Kapitel 42 - Keine Liebe ohne Risiko

Wir sitzen auf dem warmen Sand, hinter uns befinden sich weiche Kissen mit denen wir uns an die Felsen lehnen und den schönen Ausblick genießen können. Es sind fast alle da, nur Lina und Alex fehlen noch. Soweit ich weiß, wollen die beiden zusammen mit dem Bus fahren. Und ich muss Lina später unbedingt noch fragen, was nun zwischen ihr und Alex ist. Schließlich ist sie immer noch nicht auf mich zugekommen, um darüber zu reden. Wobei ich mir sehr sicher bin, dass es eine Menge zum Reden gibt, aber wahrscheinlich will sie es sich selber noch nicht eingestehen. Genau so ist es nämlich mit Louis und mir.

Von weitem sehe ich die zwei bereits in unsere Richtung laufen. Linas blonde Haare sind offen und fliegen in alle Richtungen, während sie das schönste Lächeln aller Zeiten auf den Lippen trägt. Ihr gelbes Sommerkleid flattert ebenfalls herum, zieht die Sonne förmlich an und lässt sie nur noch mehr strahlen.

»Hey«, begrüßen die zwei uns, als sie endlich bei uns ankommen.

Ich stehe auf und umarme die beiden erstmal, bevor ich mir Lina schnappe, um mit ihr ein bisschen am Strand zu spazieren.

»Du siehst richtig glücklich aus«, teile ich ihr mit und sehe lächelnd zu ihr.

Sofort strahlen ihre blauen Augen mich an. »Das bin ich auch.«

»Gibt es dafür einen Grund?«, hake ich weiter nach, weil ich hoffe, dass sie es mir endlich gesteht.

»Ja«, grinst sie. »Alex und ich haben uns vorhin geküsst.«

Ich bliebe geschockt stehen und schaue sie mit großen Augen an. »Wie bitte?«

Ich habe mit allem gerechnet, aber dass die zwei sich bereits geküsst haben? Wow. Das ging ja richtig schnell.

»Ich denke mal, du weißt bereits, dass ich seit einiger Zeit Interesse an ihm habe«, gesteht sie und geht dann wieder weiter. »Und da habe ich heute einfach mal den ersten Schritt gemacht und ihn geküsst.«

Ich sehe stolz zu Lina und kneife ihr quietschend in die Wange, weil ich es kaum glauben kann. »Das hast du gut gemacht, Lina!«

»Und Alex wollte sogar gar nicht mehr aufhören«, kichert sie glücklich.

»Das wundert mich auch nicht, wenn man bedenkt, wie lange er darauf gewartet hat«, lächele ich.

Lina bleibt stehen. »Was?«

»Hat er dir das nicht gesagt? Er hegt schon ziemlich lange Gefühle für dich. Ich habe es zufällig erfahren bei einem Fußballspiel. Der Tag, an dem du zu spät gekommen bist«, erkläre ich und nähere mich mit meinen Füßen dem kalten Wasser.

»Echt?« Ihr Strahlen wird noch größer.

Ich bin froh, dass sie anscheinend versteht, dass ich es ihr nicht sagen konnte. Schließlich ist das nicht meine Aufgabe. Und ohne mich hat es letztendlich auch funktioniert.

»Ja.«

Das kalte Wasser kommt näher, umhüllt meine Füße und verschafft mir eine schöne Abkühlung. Als es wieder zurückgeht, vermisse ich es bereits und trete wieder ein Stück näher. Doch ich fühle nur den nassen Sand unter meinen Füßen und sehe ein paar kleine Muscheln, die entweder zerbröselt sind und ihr Leben hinter sich gelassen haben, oder welche, die noch in vollem Glanz strahlen und das Leben genießen.

»Wie läuft es mit dir und Louis?«, erkundigt Lina sich nun.

»Was meinst du?«, stelle ich mich dumm und sehe, wie Linas Grinsen nur noch größer wird.

»Ach komm schon Maja. Ihr verbringt so viel Zeit miteinander und spätestens nach der Nacht auf dem Erdbeerfeld sollte dir klar sein, dass Alex und ich wissen, dass ihr zwei euch mögt.«

»Na schön, du hast ja Recht. Es ist einfach so komisch sich einzugestehen, dass ich ausgerechnet Louis verfallen bin, obwohl ich immer nur Sam haben wollte.«

»Das kann ich verstehen, aber wir sind deine Freunde und glaub' mir, wir merken, wenn dir jemand besonders gefällt. Vor allem Alex und ich«, lächelt sie. »Also, sag schon, wie läuft es nun mit euch beiden?«

»Abgesehen davon, dass er morgen für zwei Wochen wegfährt, läuft es super«, erkläre ich mit einem leichten schmunzeln.

»Er fährt weg? Wohin?«

»Zu seinen Großeltern, ihnen geht es wohl nicht gut«, erkläre ich und stecke meinen Fuß tiefer in den Sand. »Und dabei habe ich immer gehofft, dass wir zwei uns in den Herbstferien endlich näherkommen. Zumindest so wie du und Alex.«

»Es wäre wirklich toll, wenn es zwischen euch beiden klappen würde. Ich mag Louis mittlerweile sehr gerne«, gesteht sie lächelnd.

»Ich möchte auch unbedingt, dass wir uns näherkommen, aber heute ist einfach ein schlechter Zeitpunkt dafür. Schließlich ist er dann für zwei Wochen weg. Ich muss also noch ein bisschen warten und hoffen, dass es danach mit uns klappt«, erkläre ich.

»Ich wünsche euch nur das Beste«, flüstert Lina und schaut in die Ferne.

»Danke, Lina.«

Minuten später kommen die Wellen zurück, schneller und größer als zuvor. Ich will ihnen eilig ausweichen, doch rutsche aus und versuche mich an Lina festzuhalten. Wir beide haben jedoch keine Chance und landen lachend auf dem Sand, der von den Wellen sekundenlang ertränkt wird.

Jetzt sind wir zwar klitschnass, aber wenigstens haben wir so eine schöne Abkühlung abbekommen. Und da ich jetzt sowieso nass bin, kann ich auch direkt ins Wasser gehen. Also rappele ich mich wieder auf, ziehe mein hellblaues Kleid aus und laufe mit dem Bikini ins Wasser, wo die Wellen mich bereits erfreut begrüßen. Lina folgt mir Sekunden später ebenfalls und so schwimmen wir eine Zeit lang glücklich im Wasser herum, mit dem Wissen, dass es dem anderen genauso gut geht, wie einem selbst. Mit dem Wissen, dass wir zumindest für den Moment wunschlos glücklich sind. Und das ist das schönste Gefühl aller Zeiten.

***

Nachdem Lina und ich wieder aus dem Wasser zurückgekehrt sind, habe ich bereits gemerkt, wie meine Mascara angefangen hat zu kleben. Also habe ich kurzerhand mein Handy rausgeholt und gesehen, dass sie wieder einmal verlaufen ist und kaum noch etwas übrig geblieben ist. Ich habe es bereits erwartet, aber ich bin trotzdem enttäuscht. Schließlich hat sie 50 Euro gekostet und soll angeblich wasserfest sein! Da habe ich schon deutlich bessere Mascaras gekauft, die auch um einiges günstiger waren.

Ich reibe mir die schwarzen Flecken unter den Augen mit dem Finger weg und sehe wieder einigermaßen passabel aus. Trotzdem bin ich noch enttäuscht.

»Was ist los?«, will Sam wissen, der direkt neben mir sitzt und mitbekommen hat, wie ich genervt unter meine Augen reibe.

»Die blöde Mascara verschmiert die ganze Zeit«, quengele ich und sehe zu ihm.

»Na dann hättest du mal lieber die Mascara für 50 Euro benutzt«, zwinkert er mir grinsend zu und ich kann nicht anders, als verzweifelt zu seufzen.

»Das ist ja die Mascara.«

Sam lacht kurz auf. »Wow, dann würde ich die an deiner Stelle nicht nochmal kaufen.«

»Das hatte ich auch nicht vor. Schließlich sehe ich damit aus, wie ein verdammter Panda.«

»Aber ein sehr süßer Panda«, schiebt Louis von der Seite hinterher und zwinkert mir zu.

Ich sehe grinsend zu ihm und verdrehe lächelnd meine Augen. Die Schmetterlinge in meinen Bauch tanzen Salsa. Dann bemerke ich jedoch Sams Augen auf uns beiden und senke schnell meinen Blick. Oh Gott.

Louis steht auf, um die Marshmallows aus dem Auto zu holen und lässt mich mit Sam alleine in der unangenehmen Situation zurück.

»Sag mal..«, ertönt Sams Stimme leise neben mir und ich ahne bereits das schlimmste. »Läuft da was zwischen dir und Louis?«

Ich hebe meinen Blick und sehe ihn ertappt an. »Äh.. nein, eigentlich noch nicht?«

Okay, wie blöd bin ich bitte? Noch nicht? Was soll er denn da denken?

»Aber du magst ihn, oder?«, hakt er weiter nach.

»Ja, irgendwie schon. Tut mir leid«, gestehe ich.

»Was?« Sam lacht auf. »Das muss dir doch nicht leid tun. Ich hatte ja bereits bei unserem Gespräch auf dem Schulgelände die Vermutung, dass du Louis magst. Aber so wie es aussieht, mag er dich wohl auch.«

Meine Augen werden größer und ich bemerke, wie meine Wangen sich leicht rot färben. »Denkst du wirklich?«

»Es kann schon sein. Und ich bin mir sicher, dass er noch nicht mit mir darüber geredet hat, weil er auch denkt, dass das nicht richtig ist. Schließlich haben wir uns ja zuerst kennengelernt. Aber das ist kein Problem, ihr könnt machen was ihr wollt«, lächelt Sam und macht mich dadurch endlos glücklich.

»Danke Sam!«

Die anderen fangen an das Lagerfeuer anzumachen und sind so beschäftigt, dass Sam und ich endlich in Ruhe quatschen können. Und es tut gut. Allerdings will ich ihn auch noch etwas fragen, wenn wir schon dabei sind unsere Gefühle auszuschütten.

»Gibt es denn bei dir auch jemanden, den du magst?«, hinterfrage ich neugierig.

Er kratzt sich verlegen am Hinterkopf. »Äh.. das ist etwas komplizierter.«

»Inwiefern?«

»Ich weiß nicht, ob ich schon darüber reden kann«, meint er leise und kommt mir zum ersten Mal so unfassbar schüchtern vor.

»Egal, was es ist, du kannst mit uns über alles reden, Sam. Dafür sind Freunde da«, baue ich ihn auf und hoffe, dass es etwas hilft.

»Das Problem ist... dass ich eine außergewöhnliche Person mag«, erklärt er und redet um den heißen Brei herum.

Ich weiß ganz genau, was er mir sagen möchte. Und ich weiß auch, dass das überhaupt kein Problem ist.

»Sowas ist kein Problem, Sam«, lächele ich.

»Wenn du wüsstest, wen ich meine, dann würdest du das nicht sagen.«

»Darf ich raten?«

Seine Augenbrauen schießen in die Höhe und verwundert sieht er mich an. »Klar kannst du das, aber ich bezweifle, dass du weißt-«

»Ist es Jonas?«, unterbreche ich ihn.

Sam sieht wirklich geschockt aus, sagt kein Wort und fängt plötzlich an hektisch zu atmen. Ich weiß nicht, warum er so reagiert, aber es macht mir ein wenig Angst.

»Hey, alles okay, Sam«, beruhige ich ihn und fahre ihm sanft über die Schulter.

Er schluckt und sieht dann in die Ferne. Es dauert Minuten, bis er irgendwas sagen kann.

»Woher weißt du das?«, krächzt er heraus und mein Herz fängt an schneller zu schlagen, weil es tatsächlich der Wahrheit entspricht.

»Heute beim Fußballspiel habt ihr euch irgendwie merkwürdig verhalten«, erkläre ich. »Eigentlich habe ich geplant es erstmal für mich zu behalten, aber nun wollte ich doch die Gelegenheit nutzen und dich darauf ansprechen.«

»Jonas weiß nichts davon und ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich von mir fernhalten wird, wenn er es erfährt. Also sag das bitte keinem, Maja.«

»Ach Quatsch, ich kann mir gut vorstellen, dass Jonas ähnliches empfindet«, versuche ich ihn zu besänftigen.

»Aber er steht doch nicht auf Männer«, meint Sam verzweifelt.

»Ja, und du auch nicht«, kommt es wie aus der Pistole geschossen. »Oder gab es davor etwa schon jemanden?«

»Nein.« Er schüttelt seinen Kopf. »Das ist alles neu für mich. Ich habe ihn eben besser kennengelernt, indem ich durch dich in den Freundeskreis gekommen bin. Und irgendwie hat er mir so gut gefallen, dass ich herausfinden musste, was das bedeutet. Also habe ich ihn gefragt, ob er mir Fußball spielen beibringt«, schüttet Sam mir sein Herz aus und lässt mich mit seinen ehrlichen Worten in seine Welt blicken.

»Das war der Grund, warum du Louis nicht gefragt hast?«, will ich wissen und Sam nickt.

»Ich habe versucht es so unauffällig wie möglich zu machen. Ich wollte nicht, dass einer von euch auf die Idee kommt, dass ich Jonas mag, bevor ich nicht selber wusste, was los ist. Und da du dich mit Louis immer besser verstanden hast und ihr so viel Zeit verbracht habt, habe ich das zuerst als Argument benutzt, warum ich Louis nicht gefragt habe. Am Anfang dachte ich, dass ihr nun gute Freude werdet, weil Louis sich normalerweise nicht so schnell verguckt, aber da habe ich mich wohl getäuscht. Naja, und eigentlich wollte ich auch gar nicht so dringend Fußball lernen. Ich habe einfach nur einen Grund gebraucht, um mehr Zeit mit Jonas zu verbringen.«

Ich kann's gar nicht glauben. So sehr war ich mit meinen eigenen Problemen beschäftigt, dass ich nicht mal sowas realisieren konnte? Unglaublich.

»Und was ist jetzt nach den zwei Wochen dabei herausgekommen?«, möchte ich wissen und sehe zu Louis, der weit entfernt bei den anderen steht und die Marshmallows auf die Spieße steckt.

»Ich bin hoffnungslos verloren«, lacht er verletzt auf. »Meine Gefühle sind nur noch stärker geworden und solche Momente wie heute Nachmittag sind immer öfter passiert. Ich war dann immer überfordert, während Jonas ganz normal weiter gemacht hat. Für ihn hat das alles keine Bedeutung.«

»Bist du dir sicher? Vielleicht solltest du heute mal mit ihm reden«, schlage ich vor.

»Ich weiß nicht, ob das gut ausgehen wird«, seufzt er.

»Das weiß ich auch nicht. Aber du musst wissen, ob es sich lohnt ihm das zu erzählen.«

Natürlich weiß keiner von uns, wie das ausgehen wird, man kann nur hoffen. Doch dafür ist das Leben doch da. Um seine eigenen Erfahrungen zu machen, um etwas Neues auszuprobieren, auch wenn es einem Angst macht.

Vielleicht fällt man tief und zersplittert. Vielleicht fliegt man hoch und kommt nie wieder runter. Vielleicht sollte man manchmal einfach etwas tun, ohne nachzudenken. Und vielleicht gibt es eben keine Liebe ohne Risiko.

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