln", erklärte sie freudig und sah mit strahlenden Augen zu ihrem Mentor.
„Wie ich sagte, Samantha, die besten Ideen kommen einem, wenn man Abstand gewinnt und ich hatte recht."
Grinsend zog Sam eine Augenbraue nach oben.
„Also, dass Sie jetzt darauf herumreiten müssen, Dr. Wells", antwortete sie gespielt patzig.
„An der Tatsache, dass ich richtig lag, kann man eben nichts wenden", sagte er selbstbewusst und brachte Sam verzückt zum Lachen.
„Auch wieder wahr. Aber wenn Sie es unbedingt aus meinem Mund hören wollen", Sam lief ein Stück vor und drehte sich nun zum Dunkelhaarigen herum, „Sie hatten recht, Dr. Wells. Wie immer."
Der Wissenschaftler schnaubte amüsiert und hob sein Kinn. Im nächsten Moment deutete er hinter sie, sodass Sam sich wieder herumdrehte und den Jogger bemerkte, der auf sie zukam. Zuvorkommend machte sie dem Mann Platz, der ihr jedoch keinerlei Beachtung schenkte. Stattdessen warf er Harrison einen wütenden, verurteilenden Blick zu und schüttelte beim Vorbeijoggen seinen Kopf. Ungläubig beobachtete Sam die Szene und sah dem Fremden hinterher. Sie setzte einen Schritt nach vorn und öffnete ihre Lippen, denn hatte sie das Bedürfnis, diesem Kerl gehörig die Meinung zu geigen, doch hielt der Wissenschaftler sie von ihrem Vorhaben ab, indem er ihr Handgelenk umfasste.
„Nicht, vergeude nicht deine Zeit mit sowas", riet er ihr.
Unverständlich sah Sam zu ihrem Mentor, während sie aus dem Augenwinkel heraus beobachtete, wie der Jogger von Dannen zog.
„Aber wie er Sie angesehen hat, das ist das Letzte", tat sie ihrem Unmut kund. Harrison lächelte freudlos.
„Man kann es ihm nicht verübeln, oder?"
Akribisch schüttelte die Brünette ihren Kopf.
„Doch, Dr. Wells, kann man. Er hat kein Recht dazu, Sie so anzusehen. Vermutlich weiß er nicht einmal genau, was damals passiert ist, er entnimmt es nur der einseitigen Berichterstattung. Die Medien haben das Ganze doch total aufgebauscht und es so aussehen lassen, als sei es Ihre Schuld." Harrison öffnete seine Lippen, doch hob Sam ihren Zeigefinger und unterbrach ihn. „Und jetzt kommen Sie mir nicht wieder damit, dass es Ihre Schuld war. Ich sage Ihnen zum letzten Mal, dass Sie es nicht wissen konnten."
Kapitulierend hob der Dunkelhaarige seine Hände.
„Verzeihung", entgegnete er amüsiert. In diesem Moment fiel Sam auf, wie sie gerade mit ihm, Harrison Wells, sprach, dass sie ihm Befehle erteilte, sodass sie ihren Finger rasch wieder sinken ließ und ihn entschuldigend anlächelte.
„Tut mir Leid, ich wollte nicht respektlos erscheinen, Dr. Wells. Das Ganze macht mich nur so", Sam knurrte frustriert, „so wütend", schloss sie. Harrison musterte seine Kollegin, noch immer lag die Belustigung in seinem Blick.
„Schon gut, Samantha. Es ist wirklich süß, wie sehr du dich um mein Image sorgst."
Errötend verzog Sam ihre Lippen.
„Ziehen Sie mich gerade auf?", fragte sie ihn verunsichert. Harrison lachte leise.
„Gewiss nicht, das ist mein voller Ernst." Noch immer wusste sie nicht, ob er scherzte oder nicht, weshalb sie mit offener Skepsis eine Augenbraue nach oben zog. „Wirklich", versicherte er ihr ein weiteres Mal. Mit noch immer erhobener Augenbraue setzte sich Sam langsam wieder in Bewegung, Harrison tat es ihr gleich.
„Na schön, dann glaube ich Ihnen mal", murmelte sie stutzig, musste nun jedoch ebenfalls lachen. Sie würde es wieder in Ordnung bringen, sein Image. Würde dafür sorgen, dass die Bewohner ihn nicht länger so ansahen und das Mittel, das künftig vielleicht vielen schwerkranken Menschen helfen würde, war ein Anfang.

Als sie wieder im Labor ankamen, trennten sich ihre Wege vorerst. Für den Wissenschaftler stand Training mit Barry an, Sam wiederum wollte zurück ins Forschungslabor, nach den Zellen sehen.
„Mach heute nicht so lang, Samantha. Du siehst müde aus", legte ihr der Wissenschaftler ans Herz. Die junge Frau lächelte sanft.
„Ich will nur noch einen Blick auf die Kulturen werfen und eine letzte Ladung Fütterzellen muss ihnen zugeführt werden. Danach kann ich für heute sowieso nichts mehr tun und gehe dann nach Hause", versprach sie. Harrison schmunzelte.
„In Ordnung."
„Machen Sie heute aber auch nicht mehr so lang, Dr. Wells. Wie sagen Sie immer? Schlafmangel ist Gift für Körper und Geist", rezitierte sie den Dunkelhaarigen und entlockte ihm ein leises Lachen.
„Ja, das sagte ich. Ich werde mir meinen Rat zu Herzen nehmen, Samantha", antwortete er und hob seine Hand. „Wir sehen uns morgen", verabschiedete er sich mit einem erhabenen Lächeln, das das Herz der jungen Studentin kurz hüpfen ließ.
„Bis morgen, Dr. Wells", sagte sie und winkte ihm. Danach ging jeder seines Weges.
Sams Weg führte sie geradewegs ins Forschungslabor. Dadurch, dass Star Labs leer stand, konnten sie jeden beliebigen Raum verwenden und sich ausbreiten. Dieses Zimmer hatten sie für die Kultivierung der iPS-Zellen ausgesucht, denn lag es zwischen Sams und Caitlins Labor und war somit für beide gut erreichbar. Die junge Wissenschaftlerin betrat das Labor und sah zu Caitlin, die soeben die heutigen Ergebnisse in einem Notizbuch notierte.
„Und, wie geht es unseren Babys?", fragte die Brünette gut gelaunt. Die Spaziergänge mit Harrison munterten sie immer auf, was auch Caitlin nicht entging, denn sah sie mit einem wissenden Funkeln in den Augen zu ihr.
„Sie wachsen und gedeihen", verkündete die Ärztin zufrieden. Sam lächelte.
„Sehr schön. Dann ist es jetzt wieder an der Zeit, sie zu füttern, oder?", fragte sie und trat an den länglichen Tisch heran, auf dem sich dutzende Petrischalen aneinanderreihten. In jeder von ihnen befand sich eine rosarote Flüssigkeit, die den Nährboden für die Zellen darin darstellte. Dort konnten sich die Kulturen ansiedeln. Als Studentin besaß Sam weniger praktische Erfahrung im Bereich der Biochemie, doch dank Caitlin wurde sie zunehmend erfahrener. Die Braunhaarige hatte ihr gezeigt, wie man Zellkulturen anlegte und auch den komplexen Prozess des Erschaffens von iPS-Zellen hatten sie zusammen bewältigt. In den letzten Wochen in Star Labs hatte Sam mehr gelernt, als in den letzten vier Jahren ihrer Uniausbildung. Sie nahm sich das Behältnis mit den Fütterzellen zur Hand und tunkte vorsichtig eine Pipette hinein, um sie aufzusaugen. Danach tröpfelte sie in jede Petrischale etwas von der unscheinbaren Flüssigkeit.
„Hier, meine Süßen, es gibt Essen", summte sie. Caitlin sah von ihrem Notizbuch auf und lachte.
„Sam, das sind keine Haustiere", ließ sie ihre Kollegin wissen. Die Brünette zuckte grinsend mit den Schultern, während sie konzentriert fortfuhr die Fütterzellen zuzuführen.
„Schon ja, aber sie werden Großes bewirken, da muss ich sie doch gut behandeln. Vielleicht geht es so schneller."
„Unwahrscheinlich", kam es von Caitlin zurück.
„Man kann nie wissen", verteidigte sich Sam lachend, während sie den langen Tisch entlanglief. Als sie schließlich die letzte Schale erreicht und betröpfelt hatte, richtete sie sich zufrieden auf und streckte ihren leicht schmerzenden Rücken.
„Das wäre alles für heute", verkündete sie und spürte nun, wo die Arbeit geschafft war, die Müdigkeit in ihren Knochen. Sie hatte heute Morgen und Mittag mehrere Univorlesungen gehabt und war anschließend umgehend hierher gekommen, um zu forschen. Neben dem Spaziergang mit Dr. Wells hatte sie keine Pausen gehabt.
„Super, ich notiere das noch schnell. Du kannst schon nach Hause gehen, wenn du magst."
Sam sah zur Ärztin.
„Und du brauchst mich sicher nicht mehr für irgendwas?", hakte sie nach, um ganz sicherzugehen, doch schüttelte Caitlin lächelnd ihren Kopf.
„Ganz sicher. Mehr können wir heute nicht tun. Die Zellen müssen sich nun kultivieren", erklärte sie.
„Okay", sagte Sam besänftigt und streckte sich nochmals ausgiebig, ehe sie Jacke und Tasche vom Stuhl nahm. „Dann sehen wir uns morgen nach der Uni, Caity", verabschiedete sie sich lächelnd. Caitlin sah ebenfalls lächelnd zu ihr.
„Alles klar, bis morgen, Sam", erwiderte sie und so verließ Sam das Labor, in dem sie momentan ihre meiste Zeit verbrachte.

Die Sterne leuchteten über ihr, während sie nach Hause lief, am Wasser entlang. Zwar war sie müde, dennoch nutzte Sam die letzte Kraft, die sie noch besaß, um zu Fuß nach Hause zu gehen. Es war eine klare Nacht und die Luft angenehm frisch. Auch hatte sie nun etwas Zeit um nachzudenken und die brauchte sie. Den ganzen Tag pumpte sie ihren Kopf mit Wissen voll, da waren diese kleinen Denkpausen wichtig für die junge Studentin. Sam sah in den Himmel und lächelte. Als Kind hatte sie den Sternenhimmel jede Nacht beobachtet. Da hatte sie übrigens ihre Liebe für das Universum entdeckt. Schon von klein auf hatte sie die Geheimnisse, die sich dort oben in der mit Diamanten besetzten Decke verbargen, entdecken wollen. Und bis heute hatte sich nichts daran geändert.
Während sie über den Gehweg lief, den sie nun schon öfters in den letzten Wochen mit Dr. Wells entlanggewandert war, musste sie unweigerlich an den Wissenschaftler denken. Wäre er nicht da, so wäre sie innerlich vermutlich längst durchgedreht. Die Zeit saß ihr im Nacken, denn hielt sich Shannon Anderson zwar tapfer aufrecht, doch machten ihr Herz und ihre Leber nicht mehr ewig mit, sodass Sam jeden Tag Angst hatte, dass sie den Wettlauf gegen die Zeit verlor. Zusätzlich war da Riley, der es zunehmend schlechter zu gehen schien. Stets waren ihre Augen gerötet, sie wurde immer dünner und das Lächeln, das sie ihr trotz alledem zu schenken versuchte, immer matter. Sam sah ihrer Freundin an, wie sehr sie der Zustand ihrer Mutter belastete. Riley jeden Tag in der Uni zu sehen, war für die junge Frau wie eine ständige Erinnerung an ihr Versagen. Harrison jedoch, er war für sie da, beruhigte sie und hielt sie dazu an weiter zu forschen und auf sich zu vertrauen. Vermutlich wusste er es nicht, doch fing er sie immer wieder auf, jeden Tag. Lächelnd sah Sam zu Boden und umfasste den Gurt ihrer Umhängetasche, während sie nun die Uferzeile hinter sich ließ und in Richtung Innenstadt schlenderte, auf direktem Weg zu ihrer Wohnung.
Als sie sie erreichte, kramte die Brünette bereits ihren Schlüssel aus ihrer Tasche und zog ihn mit einem leisen Klimpern heraus. Jedoch verharrte sie inmitten jeder Bewegung, als sie eine Silhouette vor ihrer Eingangstür bemerkte. Missmutig verengte Sam ihre Augen und musterte die männliche Gestalt, die ihr zugegeben etwas Unbehagen bereitete. Langsamen Schrittes näherte sie sich ihr und nahm den Schlüssel zwischen ihre Finger, um im Notfall damit zustechen zu können. Sie hob bereits ihre Hand und -
„Josh?", fragte sie, als sie das Gesicht erkannte.
Der Sportler drehte sich zu ihr herum.
„Sam, was soll das?", fragte er und deutete auf ihre Hand, in der sie ihren Schlüssel wie einen Schlagring hielt. Sie sah auf ihre Faust und ließ ihren Arm wieder sinken.
„Vorsichtsmaßnahme", erklärte sie grinsend und steckte den Schlüssel zurück in ihre Jackentasche. Sie trat an ihren Freund heran. Unter seinem Parka trug er - wie eigentlich immer - seine Collegejacke. Es ließ Sam unweigerlich schmunzeln.
„Was willst du um diese Zeit hier?", fragte sie ihn, da er sicherlich nicht ohne Grund hier auf sie gewartet hatte. Der Braunhäutige musterte sie einen Moment lang, ehe er antwortete.
„Wo warst du?", fragte er sie plötzlich. Verwirrt verzog Sam ihr Gesicht. So wie schon in den letzten Wochen schwang ein gewisser Vorwurf in Joshs Stimme mit.
„Bitte was?", fragte sie ihn, denn auch, wenn sie Freunde waren, so war sie nicht dazu verpflichtet, ihn immer über ihren Verbleib in Kenntnis zu setzen.
„Heute nach der Uni sagtest du, du müsstest für die Klausuren lernen und bist dann weg. Amber sagte mir vor einer halben Stunde, dass du unterwegs bist, also, wo warst du?"
Sie konnte ihm nicht sagen, wo sie war. Es musste geheim bleiben.
„Ich hab in einem Café gelernt, ich kann nicht die ganze Zeit Zuhause sitzen", log sie und wich Joshs Blick instinktiv aus.
„Ach, wirklich?", fragte er misstrauisch nach und verschränkte die Arme vor der Brust. Sam spürte Verärgerung in sich aufkeimen. Verärgerung darüber, dass er sie so dreist verhörte. „Und welches Café?", hakte Josh weiter nach. Sam verzog ihr Gesicht.
„Soll das jetzt ein Verhör werden?", entgegnete die Brünette und musterte die braunen Augen ihres Gegenübers, in denen sie Wut erkennen konnte.
„Ich frage mich nur, was die ganze Zeit wichtiger ist, als für Riley da zu sein, Sam", sprach er endlich aus. Sam hatte längst gewusst, dass es ihm darum ging. „Sie braucht dich aber du, du bist nie da. Dauernd gibt es Notfälle oder verduftest einfach und lässt sie zurück", warf er ihr vor. Sie verengte ihre Augen. Ja, sie war nicht immer da, aber aus sehr gutem Grund. Sie versuchte Riley zu helfen, auf eine viel effektivere Art, als Josh es von ihr verlangte. Nur leider konnte sie es ihm nicht sagen, doch vorwerfen lassen, dass sie Riley im Stich ließ, würde sie sich nicht.
„Ich bin für sie da. Auf meine Art", konterte Sam mit Nachdruck. Josh schnaubte freudlos.
„Auf deine Art, genau. Und wie sieht die aus? Abhauen, wenn es brenzlig wird?"
Getroffen verzog Sam ihr Gesicht und trat einen Schritt an den angehenden Ingenieur heran.
„Du hast keine Ahnung, kapiert? Du kennst mich nicht, Josh, nicht wirklich, also rede nicht über irgendwelche Dinge, von denen du nichts weißt", warnte sie ihn mit schneidender Stimme.
„Riley braucht dich, verdammt!", platzte es plötzlich aus ihm heraus. „Es geht ihr dreckig, Sam, siehst du das nicht? Sie braucht uns beide an ihrer Seite, als ihre Freunde und das nicht nur in Vorlesungen, sondern auch danach! Wir müssen für sie da sein und sie unterstützen!", erklärte er und fuchtelte dabei wütend mit seinen Händen.
„Ich tue was ich kann, okay?!", schmetterte Sam zurück. Und das war ihr voller Ernst. Sie arbeitete wie verrückt an einem Weg, Rileys Mutter zu helfen.
„Nein, tust du eben nicht! Ständig bist du weg und selbst, wenn wir zusammen sind, dann bist du mit deinen Gedanken ganz woanders! Seit Wochen schon bist du abgelenkt, dabei sollte all deine Konzentration Riley gelten!"
Freudlos stieß Sam Luft durch ihre Nase.
„Ach, so wie bei dir? Jeder Blinde sieht, dass du in sie verliebt bist, Josh, also vergleiche uns nicht miteinander", konterte sie. Der Schwarzhaarige hielt inne und sah Sam entrüstet an. Sogleich bereute die Studentin ihre Worte, zurücknehmen konnte sie sie jedoch nicht. Auch war sie in diesem Moment viel zu wütend, um sich zu entschuldigen.
„Und weil du nicht in sie verliebt bist, bist du also nicht für sie da? Ist das dein Maßstab? Nur der Mensch, den du liebst, hat deine Aufmerksamkeit verdient?", fragte er sarkastisch und ließ die Reue, die sie soeben noch empfunden hatte, wieder verfliegen.
„Ich liebe sie, Josh. Als meine Freundin. Es gibt mehrere Arten, einen Menschen zu lieben und es gibt übrigens auch mehrere Arten, einem Menschen zu helfen. Dafür muss ich ihr nicht hinterherrennen wie ein dressierter Schoßhund", sagte Sam kühl. Der Schwarzhaarige vollführte eine herablassende Handgeste.
„Weißt du was, Sam? Ich glaube, in Wahrheit geht es dir immer nur um dich und deine Karriere. Seitdem Star Labs in die Luft geflogen ist, bist du unausstehlich. Was anderes als dieses beschissene Labor interessiert dich doch nicht, oh, außer vielleicht Harrison Wells, aber der hat's ja mal ordentlich verkackt."
Josh wollte sie verletzen. Und er wusste genau, wie er es anstellen konnte.
„Vorsicht", fauchte Sam. Ihre sonst treuen, braunen Augen schimmerten erzürnt. Er konnte sie in den Schmutz ziehen, aber Dr. Wells sollte er gefälligst aus dem Spiel lassen. Der Wissenschaftler war ihre Schwachstelle. „Noch ein Wort über ihn und ich schwöre dir", warnte sie ihren Kommilitonen. Josh musterte sie schweigend und schüttelte schließlich seinen Kopf.
„Ja, das dachte ich mir. Würde er dich um Hilfe bitten, dann würdest du sofort springen. Du kennst diesen Mann nicht einmal und doch stehst du immer hinter ihm, mit allem, was du hast, so, wie es eigentlich Riley verdient hätte", murmelte er verbittert. Sam spürte, wie ihr allmählich Tränen in die Augen stiegen, doch zwang sie sich dazu, nicht vor Josh zu weinen. Diese Genugtuung würde sie ihm nicht geben.
„Verzieh dich einfach, Josh", sagte Sam gekränkt. Er konnte sie nicht verstehen. Konnte nicht verstehen, wie sehr sie wirklich versuchte Riley zu helfen.
„Hatte ich auch vor", kam es erzürnt zurück. Josh würdigte sie keines Blickes mehr, sondern wandte sich um, vergrub seine Hände in seinen Hosentaschen und lief schnellen Schrittes davon. Sam sah ihm nicht hinterher, sondern drehte sich ebenfalls weg und lief zu ihrer Wohnungstür. Hastig kramte sie ihren Schlüssel wieder aus ihrer Jackentasche hervor. Als sie versuchte, ihn ins Schlüsselloch zu stecken, scheiterte sie einige Male, da ihre Hände wie verrückt zitterten. Ein leises Schluchzen entwich Sam, als sie es wiederholt verfehlte. Ihre Augen zusammenpressend lehnte sie ihr Gesicht gegen die Wohnungstür und schluchzte erneut. Sie tat, was sie konnte und ja, sie wollte für Riley da sein, doch konnte sie nicht gleichzeitig Freundin und Wissenschaftlerin sein. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top