(11) Nägel machen

Levi

Wumm. Das Geräusch der ins Schloss fallenden Tür hallte durch das Haus. Wenn er nicht bereits gewusst hätte, dass seine Eltern nicht da waren und dass auch alle anderen für den Rest der Woche ausquartiert waren, wüsste er es jetzt. Es gab einfach keine Möglichkeit die Tür derartig zuzuschlagen, wenn Camila in der Nähe war. Sie hätte jeden dafür zur Rechenschaft gezogen. Entgegen Poppys Anschuldigungen hatten Levi und Kale unter ihr eine sehr strenge Erziehung genossen. Levi legte bloß keinen gesteigerten Wert darauf, es ihr zu beweisen.

Seine Eltern waren erneut auf Geschäftsreise und da sie dachten, ein bisschen Privatsphäre täte Poppy und ihm nach allem was in der letzten Woche passiert war gut, hatten sie auch Camila und Dakota frei gegeben.

Der Plan hatte vorgesehen, dass Dakota Rose zu sich nimmt und ausnahmsweise ganztags versorgt, aber Poppy wollte davon nichts wissen. Natürlich nicht. Rose war der einzige Grund, aus dem sie ihn geheiratet hatte. Vermutlich würde sie Rose nun nie mehr in fremde Hände geben.

Selbst Kale hatte zugestimmt, dass es für Rose das Beste war in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben. Und selbstverständlich war auch er hier geblieben, indem er ihren Eltern erklärt hatte, er wäre der Notfallbabysitter, falls alles den Bach runter ginge. Tatsächlich würde eher wohl eher als Puffer zwischen ihnen agieren. Das sollte Levi nur recht sein. Je mehr Zeit Kale mit Poppy verbrachte umso weniger musste er selbst mit ihr reden.

Da sie also, ohne Rose mit zu zählen, nur zu dritt waren, tippte Levi darauf, dass Kale die Tür zugeschlagen hatte. Denn bei Poppy hatte er bisher kein unangemessenes Verhalten, von ihrem verbalen Rundumschlägen abgesehen, beobachten können.

Noch während er darüber sinnierte, welche Vorteile es hätte, Kale zurecht zu weisen oder ihn in Ruhe zu lassen, vernahm er eine schrille weibliche Stimme.
"Poppy?", schrie sie. "Können wir los?"

Offensichtlich hatten also weder Poppy noch Kale die Tür zugeschlagen. Levi lief die Treppe hinab und fragte sich, ob er nun weitere Freunde von Poppy kennenlernen würde. Doch als er das Gesicht zu der Stimme sah, blieb er wie angewurzelt stehen. Es war dieses Weib mit dem verkrampften Gesichtsausdruck. Abbi oder wie sie hieß. Poppys Trauzeugin.

Poppy eilte die Treppe hinunter und stieß ihn dabei beinahe die letzten drei Stufen hinab. Aus dem Augenwinkel sah er wie sie sich am Geländer fest hielt und schräg hinter ihm zum Stehen kam. "Klar, los geht's", schnaufte sie.

Ein Blick über die Schulter verriet ihm, warum sie so tollpatschig wirkte. Am ihrem rechten Arm schwang Rose in einer Babyschale, wahren eine riesige Wickeltasche von ihrer linken Schulter baumelte. Was Weiber nur mit all dem Zeug darin anzufangen gedachten? Mehr als eine frische Windel und etwas zu trinken würde ein Säugling wohl kaum brauchen.

"Wohin geht ihr?", fragte Levi aus Höflichkeit.

Abbi starrte ihn böse an. Dreistes Geschöpf. Hätte er etwa wissen sollen, wohin sie gingen? Und wie sollte er das herausfinden sollen? Wie auch immer.

Die zynische Hexe begann ohne Umschweife ihn anzublaffen. "Wir gehen zum A-"

"Zur Apotheke und in die Mall. Rosie hat Verstopfungen", wurde sie direkt von Poppy unterbrochen.

Levi starrte seine Ehefrau herausfordernd an. Er hätte wetten können, dass sie Log. "Heute morgen ging es ihr gut."

"Woher willst du das wissen?"

"Ich hab ihre Windeln heute morgen gewechselt, erinnerst du dich? Du warst zu faul um deinen müden Hintern aus dem Bett zu bewegen als sie geweint hat."

"War ich nicht." Sie starrte ihn ungläubig an und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Warst du wohl."

"Worum geht's bei diesem Theater?", fragte Kale, der nun langsam die Treppe herunter kam und hinter Poppy stehen blieb. Langsam wurde es voll im Foyer.

Poppy rollte mit den Augen und ging zu Abbi hinüber. "Wir gehen shoppen", sagte sie ohne weitere Erklärung.

"Warum nehmt ihr Rose mit? Sie wird sich zu Tode langweilen", stellte Kale fest und Levi fragte sich, was er damit erreichen wollte.

Obwohl sie nicht angesprochen wurde, hob Abbi ihre Augenbraue. "Wer sollte sich sonst um sie kümmern?"

Jetzt war es an Kale die Arme zu verschränken und sie herausfordernd anzusehen. "Behauptest du, wir könnten uns nicht um einen Säugling kümmern?"

"Ich sage nicht, dass ihr es nicht könnt. Ich vertraue euch nur nicht. Vor allem dir nicht, Levi", spuckte Abbi beinahe.

"Vielen Dank auch. Da du mich ja so gut kennst, verletzt das wirklich meine Gefühle."

"Aufhören, ihr Beiden. Wir sagen gar nichts. So spaßig es auch ist, deine Unfähigkeiten auszudiskutieren, Levi, wir müssen leider pausieren, denn wir müssen los. Und wir nehmen Rosie mit, da ich die Verantwortung für sie trage", erklärte Poppy und schob ungeduldig die Babyschale in ihre Armbeuge.

Kale durchquerte das Foyer mit drei großen Schritte und nahm sie ihr ab. "Alles klar. Du vertraust uns scheinbar mehr als Abbi, was gut ist, wenn man bedenkt, dass ihr verheiratet seid. Warum bleibt Miss Rose also nicht einfach bei uns und ihr lasst euch heute ein bisschen verwöhnen? Betrachte es als mein Hochzeitsgeschenk."

"Wovon sprichst du überhaupt?"

Kale zog ein paar Geldscheine aus seiner Tasche und hielt sie Poppy hin. "Nimm. Lasst euch die Nägel machen und was auch immer Mädels machen, wenn sie Spaß haben. Seid zum Dinner Zuhause. Wir werden eine kleine Zusammenkunft haben."

Poppy sah Kale mit zusammen gezogenen Brauen und faltiger Stirn an.

Er übergab die Babyschale mit der schlafenden Rose an Levi, der das ganze Wortgefecht still verfolgt hatte. Dann packte Kale Poppy bei den Schultern, drehte sie zur Tür und gab ihr einen leichtes Schubs. "Such dir ein Auto aus und hab Spaß mit deiner besten Freundin."

Levi stöhnte. Hatte er ihr ernsthaft gerade erlaubt, jedes Auto zu nehmen? Was war denn los mit ihm?

"Wir passen auf Rose auf, solange ihr unterwegs seid. Und heute Abend machen wir einen DVD-Abend mit Abbi und Parker, damit ihr euch alle kennenlernen könnt. Das glaubt euch ja sonst kein Mensch, wenn ihr zurück zur Schule geht und den jeweils besten Freund des anderen nicht kennt." Er gab Poppy noch einen Stups. "Los jetzt."

Poppy sah zu Abbi hinüber, aber diese zuckte nur mit den Schultern. "Sie haben deine Nummer, falls sie es vermasseln, oder?"

"Wir vermasseln gar nichts", zischte Levi, während Poppy Abbi ein zustimmendes Zeichen gab.

"Na dann." Abbi griff nach Poppys Hand und zog sie hinter sich her.  "Ich finde, wir sollten den Camaro nehmen. Der sieht abgefahren aus. Und ich wette, er ist schnell wie-"

"Keine gute Idee."

Levi nahm Poppys Antwort wahr und brummte zustimmend. Natürlich war das keine gute Idee. Vermutlich würden die Weiber sich umbringen und diese Unterhaltung hatte er bereits mit Poppy geführt.

Poppy musste jedoch sein Brummen gehört haben, denn sie drehte sich um und lächelte ihn so liebenswürdig wie noch nie an. Levi ahnte, dass das nichts Gutes bedeuten konnte und Poppy enttäuschte ihn allein in dieser Hinsicht nicht.

"Jetzt wo ich drüber nachdenke: was für eine ausgezeichnete Idee. Wir nehmen den Camaro."

Herr im Himmel, sie würde ihn ins Grab bringen.

"Gute Wahl", rief Kale hinterher. "Habt Spaß und fährt vorsichtig. Bis später!"

Er warf die Tür zu und ging an Levi vorbei die Treppen hinauf.

Levi sah ihm nach. "Halt. Wo gehst du hin?"

"Weiter schlafen."

"Moment mal. Du hast Poppy gerade gesagt, dass du auf Rose aufpasst. Du kannst nicht einfach weiter schlafen." Er starrte auf seine Armbanduhr. "Sie wird gleich ihre zweite Flasche wollen."

"Dann fütter sie."

"Das hier war deine Idee, Kale", blaffte Levi voller Ungeduld. Er hatte keinen Nerv für solche Spielchen. Es war schon genug, dass Poppy ihm ständig auf der Nase herum zu tanzen schien. Das musste er sich nicht auch noch von seinem Bruder bieten lassen.

"Du hast gesagt, du würdest es nicht versauen."

"Aber du sagtest, es wäre sein Hochzeitsgeschenk an sie", knurrte Levi.

"Und?"

"Und nun kümmerst du dich auch ums Baby. Wie du es gesagt hast. Du weißt, was zu tun ist, oder?"

Er seufzte als ob das Gewicht der ganzen Welt auf seinen Schultern läge. "Hier ist mein Geschenk an dich: du machst Fortschritte mit deiner Frau, wenn du dich um euer Baby kümmerst. Sie vertraut dir ja immerhin schon genug, um den kleinen Stinker in deiner Obhut zu lassen."

"Sie muss mir nicht vertrauen. Und ich will heute nicht auf den Stinker aufpassen. Ich hab was vor."

Ausgerechnet in diesem Moment wurde Rose wach. Als ob sie verstanden hätte, was gerade gesagt wurde, fing sie an zu weinen. Sie presste ihre Augen, die sie gerade erst geöffnet hatte, zu Schlitzen zusammen und jammerte lautstark.

Kale drehte sich zurück zur Treppe und ging langsam hinauf. Als ob Levi das nicht mitbekam.

Er stellte die Babyschale auf den Boden und nahm Rose auf den Arm. "Shhh, mein Mädchen, ist ja gut. Kale ist ein Trottel. Aber wir beide schaffen das, nicht wahr? Wir brauchen diesen Blödmann nicht", gurrte er.

"Hör auf zu meckern, Daddy. Ihr macht das schon. Nimm sie einfach mit. Sie schläft doch eh den ganzen Tag", rief er von oben.

"Ich bin nicht ihr Vater", schrie Levi zurück.

"Leicht zu verwechseln, wenn du dich so aufführst."

Levi seufzte. Was für ein Idiot. Es hätte es kommen sehen müssen. Aber jetzt konnte er es ja eh nicht mehr ändern. Er steckte mit Rose fest und wenn er darüber nachdachte, fühlte er sich wohler damit, wenn er selbst auf sie aufpasste statt sie Kales Fürsorge zu überlassen.

"Hau bloß ab", murmelte er kaum hörbar.

Nach dem Füttern und Windel wechseln setzte Levi Rose wieder in die Babyschale. Als er die Garage betrat hielt er den Atem an. Er würde es zwar nie zugeben, aber vielleicht hatte er doch ein kleines Stoßgebet in den Himmel geschickt, dass Poppy sich für einen anderen Wagen entschieden haben möge. Und siehe da: der Camaro stand an seinem Platz.

"Siehst du, Kleine, deine Schwester hat doch ein bisschen Verstand. Jetzt können wir beide diese Schönheit ausführen."

Rose sah ihn mit großen Augen an. "Mach dir keinen Sorgen", gurrte er. "Ich kann damit umgehen. Na los, schnallen wir dich an."

Auf dem Nachhauseweg rief er Parker an. Sie sprachen eine Weile über Levis Ausflug und schließlich gab Levi zu, dass Rose ihn von oben bis unten vollgekotzt hatte und er natürlich in seiner Unerfahrenheit keinerlei Wechselklamotten mitgenommen hatte. Jetzt hatte er eine Idee, inwiefern diese riesige Wickeltasche ihm hätte helfen können.

Obwohl Rose sich ausschließlich von angerührter Babynahrung ernährtey war ihr Erbrochenes war das Widerliche gewesen, was jemals dem Weg in seine Nase gefunden hatte.
Doch statt ihm Mitleid entgegen zu bringen, verfiel Parker am anderen Ende der Leitung in einen nicht enden wollenden Lachkrampf. Einen Moment lang wünschte Levi ihm, er würde daran ersticken.

Als er sich endlich beruhigt hatte, konnte Levi ihm erzählen, weshalb sie unterwegs gewesen waren.
"Du hast was getan?", fragte Parker schockiert. Seine Fröhlichkeit war auf der Stelle verflogen. Levi stellte sich vor, wie er mit weit aufgerissenen Augen in seinem Zimmer umher laufen würde.

"Genau genommen habe ich die Reservierung schon letzte Woche vorgenommen, aber für heute war die Abholung vorgesehen."

"Was auch immer du tust, Mann, denk dran, dass das übel nach hinten losgehen kann."

"Schade. Ich dachte, du fändest es genauso lustig wie ich. Aber egal wie: hör auf zu flennen und sei zu 19 Uhr hier. Kale hat vorgeschlagen, dass wir mit Poppy und Abbi einen DVD-Abend machen, damit es in der Schule nicht allzu merkwürdig wird oder so."

"Macht das überhaupt Sinn?"

"Du lernst Poppy besser kennen, ich lerne Abbi besser kennen, Abbi lernt dich besser kennen und so weiter."

"Und was hat Kale davon? Das macht er doch nicht aus purer Nächstenliebe."

Levi zuckte mit den Schultern, obwohl ihm bewusst war, dass Parker ihn nicht sehen konnte. "Kale wird daneben sitzen und sich den Arsch ablachen, während Abbi versucht uns die Augen auszukratzen."

"Klingt plausibel. Ich bin dabei."

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