three

In dem Moment, in dem ich die Augen wieder öffne, beginnen meine Finger wie eine Maschine selbst, Hebel zu ziehen, auf Schalter zu drücken und nach Reglern zu greifen. Mein Blick flitzt über die Uhren und Messgeräte. Es muss perfekt sein, es muss alles im Rahmen bleiben. Es muss funktionieren.
Ein bisschen wie Tanzen ist es. Meine Hände schnellen um die Knöpfe herum, meine Beine bewegen sich hastiger. Ich mache Ausfallschritte, nach vorn, nach hinten, zur Seite, lasse meine Finger über das Metall gleiten. Ich ziehe Apparaturen aus meinem Gürtel hervor, schließe Rohre an, schraube und verbinde. In meinem Kopf läuft alles wie eine riesige Rechnung ab, Zahlen, Werte, Begriffe. Ich höre die Stimme von Menschen, die mir erklären, wie eine Maschine wie diese funktioniert. Meine Mutter, meinen Vater. Ich habe sie nie wiedergesehen, seit das Bergwerk sie verschluckt hat, aber ich trauere nicht. Ich habe sie kaum gekannt.
Die Zeiger schlagen aus, ich rücke ein paar Schalter gerade, gehe in die Knie. Kohlen werden geschaufelt, das Schiebegeräusch dringt durch den Gang. Das Monster erzittert.

Die Maschine läuft.
Die Maschine lebt.
Mal sehen, wie lange.

Ein Glücksgefühl perlt durch meine Finger, aber ich darf nicht an Aufhören denken. Ich muss mich weiterhin konzentrieren, sonst wird die Maschine wieder erstarren.
Dampf hüllt mich ein, ich ziehe meine Brille nach unten, streife mir Handschuhe über. Die Fingerspitzenarbeit ist vorbei, jetzt ist Kraft gefordert. Ein Licht glüht an meiner Lampe auf, meine suchenden Hände finden einen Hebel an meinem Gürtel, den ich zwischen zwei Platten schiebe. Der Lärm wird ohrenbetäubend, als ich höre, wie sich die Propeller zu drehen beginnen. Ich ziehe Ohrenschützer über.

Die Eingeweide der Maschine scheinen sich zu bewegen, im wabernden Dampf ist alles wie in einem Traum gefangen. Meine Muskeln spannen sich an, als ich mich gegen einen Hebel stemme. Das Rattern im Hintergrund wird lauter, doch ... da ist noch etwas anderes.
Ich halte einen Moment inne.
Ein Geräusch hallt durch den Gang, das keiner Maschine gehört. Es wird von Menschen erzeugt ... und es ist ein Schrei. Ist es Bewunderung? Es muss Bewunderung sein. Was sonst sollte passieren?

Im Körper des Kolosses gibt es kein Fenster, der einzige Weg nach draußen außer der Tür sind die Terrassen oben.
Das Geräusch von draußen wird lauter. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob es Bewunderung ist. Was, wenn etwas mit der Maschine nicht stimmt, das man nur von außen sieht? Wenn sich die Rotorblätter lösen, die Figuren auseinanderfallen?

Ich entscheide mich, nachzusehen. Über mir befindet sich eine Luke, die ich nun aufziehe, Rauch dringt nach oben ins Freie. Ich greife nach oben und ziehe mich durch die Öffnung hindurch, nur halb allerdings, sodass mein Körper ab der Taille noch im Untersatz der Maschine bleibt. Dann sehe ich mich um.
Die Menschenmenge ist völlig zerstreut. Entsetzen steht in den Blicken der Menschen, und mir rutscht das Herz in die Hose, als ich sehe, warum.

Eine männliche und eine weibliche Gestalt befinden sich irgendwo links – Lady Zephiditys und Lord Addleton. Beide tragen vornehme Kleidung, er einen Zylinder, mit vielen tausend Zahnrädern besetzt, genauso wie ihr prunkvolles Kleid und der Schmuck in ihrem Haar. Uhrzeiger ragen aus dem Knoten hinaus, den ihre braunen Strähnen formen und auf die zierlichen Schultern fallen. Ihre Finger tragen ein Netz aus winzigen Ketten und Rädchen, fast wie ein Handschuh aus winzigen Kettenhemdbestandteilen. Was mich allerdings beunruhigt, ist die Waffe in ihrer Hand, deren Lauf gegen den Kopf des Professors gerichtet ist.

Ich verstehe nicht, was Lord Addleton sagt, aber er hat sich zu der kleinen, dünnen Gestalt mit den vielen Apparaturen hingekniet und spricht leise mit ihm, wie mit einem Kind. Seinen Gesichtsausdruck kann ich nicht genau erkennen, aber sogar von hier aus sehe ich, dass er ein ziemlich gut aussehender Mann ist, mit einem schmalen, leicht vorstehenden Kinn und stahlgrauen Augen. Um sein linkes Ohr herum ragt eine gewundene Blechapparatur, deren Nutzen ich nicht erkennen kann. Der Professor, dessen Gesicht nur wenige Zentimeter vor seinem zu schweben scheint, wimmert wahrscheinlich, aber ich bin mir nicht sicher. Er ist kein mutiger Mann. Er ist Erfinder. Er kann nicht gut mit Menschen klarkommen und erst recht nicht mit Situationen wie dieser.
Lord Addletons Blick schweift zu dem Luftschiff am Horizont, ein Finger zeigt dorthin. Ich will verstehen, was er sagt, aber die Maschine ist so laut, das ich gar nichts höre. Hastig krame ich eine kleine knubbelige Blechschale hervor, aus der viele verschiedene Trichter ragen und die mit dünnen Rohren an meinem Helm befestigt ist. Als ich sie mir als Ohr halte, höre ich das Rauschen wie von iner großen Muschel am Meer, und, endlich, Wortfetzen. „... nicht sofort dieser sinnlosen Apparatur ... wird meine Miss Claire mit Ihrem Karussell Bekanntschaft machen ... und Sie wissen doch, was ... schönes Farbenspiel das ... wahr?"

Der Professor deutet ein Nicken an, unsicher, ob die Frage ernst oder rhetorisch gemeint ist, und fokussiert ängstlich die gezeigte Stelle. Plötzlich blickt er mich kurz aus dem Augenwinkel an – seiner erschrockenen Miene nach hat er erst gerade eben wieder an mich zurückgedacht, denn er blinzelt kurz und heftig.
Ich ziehe mich schnell zurück, nur für den Fall, dass die beiden hierher sehen werden, dann richte ich den Blick auf den Himmel. Ich kneife die Augen zusammen, suche mit den Füßen ein sicheres Trittbrett, sodass ich die Halterungen loslassen und nach einem Sichtglas greifen kann. Dann vergrößere den Horizont mit ebendieser Spezialbrille.
Wenn mein Herz nicht noch immer am Aussetzen wäre, so würde es das jetzt. Denn das Luftschiff, offenbar unbemannt, bewegt sich. Und es bewegt sich direkt auf die Pyramide zu.

Das Szenario bildet sich in Sekunden in meinem Kopf. Kollision. Explosion. Schwärze.
Der einzige Ausweg, der uns noch bleibt: Das Luftschiff muss weg. Es muss aufgehalten werden. Wenn es auf die Pyramide trifft, werden uns diese Wucht und das Feuer einäschern. Aber wir haben nichts, das das Schiff stoppen könnte.

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