Kapitel 49 - die Wahrheit

Als ich am nächsten Morgen wach werde und realisiere, dass ich heute zu Hause bleiben kann, lächele ich glücklich in mein Kissen und kuschele mich noch ein wenig in meine Decke. Ich nehme mein Handy zur Hand, überprüfe alle Nachrichten und stehe dann gähnend auf. Ich ziehe mir etwas ordentliches an und gehe dann anschließend in die Küche, um in Ruhe etwas zu frühstücken.

Meine Eltern sind beide arbeiten, also schmiere ich mir ein Brötchen und gehe dann ins Wohnzimmer, um den Fernseher anzuschalten. Auch nach dem Essen bleibe ich hier und genieße die Sendung, die ausgestrahlt wird. Als ich jedoch höre, wie die Tür ins Schloss fällt, schrecke ich kurz auf und höre dann aufmerksam hin, um herauszufinden, wer es sein könnte.

Ida betritt das Wohnzimmer. »Hey, was machst du denn hier?«

»Ich hatte keine Lust auf Schule und du?«

»Meine letzten Vorlesungen sind ausgefallen«, erklärt sie mir und lässt sich dann seufzend neben mir auf die Couch fallen. »Und wie geht es dir?«

Ich habe den Gedanken an Louis so gut verdrängt, doch wenn ich Idas Frage höre und ihren Blick sehe, wird mir augenblicklich wieder übel. Ich will nicht daran denken. Ich will doch einfach nur glücklich sein und nicht mit diesem Herzschmerz herumlaufen.

»Es geht so«, murmele ich. »Und dir?«

Ida erzählt mir, dass es ihr wieder ganz gut geht. Und, dass sie wohl gleich mit dem Bruder von Alex verabredet ist. Der, der schon lange Gefühle für sie hat, aber ich glaube, Ida weiß das alles gar nicht.

Als es an der Tür klingelt, steht sie strahlend auf und ich laufe ihr, mit meinem Frühstücksbrett in der Hand, hinterher.

»Hey.« Mike sieht strahlend zu Ida. »Bist du fertig?«

Ida nickt, greift nach einer kleinen Tasche und dreht sich dann wieder zu mir. »Bis später, Maja.«

Mike streckt seinen Kopf hinein und schaut lächelnd zu mir. »Fackel bloß nicht die Bude ab.«

»Ich gebe mein Bestes«, versichere ich ihm und die beiden verschwinden lächelnd.

Als ich mein Brett gewaschen und weggeräumt habe, gehe ich wieder hoch ins Bad, putze meine Zähne und wasche mein Gesicht, bevor ich wieder in mein Zimmer schlendere. Ich krame meinen Laptop heraus und schaue mir irgendeine Serie an, die mich ablenkt. Das klappt ganz gut. Jedenfalls bis zu dem Moment, als meine Gedanken wieder lauter werden, als die Serie. Bis zu dem Moment, an dem ich mich wieder an Louis' Aufsatz erinnere.

Ich klappe meinen Laptop zu und gehe seufzend auf meine Tasche zu. Ich habe den Gedanken an den Aufsatz gestern so gut verdrängt. Doch jetzt hat er sich so sehr in mein Gehirn gebrannt, dass ich einfach nicht widerstehen kann. Ich ziehe ihn aus meinem Rucksack, sehe niedergeschlagen auf die erste Seite, die Louis und ich damals zusammen geschrieben haben und blättere dann weiter.

Mein Herz pocht so schnell in meiner Brust, als wenn ich einen Marathon gelaufen wäre. Ich zittere leicht, weil ich so nervös bin. Warum wollte Frau Dropew unbedingt, dass ich ihn lese? Um ehrlich zu sein, wollte ich deswegen heute nicht in die Schule gehen, weil ich wusste, dass sie mich wahrscheinlich schon erwartet. Doch ich habe keine Zeit gehabt, ihn mir durchzulesen. Vielleicht auch keinen Mut.

Jetzt will ich es aber unbedingt, also schaue ich mir die letzten Seiten an, lese sein Fazit durch, was jetzt nicht unbedingt was Besonderes ist und schaue dann auf seinen Abschnitt über seine Erfahrungen mit der Liebe. Ich habe unheimliche Angst es zu lesen, aber ich tue es, weil ich jetzt nicht mehr zurückgehen möchte.

Liebe hat für gewöhnlich fünf Buchstaben. Meine Liebe jedoch hat vier Buchstaben.
Es hat alles angefangen, als sie damals über die Treppenstufen gestolpert ist, in den Kuchen ihrer bester Freundin gefallen ist und so herzlich gelacht hat, dass sie meine Aufmerksamkeit sofort auf sich gelenkt hat. Ich war weit entfernt, habe sie das erste Mal wahrgenommen. Sie jedoch kannte mich nicht, jedenfalls nicht bis zu diesem Schuljahr. Ich habe sie gemocht, bevor ich sie überhaupt kannte. Ich weiß nicht, ob sowas auch Liebe ist. Wenn ja, dann war es zu der Zeit wohl eine unerwiderte Liebe, denn sie sah mich nicht. Stattdessen sah sie meinen besten Freund.

Ich liebe ihn, wie einen Bruder, aber ich weiß ganz genau, wie schnell er Herzen brechen kann. Und, egal wie sehr sie mich hassen würde, ich musste dafür sorgen, dass sie sich von ihm fernhält. Ich habe ihr Sachen an den Kopf geworfen, die ich niemals ernst gemeint habe. Ich wollte doch einfach nur, dass sie sich von ihm entfernt. Und es hat geklappt. Ich weiß bis heute nicht, warum es geklappt hat, aber plötzlich hat sie angefangen mich zu sehen. Wer ich wirklich bin.

Ich hätte nie gedacht, dass die Liebe einen so glücklich machen kann. Jedenfalls bis zu dem Moment, als sie wieder einen anderen gefunden hat. Ausgerechnet ihre vergangene Liebe. Ich habe mich immer gefragt, ob sie vollkommen mit ihm abgeschlossen hat, was offensichtlich nicht der Fall war.
Ist das üblich für die Liebe? Dass man nicht so leicht abschließen kann?

Sogar ich habe es geschafft. Vor ihr gab es ein anderes Mädchen. Sie war meine beste Freundin und ich habe früher immer gedacht, dass sie genau das ist, was ich brauche. Aber das war eine große Lüge. Und das habe ich realisiert, als ich mit ihr den Aufsatz geschrieben habe, denn nichts kann auch nur annähernd an sie heranreichen. Gar nichts.

Wie könnte auch jemals einer an sie herankommen? Während sie glücklich mit den Wolken herumflog, trauten sich die anderen nicht einmal davon zu träumen. Alle anderen wollten lieber auf dem Boden bleiben, ganz vorsichtig sein, sich anpassen und bloß keinen Fehler machen. Doch sie... sie schwebte, kostete jede Sekunde ihres Lebens aus und traute sich auch mal etwas. So einen Menschen kann man nicht mit den anderen gleichsetzen.

Und während ich das hier niederschreibe, kann ich kein Fazit dazu fassen, ob es nun eine unerwiderte Liebe ist, oder ob es einige Momente gab, in denen sie vielleicht ähnliches gefühlt hat. Ich weiß es nicht und ich werde es auch nie erfahren.

Aber der Gedanke daran, dass sie mich für eine gewisse Zeit wahrgenommen hat, reicht mir vollkommen aus, denn das war alles, was ich je wollte. Auch, wenn sie am Ende zu ihrem Exfreund gelaufen ist und mir das Herz gebrochen hat. Auch, wenn ich ihre Anwesenheit keine Sekunde mehr ertragen kann, weil sie mir weh tut. Auch, wenn mein bester Freund auf ihrer Seite steht, obwohl sie mich verletzt hat. Auch, wenn all diese Dinge am Ende passiert sind, so bin ich trotzdem froh, dass ich sie kennenlernen durfte. Dass ich sie lieben durfte. Denn sie ist wirklich atemberaubend.

Tränen tropfen auf den Aufsatz, als ich zu Ende gelesen habe und nicht fassen kann, dass das wahr ist. Louis liebt mich? Mich? Und nicht Jess? Aber warum denkt er, dass ich mit Rob zusammen bin? Warum? So viele Fragen schwirren in meinem Kopf herum. So viele Gefühle überwältigen mich. Und ich weiß ganz genau, was nun zu tun ist.

Ich stehe ruckartig auf, der Aufsatz ist immer noch in meiner Hand und laufe so schnell aus dem Zimmer, wie ich nur kann. In Sekunden bin ich unten angekommen, ziehe die Schuhe an, nehme den Aufsatz mit und laufe aus dem Haus. Ich muss sofort zu Louis. Ich muss ihm sagen, dass ich ihn liebe. Und zwar jetzt.

Also laufe ich, ich laufe so schnell ich kann. An so vielen Menschen vorbei, die mich verrückt anstarren, weil sie keine Ahnung haben, dass ich gleich meiner großen Liebe meine Gefühle gestehen werde. Ich kann nicht glauben, dass das passiert.

Louis kennt mich schon so lange. Und ich habe immer nur Augen für Sam gehabt, während er ständig daneben stand. Ich habe mich immer gewundert, warum er so schlecht gelaunt war. Jetzt weiß ich es. Ich Vollidiot habe ihm damals auch noch gesagt, dass ich weiß, warum er am Anfang so gemein zu mir war. Weil er seinen besten Freund beschützen wollte. Das habe ich immer gedacht. Doch das stimmt nicht. Denn er... er wollte immer nur mich beschützen.

Die Tränen strömen aus meinen Augen, ich kann sie nicht zurückhalten, denn alle Emotionen stürzen auf einmal über mich ein. Alles überflutet mich, denn ich kenne endlich die Wahrheit. Die verdammte Wahrheit, die mir mein Herz bricht, weil ich Louis so sehr liebe, dass ich es kaum glauben kann.

An der nächsten Ecke werde ich langsamer, weil mir die Luft ausgeht. Meine Beine brennen, doch ich will nicht aufgeben. Ich muss sofort zu Louis. Und als es langsam anfängt leicht zu regnen, verfluche ich dieses blöde Wetter, aber laufe weiter.

Doch, als ich bemerke, wie mir jemand entgegen läuft, glaube ich kurz, dass ich nicht richtig sehe. Ich schaue genau hin und dann erkenne ich ihn. Louis nimmt mich im selben Augenblick wahr, wir laufen aufeinander zu und bleiben voreinander stehen.

Louis sieht so aufgewühlt aus, wie ich mich wahrscheinlich fühle. Und als ich mich frage, woran das liegen kann, sehe ich den Aufsatz in seiner Hand. Meinen Aufsatz. Im selben Augenblick nimmt er wahr, dass ich seinen Aufsatz in meiner Hand halte.

Mein Herz pocht so schnell, weil mir klar wird, was hier gerade passiert. Denn die nächsten Minuten werden alles entscheiden. Wirklich alles.

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