Kapitel 35

Ich kann die Aufregung kaum zurückhalten, als wir ein paar Tage nach unserer Verlobung wieder amerikanischen Boden unter unseren Füßen haben. Die Tatsache mit der Verlobung kann ich immer noch nicht glauben. Ich bein VERLOBT. Marie Sturm, verlobt mit Alexander Black. Die verbleibenden Tage in Rom, habe ich gedanklich abwesend verbracht. Alexander hat es kaum bemerkt, da er sich selbst wieder etwas mehr um seine Arbeit gekümmert hat, während ich allein auf dem Anwesen geblieben bin. Mir war egal, ob ich alleine bin, ich wollte nur nicht stillstehen. Daher habe ich das Anwesen mit dem Fahrrad oder zu Fuß erkundet, habe uns mediterranes Abendessen zubereitet und mich mit allem abgelenkt, was mir zwischen die Finger gekommen ist.

Zwei Tage nach dem Antrag bin ich nachts wach im Bett gelegen und musste darüber nachdenken, wie ich an meiner Hochzeit aussehen werde. Es war ein schönes und zugleich beängstigendes Gefühl. Ich habe nie darüber nachgedacht, ob ich heiraten oder Kinder haben möchte. Es schien Früher noch so fern, aber nun steht meine Hochzeit schon fast vor der Tür. Als ich darüber nachgedacht habe, habe ich plötzlich verstanden, was mich an diesem Antrag so aus der Bahn geworfen hat. Unter diesen Umständen möchte ich nicht heiraten. Ich will frei sein von dem Gedanken, dass ich Alexander betrogen habe, will meinem besten Freund nicht mehr hinterher weinen und die Sache zwischen uns bereinigen. Dann habe ich Alexander angesehen und den Gedanken weiter gesponnen. Eventuell sind es nicht nur die Umstände, unter denen ich ihn nicht heiraten möchte, sondern vielmehr könnte es der Mann sein, den ich nicht heiraten will. Ich habe Gedanken zwar sofort verneint und mich von ihm befreit, doch ich spüre diese Frage weiterhin an mir nagen, seit dieser Nacht. Er dreht immer wieder seine Kreise.

Mein erster Besuch in New York gilt meiner Granny. Und obwohl mein Verlobter an meiner Seite sein sollte, wenn ich ihr die Nachricht meiner Verlobung überbringe, wollte ich lieber allein mit ihr sein. Doch da stehe ich nun vor ihrer Türe und debattiere darüber, wie viel von ihren Weisheiten ich heute an mich heranlasse, schließlich kann meine Großmutter in mir lesen, wie in einem Buch. Trotz meiner Angst schaffe ich es zu klopfen, nur um darauf der Versuchung zu widerstehen, den Fahrstuhl nach unten zu nehmen. Da öffnet sie auch schon die Tür und sieht mich überrascht an.

"Oh Schätzchen? Ihr seid schon zurück?", fragt sie entgeistert und ich verstehe nicht, warum sie nicht zu freuen scheint.

Bis ich einen Blick über ihre Schulter in die Wohnung werfe. Eine Gestalt erregt meine Aufmerksamkeit und ich sehe, wie James mit einem großen Teller von der Küche ins Wohnzimmer läuft. Jetzt bin ich diejenige die überrascht zwischen den Beiden hin und her sieht.

"Marie,", flüstert James meinen Namen.

Beinahe ehrfürchtig, was mir einen kalten Schauer den Rücken hinab jagt. Ich sehe ihn an, spüre, wie mein Herz sich nach ihm sehnt, nach einer Umarmung, nach einem Kuss auf die Stirn nach seinem Trost, doch das kann ich jetzt nicht gebrauchen, schließlich trage ich den Ring meines Verlobten am Finger. Still blicken wir uns an. Unsere Blicke vermögen alles zu sagen, was wir nicht vagen auszusprechen. Es tut mir leid. Ich vermisse dich. Wie geht es dir? Ich hoffe es geht dir gut. Kann es werden wie früher? Ich kann nicht ohne dich.

"Ich wollte nicht stören, Grams", setze ich an und will gerade auf dem Absatz umdrehen, doch da werde ich mit einem Handwischen von ihr unterbrochen.

Sie packt mich am Oberarm, zerrt mich, mit viel zu festen Griff für eine Frau in ihrem Alter, in ihre Wohnung. Stolpernd komme ich zum Stehen, während James noch immer wie erstarrt da steht und mich unverhohlen anstarrt. Am liebsten würde ich ihn gereizt fragen, was er von mir möchte, aber ich lasse es. Granny könnte die Aufregung und einen Streit zwischen uns nicht ertragen. Sie braucht es ruhig und harmonisch um sich.

"Wollen wir uns setzten, oder wollt ihr euch noch ein wenig länger anstarren, wie zwei Fremde?"

Grannys Frage kommt ihr locker über die Lippen, ja sogar mit einem kleinen Schmunzeln, doch ich fühle mich schrecklich ertappt. James scheint dagegen wieder voller Leben zu sein, denn er verschwindet sofort im Wohnzimmer. Als er außer Hörweite ist, drehe ich mich zu meiner Großmutter um und beginne noch einmal von vorn.

"'Tschuldige, Granny, Ich hätte daran denken müssen. Donnerstag ist sein Tag, nur ich..."

"Ja, ja, du wolltest nicht stören. Aber nun bist du da, also setz dich zu uns. Ihr könnt euch nicht ewig aus dem Weg gehen, Liebes." Sie legt mir eine Hand an die Wange und sieht mich traurig an. „Oder sollte ich eher sagen, dass du ihn nicht für immer ignorieren kannst?"

Ihre letzten Worte treffen mich besonders schwer, denn sie hat Recht. Ich kann und ich sollte James nicht mehr ignorieren, trotzdem sehe ich Grams fassungslos hinterher, als sie ins Wohnzimmer geht. Seit wann ist sie nicht mehr auf meiner Seite? Ich schüttle das Gefühl von mir und gehe ihr hinterher. James hat es sich auf dem Zweisitzer gemütlich gemacht und Granny sitzt neben ihm. Das muss ich ihr lassen, wenigstens die Peinlichkeit, mich neben ihn setzen zu müssen, erspart sie mir. Ich setze mich auf den Sessel ihnen gegenüber und versuche in Gedanken Sätze zu bilden, um James und Granny von meiner Verlobung zu erzählen.

„So, du wolltest mir etwas erzählen, Schätzchen?"

Bitte nicht, Granny! Das kann ich nicht tun. Es würde ihm das Herz brechen, nicht nur, dass ich mich verlobt habe, sondern, dass er nicht der Erste war, der davon erfahren hat.

Es ist schon schwer genug, ihm hier gegenüber zu sitzen, nicht zu wissen, wie ich für Alexander empfinde und ob ich ihn wirklich heiraten sollte.

„Nun spuck es schon aus, Marie", drängt Granny weiter.

Sie ahnt es, ich kann es in ihren Augen aufblitzen sehen und auch, wenn sie James niemals wehtun wollen würde, sie will, dass ich es laut ausspreche. Sie möchte, dass er es von mir erfährt und die Chance hat es zu verarbeiten.

„Also, eigentlich wollte ich dir von Rom erzählen", erkläre ich langsam und sehe zwischen den Beiden hin und her. „Wir haben viel Sightseeing gemacht, und auf einem riesigen Anwesen gewohnt."

Ich ringe meine Hände, schaffe es kaum still zu sitzen.

„Wir waren auch am Trevi-Brunnen. Habt ihr gewusst, dass es dazu auch ein paar alte Legenden gibt?"

Beide bleiben still. Granny weiß, dass ich keine Antwort will, sondern nur Zeit schinden. Sie sieht mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an.

„Wirklich schön zu sehen, und na ja, jedenfalls, hat Alexander mir dort einen Antrag gemacht und danach sind wir noch zu seiner Fam-„, doch ich schaffe es nicht, meinen Satz zu beenden, denn James springt auf und verlässt das Zimmer. Meine Großmutter hingegen sieht mich an, ohne eine Miene zu verziehen.

„James?", rufe ich, ehe ich ebenfalls aufstehe, um ihm hinterher zu laufen. Ich hole ihn an der Garderobe ein. „James, es tut mir leid. Ich hätte dir Früher davon erzählen sollen, ich weiß."

Doch er schüttelt den Kopf und hebt die Hand.

„Nein, Marie, du weißt gar nichts. Oder vielleicht weißt du doch etwas, aber verdrängst es. Du bist gerade dabei unsere Freundschaft zu zerstören Ich hoffe, ich bete dafür, dass dir wenigstens das bewusst."

Voller Verzweiflung fährt er sich mit beiden Händen durch die Haare. Hätte ich Alexander nicht mit ihm betrogen, dann könnte ich ihn jetzt in den Arm nehmen und meinem besten Freund den Trost spenden, den er braucht, doch mir sind die Hände gebunden. Seine Augen blicken durch mich hindurch, seine Brust hebt sich unnatürlich schnell, doch er bleibt still vor mir stehen

„Es tut mir so leid, Jimmy", flüstere ich.

Wer weiß, ob er es überhaupt hören kann. Wenn die Wut auch in seinen Ohren rauscht, dann sicher nicht.

„Siehst du denn nicht, warum er dich so schnell heiraten will?", fragt er und packt mich an den Armen.

Seine Stimme ist rau. Er ist kurz davor die Beherrschung zu verlieren, weshalb ich meine Antwort gut durchdenken sollte.

„Darüber habe ich nicht so richtig nachgedacht", rutscht mir stattdessen heraus.

„Und wenn du es tust, zu welchem Schluss kommst du?", fragt er weiter.

Er sieht mir wieder in die Augen. Endlich sieht er mich wieder an, sieht mich vor ihm stehen, wie ich mit den Schultern zucke.

„Das er sehr wahrscheinlich Angst davor hat, er könnte mich verlieren."

Ich kann die Intensität seines Blickes nicht ertragen, sehe zu Boden und lasse die Wahrheit auf mich wirken. Die letzten Tage habe ich nur darüber nachgedacht, was ich möchte, warum ich „Ja" gesagt habe, obwohl ich mich noch nicht dazu bereit gefühlt habe. Doch ich habe nicht ein einziges Mal darüber nachgedacht, warum Alexander mich so schnell heiraten möchte. Er kann mir noch nicht komplett verziehen haben und doch drängt er darauf, dass zwischen uns alles gut ist. Ich könnte heulen, weil ich so blind und naiv war.

„Willst du jemanden heiraten, der dich deinetwegen fragt, weil er dich liebt, oder jemanden, der dich fragt, weil er Angst hat, du würdest gehen?"

Damit lässt er mich allein zurück. Als er hinter sich die Türe ins Schloss zieht, ist es wie ein Schlag in die Magengrube. Er hat die Wohnung verlassen, er hat meine Granny einfach sitzen lassen, aber viel schlimmer noch, er hat mich verlassen. Diesmal hat er entschieden, dass das Gespräch beendet ist. Die Tränen stehen in meinen Augen, mein Herz schmerzt und der Ring an meinem Finger, wiegt tonnenschwer.

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