Kapitel 52 - Hier und Jetzt

Als es am nächsten morgen an unserer Haustür klingelt, sprinte ich glücklich die Treppen hinunter. Ich reiße die Tür aus den Angeln, springe in Louis' Arme und schlinge meine Beine wieder um seine Hüfte.

»Guten Morgen«, flüstere ich mit einem verschmitzten Lächeln an seinen Lippen und drücke meine dann verlangend auf seine.

»So kann ich gerne jeden Morgen begrüßt werden«, schmunzelt Louis, als wir uns aus dem Kuss lösen.

Ich lächele ihn glücklich an und stelle mich dann wieder vorsichtig auf den Boden. Louis streicht mir eine lockige Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Deine Haare sehen toll aus«, gesteht er und schaut mich liebevoll an.

Ich freue mich, dass es Louis gefällt, denn ich bin heute morgen extra früh aufgestanden, um mir Locken zu machen. Ich hatte einfach so Lust, mich wieder etwas schick zu machen, nachdem ich mich letzte Woche so gehen lassen habe.

»Danke.« Ich gebe ihm einen kurzen Kuss und dann gehen wir beide wieder rein, damit ich mich noch in Ruhe anziehen kann.

Außerdem nehme ich mir noch schnell ein Schokobrötchen mit und verabschiede mich dann von meinen Eltern. Auf dem Weg zur Schule bin ich schon ganz aufgeregt, denn Louis und ich wollen den anderen noch verkünden, dass wir nun zusammen sind. Aus dem Grund habe ich alle gebeten, dass wir uns heute vor dem Eingang treffen.

Und als Louis und ich aussteigen, sehe ich die anderen bereits von weitem, die uns komische Blicke zuwerfen. Das kann ich jedoch gut nachvollziehen. Schließlich waren Louis und ich gestern noch absolut verfeindet. Wir erreichen unsere Gruppe und stellen uns dann glücklich nebeneinander.

»Hey«, begrüße ich alle und lächele in die Runde.

»Was hab ich verpasst?«, fragt Lina sichtlich verwirrt. »Versteht ihr euch wieder?«

Ich nicke und schaue dann zu Louis. »Ja, das war alles ein großes Missverständnis. Wir haben das geklärt.«

»Also ist alles wieder gut zwischen euch?«, erkundigt sich Alex.

»Ja. Ich würde sogar sagen, es läuft mehr als gut zwischen uns beiden.« Ich lächele Louis verliebt an, der meinen Blick erwidert und dann unsere Hände verschränkt. »Wir sind nun offiziell zusammen.«

»WAS?!«, kreischt Lina in mein Ohr und stürzt sich so sehr auf mich, dass Louis und meine Hand sich wieder trennen. »Oh mein Gott. Das ist ja fantastisch!« Lina schüttelt mich kräftig an den Schulter und fängt an, auf und ab zu springen.

Ich kann nicht anders, als über ihre Reaktion zu lachen, denn Lina sieht in dem Moment so süß aus.

»Ich denke, ihr habt viel zu erzählen«, mischt sich nun auch Sam ein, der wahrscheinlich endlich wissen möchte, was das Missverständnis die ganze Zeit war. Vor allem, weil es ihn in gewisser Weise auch betroffen hat.

Also nicke ich. »Kommt, wir gehen rein. Dann erzählen wir euch alles.«

***

In der Pause sitzen wir alle zusammen in der Cafeteria und ich genieße diesen schönen Moment. Alles ist gut. Lina und Alex sind glücklich. Louis und ich sind glücklich. Rob scheint auch glücklich zu sein, dass ich jemanden gefunden habe. Alles ist perfekt.

Von weitem sehe ich, wie Jess auf uns zuläuft. »Hallo.« Sie lächelt in die Runde und kommt direkt auf mich zu.

»Es ist schön dich endlich kennenzulernen, Maja.« Sie lächelt mir zu und lässt sich neben mich fallen. »Ich hoffe, du verzeihst mir, dass wir so einen schlechten Start hatten. Ich dachte, du wärst einfach eine Schulkollegin von Louis, die nichts dagegen hat, wenn ich ihn mir kurz schnappe. Ich wusste nicht, wie euer Verhältnis zueinander ist. Hätte ich es gewusst, dann wäre ich sicher nicht so aufdringlich gewesen. Das tut mir leid.»

Ich lächele ihr erleichtert zu, denn ich habe mich bereits auf alles eingestellt. Dass sie Louis für sich haben will, oder dass sie mich nicht leiden kann, weil ich ihm weh getan habe. Aber nein. Stattdessen freut sie sich wohl für uns beide.

»Das ist schon in Ordnung, Jess«, lächele ich. »Jetzt ist ja wieder alles gut.«

»Ja, darüber bin ich verdammt froh.« Sie nickt und steht dann auf. »Ich möchte euch nicht weiter nerven, also... gehe ich am besten wieder.«

»Du kannst gerne bleiben.« Ich kann nicht glauben, dass dieser Satz ausgerechnet aus meinem Mund zu hören ist.

»Wirklich?« Erstaunt schaut sie mich an. Wahrscheinlich hat sie damit gerechnet, dass ich irgendeinen Aufstand mache, oder sie nun auch nicht leiden kann. Sie hat sie wohl auch auf das Schlimmste eingestellt, so wie ich es getan habe. Doch bei mir braucht sie nichts zu befürchten.

Und ich bin verdammt froh, dass man sich einfach gut verstehen kann. Warum muss zwischen uns denn eine schlechte Stimmung herrschen? Warum muss ich bei ihr überhaupt vom Schlimmsten ausgehen? Nur weil Louis seinen ersten Kuss mit ihr hatte? Also bitte... das ist Jahre her. Und mittlerweile weiß ich, dass Louis mich liebt und dass er Jess nie geliebt hat. Für mich gibt es keinen Grund sie zu meiden. Sie kann genau so bei uns bleiben, wie Rob. Schließlich wird dieser auch von Louis akzeptiert, obwohl er mein Exfreund ist.

Man muss nicht immer das schlechte in den Menschen sehen. Nicht alle sind toxisch. Nicht alle lieben Streit. Und wir tun es offensichtlich nicht. Stattdessen akzeptieren wir einander. Ganz egal, wie die Vergangenheit aussieht. Denn diese ist nicht wichtig. Das einzige, was zählt, ist das Hier und Jetzt.

»Komm, setz sich.« Rob klopft auf den Platz neben sich und lächelt sie einladend an. Auch die anderen haben nichts dagegen. Und so haben wir an diesem Tag eine weitere Freundschaft gewonnen. Und vielleicht auch eine zukünftige Beziehung, wenn ich Rob und Jess so beobachte. Aber das hat alles noch seine Zeit.

So wie Jonas und Sam noch genügend Zeit haben, alles zu klären. Denn ich habe keine Ahnung, was zwischen den beiden passiert ist, aber ich weiß, dass Sam nach dem Freizeitpark mit ihm sprechen wollte. Und so distanziert, wie die zwei sich verhalten, scheint das Gespräch nicht allzu gut ausgegangen sein. Oder es hat gar nicht erst stattgefunden.

***

Nach der Schule erkläre ich Louis, dass ich noch kurz mit Sam reden möchte. Also wartet er im Auto auf mich, damit wir später zu mir fahren können.

»Sam, können wir kurz reden?«, möchte ich wissen und fange ihn vor dem Eingang ab.

»Klar, worüber denn?«

»Hast du mit Jonas gesprochen?« Meine Stimme wird leiser, daher nähere ich mich Sam ein wenig und hoffe, dass er mich verstanden hat.

Er seufzt und schaut sich dann um. »Können wir woanders darüber reden?«

»Louis wartet im Auto auf mich. Wenn du möchtest, können wir dich mitnehmen und du erzählst es gleich uns beiden?« Louis hat mir gestern erzählt, dass Sam ebenfalls schon mit ihm gesprochen hat. Darüber, dass er Gefühle für Jonas hat. Ich dachte immer, ich wäre die einzige, die es wusste. Aber Louis wusste es sogar, bevor ich es wusste.

»Okay.«

Wir steigen in Louis' Auto, ich erkläre ihm die Situation und dann fängt Sam endlich an zu erzählen, was passiert ist.

»Ich habe Jonas nach dem Freizeitpark gefragt, warum er so wütend war, als ich dem Mädchen meine Nummer gegeben habe. Zuerst hat er irgendeine blöde Ausrede gesucht, dass er eine schlechte Nachricht bekommen hat und deswegen so reagiert hat. Ich habe aber bemerkt, dass er gelogen hat. Also habe ich angefangen den Körperkontakt zu suchen, ich habe mich ihm genähert und er war so sprachlos darüber, dass ausgerechnet ich mich ihm annähern möchte«, erklärt er und fährt sich seufzend durch die Haare.

»Er dachte, ich wäre hetero. Mittlerweile weiß ich selber nicht, was ich bin. Vielleicht Bi? Naja... jedenfalls habe ich ihm dann meine Gefühle gestanden und ihm gesagt, dass ich sowas noch nie erlebt habe. Daraufhin hat Jonas mich geküsst.«

Ich reiße meine Augen auf, weil ich gar nicht glauben kann, dass das tatsächlich passiert ist. Auch Louis neben mir sucht kurz meinen Blickkontakt, bevor wir wieder neugierig zu Sam schauen. »Und was ist dann passiert?«

»Er hat sich als Erster wieder von unserem Kuss gelöst. Hat gesagt, dass alles ein großer Fehler war, dass es nicht richtig ist. Ihr hättet seinen Blick sehen sollen. Er war angewidert«, flüstert Sam bedrückt und ich sehe, wie die Tränen aus seinen Augen kommen.

»Was? Aber warum? Das klingt gar nicht, wie Jonas«, meine ich verwirrt.

Sam zuckt mit den Schultern. »Ich habe versucht ihm zu sagen, dass es überhaupt nicht falsch ist. Dass nichts daran falsch ist. Doch er hat es nicht verstanden und mir die Schuld gegeben, als wenn ich ihn geküsst hätte. Und dass ich doch Abstand von ihm halten soll.«

»Dieses Arschloch! Wenn ich diesen Blödhammel in die Finger kriege, dann wird er eine Woche nicht mehr vernünftig laufen können!«, meine ich rasend und spüre, wie die Tränen sich auch bei mir anstauen.

Wie kann man so leben? Warum findet man gleichgeschlechtliche Liebe falsch? Warum? Und warum ausgerechnet unser Jonas? Nie im Leben hätte ich gedacht, dass er so gemein sein kann.

»Bitte nicht, Maja. Das ist mein Problem und ich muss das jetzt selber irgendwie klären.«

Ich nicke, reiße mich zusammen, um keine Tränen zu verlieren und seufze dann. »Du hast Recht. Es tut mir nur so unfassbar leid, weil ich Vollidiot dir die ganze Zeit Hoffnungen gemacht habe. Und es tut mir leid, dass Jonas so gemein war. Ich verstehe das alles nicht.«

»Du findest einen besseren«, mischt auch Louis sich nun ein. »Vielleicht tut es jetzt weh, aber irgendwann findest du jemanden, der dich akzeptiert. Und vor allem jemanden, der sich selber akzeptiert. Egal, ob es nun ein Mädchen, ein Junge, oder sonst wer ist.«

Sam nickt. »Danke.«

Ich ziehe ein trauriges Gesicht und umarme Sam ganz feste, bevor wir endlich nach Hause fahren. Er hat das alles nicht verdient. Ich kann verstehen, wenn Jonas seine Gefühle nicht erwidert. Das ist auch okay. Aber muss man jemanden direkt so angreifen? Ich denke nicht. Denn wir sind alle Menschen, wir haben alle Gefühle und Probleme mit denen wir kämpfen müssen. Warum fällt es manchen nur so schwer Rücksicht auf andere zu nehmen? Warum?

***

Als Louis und ich, Sam bei sich zu Hause abgeliefert haben und dann bei mir angekommen sind, gehen wir küssend die Treppe nach oben und versuchen bloß nicht zu stolpern. Wir könnten auch mit dem Küssen warten, bis wir in meinem Zimmer sind, aber das wäre doch viel zu langweilig. Vor allem, weil ich seine Küsse genau jetzt will.

Ich lasse mich mit ihm auf meinem Bett fallen, küsse verführerisch seinen Hals, fahre durch seine Haare und atme seinen Duft ein. Alles an Louis ist so unfassbar berauschend, dass ich am liebsten niemals aufhören würde, doch irgendwann lösen wir uns voneinander, weil uns die Luft wegbleibt.

»Ich liebe dich, Maja«, flüstert Louis und setzt plötzlich wieder an meinem Hals an. Ich bemerke, wie er langsam anfängt an meinem Hals zu saugen und ihn währenddessen immer wieder küsst. Auch wenn es ein verdammter Knutschfleck wird, lasse ich mich im Moment fallen und genieße dieses unglaubliche Gefühl, das durch meinen Körper jagt.

Als Louis fertig ist, setzt er mir einen schnellen Kuss auf die Lippen und entfernt sich dann langsam von mir, während ich immer noch berauscht auf dem Bett liegen bleibe.

»Weißt du eigentlich was wir wegen Jonas und Sam unternehmen können?«, fängt Louis wieder an.

Ich setze mich endlich wieder auf und schaue dann seufzend zu Louis, der sich auf meinem Stuhl hin und herdreht. Ich muss unwillkürlich lächeln, weil er so süß dabei ausschaut.

»Ja, ich weiß, was wir machen können«, lächele ich. »Wir lassen sie selber ihre Erfahrungen sammeln. Auch, wenn es weh tut, irgendwann wird Sam damit klarkommen. Und vielleicht wird Jonas einsehen, dass es nicht schlimm ist, wenn man das gleiche Geschlecht mag.«

»Vielleicht wird aber auch alles im Chaos enden«, erwidert Louis skeptisch.

»Das mag sein. Keiner von uns weiß, wie es ausgehen wird. Wir können nur versuchen, das Beste aus allem zu machen. Und jetzt gerade bedeutet das, wieder etwas zu unternehmen. Jonas und Sam müssen Zeit zusammen verbringen, sich wieder annähern und Freunde werden. Das würde vollkommen reichen. Und ich habe schon eine Idee, was wir wieder machen können.«

»Zum Strand gehen?«, durchschaut Louis meinen Plan und ich verkreuze beleidigt meine Arme vor der Brust, wie ein kleines Kind.

»Woher wusstest du das?«

»Mittlerweile kenne ich dich, Maja«, lächelt er verschmitzt und ich sehe verträumt zu ihm herüber.

Ich will mir gar nicht vorstellen, dass ich Monate zuvor noch ein Leben ohne Louis geführt habe. Ohne Sam. Und, dass Louis nun in meinem Leben ist, habe ich einzig und alleine einer Entscheidung zu verdanken. Also stehe ich auf, gehe zu meinem Schreibtisch, öffne die Schublade und hole meine Mascara hervor.

»Wusstest du, dass sie der Grund ist, dass wir uns nun kennen?«, fange ich an und setze mich wieder auf mein Bett. »Auch wenn diese blöde Mascara grottenschlecht ist.«

»Stimmt. Ich kannte dich zwar schon davor, aber ich hätte mich nie getraut dich anzusprechen. Und dann entscheidest du einfach diese Mascara zu kaufen und Monate später sitzen wir nun hier.«

»Abgefahren, wie so eine kleine Sache, zu so etwas großem werden kann«, flüstere ich. »Doch jetzt brauche ich sie nicht mehr.«

»Was? Warum nicht?«

Ich lächele. »Sie hat ihren Zweck erfüllt und mich zu dir geführt. Den anderen Zweck kann man in die Tonne werfen.«

»Was hast du nun vor?«

»Vielleicht schmeiße ich sie wirklich weg«, überlege ich laut. »Denn ich brauche sie nicht mehr. Alles, was ich brauche, sitzt nun vor mir.«

Ich lasse die Mascara auf dem Bett liegen und laufe dann verliebt auf Louis zu. Und ich lege meine Lippen wieder einmal gefühlvoll auf die Lippen von Louis und kann gar nicht glauben, wie all das passieren konnte. Denn vor meinem inneren Auge spielt sich erneut der Tag ab, an dem ich die Mascara gekauft habe. Ein Tag, der so unbedeutend scheint. Ein Tag, der doch trotzdem alles verändert hat.

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