(9) Mein Zeichen

Poppy

Als Poppy aus dem Krankenhaus zurück kam, schwitzte sie wie eine Zigeunerin mit einer Hypothek. Madame de Laval hatte Recht gehabt. Die Temperaturen waren auf 35 Grad gestiegen und Poppy hatte, um weitere Auseinandersetzungen zu vermeiden, den Bus in die Stadt genommen. Die Klimaanlage musste jedoch defekt gewesen sein, aber jetzt war es eh zu spät. Poppy würde sich ins Haus schleichen, den Plasteschutz um ihren Verband fixieren und eine kalte Dusche genießen.

Als sie ins Foyer trat, sah sie Shirley in der Küche stehen. Sie durchsuchte systematisch ihre Schränke.

"Wonach suchst du?", fragte Poppy höflich. Sie hatte Camila einige Male in der Küche beobachtet. Vielleicht konnte sie helfen.

"Oh, Poppy. Du bist zurück." Sie lächelte. "Levi meinte, du wärst unterwegs. Welchen Wagen hast du heute genommen?"

Poppy trat näher, denn sie wollte nicht unhöflich sein. Zu spät bemerkte sie Levi, der auf der anderen Seite der Kochinsel saß.

"I-ich...", stotterte sie. Was nun? Sollte sie zugeben, dass sie nicht wusste, welche Wagen sie benutzen durfte ohne sich hinterher Standpauken anhören zu müssen? Levis scheinbar nicht. Aber woher sollte sie wissen, welche ihm gehörten? Sie entschied sich für die Wahrheit. "Ich hab den Bus genommen."

Shirley starrte sie ungläubig an. "Den Bus?"

Poppy unterdrückte ein Augenrollen und zuckte stattdessen mit den Schultern. Sie wollte sich nicht in einer Tour rechtfertigen. Sie hatte den Bus genommen. Na und? Bevor sie ihre Gedanken aussprechen konnte, betrat Kale die Küche und legte ihr seine Hand auf die Schulter.

"Sie kriegt noch einen Schlaganfall, wenn du so weiter machst, Poppy. Mach dir keine Sorgen, Mom, sie hat dich nur veräppelt. Wir haben den R8 genommen."

Was zur Hölle? Hatten sie nicht. Er war nicht mal dabei gewesen. Poppy fragte sich, warum er seine Mutter belog. Und wie sollte sie den Überblick über das Lügenkonstrukt behalten, wenn hier jeder ständig log?

Shirley wusste, dass sie Kale niemals mitgenommen hätte. Und Kale wusste, dass wir nicht zusammen unterwegs gewesen waren. Dem Blick nach zu urteilen, den er ihr zu warf, würde sie ihm später Rede und Antwort stehen müssen. Als ob sie ihm etwas schuldig war, weil er sie vor der Auto-Diskussion bewahrt hatte. Sie hätte ihren Mann gestanden.

Shirley sah verwirrt zwischen ihr und Kale hin und her. "Du hast ihn mitgenommen? Zum..."

"Zum Shoppen", unterbrach Poppy sie beinahe unhöflich.

Shirley nickte. "Shoppen. Genau. Hast du etwas gefunden, das dir gefällt?", fragte sie mir geheucheltem Interesse, obwohl außer Levi allen bewusst war, dass hier irgendetwas nicht stimmte.

"Klar."

"Schön. Vielleicht wollt ihr drei euch noch ein bisschen ausruhen und dann umziehen? In zwei Stunden gibt's Dinner."

Nun war es an Poppy, verblüfft zu sein. Seitdem sie in diesem Haus ein und aus ging, hatte es nicht ein einziges Mal ein Familienessen gegeben. Aber vielleicht würden sie heute zu Ehren Kales zusammensitzen.

Shirley hatte Poppys Verwunderung bemerkt, und bot ihr eine Erklärung. "Kale hat mich heute Morgen daran erinnert, dass eine echte Hochzeit ein Probedinner hätte. Also habe ich Alfredo gebeten, heute Abend ein fünf Gänge Probemenü zu liefern. Und die Konditorei wird uns verschiedene Cupcakes im Stil der Torte bringen. Ich weiß, dass du gesagt hast, dir wäre es egal, aber vielleicht fällt dir heute Abend noch etwas ein, worauf du bei der Hochzeitstorte nicht verzichten möchtest."

Bei dem Gedanken daran lachte Poppy auf. "Und selbst wenn, was sollten wir dann mit der Information anfangen? Die Torte steht sicherlich schon fertig im Kühlraum."

"Oh nein, Poppy. Das hast du gerade nicht wirklich gesagt", grunzte Kale amüsiert. "Mom kann alles rechtzeitig möglich machen."

"Gut zu wissen. Ich werde darauf achten, was ich heute Abend von mir gebe."

"Warum sagst du das?", fragte Shirley betroffen. Sie sah unglücklich aus.

"Ich will keine Umstände machen", beruhigte Poppy sie schnell. "Ich bin zuversichtlich, dass was auch immer sie vorbereitet haben, köstlich sein wird."

Kale rollte mit den Augen. "Du musst noch so viel lernen, wenn du eine Lawson bist. Dann wirst du merken, dass 'zuversichtlich sein' keine Option mehr ist."

Ihre Laune sank schlagartig. Es würde unumgänglich sein, dem Namen nach ab morgen eine Lawson zu sein, aber all das drum herum war so anders, als sie sich ihre Hochzeit vorgestellt hatte. Ihre erste Hochzeit, korrigierte sie sich. Bei der nächsten konnte sie alles anders machen. Nur, dass sie nie gedacht hätte, zwei mal heiraten zu müssen.

"Ich gehe mich umziehen", flüsterte sie, doch Kale griff nach ihrem rechten Arm.

"Du brauchst doch nicht zwei Stunden um dich umzuziehen. Setz dich mit Levi und mir ins Familienzimmer. Wir können zusammen einen Film gucken.

Levi zog eine Grimasse, blieb jedoch stumm.

"Ich weiß nicht."

"Wollten wir nicht eigentlich COD spielen?", hakte Levi nun doch nach, woraufhin Kale die Augen zusammenkniff.

"Siehst du? Du bist schon verabredet", sagte Poppy zufrieden und verschränkte die Arme vor der Brust. "Bis sp-"

"Halt. Levi kann warten. Wir gucken einen Film. Du suchst aus, das ist gewissermaßen dein Junggesellinnenabschied."

"Schöne Idee, Kale", warf Shirley ein.
Poppy schnaubte. Das hatte nichts von einem Junggesellinnenabschied.

"Eigentlich wollte ich mich frisch machen und du hast Levi versprochen mit ihm zu zocken."

"Das holen wir nach. Und du kannst dich nach dem Film umziehen."

"Ich kriege langsam das Gefühl, dass du ein Nein nicht akzeptierst."

"Richtig."

"Na dann...", stöhnte Poppy.

Sie gingen ins Familienzimmer und Kale überließ es tatsächlich Poppy einen Film auszusuchen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Nachdem Levi sich durch zwei Dutzend Schnulzen geklickt hatte und noch immer auf Poppys Okay wartete, warf er ihr die Fernbedienung zu. "Mach selbst."

Wenige Minuten später entschied sie sich für The Vow. Mit Channing Tatum und Rachel McAdams konnte man nichts falsch machen.

Sie hatten gerade die holprige Hochzeitszeremonie gesehen als Levi nach der Fernbedienung griff und den Film anhielt.

"Ich kann das Gesülze nicht länger ertragen. Das war das schlimmste Eheversprechen aller Zeiten." Er schauderte. "Wir haben zwei Möglichkeiten: wir wechseln zu einem Actionfilm oder ich gehe."

Poppy schmunzelte. "Mir passt beides. Wir hätten ja keine Schnulze gucken müssen, aber ihr habt gesagt, ich soll aussuchen."

"Mein Fehler. Jetzt suche ich aus."

"Entspann dich mal", unterbrach Kale. "Wir hätten den Film auch erst zuende gucken können."

"Hätte, hätte. Bist du sauer weil du das Ende verpasst? Sie kriegen sich. Ist doch eine Schnulze. Was soll schon passieren?"

"Vielleicht solltest du wirklich gehen."

"Lass gut sein, Kale. Wirklich."

Levi suchte einen Film aus, den Poppy nicht kannte. Was nichts bedeutete, denn sie sah nicht gern Kriegsfilme oder Thriller. Wann immer sie die Wahl hatte, würde sie Schnulzen oder romantische Komödien bevorzugen, aber wer konnte Levi vorhalten, sich vor einem Vergleich mit Channing Tatum oder Ryan Gosling zu drücken?

Nach einer halben Stunde Nahkampf und Helikopterflügen unter Beschuss kam Shirley die Treppe hoch. Sie trug zwei große Taschen.

"Du hast deine Einkäufe im Wagen gelassen, Poppy. Ich bringe sie in dein Zimmer."

Kale und Poppy tauschten verwirrte Blicke aus.

"Okay", war alles, was Poppy einfiel. Vielleicht hatte sie zwei leere Tüten genommen und sie mit Packpapier ausgestopft, um sie wie prall gefüllte Einkaufstaschen wirken zu lassen.

Sie wandte sich wieder dem Fernseher zu. "Er sollte nicht mitgehen. Das ist sein Todesurteil."

"Ist ja nicht so, als hätte er eine Wahl. Das sind keine Pfadfinder, sondern Soldaten. Die machen, was man ihnen sagt."

Poppy spürte das Verlangen, ihn für seine Patzigkeit zu erdrosseln. "Das ist einfach nur dumm, was er da macht. Warum sagt er-"

"Shh, Klugscheißer. Ich will das sehen."

"Alles klar, Kamerad."

Poppy gab ihr Bestes sich zu kontrollieren, aber sie konnte nicht anders. Die Hauptfigur war wirklich ein Idiot. Es mussten die längsten fünfzehn Minuten ihres Lebens gewesen sein, aber jetzt hielt sie es nicht mehr aus. Warum hörte er denn nicht, dass sich jemand von hinten anschlich? Der Typ hinter ihm hob den Arm.

"Duck dich, Schwachkopf", zischte Poppy als der Angreifer die Hauptrolle erstechen wollte. Der Soldat duckte sich nicht. Stattdessen drehte er sich geschickt um und tötete den Angreifer mit einem flinken Handgriff.

"Wow", stieß Poppy beeindruckt hervor. "Aber wenn er doch wusste, dass der Kerl hinter ihm ist, warum hat er dann so lange gewartet, bis er ihn ausgeschaltet hat?"

"Verdammt noch mal. Wenn du weniger labern und besser aufpassen würdest, wüsstest du, dass sie im gleichen Special Ops Camp ausgebildet wurden", stöhnte Levi.

"Das erklärt doch nicht, warum er nicht früher angegriffen hat."

"Er hat darauf gewartet, dass er näher kommt", erklärte Kale geduldig.

"Aber er hätte doch-"

"Um Himmels Willen, Weib, halt die Klappe oder geh."

Poppy spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Sie starrte Levi schockiert an. Es mochte ja sein, dass er sie nicht heiraten wollte und vermutlich nicht mal leiden konnte, aber das war kein Grund so verdammt unhöflich zu sein. Sie konnte nicht behaupten, dass ihre kurze Beziehung seit der Beerdigung nur bergab ging, aber besser war sie definitiv auch nicht geworden. Es gab keine Verbesserung. Nicht die kleinste.

Während sie selbst von Zeit zu Zeit freche Anspielungen machte, war er absichtlich gehässig und grausam. Aber sie war nicht sein Boxsack und würde sich dieses Benehmen auch nicht länger bieten lassen.

"Das ist wohl mein Zeichen zu gehen. Bis später, Kale", sagte sie als sie sich erhob.

Kale fing ihren Blick auf. "Das meinte er nicht so."

Natürlich hatte er es so gemeint. Der Kerl hatte keinen einzigen netten Knochen im Körper. Und das wussten wir alle. Es war der Grund, warum seine Eltern dachten, dass er von der Hochzeit profitieren würde. Scheinbar war Poppy die Einzige, die den Erfolg in Frage stellte.

"Lass gut sein", flüsterte sie und ging.
Sie hörte eine bunte Schimpftirade zwischen den beiden ausbrechen, bevor sie ihr Zimmer erreichte und die Tür hinter sich zu schmiss. Ihr Blick blieb an ihrem Bett hängen, auf dem diverse Outfits ausgebreitet waren.

Sie sah Jeansshorts neben einem rosafarbenen Pullover mit langen Ärmeln, ein weiß-grün gestreiftes mit einem Bubikragen und einer Jeansjacke sowie dunkelgraue Hosen mit einem weißen Top und einem marineblauen Blazer dazu. Mittig lagen eine filigrane goldene Uhr mit einem großen Ziffernblatt und eine ebenfalls goldene Statement-Kette mit unzähligen weißen Perlen. Beides würde zu jedem Outfit passen.

Unter dem Schmuck entdeckte Poppy einen Zettel: 'Tut mir leid, dass ich es angesprochen habe, obwohl du uns explizit gebeten hast, dies nicht zu tun. Ich habe Madame de Laval gebeten, dir ein paar Sachen zusammenzustellen.'

Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie lächelte. Shirley hätte das nicht tun müssen. Kale hatte doch mit der Lüge angefangen und Levi interessierte sich nicht für das Geschehen um ihn herum. Dennoch musste sie zugeben, dass die von Madame de Laval ausgesuchten Klamotten wunderschön waren. Vielleicht hätten sie gemeinsam doch ein abnehmbares Hochzeitskleid gefunden. Aber dafür war es jetzt zu spät. Sie würde tragen, was sie mit Abbi ausgesucht hatte.

Ein leichtes Klopfen verriet ihr, dass jemand mit ihr sprechen wollte. Schnell wischte sie die Tränen aus ihrem Gesicht.

"Herein", rief sie mit zittriger Stimme.
Als sie sich zur Tür wandte, stand Kale bereits hinter ihr. Seine Stirn war vor Sorgen in Falten gelegt. "Alles in Ordnung?", fragte er kaum hörbar.
"Ja."

Er zeigte auf das Bett. "Wie ich sehe, hat Mom sich um unseren Shopping-Ausflug gekümmert."

"Das hat sie wohl", antworte Poppy und zwang sich zu einem Lächeln.

"Warum sagst du mir nicht, was los ist? Ich habe deine Schmerztabletten neulich gesehen. Du hattest sie in der Küche stehen lassen."

Ihr erster Instinkt war, Kale eine Lüge aufzutischen, aber ein Blick in seine dunklen Augen verriet ihr, dass er sie sowieso durchschauen würde. "Ich bin kein verwöhntes Gör, das jeden zweiten Tag shoppen geht."

"Hab ich mir gedacht."

"Okay."

"Wofür brauchst du die Schmerztabletten? Das ist ja nicht nur Aspirin."

"Ich habe Verletzungen davon getragen, als..." Ihre Stimme brach. Ein paar Sekunden verstrichen, in denen sie beide kein Wort sprachen.

"Im Feuer?", fragte er schließlich.
Poppy nickte nur. "Sie stumpfen den Schmerz etwas ab."

"Ich spüre ein Aber."

"Aber sie bringen meinen Appetit durcheinander."

Er lachte leise, dann wurde er ernst. "Moment. Ist das normal?"

Sie lächelte ihn an. "Das ist ein bekannter Nebeneffekt. Kein Grund zur Sorge."

"Weiß Mom Bescheid?"

"Sie kennt meine Krankengeschichte und weiß von den Medikamenten. Aber nichts über den komischen Appetit."

Er grinste. "Alles klar. Dann geh ich Mal, damit du dich umziehen kannst. Wenn ich du wäre, würde ich das Kleid anziehen."

"Auf keinen Fall. Ich werde morgen schon ein Kleid tragen. Der Blazer wird's heute Abend tun müssen."

"Ich hatte gehofft, du würdest das sagen."

"Warum das?"

"Weil es verdeutlicht, dass du von Niemandes Meinung abhängig bist. Du hast einen starken Willen und das ist auch gut so."

"Du bist, glaube ich, der Einzige, der so denkt."

Er grinste. "Glaube ich nicht. Du wärst nicht hier, wenn Mom und Dad deine Hingabe nicht zu schätzen wüssten. Lass dich von dem Dummkopf nicht runter ziehen."

Poppy unterdrückte ein Lachen. "Ich versuche mir das zu merken."

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