Kapitel 47 - Vorfreude
Als ich am Montag den Kursraum betrete, halte ich meinen Aufsatz bereits in der Hand und lege ihn Frau Dropew auf den Tisch. Soweit ich weiß, möchte sie sich alle Aufsätze in Ruhe durchlesen, bevor die Präsentationen starten. Wann genau unsere Vorstellung vor der Klasse sein soll, weiß ich selber noch nicht. Und ich weiß auch gar nicht, ob Louis und ich überhaupt zusammen vorstellen werden, schließlich hat er sicher keine Lust darauf.
Sie lächelt mir liebevoll zu. »Danke, Maja.«
Ich gehe, ohne ein weiteres Wort, zu meinem Platz und setze mich hin. Die Unterlagen hole ich auch heraus und warte dann bis der Unterricht startet. Als Louis hereinkommt, bleibt mein Herz kurz vor Nervosität stehen und fängt dann an schneller zu schlagen. Es tut immer noch so weh, ihn zu sehen.
»Louis, kommst du bitte kurz zu mir?«, meint die Lehrerin und ich sehe sofort neugierig nach vorne.
»Was soll das?« Vorwurfsvoll sieht sie ihn an und überreicht ihm eine Mappe. »Du hast die letzte Aufgabe nicht erfüllt.«
»Ich weiß nicht, was ich da schreiben soll«, meint Louis und zuckt mit den Schultern.
»Wie bitte?« Die Stimme unserer Lehrerin wird lauter. »Du weiß nicht, was du da schreiben sollst? Du hast sicherlich schon Erfahrungen mit der Liebe gemacht, oder kannst wenigstens erklären, wie du dazu stehst, Louis. Ich bin wirklich enttäuscht, denn ich weiß, dass du das besser kannst. Das ist nicht üblich für dich. Also, warum gibst du den Aufsatz ab, obwohl er unfertig ist?«
Louis zuckt mit den Schultern. »Ich weiß nicht.«
Frau Dropew seufzt. »Du hast bis morgen Zeit ihn zu Ende zu schreiben. Bring ihn bitte morgen früh direkt zu mir ins Büro.«
Louis nickt. »Okay, mach ich.«
»Ach und Louis?« Frau Dropew lächelt. »Manchmal ist Ehrlichkeit angreifbar, ich verstehe, dass man sich davor fürchtet. Aber du solltest versuchen darüber zu schreiben. Was auch immer dich so bedrückt. Es tut manchmal ganz gut seine Gefühle aufzuschreiben und nicht davor zu fliehen.«
Louis nickt und setzt sich in Bewegung, weshalb ich meinen Blick sofort von ihm abwende und woanders hinschaue, sodass er nicht denkt, dass ich zugehört habe.
Und auch ich finde es komisch, dass Louis den Aufsatz einfach so abgegeben hat, obwohl er nicht fertig ist. Denn ich habe gesehen, wie gut er schreiben kann und dass es ihm auch nichts ausmacht. Warum sollte er ausgerechnet bei der Liebe nichts schreiben? Schließlich hat er doch Jess, über die er schreiben kann.
Und ich muss zugeben, dass Frau Dropew recht hat, denn manchmal tut es wirklich gut seine Gefühle aufzuschreiben. Ja, es hat weh getan, aber es hat auch genauso gut getan. Komischerweise ist es beruhigend, dass man seine Gedanken auch an eine andere Person weitergeben kann. Auch, wenn es nur die Lehrerin ist.
***
Der restliche Montag ist genau so langweilig, wie der darauffolgende Dienstag. Lina und Alex schauen sich ständig verliebt an, während Sam und ich zusammen leiden. Soweit ich weiß, hat Sam am Wochenende mit Louis gesprochen. Und Louis war tatsächlich beleidigt, weil Sam immer noch mit uns Zeit verbringt. Als er ihn jedoch gefragt hat, warum er plötzlich ein Problem mit mir hat, ist Louis wohl wütend geworden und einfach abgehauen.
Sam versteht ihn nicht. Ich verstehe ihn nicht. Und ich frage mich, ob er sich überhaupt selbst versteht. Was ist nur los mit ihm? Auch, wenn es mich eigentlich nicht mehr interessieren sollte, weil es bereits eine Woche her ist, als ich das letzte Mal mit Louis geredet habe, so tut es das trotzdem. Ich kann nicht einfach so damit aufhören.
Und so weh es tut Louis mit Jess zu sehen, so bin ich doch jedes Mal erleichtert, wenn ich die beiden nur freundschaftlich miteinander quatschen sehe. Ich sehe kein Händchen halten, keine Küsse, keine Annäherungsversuche und all das macht mich dann doch wieder ein wenig glücklich. Vielleicht hat Jess immer noch kein Interesse an ihm? Aber komischerweise sehe ich auch keine Annäherungsversuche von Louis. Das alles wundert mich aber, weil Louis mich doch schließlich für sie abgeschossen hat. Die Frage ist nur: Warum? Wollte sie das? Oder ist alles von Louis selber ausgegangen? Hat er selber die Entscheidung getroffen mir das Herz zu brechen? Weiß er eigentlich, was er da gemacht hat?
»Hey.« Rob setzt sich mit einem Lächeln im Gesicht zu uns. »Habt ihr eigentlich morgen nach der Schule schon was vor?«
»Was hast du geplant?«, will ich sofort wissen. Ablenkung ist gerade das einzige, was mich nicht ständig in Trauer verfallen lässt, also nutze ich jede Gelegenheit aus.
»Ich hab noch nichts geplant«, grinst er. »Aber ich dachte mir, wir könnten morgen alle zusammen in einen Freizeitpark. Ich hab so Bock auf schnelle Achterbahnen und verrückte Loopings!«
»Ich bin dabei«, lächele und schlage glücklich mit ihm ein.
Die anderen sind ebenfalls alle begeistert von der Idee und so habe ich endlich wieder etwas, auf das ich mich freuen kann. Ein Tag, an dem ich auch wirklich Spaß haben kann. Und ihn nicht nur ertragen muss.
***
Als ich am nächsten Tag in die Schule gehe, habe ich endlich wieder ein Lächeln auf den Lippen. Und so betrete ich auch den Deutschkurs. Glücklich und voller Vorfreude.
»Maja?« Meine Lehrerin schaut mich liebevoll an und ich steuere direkt auf ihr Pult zu. Es sind erst wenige Schüler hier, deswegen bin ich ein wenig verwundert darüber, dass sie schon hier ist.
»Guten Morgen, Frau Dropew.«
»Maja, ich... ich habe etwas, was du vielleicht lesen solltest.« Sie überreicht mir eine dünne Mappe, woraufhin ich sie verwirrt ansehe.
»Louis hat mir gestern den Aufsatz gegeben, den er neu schreiben sollte. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass du ihn lesen solltest, Maja.«
»Was, warum? Das geht mich alles nichts an.« Ich will ihr die Mappe zurückgeben, doch sie schüttelt sofort mit ihrem Kopf.
»Maja, vertrau mir. Lies es dir am besten in Ruhe durch, wenn du zu Hause bist.« Sie nähert sich mir. »Und erzähl niemandem etwas davon, dass ich ihn dir gegeben habe«, flüstert sie.
Ich bin ganz verwirrt. Warum soll ich seinen Aufsatz lesen? Das sind seine privaten Gedanken, die mich nicht zu interessieren haben. Also stopfe ich den Aufsatz in meine Tasche und lasse ihn für den Rest des Tages dort liegen. Ich verstecke ihn absichtlich ganz hinten in der Ecke, damit er mir nicht mehr ins Auge fällt, denn ich möchte nicht daran denken. Ich möchte nicht an Louis denken. Nicht heute. Nicht, wenn alles gut läuft. Und es läuft sogar so gut, dass Louis heute nicht mehr in der Schule auftaucht.
Als wir alle nach der Schule zu den Autos laufen, frage ich Sam, ob er weiß, warum Louis nicht da ist. Und so wie es aussieht, hat Louis wohl einfach keinen Bock gehabt, zur Schule zu kommen. Sam und er reden wieder miteinander, auch wenn Louis wohl immer noch leicht distanziert ist und Sam nicht erzählt hat, was genau sein Problem ist. Aber das braucht wohl alles einfach seine Zeit.
»Willst du es heute mal versuchen?«, flüstere ich Sam zu und sehe dann zu Jonas, der plaudernd mit Sebi vor uns läuft.
»Ich glaube nicht. Zumindest nicht heute. Den Tag will ich nicht kaputt machen.«
»Wer sagt denn, dass du den Tag dadurch kaputt machst? Vielleicht wird er ja sogar besser?«, gebe ich optimistisch von mir.
Sam lacht verletzt auf. »Das glaubst du doch nicht wirklich, oder? Jonas gibt mir nämlich keinerlei Anzeichen, dass er ebenfalls an mir interessiert ist. Das kann ich wirklich vergessen.«
Ich seufze. »Am Ende ist es ja immer noch deine Entscheidung. Und nur deine.«
Wir fahren insgesamt mit zwei Autos. In meinem, beziehungsweise in Sams Auto, sitzen Sam, Alex, Lina und ich. In dem anderen Auto sitzen Flo, Sebi und leider auch Jonas. Ich hatte gehofft, dass Jonas und Sam sich im Auto vielleicht ein wenig annähern würden. Doch das fällt nun ins Wasser.
Aber vielleicht erwidert Jonas tatsächlich nicht Sams Gefühle. Vielleicht kann nicht immer alles perfekt laufen. Und das ist okay. Man kann nicht immer das Glück haben, dass die Person, die man liebt, einen auch zurück liebt. Und das muss man eben akzeptieren.
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