Kapitel 1 - Sommer

Zu meiner großen Verwunderung hat keiner aus meiner Familie mitbekommen, dass meine Wimpern anders aussehen.

Doch als ich zwei Tage später die Schule betrete und Lina bereits im Raum sitzt, weiß ich, dass sie es merken wird. Sie ist meine beste Freundin. Sie merkt einfach alles.

Vielleicht will ich aber auch, dass man eine Veränderung bemerkt, weil es der erste Tag nach den Sommerferien ist. Weil ich möchte, dass dieses Schuljahr besser abläuft und ich mein Leben vielleicht auch mal in den Griff kriegen sollte, so wie Ida. Vielleicht will ich einfach mal alles richtig machen.

»Wow, ich sehe eine Veränderung«, schmunzelt Lina und betrachtet direkt meine Wimpern, bevor ich überhaupt die Möglichkeit habe mich auf meinen Platz zu setzen.

»Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann«, seufze ich erleichtert. »Meine Familie hat nämlich nichts gemerkt.«

»Vielleicht haben sie einfach nicht darauf geachtet, aber sie sehen definitiv etwas voller und länger aus.«

Ich lächele. Jetzt fühle ich mich schon besser, denn ich habe nicht mehr das Gefühl, dass ich 50 Euro umsonst ausgegeben habe.

»Danke«, murmele ich und drücke Lina kurz.

Vielleicht hat Lina die Veränderung auch einfach bemerkt, weil sie sich damit auskennt. Jeden Tag schminkt sie sich und jeden Tag lernt sie dazu. Ich glaube ich habe sie bisher nur ein paar Mal ohne Schminke gesehen.

Früher habe ich Vorurteile gegenüber Lina gehabt, da sie sich oft etwas freizügig anzieht und jeden Tag perfekt gestylt zur Schule kommt. Sie hat außerdem diese langen gemachten Nägel und trägt sehr oft pink. Wenn man oberflächlich denkt, dann würde man sich wohl von ihr fernhalten. Das habe ich auch am Anfang getan.

Aber ich habe mich so getäuscht, meine Güte. Lina ist das netteste Mädchen, das ich kenne und nur weil sie ein wenig mehr Haut zeigt, blondierte Haare hat oder sich pink anzieht und sich schminkt, heißt das noch lange nicht, dass sie ein schlampiges Verhalten an den Tag legt. Bei ihr ist das komplette Gegenteil der Fall.

Und selbst wenn sie jetzt anfangen wird mit mehreren Typen zu schlafen, dann würde sich für mich nichts ändern. Wenn sie Spaß daran hat und der Typ ebenfalls, dann soll sie einfach das machen, was sie will. Daran ist doch überhaupt nichts verwerflich. Nur leider wird einem von der Gesellschaft vorgeworfen, dass so ein Verhalten nicht in Ordnung sei. So ein Blödsinn.

»Bist du denn wenigstens zufrieden?«, hakt sie nach einiger Zeit nach, während sie zur Tür schaut, wo gerade mein Lehrer mit seiner Aktentasche auftaucht.

»Ich finde sie fantastisch«, erwidere ich ehrlich und sehe sie glücklich an. »Ich will keine andere mehr.«

»Das freut mich«, lächelt sie. »Vielleicht hole ich mir die auch irgendwann.«

»Das musst du unbedingt tun.«

***

In der Pause sitze ich, wie immer, mit Lina und ein paar anderen Freunden draußen und genieße die Sonne, die gerade so stark strahlt, dass ich das Gefühl habe, dass wir Hochsommer haben.

Wahrscheinlich ist das auch der Fall, denn wir haben Mitte August und ich habe das Gefühl, dass die Hitze gar nicht mehr aufhört. Nicht mal in der Nacht.

Ständig höre ich diese blöden Viecher, die um mich herumfliegen. Ständig versuche ich sie wegzuscheuchen und nie gelingt es mir.

Trotzdem liebe ich den Sommer, auch wenn es sich manchmal so anfühlt, als wenn ich bei lebendigem Leibe verbrannt werde. Doch dafür sind die Schatten und die kühle Brise, die immer mal weht, meine Rettung.

Außerdem gibt mir der Sommer ein Gefühl von Freiheit, auf das ich niemals in meinem Leben verzichten möchte. Ich habe das Gefühl, ich kann einfach das tun, was ich liebe und das obwohl wir Schule haben. Trotzdem denke ich, dass ich einfach jeden Moment ein Auto mieten kann und abhauen kann, während ich meine Lieblingslieder, wie eine Verrückte, aus dem Fenster schreie. Dass wir einfach spontan in einem Hotel einchecken und dann die ganze Nacht durchfeiern, bis früh morgens die ersten Sonnenstrahlen erscheinen und wir in einem schönen Café frühstücken können. Dass ich alles erleben kann, was ich mir vornehme. Genau dieses Gefühl spüre ich, wenn die wunderschöne Sonne mich anstrahlt und mir immer wieder den Grund dafür liefert, warum ich mein Leben liebe.

Ich weiß nicht, warum der Sommer mir so ein tolles Gefühl davon gibt, dass ich frei bin und mit meinem Leben machen kann, was ich will, aber ich liebe es.

»Er kommt«, flüstert Lina mir zu, weswegen ich meine Augen direkt öffne.

Vorhin haben wir gesehen, wie Sam und seine Freunde das Gelände verlassen haben. Wahrscheinlich um nebenan zum Supermarkt zu gehen. Seitdem warte ich darauf, dass er wiederkommt und das tut er nun offensichtlich.

Er hört seinem Freund zu, während er sich in der Gegend umsieht und seine Augen plötzlich bei mir stehen bleiben.

Ich fühle mich so schwach, dass ich es kaum beschreiben kann. So, als wenn er mich mit seinem Blick in die Knie zwingen will. Doch ich halte ihm stand, weil ich so lange auf den Moment gewartet habe, in welchem er mich endlich wahrnimmt.

Beinahe hätte ich sogar das atmen vergessen, wenn Lina mir nicht den Ellenbogen in meine Seite gerammt hätte.

»Ey«, meckere ich. »Das tat weh.«

»Gut, dann hab ich dich wenigstens von deinem Adonis abgelenkt. Du hast ihn so angestarrt, als wenn du jeden Moment über ihn herfallen würdest.«

»Das beschreibt meine Gefühle eigentlich ganz gut«, flüstere ich ihr zu, während die anderen über das Fußballspiel, welches bald bevorsteht, quatschen.

»Stell dich nicht so an, Maja. Er ist nur ein Junge.« Lina sieht mich skeptisch an und fischt sich dann ein Schokobrötchen aus der Tasche. »Willst du auch?«, will sie dann wissen und hält mir ein Bröchten hin.

»Nein, danke. Ich bin gerade beschäftigt«, antworte ich und sehe dann wieder zu Sam.

Ich kann ihn wirklich ewig anstarren. So wie er sich durch seine braunen Locken fährt, während die Sonne auf ihn herab scheint. Als wenn er zu nichts anderem bestimmt ist.

»Du machst mich fertig«, höre ich Lina im Hintergrund seufzen, während ich total konzentriert auf Sam bin.

Langsam gehen er und seine Freunde wieder auf die Schule zu, weswegen er sich auch mir nähert. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich wünsche mir, dass er mich nur noch einmal ansieht. Dann wäre ich für den Rest des Tages einfach nur noch glücklich.

Und genau das tut er. Er sieht mich an und ich sehe ihn an. Und als ich denke, dass ich gar nicht glücklicher sein kann, da lächelt er mich plötzlich an. Einfach so. Und ich lächele automatisch zurück, weil ich gar nicht anders kann.

»Erde an Maja!«, nehme ich eine Stimme wahr, nachdem Sam wieder im Gebäude verschwunden ist.

Ich fühle mich betäubt und trotzdem so glücklich, wie schon lange nicht mehr.

»Er hat mich angelächelt», murmele ich.

»Ich weiß, ich habe es gesehen«, grinst Lina. »Es freut mich, dass du glücklich bist, aber wir müssen jetzt leider wieder zum Unterricht.«

»Egal, mir kann keiner mehr meine Laune versauen«, meine ich glücklich und springe dann von der kleinen Mauer runter.

»Das werden wir noch sehen, wenn du gleich dein Lieblingsbuch vor dir liegen hast. In Mathe kannst du einfach keine gute Laune haben.«

Doch da hat Lina sich getäuscht, denn ich strahle, wie eine Verrückte. Meine Lehrerin hat mich sogar gefragt, was denn so witzig sei, dabei habe ich ihr einfach nur geantwortet, dass ich glücklich bin. Und seitdem hat sie mich die restliche Stunde so verwirrt angeguckt, als wenn ich auf Drogen wäre.

Doch das interessiert mich nicht, denn ich bin die nächsten Stunden in der Schule einfach nur noch glücklich.

Ich träume den restlichen Tag quasi vor mich hin, sodass ich in Deutsch kaum bemerke, dass Louis ebenfalls in dem Kurs sitzt. Vielleicht kann ich mich irgendwann mit ihm anfreunden, um Sam näher zu kommen? Das wäre eine gute Möglichkeit, aber dann würde ich ihn auf irgendeine Art und Weise ausnutzen und das will ich nicht. Deswegen warte ich lieber etwas ab, bis ich wieder bei vollem Verstand bin und vernünftig denken kann.

Doch ich habe das Gefühl, dass das noch eine ganze Weile dauern kann. Denn so schnell werde ich ganz sicher nicht aus dem Tagträumen rauskommen, wenn Sam ständig in meiner Nähe auftaucht.

---

Würdet ihr euch eigentlich auch so eine teure Mascara kaufen, oder eher nicht?😂

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top