five

Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Es ist doch nicht schwer, Mena, es ist doch nicht schwer, sich zu konzentrieren. Lausche mit dem Herzen, und du wirst verstehen.

Ein bitteres Grinsen schleicht sich auf meine Lippen, und noch bevor mir bewusst wird, dass sich meine Hände bewegen, flechten meine Finger irgendwelche Röhren auseinander, drehen an Rädern und heben Schalter. Mein Kopf hat wieder begonnen zu arbeiten, und als ich allmählich verstehe, welchen Plan mein Körper unterbewusst geschmiedet hat, spüre ich, wie alles Blut in meine Füße zu sacken scheint.
Was ich hier gerade zu bauen versuche, ist ein Flugobjekt. Kein Luftschiff, sondern eine Maschine, die rein durch Windkraft angetrieben wird, durch einen Propeller. Ich will die Pyramide vom Boden abheben, das Weihnachtslichterkarussel zum Fliegen bringen. Und ihr einziger Zweck wird die Zerstörung sein, die eigene Explosion am Horizont. Ein Feuerwerk. Nur nicht für mich.

Ich kann nicht mehr klar denken. Erinnerungen und Realität vermischen sich langsam, ich kann nicht sagen, ob die Menschenmenge tatsächlich zu mir hochblickt und aufgeregt auf mich zeigt oder ob ich es mir einbilde. Die Stimmen in meinem Kopf werden dichter, vermischen sich mit meinen eigenen Gedankengängen. Ich weiß nicht mehr, was meine Hände tun. Sie fliegen über die Apparaturen und Zahnräder, als wäre ich eins mit der Maschinerie.

Ich spüre meine Lippen zittern. Endlich, ein tiefes Summen erfüllt die Maschine. Spätestens jetzt müssen sie mich bemerken. Und tatsächlich, in einem Moment der Klarheit sehe ich, wie die Menschen die Köpfe heben und erstaunt zu mir blicken.
Mein Kopf füllt sich mit Bildern, als ihre Blicke meine treffen. Ich spüre die harten Griffe um meine Arme wie eiserne Fesseln. Ich spüre den Hass und die Abscheu der Menschen, und was noch schlimmer ist: die Angst. Angst haben sie vor mir.

Ein Zittern geht durch die Pyramide. Ich werfe einen Blick auf das Luftschiff über mir, während meine Hände weiter arbeiten. Ich muss mich beeilen, sonst wird es zu spät sein. Meine linken Finger greifen nach der Taschenuhr um meinen Hals. Oh ja, ich muss mich beeilen.

Mit einem Ruck hebt das Monstrum ab. Schwerfällig, langsam. Nicht die ganze Pyramide. Nur der drehbare Innenteil. Maria, Josef, Engel, Jesuskind, Hirten, Tiere. All die Figuren. Laute, hässliche, knackende Geräusche durchbrechen das ohrenbetäubende Geratter und Brummen und verkünden mir, dass irgendwo Rohre kaputt gehen, dass die Maschinerie zerbricht, und es versetzt mir einen innerlichen Stoß, als ich das höre. Die Pyramide ist nie mein Meisterwerk gewesen, aber sie ist ein Monstrum gewesen, die faszinierende Verkörperung roher Kraft, und auf ihre eigene Art liebe ich sie auch.
Ich blicke nicht noch einmal nach unten. Die Angst, dass die Blicke der Menschen mich wieder in einen Strudel der Erinnerung ziehen wird, ist zu groß, und noch immer habe ich das Gefühl, kochende Wut durch meinen Kopf strömen zu lassen. Stattdessen sehe ich dem Himmel entgegen, dem grauen, blendenden Himmel, und mit einem Mal spüre ich eine unmittelbare Liebe zu diesem Grauton, ein unmittelbares Verlangen nach den ungeahnten Höhen des Horizontes. Freiheit, so wie ich sie immer wollte, wenn auch nur für einen Moment. Denn da ist etwas, das ich nicht ausdenke, aber ich weiß es. Ich werde am Himmel hängen bleiben.

Das Luftschiff kommt schneller näher, und die Pyramide ebenfalls. Sie ist nicht so stark, wie ich es erwartet habe, eher träge, aber mein Plan wird aufgehen, solange sie am Himmel bleibt.
Ich schließe die Augen. Spüre den Wind in meinem Haar. Für einen Moment habe ich das Gefühl, in einem meiner Träume zu leben, in denen ich auf dem Luftschiff, das nur mir gehört, in neue Welten aufbreche. Es ist wunderschön.

Warum opfere ich mich für diese Menschen? Ich weiß es nicht. Es sind Menschen, die mich noch kurz zuvor so angestarrt haben. Warum opfere ich mich für sie?
Vielleicht liegt es daran, dass ich mich nicht opfere. Ich bin kein Märtyrer. Ich bin eine Heldin. Sie werden an mich denken, und sie werden nicht an mich denken als die Kreatur, die allen abnormal erscheint, sondern als das Mädchen mit dem stählernen Herzen.

Mein Puls wird lauter. Man sagt, kurz bevor man stirbt, zieht das ganze Leben an einem vorbei, aber seit ich in der Luft bin, fühle ich nur die Freiheit. So war es schon immer. Am Boden war ich eine von vielen, aber eine Andersartige. Am Horizont war ich ein Stern. Eine Kapitänin. Eine Abenteurerin. Eine Heldin. Eine Mechanikerin. Wer auch immer ich sein wollte.
Und ich fühle mich glücklich. So ungeahnt glücklich, dass ich schon fast weinen könnte. In meiner Brust staut sich eine unerklärbare Liebe zu dem Luftschiff auf, das die Pyramide gleich treffen wird, obwohl ich weiß, dass es mein Todesengel ist. Aber irgendwie ist alles, was ich empfinde, Faszination für den dicken, weißen Körper und die kraftvolle, schwerfällige Eleganz der Maschine.
Ich blicke auf meine Taschenuhr. Wenige Minuten sind es bis zum Aufprall. Ich möchte die Augen wieder schließen, aber ich muss das Schiff im Blick behalten. Meine Finger rutschen den Stoff meiner Kleidung zurecht; es ist kalt hier oben.

In diesem Moment spüre ich, wie die Maschine ausfällt.

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