(10) Charakter bevorzugt

Levi

"Wie soll mir jemand abnehmen, dass ich in so ein durchschnittliches Mädchen verliebt bin? So verliebt, dass ich sie Hals über Kopf heiraten will, noch dazu."

"Pass auf was du sagtest. Du beleidigst die Frau, die du gleich heiratest", zischte sein Vater.

Er zuckte mit den Schultern. "Das beantwortet meine Frage nicht."

"Es haben schon ganz andere Männer als du Charakter Schönheit vorgezogen", stellte sein Vater fest bevor er los ging, um sie abzuholen. Da es ihre Familie nicht mehr gab, würde er ihren Vater vertreten und sie zum Altar führen.

"Ich glaube, jetzt ist er es, der meine Braut beleidigt", gab Levi zurück ohne Nachzudenken.

"Immerhin nennst du sie jetzt deine Braut", stichelte Kale.

"Das war armselig. Selbst für dich."
Kales einzige Antwort war ein tiefes Lachen.

"Ja ja, lach du nur. Warte ab, bis sie dich zu einer Hochzeit mit einer Fremden zwingen."

"Wenn du nicht willst, übernehme ich deinen Platz. Hinter ihrer Fassade steckt sicherlich mehr als sie uns jetzt zeigt."

"Du bist ein komischer Vogel. Ihr zwei würdet gut zueinander passen."

Kale lachte erneut und bevor Levi seine Meinung ändern konnte, wurde er von seinem Bruder Richtung Altar gestoßen. Arschloch. So viel zum Thema abhauen und sie stehen lassen. Nicht, dass es wirklich in Erwägung gezogen hätte. Sein Vater hatte ihm bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren gezogen. Wenn seine Mutter nicht schneller gewesen wäre.

Langsam schritt er den Gang entlang, mit einem aufgesetzten Lächeln im Gesicht. Er hasste jede Sekunde dieser Farce.

Als er an seiner Mutter vorbei ging, sah er sie mit Taschentuch ihre Augenwinkel trocken tupfend als ob das hier eine echte Hochzeit wäre. Kale hatte es irgendwie geschafft, vor ihm am Altar zu stehen ohne ihn auf dem Weg dorthin zu überholen. Levi positionierte sich neben ihm.

Als er sich zu den Freunden und der Familie umdrehte, wurde ihm klar, dass, obwohl sie generell nur wenige Gäste eingeladen hatten, es sich bei allen Anwesenden um seine Gäste handelte. Poppy hatte keine Eltern ne Großeltern mehr, aber hatte sie auch kein Freunde?

Die Violistin setzte zum Hochzeitsmarsch an und Levi sah, wie sich die Tür am Ende des Ganges öffnete. Eine Gefühl der Vorfreude rauschte durch ihn. Oder vielleicht war es auch nur Adrenalin. Man heiratete schließlich nicht jeden Tag.

Doch das Mädchen, das eintrat, war nicht Poppy. Es war eine Blondine mit einem lavendelfarbenen Kleid, das kurz über ihren Knien endete. Sie sah niedlich aus. Oder sie hätte niedlich aussehen können, wenn sie Levi nicht angestarrt hätte, als wollte sie ihn zum Frühstück verspeisen. Was zu Hölle lief denn bei ihr nicht richtig? Er kannte sie nicht mal.

Sie lief schnurstracks an ihm vorbei und stellte sich an ihren Platz. Anbei ließ sie Kale mit einer gleichermaßen unattraktiven Grimasse nicht aus den Augen.

Die Tür wurde erneut geöffnet. Levi hielt den Atem an, obwohl er sich nicht von der Zeremonie beeindrucken lassen wollte.

Ein paar Sekunden später trat sein Vater ein und dann entdeckte er sie.
Er hatte gehofft, dass sie kein ausladenes Ballkleid ausgesucht hatte und das hatte sie nicht. Es war auch keins dieser hässlichen Kleider, die die Bräute aussehen ließen, als hätten sie einen Fischschwanz anstelle ihrer Beine. Und obwohl er in den letzten Tagen zahlreiche sexy rückenfreie und ärmellose Kleider gesehen hatte, hatte er gehofft, dass sie auch ein solches Kleid nicht wählen würde, weil es sie furchtbar mager hätte wirken lassen.

Aber als sie an der Seite seines Vaters den Gang hinunter schritt, die Augen fest auf den Boden fixiert, konnte er die Augen nicht von ihr lassen. Ihr Haar war in einen tiefen, gewollt unordentlichen Knoten gebunden und ihr Kleid war so hell rosa, dass es fast weiß wirkte. Moment. Das war kein Kleid. Er schluckte.

Sie trug einen bodenlangen Tüllrock, der auf ihren Hüften saß und weich auf den Boden fiel. Das Oberteil war wie diese bauchfreien Teile, die jetzt jedes Mädel trug. Aber es war langärmlig und aus beinahe durchsichtiger Spitze. Zwischen dem Rock und dem Top konnte er alle paar Schritte einen Blick auf einen schmalen Streifen ihres nackten Bauches erhaschen.

Ihr Kleid war ein totales Understatement, aber irgendwie sah sie atemberaubend darin aus.
Als sie vor ihm zum Stehen kamen, legte sein Vater ihre Hand auf seinen Arm. Er spürte die Hitze durch den Stoff seines Anzugs. Sein Vater beugte sich vor und flüsterte ihm mahnende Worte ins Ohr. "Versau' das nicht."

Damit klopfte er seinem Sohn auf die Schulter und nahm neben seiner Frau Platz.

"Du siehst bezaubernd aus", flüsterte Levi sanft.

Poppy wurde rot und formte einen lautlosen Dank, bevor sie sich dem Standesbeamten zuwandte. Auch Levi sah zu ihm.

Der Beamte begrüßte die Gäste, sprach über junge Liebe und die Bedeutung von familiärem Rückhalt. Levi spürte, wie sich Poppy neben ihm versteifte. Hatte niemand dem Beamten gesagt, dass ihre Eltern erst vor vier Wochen gestorben waren? Wie konnte man so gefühlskalt sein, von familiärem Rückhalt zu sprechen, wenn sie ihre Familie heute von allen Tagen, wohl am meisten vermissen würde? Die Hochzeit war doch einer der wichtigsten Tage im Leben einer Frau. Zur Hölle. Levi musste gegen den Impuls ankämpfen, den Redner mit einem gezielten Kinnhaken niederzustrecken. Stattdessen versuchte er sich wieder auf die Worte zu konzentrieren.

"Sie geben einander nicht nur Ihre Zuneigung; Sie willigen ein, Stärke, Verantwortung und Liebe miteinander zu teilen. Heute ist nur ein kurzer Tag, und obwohl ihre Eheversprechen innerhalb von Minuten gesprochen sein werden, sind es Versprechen, die ein Leben lang halten.

Die Ehe ist eine ernsthafte Verpflichtung, sie darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
Ihre Verlobung hat eine Verwebung Ihrer beider Leben in Gang gesetzt und wir hoffen, dass Sie beide über die Jahre noch enger zusammen wachsen werden.

Indem Sie sich Ihre Eheversprechen geben und damit Ihren gemeinsamen Lebensweg beginnen, seien Sie versichert, dass unsere Liebe und Unterstützung Sie begleitet."

Der Beamte sprach die Gäste an.
"Poppy und Levi haben sich entschieden sich eigene Versprechen zu geben und wir sind dankbar, dass wir daran teilhaben dürfen und uns an Versprechen erinnern, die auch wir gemacht haben und bei dieser Gelegenheit erneuern können."

Als Levi diese Worte hörte, blieb sein Herz einen Moment stehen. Eigene Eheversprechen? Hatte sie das veranlasst? Er hatte nichts davon gewusst. Wollte sie ihn vor versammelter Mannschaft vorführen?

"Poppy Marjorie Hall", sprach der Beamte, "Sie dürfen beginnen."

Als Levi sie ungläubig anstarrte, fielen ihm ihre aufgerissenen Augen auf und er wusste sofort, dass sie nicht weniger überrascht war als er selbst.
"Improvisier einfach", flüsterte er ihr tonlos zu.

Um Zeit zu gewinnen, räusperte sie sich dezent und nahm langsam seine Hand in ihre. Ihre Blicken trafen sich als sie begann ihre Worte zu formen.

"Ich verspreche, dir dabei zu helfen, das Leben zu lieben, dich immer zärtlich zu halten und die Geduld zu haben, die die Liebe erfordert.

Ich verspreche zu sprechen, wenn Worte nötig sind und die Stille zu teilen, wenn sie es nicht sind."

Die Worte kamen ihm bekannt vor. Hatte sie gerade die Eheversprechen aus der Schnulze vom gestrigen Abend zitiert? Die mit dem Typen, der keine Gelegenheit verstreichen ließ, sein übertriebenes Sixpack zu zeigen.

Kale wäre der einzige der Anwesenden, die es bemerken würden. Alle anderen würden von ihren Worten berührt sein. Bevor er weiter darüber sinnieren konnte, fuhr sie fort.

"Ich verspreche, Interesse für deine Videospiele zu heucheln. Ich verspreche, immer auf seiner Seite zu stehen."

Jemand unterdrückte ein Lachen. Poppy fuhr unbeeindruckt fort.
"Ich glaube an dich und an die Person, die du werden wirst. Ich werde dir vertrauen, dich respektieren, dich unterstützen und immer und in jeder Hinsicht ehren."

Damit steckte sie den Ring auf seinen Finger und lächelte ihn zaghaft an. Doch Levi war zu überwältigt um zurück zu lächeln. Ihre Versprechen klangen überzeugend, selbst für ihn. Sie hatte die Messlatte hoch gesetzt, aber er war bereit höher zu springen. Auf jeden Fall würde er es versuchen. Niemand würde mit dem Finger auf ihn zeigen und behaupten können, er hätte nicht sein Bestes gegeben.

"Levi Atlas Lawson", der Beamte zeigte auf ihn.

Er räusperte sich unauffällig, wie Poppy es getan hätte, und starrte ihr in die Augen. Als sie ihren Blick fallen ließ, drückte er ihre Hände um ihr zu signalisieren, dass sie ihn ansehen sollte. Er würde nicht lügen und ihr erzählen, dass er sie liebte, wenn sie beide wussten, dass das nicht stimmte. Aber er würde ihr laute Versprechen geben, die er halten konnte.

"Ich kann dir nicht versprechen, dass morgen ein perfekter Tag wird oder dass das Leben leicht sein wird.
Aber ich kann dir versprechen, jede Krise zu überstehen und für dich da zu sein und deine Hand zu halten."

Er grinste sie an und konnte sich den folgenden Satz nicht verkneifen.

"Ich verspreche mir Mühe zu geben, um nicht genervt zu sein, wenn du während eines Films ununterbrochen Fragen stellst."

Er wartete kurz auf eine Reaktion von ihr und fuhr erst fort als er den Anflug eines Lächeln erkennen konnte.

"Ich verspreche dir gegenüber unvoreingenommen zu bleiben, deine Träume zu unterstützen, Herausforderungen gemeinsam anzunehmen und dich aufzumuntern.
Ich verspreche dir, das Beste aus mir heraus zu holen und an der deiner Seite zu wachsen."

Nachdem Levi den Ring auf ihren schmalen Finger geschoben hatte, trafen sich ihre Blicke erneut. Sie sah ihn aua den tiefen ihrer brauen Augen an.

"Nun da sich Poppy und Levi gegenseitig ihre Versprechen gegeben haben, erkläre ich sie zu rechtmäßigen Ehepartnern."

Die Gäste klatschen begeistern und Parker pfiff leise. Oder war es Kale?
Der Redner sah uns neugierig an. Dann wandte er sich direkt an Levi.

"Jetzt wäre eine passende Gelegenheit, die Braut zu küssen."

Das war der schwierige Teil. Der Teil, den Levi bisher erfolgreich ignoriert hatte. Er musste seine Braut küssen, oder nicht? Würde es echt aussehen, wenn er sie nur auf die Wange küsste?

Seine Gedanken wurden von einer schmalen Hand in seinem Nacken unterbrochen, die seinen Kopf ein Stück runter zogen. Weiche Lippen landete auf seinem und seine Augen fielen zu. Poppy öffnete ihren Mund und tippte seine Unterlippe sanft an, doch er verweigerte ihr den Zugang.

Als ob nichts passiert wäre, saugte und knabberte sie zärtlich an seiner Unterlippe. Dieser Las fühlte sich so anders an als alles was er bisher erlebt hatte. Und obwohl es für ihn ungewohnt war, nicht die Kontrolle zu haben, hielt er still. Er wollte vor den Gästen keine Show abziehen.

Aber da ein erster Kuss schließlich eine romantische Angelegenheit sein sollte, gab er nach und küsste sie zurück. Eine Hand glitt auf ihren Rücken und mit der anderen strich er sanft über ihre Wange.

Plötzlich zog sie sich zurück. Doch Levi hielt ihr Gesicht fest in den Händen nundmkehnte sich vor, sodass es für neue Gäste aussah als würden sie Stirn an Stirn kuscheln.

"Gar nicht Mal so schlecht, Frauchen", flüsterte er.

"Im Durchschnitt dauert ein Hochzeitskuss vier bis fünf Sekunden. Ich habe sechs angepeilt, um auf der sicheren Seite zu sein", gab sie flüsternd zurück und setzte ein falsches Lächeln auf.

Levi hatte alle Mühe, ein lautes Lachen zu unterdrücken. Sie hatte sich zur Dauer von Küssen belesen und die Sekunden gezählt? Sie war wirklich etwas besonderes. Nur um sie zu ärgern, lehnte er sich weiter vor und beanspruchte ihre Lippen für einen weiteren  zarten Kuss. Ein leises Seufzen entwich ihren Lippen. Als der Beamte sich diskret räusperte, entzog sich Poppy seinem Kuss.

"Werte Familie und Freunde, ich präsentiere Ihnen Mr. und Mrs. Levi und Poppy Lawson", stellte der Redner das Brautpaar vor.

Erneut ertönte ein leiser Pfiff und dann erhoben sich die Gäste um ihre Glückwunsche auszusprechen für die strahlende Zukunft, die angeblich vor uns lag. Wie auch immer sie sich dessen sicher sein konnten. Es war als hätten sie seinen Worten kein Gehör geschenkt.

Nach dem offiziellen Teil der Trauung gab es den obligatorischen Sektempfang und ein formales Dinner. Und natürlich warteten alle Anwesenden darauf, dass das Brautpaar mit dem ersten Tanz die Tanzfläche eröffnen würde.

Notgedrungen führte Levi seine Frau also kurz nach dem Sonnenuntergang auf die Tanzfläche, während die Gäste um sie herum mit Wunderkerzen für romantische Stimmung sorgten. Sie meisterten den Walzer mühelos und nach knapp einer Minute des hin und her schwingens spürte Levi eine Hand auf seiner Schulter. Es war Kale.

"Darf ich ablösen?"

Levi sah Poppy fragend an und entdeckte Erleichterung in ihren Augen während sich eine leichte Röte ihren Hals hinauf schlich.

Jedes zarten Gefühl, das er im Laufe des Tages für sie entwickelt hatte, löste sich mit einem lauten Knall in Luft auf. Hatte sie ihn heute geheiratet, während sie heimlich auf Kale stand? Herr im Himmel, was für ein Desaster. Er fluchte leise vor sich hin.

"Wer hat dir denn in den Champagner gepisst?", fragte Kale lachend.

"Lass ihn. Er macht sich Sorgen um seine Performance heute Nacht", zog sie ihn auf.

Levi starrte sie an, dann seinen Bruder. "Nimm sie. Und mach dir nicht die Mühe sie zurückzubringen."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top