Kapitel 22 - besessen

Als ich am Montag die Schule betrete, freue ich mich eigentlich auf die Woche, denn mittlerweile scheint alles ganz gut zu laufen. Abgesehen von Louis, aber das lief bis jetzt sowieso noch nie gut, also macht es mir auch nicht allzu viel aus.

Lächelnd begrüße ich Rob vor der Schule und umarme ihn einmal, bevor wir reingehen. Irgendwie finde ich es toll, dass er auf mich gewartet hat. Das haben wir früher nämlich auch immer gemacht, als wir zusammen waren. Auch wenn wir keinen Unterricht zusammen hatten, haben wir in der ersten Stunde immer auf den anderen gewartet. Ich finde es schön, dass er diese kleine Geste nicht vergessen hat, denn manchmal zählen auch die kleinen Dinge.

Da wir jedoch auch diesmal keinen Unterricht zusammen haben und nur in unterschiedlichen Kursen gelandet sind, trennen sich unsere Wege ganz schnell wieder. Wir plaudern zwar ein wenig, aber für mehr reicht uns die Zeit einfach nicht.

Meine Gefühle zu Rob haben sich viel mehr geändert, als ich erwartet habe. Ich wünsche mir momentan einfach keine Beziehung mit ihm, egal wie toll er ist. Und irgendwie finde ich das komisch. Ich meine, ich weiß genau wie perfekt er ist und ich weiß auch, wie toll es ist mit ihm zusammen zu sein, aber anscheinend habe ich keine Wahl darüber wem ich verfalle. Das kann nur mein Herz entscheiden und das hat sich definitiv nicht für Rob entschieden.

Obwohl das alles so viel einfacher wäre, denn ich weiß genau, dass es um einiges schwieriger mit Sam wird. Ich weiß ja nicht einmal, ob er Interesse an mir hat. Ich seufze und setze mich auf meinen Platz, während ich mit meinen Gedanken ganz woanders bin. Manchmal wünsche ich mir, dass die Liebe so viel einfacher ist. Dass man sich trifft und beide direkt wissen, dass man nie wieder jemand anderen haben möchte und dass man dann für immer zusammen bleibt, ohne jegliche Probleme. Doch so einfach ist es nie, oder?

Vielleicht ist es auch das, was die Liebe ausmacht: Dass beide an der Beziehung arbeiten und Höhen und Tiefen durchstehen. Vielleicht sind einige Hürden im Nachhinein doch etwas Gutes.

***

Der Tag zieht immer mehr an mir vorbei und so langsam frage ich mich wirklich wo zur Hölle Sam ist. Ich habe ihn den ganzen Tag nicht mehr gesehen und ich hoffe es geht ihm gut. Vielleicht sollte ich gleich mal Louis fragen, da wir sowieso Deutsch zusammen haben, denn in der Pause habe ich mich nicht ganz getraut mit ihm zu reden. Vor allem aber, weil er mit Alex über die Wette diskutiert hat, die die beiden abgeschlossen haben.

Denn anscheinend haben sie darüber gewettet, wer das Fußballspiel gewinnt und da Louis gewonnen hat, schuldet Alex ihm jetzt 20 Euro. Doch Alex hat ständig darüber gejammert, dass Louis am Freitag doch sowieso vor dem Ende des Spiels nach Hause gegangen sei und die Wette damit ungültig geworden ist. Ich glaube, ich habe immer noch leichte Kopfschmerzen von dem kindischen Drama der beiden.

Aber irgendwie finde ich es auch faszinierend, wie schnell Louis sich in unseren Freundeskreis schleichen konnte, ohne, dass ich es wirklich wahrgenommen habe. Ich dachte immer, er ist nur wegen Sam da, aber das stimmt nicht, denn Sam ist heute offensichtlich nicht anwesend und trotzdem sitzt Louis bei uns. Vielleicht ist es mir auch nie aufgefallen, weil ich entweder geflüchtet bin, sobald er da war, oder weil ich mich die ganze Zeit darüber aufgeregt habe.

Und so ist es passiert, dass auch Louis sich nun mit den Jungs versteht. Zu Lina hat er noch keinen festen Draht bekommen, weil sie genau weiß, wie wenig ich Louis ausstehen kann. Deswegen macht sie es ihm ein wenig schwerer sie kennenzulernen und, verdammt nochmal, ist Lina nicht eine unfassbare Freundin? Das Wort Loyalität steht bei ihr anscheinend an erster Stelle, während die Jungs nicht mal ansatzweise gerafft haben, dass ich Louis nicht ausstehen kann. Aber das wundert mich auch nicht, schließlich sind es alles Holzköpfe und damit meine ich auch Florian, der immer als klug betitelt wird.

»Louis.« Ich sehe ihn an, während er den Raum betritt und mich einfach ignoriert und zu seinem Platz geht. Ich drehe mich genervt nach hinten und fuchtele mit meiner Hand vor seinem Gesicht herum. »Hallo? Bist du anwesend?«

»Ja und ich wünschte es wäre nicht so«, gibt er bissig von sich und rollt mit seinen Augen.

»Weißt du zufälligerweise, wo Sam ist?«, rücke ich direkt mit der Sprache raus, weil ich so geblendet von dem Typen bin.

Louis stöhn genervt auf und reibt sich mit seinen Händen durchs Gesicht. »Wie besessen bist du bitte von ihm?«

Wie bitte? Was fällt ihm eigentlich ein?

»Spinnst du? Ich bin doch nicht besessen!«, verteidige ich mich selber.

»Oh doch, das bist du und es fuckt mich ab, also lass mich endlich in Ruhe.« Er holt sein Handy aus der Tasche und ignoriert mich dann wieder.

Bin ich wirklich so besessen von Sam? Und ist es nicht eigentlich etwas Gutes, wenn man jemanden so sehr mag? Oder nervt es die anderen tatsächlich so sehr?

Irgendwie war es nicht meine Intention andere damit zu nerven. Ich freue mich einfach so sehr, dass ich etwas Liebe versprühen kann, nach dem ganzen letzten Jahr. Ich freue mich, dass mit Rob alles wieder gut ist und ich freue mich so sehr, dass ich Kontakt zu Sam habe. Aber bis jetzt ist mir nicht so richtig klar gewesen, wie sehr ich von Sam abhängig bin. Und ich frage mich, wie das so schnell passieren konnte.

Eigentlich will ich Louis auch noch fragen, wann wir unseren Aufsatz weiter machen wollen, denn schließlich schreibt er sich nicht von alleine, also tue ich es einfach, auch wenn er gerade ziemlich genervt von mir ist.

»Und was ist mit dem Aufsatz?«, hinterfrage ich. »Sollten wir da nicht mal langsam weiter machen?«

Louis lacht. »Jetzt ist dir der Aufsatz wieder wichtig?«

Ich bemerke seinen spöttischen Unterton und irgendwie trifft es mich mehr, als es sollte. Der Umgang mit Louis wird mich irgendwann noch verrückt machen, ich weiß es ganz genau.

»Er war mir schon immer wichtig«, beteuere ich. »Also, heute nach der Schule? Um 15 Uhr?«

Louis' schwarze Augen treffen auf meine, verlieren sich kurz in meinen braunen Augen, bevor er zur Seite sieht und für einen Moment darüber nachdenkt, ob er sich wirklich mit mir treffen möchte.

»Okay, ich warte vor dem Eingang auf dich«, antwortet er, während ich ihm zunicke und mich dann wieder nach vorne drehe.

***

Um 15 Uhr laufe ich auf den Eingang zu, als ich Louis bereits dort stehen sehe. Kurz mustere ich ihn von weitem, da er heute wirklich gut aussieht.

Er hat eine schwarze Hose an, dazu weiße Sneaker und ein weißes Oberteil mit einem Künstlernamen, den ich nicht kenne. Seine helle Jeansjacke vollendet das ganze Outfit perfekt und ich finde, dass es ihm wirklich gut steht. Und von seinen braunen Harren muss ich gar nicht erst anfangen, oder? Die sehen nämlich jeden Tag gut aus. Und diese schwarzen Augen, die mich bereits aus der Ferne anstrahlen, faszinieren mich ebenfalls jeden Tag aufs Neue. Wenn die Augen das Tor zur Seele sind, dann hat Louis mit Abstand die leuchtendste Seele, die ich jemals erblickt habe.

»Hey«, begrüße ich ihn und lächele.

Ich hoffe wirklich, dass die Zeit schnell vorbei geht und wir einen guten Anfang hinlegen können. Denn es wäre wirklich kritisch, wenn Louis und ich uns jetzt die ganze Zeit streiten würden. Dann müsste ich wohl nochmal mit Frau Dropew reden.

Er lächelt mich an und steckt sein Handy dann in seine Hosentasche. »Ist es okay für dich, wenn wir heute erstmal in ein Café gehen?«, schlägt er vor.

Mein Herz schlägt kurz schneller bei dem Gedanken, dass er tatsächlich Rücksicht auf mich nimmt. Da das jedoch normal sein sollte, versuche ich meine Euphorie darüber ein wenig zu verstecken.

»Klar, gerne«, nicke ich und denke, dass der Nachmittag vielleicht doch nicht ganz so schlecht wird.

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