Kapitel 15 - Geschwisterliebe
Als mein Vater am Morgen die Küche betritt, sieht er uns verwirrt an.
Ida und ich sitzen nämlich am Tisch, essen unsere Sandwiches, während sie tatsächlich das ein oder andere Lächeln präsentiert. Und in dem Moment bin ich so unfassbar stolz auf sie.
Mein Vater fragt sich wahrscheinlich trotzdem was hier los ist, weswegen ich es ihm direkt erklären will. »Wir haben nur-«
»Ist schon in Ordnung«, unterbricht mein Vater mich und guckt auf die Sandwiches. »Wie ich sehe, habt ihr eure Tradition weitergeführt.«
Meine Mutter erscheint plötzlich hinter ihm und sieht uns genau so verwirrt an. Ihr Blick landet bei meinem Vater. »Sie haben Sandwiches gemacht«, erklärt er und auf ihrem Gesicht erscheint sofort ein Lächeln.
Die beiden wissen ganz genau, dass das der erste Schritt in die richtige Richtung für Ida ist. Und irgendwie ist es schön, dass wir nur mit einem Wort ausdrücken können, dass es langsam wieder bergauf geht.
Meine Eltern belassen es also dabei und machen sich dann sogar selber etwas zu essen, während Ida und ich uns noch eine Weile unterhalten. Ich spüre mit jedem Wort, das ich ausspreche, dass die Müdigkeit mich komplett einhüllt. Doch ich muss noch zur Schule und ich will ganz sicher nicht schlapp machen.
»Gehst du heute auch wieder zur Uni?«, frage ich Ida, als wir nach oben gehen. Egal, wie gut es ihr gerade geht, ich weiß, dass das Haus zu verlassen nochmal eine andere Sache ist.
»Ich weiß es nicht«, meint sie leise und bleibt vor ihrem Zimmer stehen.
»Du kannst es ja versuchen«, lächele ich ihr aufmunternd zu. »Und wenn es dir zu viel wird, dann kannst du jederzeit nach Hause kommen oder mich anrufen.«
Ich weiß zwar noch nicht, was mit Ida passiert ist, aber ich bin mir sicher, dass es etwas mit ihrer Uni zu tun hat. Normalerweise mochte sie es immer sehr dorthin zu gehen. Ganz besonders wegen den Leuten.
Ida nickt und kommt dann auf mich zu, um mich in eine Umarmung zu ziehen. Ich erwidere sie glücklich und bin froh, dass ich Ida helfen konnte.
»Ich danke dir, Maja«, meint sie, als wir uns lösen. »Manchmal bist du doch nicht so übel.«
Ich lache kurz auf und sehe zu Ida, die mich blöd angrinst. »Du auch nicht.«
Das nennt man dann wohl Geschwisterliebe.
***
Da es Mittwoch ist und ich nicht allzu lange Schule habe, hoffe ich, dass der Tag schnell vorbeigeht, sodass ich nach Hause gehen kann, um meinen verlorenen Schlaf nachzuholen.
Aber es hat sich gelohnt. Ida geht es wieder besser und das ist alles was zählt.
Und so unfassbar müde bin ich eigentlich auch nicht. Jedenfalls versuche ich mir das einzureden, damit es tatsächlich so ist. Denn wir haben gerade Deutsch und da wir über die neue Lektüre reden, kann ich es mir nicht leisten abzuschweifen.
Meine Lehrerin steht auf und nimmt sich ein Stück der Kreide. »Also, ich habe mir überlegt, dass jeder von euch einen Aufsatz schreibt. Da wir gerade die Lektüre lesen, würde ich gerne ein Thema von euch wissen, dass euch direkt zu der Lektüre einfällt und das wird dann das Thema eures Aufsatzes. Wenn ihr möchtet, könnt ihr die Figuren mit in eurer Thema beziehen, aber das müsst ihr nicht. Schließlich fangen wir gerade erst damit an.«
Ein Mädchen aus meiner Klasse meldet sich. Sie hat immer diesen Pferdeschwanz und so unfassbar glatte und lange Haare, dass man neidisch werden kann. Ich jedenfalls bin neidisch, denn solche Haare hätte ich auch gerne. »Warum müssen wir denn einen Aufsatz über etwas anderes schreiben, wenn wir doch eigentlich die Lektüre als Thema haben?«, will sie wissen.
»Das ist eine gute Frage«, lächelt meine Lehrerin, Frau Dropew. »Ich habe mir dabei gedacht, dass ihr dann in jedem Bereich, das das Buch zu bieten hat, genug Wissen gesammelt habt, um die Figuren am Ende zu verstehen. Schließlich stellt jeder von euch das Thema vor und dafür habt ihr dann genau einen Monat. Ihr könnt es entweder alleine oder mit Freunden vorstellen, wie es euch lieber ist.«
Ich seufze. Ich habe nur ganz kurz in das Buch reingelesen, weil ich mit meinen Gedanken in letzter Zeit immer ganz woanders bin. Ein paar Themen fallen mir jedoch ein und ich werde mich direkt als Erste melden, damit kein anderer das Thema abkriegt.
»Also, dann fangen wir mal an. Nennt mir Themen, die euch sofort in den Kopf kommen.«
Sofort schießen einige Hände in die Höhe, doch vor mir kommen bereits einige Mitschüler dran, die Themen nennen, die ich auch im Repertoire hatte. Jetzt bleibt mir nur noch ein einziges.
Und als sie endlich zu mir guckt, strahle ich bereits glücklich. »Ja?«, fragt sie und zeigt auf mich. »Was fällt dir ein?«
»Liebe«, ertönen zwei Stimmen gleichzeitig und ich schaue verwirrt nach hinten, wo die zweite Stimme hergekommen ist.
Louis sieht mich skeptisch an. »Ich wurde drangenommen«, sagt er.
»Nein, ich«, widerspreche ich.
»Was soll das, Maja? Ich war an der Reihe!«, gibt er nun lauter von sich.
In dem Moment wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass Louis einfach mit seinem blöden Stuhl nach hinten kippt und endlich Ruhe gibt.
»Das stimmt doch gar nicht! Wenn du zu blöd bist-«
»Stop!«, unterbricht meine Lehrerin unsere Diskussion und ich atme erleichtert auf.
Endlich! Jetzt sagt sie ihm bestimmt, dass er ein absoluter Idiot ist, der nicht versteht, dass ich ihre Lieblingsschülerin bin und dass natürlich ich das Thema bekomme.
»Ihr macht das Thema einfach zu zweit«, schlägt sie vor und uns beiden fällt die Kinnlade runter.
Doch so, wie ich es mir sehnlichst erhofft habe, kommt es anscheinend nicht.
»Auf keinen Fall!«, antworten wir beide gleichzeitig und sehen uns dann verwirrt an. Kann der Holzkopf sich mal andere Sätze einfallen lassen, als die die ich schon sagen will?
»Doch«, lächelt meine Lehrerin. »Ich finde das ist eine ausgezeichnete Idee! Dann könnt ihr auch euren Streit beiseite legen und für niemanden ist es unfair, dass der andere das Thema bekommen hat.«
»Können wir nicht beide das Thema Liebe nehmen, aber jeder macht seinen eigenen Aufsatz?«, hinterfrage ich, was meine Lehrerin sofort zum nachdenken anregt.
»Ich finde, ihr solltet es erstmal zusammen versuchen. Und nun möchte ich nichts weiteres mehr hören, denn die Diskussion ist an der Stelle beendet.« Sie geht wieder zur Tafel. »Also, wer hat noch andere Vorschläge?«
Ich drehe mich um und werfe Louis den schlimmsten Blick zu, den ich habe. Warum können Stühle nicht dann umfallen, wenn man es ausgerechnet braucht? Verdammter Mist.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top