Kapitel 7 - Fischgesicht
Gerade, als ich zu meiner alten Wimperntusche greifen will, sehe ich die neue neben mir liegen.
Ich spüre förmlich, wie sie mich anschreit, also tue ich ihr den Gefallen und trage sie auf, weil ich so zuvorkommend bin.
Vor zehn Minuten sind die drei Schlafmützen nach Hause gefahren, um sich für die Schule fertig zu machen. Meine Mutter hat uns alle zum Glück früher geweckt, sodass wir etwas mehr Zeit haben.
Deswegen habe ich mich auch dazu entschieden, dass ich mich heute mal wieder schminke. Vor allem aber auch, weil es heute nicht mehr so warm sein soll, wie die letzten Tage.
Nachdem ich fertig bin, gehe ich nach unten in die Küche, um etwas zu essen. Normalerweise sind meine Eltern schon weg, wenn ich morgens aufstehe, aber da ich, wie gesagt, heute früher von meiner Mutter geweckt wurde, betrete ich die Küche, in der meine Eltern sitzen und frühstücken.
»Guten Morgen«, murmele ich und stelle mich sofort vor den Kühlschrank.
»Und bist du müde?«, will mein Vater wissen und sieht mich forschend an, als ich mich gegenüber von ihm auf meinen Platz setze.
»Nicht wirklich. Ich glaube die Müdigkeit überkommt mich erst in der Schule«, erkläre ich und schmiere mir dann mein Brot.
Mein Vater nickt und widmet sich dann wieder seinem Essen zu, doch ich spüre die ganze Zeit, wie meine Mutter mich musternd ansieht.
Hat sie die Mascara etwa endlich gemerkt?
»Was ist? Fällt dir was an meinen Wimpern auf?«, helfe ich ihr auf die Sprünge.
»Ich habe mich schon gefragt, ob das die Mascara für 50€ ist, oder die für 3€«, erwidert meine Mutter ehrlich, weshalb meine Schultern plötzlich wieder schlaff unten hängen und ich sie enttäuscht ansehe.
»Siehst du da etwa keinen Unterschied?«, gebe ich verblüfft von mir.
»Na ja, vielleicht liegt es auch daran, dass ich zu alt bin und das nicht mehr meine Welt ist?«, überlegt sie laut.
Ich seufze. »Ja, vielleicht.«
Doch innerlich weiß ich, dass es nicht so sein soll. Schließlich habe ich mir die Mascara gekauft, damit man einen Unterschied bemerkt, doch das scheint nicht wirklich der Fall zu sein.
Ich seufze und beiße in mein Brot, in Gedanken an Sam. Vielleicht sehe ich ihn heute. Vielleicht bemerkt er ja den Unterschied.
***
»Also jetzt wäre ich wirklich glücklich, wenn mir jemand einen Eimer Wasser über den Kopf schütten würde«, merkt Alex an, während wir alle in der Cafeteria sitzen und uns den Arsch abschwitzen.
Doch damit bringt er mich nur wieder auf schlechte Ideen.
»Soll ich?«, biete ich ihm an und bin schon bereit aufzustehen.
»Halt die Klappe«, mault er.
»Hey.« Sam geht auf Alex zu und klatscht bei ihm ein.
Anscheinend verstehen die beiden sich seit dem Strandtag ziemlich gut. Was sehr vorteilhaft für mich ist.
»Was ist denn hier für 'ne schlechte Stimmung?«, bemerkt Sam und schaut in die Runde.
Wahrscheinlich sehen wir alle tot aus. So fühle ich mich auch, denn es ist sogar noch wärmer geworden, als gestern. Und das obwohl es heute eigentlich wieder kühler werden sollte. Das Wetter macht echt, was es will.
»Wenn Maja anwesend ist, dann kann man ja nur schlechte Laune haben«, ertönt Louis' nervige Stimme.
»Verzieh dich, Dünnschissgurgler!«
»Du bist so eine Furie«, beschwert er sich.
Er geht mir so auf die Nerven, unfassbar.
»Du machst mich zur Furie! Wenn ich deine Entenfresse sehe, dann kann ich nur schlecht gelaunt sein«, verteidige ich mich auf kindische Art und Weise.
»Wer sieht denn hier aus, wie ein Fischgesicht?«
»Du«, antworte ich ihn knapp. »Und selbst das wäre noch zu nett für dich.«
»Leute«, höre ich Alex genervt stöhnen. »Haltet beide die Klappe.«
»Ich hab' keinen Bock mehr«, murmele ich, als ich sehe, wie Louis sich zu uns setzt. »Ich schwänze jetzt die nächsten Stunden.«
Und mit den Worten stehe ich auf und verlasse den Raum. Ich ignoriere es, dass die anderen nach mir rufen und gehe einfach weiter. Ich halte das nicht mehr aus.
»Maja!« Jemand läuft mir hinterher, doch ich drehe mich nicht zurück.
Wehe, wenn mich jetzt jemand vom schwänzen abhält!
»Wieso läufst du weg?«, höre ich Sam neben mir fragen.
»Ich will meine Ruhe haben.«
Auch ich habe mal schlechte Laune und da will ich einfach nur alleine sein.
»Also, willst du nicht mit mir zusammen schwänzen?«, fragt er leicht beleidigt.
Moment... hat er mich das wirklich gefragt? Will er wirklich Zeit mit mir verbringen?
»Du willst auch schwänzen?«, frage ich zur Sicherheit nochmal nach.
»Klar. Mit dir hat man sicher mehr Spaß, als im blöden Unterricht.«
Eigentlich ist doch alles besser als Unterricht, oder nicht?
»Wow, was für ein tolles Kompliment«, meine ich sarkastisch und grinse ihn an.
Er rollt nur mit den Augen. »Du bist schwer zu beeindrucken, oder?«
»Frag' das mal meine Mascara«, murmele ich.
Noch keinem einzigen ist sie heute aufgefallen! Und mein Auge fängt sogar manchmal an zu jucken. Aber ich will sie noch nicht aufgeben. Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass das nur an den blöden Pollen liegt.
»Läuft es so schlecht zwischen euch? Etwa Streit in der Beziehung?«, hinterfragt Sam schmunzelnd.
»Ich habe sie heute aufgetragen«, meine ich und bleibe stehen. »Und merkst du irgendeinen Unterschied?«
Sam bleibt stehen und sieht mich an. Mir wird ganz warm und ich habe das Gefühl, dass ich mich gleich übergeben muss. Wahrscheinlich vor Nervosität. Denn dieser Typ macht mich absolut nervös.
»Na ja, deine Wimpern sehen sehr schwarz und lang aus«, überlegt Sam. »Mir gefällt es jedenfalls, aber ich weiß ja auch nicht, wie du mit den anderen Mascaras aussiehst, da du sonst immer ungeschminkt warst.«
»Vielleicht findest du es ja irgendwann heraus«, grinse ich.
Die Vorstellung, dass Sam und ich uns irgendwann so gut kennen, löst die verrücktesten Fantasien in mir aus. Der beliebteste Typ der Schule und er will ausgerechnet Zeit mit mir verbringen?
»Das würde ich sehr gerne«, lächelt er, während ihm eine Locke auf die Stirn fällt und bringt mich damit beinahe um den Verstand.
Er ist wirklich so wunderschön. Wahrscheinlich der schönste Junge, den es auf der Schule gibt. Das sagen jedenfalls die meisten Mädchen.
»Also wo gehen wir hin?«, holt Sam mich aus meinen Gedanken.
»Wir können uns abkühlen gehen«, schlage ich vor. »Es gibt einen See mit einem Steg in der Nähe.«
»Das klingt gut«, stimmt Sam mir zu. »Dann fahre ich uns dahin und du sagst mir einfach, wo wir lang müssen, okay?«
Ich nicke entspannt. »Okay.«
Doch innerlich sterbe ich fast.
Ich und der Junge, auf den alle stehen, zusammen in seinem Auto?
Mein Herz rast bei diesem Gedanken wie verrückt und in dem Moment wird mir wieder einmal klar, wie toll Veränderungen doch sein können.
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