two
Als mir der Professor die Entwürfe für das Projekt gezeigt hatte, hatte ich zuerst verständnislos den Kopf geschüttelt. Ein Weihnachtslichterturmkarussel? Welchen Zweck soll das haben?
„Die Deutschen haben das in klein. Sie hängen es von der Decke. Aber wir, Mena, wir werden daraus ein Meisterwerk machen!“ Ich erinnere mich noch gut an das Blitzen in seinen Augen. „Stell dir vor, wir werden diese Pyramide bauen. Wir werden sie aufstellen und sie wird bewundert werden, jaah. Wir werden der Weltausstellung in nichts nachstehen! Wenn wir nur zwei aus dem Rat für uns gewinnen können, ist uns die Reise nach London sicher, und London heißt: Victoria, Queen Victoria, haha, und weißt du … wir wären reich, wir wären so reich! Und berühmt! Stell dir meinen Titel vor …“
So lange haben wir an dem Bau gewerkelt. Schwierig ist das gewesen, diese Konstruktion, und nicht billig. Die Schuldenpapiere waren in meinem Kopf eine hässliche Barrikade, die mir immer wieder den Blick auf mein eigenes Luftschiff zu versperren schien. Auch die Aussicht auf noch mehr Aufmerksamkeit war keine allzu große Verlockung für mich gewesen; doch aber der Reichtum, den die Maschine uns einbringen soll. Denn mit Geld kann man so gut wie alles kaufen. Nicht das Ansehen der Leute zwar, jedoch ein ordentliches Luftschiff.
Ich stapfe in Richtung der riesenhaften Pyramide. Der Kontrast des immer noch leicht schimmernden Metalles zum Himmel erscheint mir so deutlich, als hätte jemand das Monstrum einfach auf den Horizont geklebt, ohne ihn irgendwie daran anzupassen. Eigentlich ist es gar keine Pyramide, wenn man genau ist, sondern eher ein Kegel. Ein sechseckiger Untersatz befestigt das Meisterwerk, darüber beginnen die Stockwerke. Drei sind es, und auf jedem befinden sich kleine Metallfiguren, die entweder Engel darstellen oder aber Figuren aus der Weihnachtsgeschichte, und sie alle sind aus purer Maschinerie. Ich sehe sie schon vor sich, wie sich die Mariaapparatur bewegt, wie die Zahnräder darin klacken und sich der Arm langsam, aber flüssig zu dem Baby hinunterbewegt, um dessen Kopf ein glänzend polierter Heiligenschein thront, in dem man noch einzelne Schrauben erkennen kann – ich jedenfalls, denn ich erinnere mich noch genau an den Moment, in dem ich die Platten miteinander verbunden habe. Um die Stäbe zwischen den Stockwerke, mehr schon riesige Pfeiler als bloß kleine Stützen, ranken sich Zahnräder und Schläuche, Efeu gleich. Ohne es zu wollen, bilden meine Finger sanft in der Luft deren Verlauf nach; ich spüre die Räder noch in meinen Händen, als wäre es erst gestern gewesen, als ich sie dort platziert habe. Und oben prangen die Rotorblätter wie eine riesenhafte Blüte, perfekt ausgerichtet.
Ich hatte die Idee gehabt, die Maschine mit Windkraft anzutreiben. Der Professor hatte die Augen aufgerissen und mir mit einem „Mena, das ist eine fabelhafte Idee!“ auf die Schulter geklopft. Später hatten wir allerdings feststellen müssen, dass Windkraft nicht ausreichen wird, um auch die Figuren auf dem Karussell anzutreiben und dass der ganze Koloss allgemein viel zu schwer ist. Das Material der Propellerblätter an sich ist zwar relativ leicht, weil wir sie ja irgendwie nach oben befördern mussten.Ich fische unter meinen am Gürtel hängenden klimpernden silbernen Apparaturen einen Schlüssel heraus und suche nach dem passenden Loch in der kleinen Metalltür, die in den Untersatz der Pyramide eingelassen ist. Hier unten befindet sich das Hauptwerk, die Dampfmaschine, die riesenhafte Dampfmaschine, die das Meisterwerk letztendlich antreiben wird.
Ich betrete das Innere der Maschine. Hier drin riecht es abgestanden, nach Kohle und nach Maschinen, aber das gefällt mir. Auch, wenn ich die sich mit nahezu paradoxer Leichtigkeit und zugleich kolossartiger Kraft am Horizont bewegenden Luftschiffe mehr liebe, bringe ich Faszination für diese Maschine auf wie für kaum etwas anderes.
Meine Schritte hallen laut durch den Gang, als meine Schuhe auf den metallenen Boden treffen. Nebenbei höre ich meinen Herzschlag, wie das Ticken einer Taschenuhr, so mechanisch und gleichmäßig. Ansonsten ist es vollkommen still – noch. Sobald ich die Maschinen starten werde, wird ein Scheppern durch den Koloss hallen, ein Werkeln und Rattern, ein Pfeifen wie von tausenden von Dampflokomotiven. Kohle wird die Pyramide fressen, so wie sie einst Geld und Mühe gefressen hat. Ich fühle die Vorfreude in mir aufsteigen und gleichzeitig auch eine unbekannte Nervosität. Was, wenn es nicht funktioniert? Einen Probedurchlauf hat es nicht gegeben. Wir haben nur eine Chance.
All die Jahre, in denen ich mit dem Professor gearbeitet habe, haben uns die Leute seltsam von der Seite angesehen, und das ist nicht immer meine Schuld gewesen. Ich habe mich oft versteckt gehalten, aber auch der Professor hat so manchen schiefen Blick geerntet. Erfinder sind zwar heutzutage gut angesehen, nicht aber Erfinder, die einer völlig sinnlosen Idee nachhängen. Einer Idee wie unsrer Pyramide – ein Werk, das keinerlei Nutzen hat, einzig und allein der Unterhaltung dient. Wenn sie nicht funktionieren wird, wird man über uns lachen. Und ich weiß nicht, was mit denjenigen passiert, die ihre Schulden nicht zurückzahlen können … denn das werden wir nicht. Wir brauchen diese Unterstützer, die gerade aus dem Luftschiff gestiegen sind, sonst kann ich mir meinen Traum vom Luftschiff und der Professor sich wahrscheinlich jede weitere Erfindung aus dem Kopf schlagen. Wenn wir dann noch Köpfe haben werden. Wie gesagt, ich weiß nicht, wie hart diejenigen strafen, von denen wir Geld geliehen haben – aber ich nehme an, sehr hart. Kein seriöser Mann würde uns für so eine Wahnsinnsidee irgendetwas geben. Die Maschine muss einfach funktionieren.
Es ist duster im Gang, nur kleine Lampen beleuchten die Wände, die von langen Rohren bedeckt sind; der Lichtschein spiegelt sich matt und leicht verzerrt darin. Die Stille wirkt schon beinahe unheimlich, von draußen dringt kein Laut hierher, aber ich nehme an, dass der Professor gerade die beiden Neuankömmlinge begrüßen muss. Höchste Zeit für meinen Auftritt.
Ich gelange an das Schaltpult, meine Finger schließen sich um die metallenen Hebel. Mein Herz, mein Metallherz, schlägt laut, obwohl es nur einfache Handgriffe sind, die ich tun muss; es ist nicht schwer, die Maschine zu bedienen. Es ist schwerer, sie unter Kontrolle zu halten, weil sie so ein Monstrum ist, aber sie einzuschalten funktioniert relativ schnell und einfach. Ich schließe die Augen und atme aus.
Es geht los.
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