Kapitel 34
Die Strähnen lösen sich aus meinem geflochtenen Zopf. Ich grinse breit, spüre den Fahrtwind in meinem Gesicht und fühle mich frei. Alexander hat extra das Verdeck des Wagens geöffnet und fährt die engen Landstraßen viel zu schnell entlang, doch ich habe nur Augen für die Landschaft und das unbeschreiblich schöne Gefühl, dass sich in meiner Brust ausbreitet. Was könnte ich im Leben mehr wollen, als diesen wunderschönen Mann neben mir zu haben und zu wissen, dass er mich liebt, beschützt und umsorgt? Nein, ehrlich, was?
Wir sind auf dem Weg ins Stadtzentrum um mit unserer geplanten Sightseeingtour weiter zu machen. Gestern haben wir mit dieser Tour begonnen, die uns durch die verschiedensten Kathedralen, Museen, sowie die kleinen verschlungenen Gassen geführt hat. Alexander entpuppt sich als wahrer Kenner der Hotspots, erzählt viel über die Kunst, die wir bewundern, beantwortet die Fragen, die ich noch habe, nachdem ich nichts passendes in meinem Reiseführer finden kann. Das Leben und dieser Urlaub mit ihm, ist unfassbar schön.
Seit wir hier angekommen sind, kann ich sehen, dass er als kleiner Junge hier gelebt hat. Er ist vollkommen in seinem Element, spricht die italienische Sprache fließend und beeindruckt mich mit seinen südländischen Manieren. Diese Stadt ist so faszinierend schön, wie der Mann, in den ich mich vor wenigen Monaten verliebt habe.
Ich rekle mich noch einmal unter den weißen Laken und versuche dem Gefühl meines Traumes hinterherzujagen. Das Flaire dieser Stadt, der wunderschöne Mann unter meiner Dusche und das Anwesen sind ein Aphrodisiakum. Doch Alexander und ich, sind alles andere als erregt. Seit gestern Nachmittag wirkt er vollkommen ausgewechselt und zerstreut. Nach dem gefühlsgeladenem Sex am Pool, sind wir durch die Stadt flaniert und wollten zum Trevi Brunnen, als er auf einmal meinte, ihm sei etwas eingefallen, dass er noch schnell erledigen möchte.
Ich dagegen, habe den Nachmittag mit Shoppen verbracht, um das Sightseeing gemeinsam mit Alexander erleben zu können. Die romantischen, Geschichtsträchtigen Orte möchte ich mit ihm gemeinsam besuchen. In einer Stadt, wie Rom, ist es glücklicherweise nicht allzu schwer, sich in den kleinen Läden zu verlieren, die nicht die übliche Siesta halten. Meine Garderobe ist jetzt um zwei Sommerkleider, einen Bikini, ein verruchtes Wäscheset, sowie drei Paar Sandalen reicher. Als er gegen Abend endlich wieder zurückkam, war er still. Beim Abendessen haben wir kaum ein Wort gewechselt und als es Zeit fürs Bett war, wollte er lieber noch ein paar Runden schwimmen gehen. Zu der emotionalen Distanz, kommt nun also auch ein körperlicher Aspekt hinzu. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich darüber traurig, oder eher erleichtert bin.
Ich kann hören, wie er jetzt das Wasser abstellt. Als er aus dem Badezimmer tritt, nur ein Handtuch um seine Hüften und einen feuchten Film auf der Haut, sieht er unwiderstehlich aus. Ganz wie immer, auch, wenn es sich nicht wie immer anfühlt. Doch er lächelt.
"Beobachten Sie mich etwa, Ms Sturm?", fragt er in die Stille hinein.
"Eventuell, Mr Black."
Das kleine Kichern, kann ich dann doch nicht zurückhalten. Ich bin froh, dass er wieder etwas lockerer ist. Das Duschen hat ihm wohl gut getan, denn egal was ihn gestern noch belastet hat, scheint nun nicht mehr von Belang zu sein.
"Sie waren sehr abgelenkt, Mr Black. Es kam mir beinahe so vor, als hätten Sie mich leid."
Auch wenn ich die Frage mit einer kleinen Schnute stelle, schwingt der Hauch meiner Kränkung mit, die ich seit gestern empfinde. Es wirkt, als würde auch ihn ein schlechtes Gewissen heimsuchen, denn über sein Gesicht huscht ein Schatten.
"Tut mir leid, Kätzchen. Ich bin sehr abgelenkt gewesen, aber ich verspreche, dass heute der perfekte Tag wird. In Ordnung?"
Ich grinse nickend, denn es ist genau das, was ich brauche. Einen perfekten Tag, mit diesem perfekten Mann, den ich gar nicht verdient habe. Er küsst mich auf die Stirn, legt sich dann noch einmal zu mir ins Bett, löst sein Handtuch, und macht seine gestrige Abwesenheit wieder wett. Zweimal.
***
Alexander dreht das Radio wieder leiser, worauf ich meinen Blick wieder ihm zu wende. Wir sind auf der Landstraße Richtung Zentrum unterwegs, genießen die warmen Sonnenstrahlen, den kühlen Wind, und bis eben, konnte er noch meinen Gesangskünsten lauschen. Was ihn vor wenigen Augenblicken noch ebenso zu amüsieren schien, wie mich.
"Ich habe heute mit meiner Tante telefoniert", meint er, auch wenn ich noch nicht so richtig weiß, was er mir damit mitteilen möchte. "Sie hat uns für heute Abend zum Essen eingeladen."
Diese Erklärung reißt mir beinahe den Boden unter den Füßen fort. Es war klar, dass der Tag kommen würde, an dem ich auch den italienischen Teil seiner Familie kennen lernen würde, doch ich hatte noch nicht so bald damit gerechnet. Ich schlucke schwer und warte darauf, dass er noch etwas sagt.
"Ich habe zugesagt", wieder legt er eine kurze Pause ein. "Ich weiß, du kennst dort Niemanden, aber ich verspreche dir, ich werde dich nicht allein lassen. Alle freuen sich, die Frau kennen zu lernen, die mein Herz erobert hat."
Er tätschelt meine Hand, seine Augen funkeln und sein Lächeln könnte nicht breiter sein. Ob sie mich noch ebenso gern kennenlernen würden, wenn sie wüssten, was ich ihm angetan habe? Dass ich sein Herz gebrochen und ihn betrogen habe? Er zwinkert mir zu und ich versuche das erste zu sagen, was mir in den Kopf kommt.
"Klar. Ich freue mich darauf deine Familie kennenzulernen."
"Ich wollte dich nicht dazu drängen, wie ich es jetzt tue, aber ich bin froh, wenn du sie endlich triffst."
Er gibt mir noch einen letzten Kuss auf die Wange und wendet sich dann wieder der Straße zu. Seine Daumen streichen über das Lenkrad und sein Kiefer arbeitet. Er verheimlicht etwas. Für den Moment, kann ich jedoch nicht darauf eingehen, sondern muss versuchen, die Panik unter Kontrolle zu halten.
"Das ist in Ordnung, Alex", lächle ich und sehe dann wieder aus dem Fenster. Seine Familie. Nicht nur seine Eltern, sondern die gesamte Familie. Worauf lasse ich mich da nur ein? Als Alex das Radio wieder lauter dreht, sehe ich mich zu ihm um, und sehe den feixenden Blick, den er mir zuwirft. Ich fange leise zu singen an. Dieses Mal kann sich selbst mein sonst so seriöser Freund nicht zurückhalten, und stimmt mit ein.
***
Seit einer Stunde flanieren wir durch Rom, sehen uns nichts Bestimmtes an, sondern saugen das Leben in uns auf. Dieser Urlaub gibt mir neue Energie, wenn er mich auch gleich, dieser Energie beraubt. Meine Sorgen sind vergessen, auch wenn meine Gedanken nicht aufhören wollen, sie immer wieder heraufzubeschwören. In New York habe ich noch genügend Zeit, mich mit meinen Dämonen auseinander zu setzen. Alexanders Arm liegt um meine Schulter, während ich meinen um seine Taille geschlungen habe. Ich habe meine Sonnenbrille in die Haare geschoben, um bei meiner sanften Bräune keine weißen Streifen zu riskieren, wofür ich wieder von meinem Freund ausgelacht werde.
"Für was hast du dann eine Sonnenbrille, wenn du sie nicht einmal trägst?", hat er mich gefragt, worauf ich ihm geantwortet habe, dass es mehr ein modisches Accessoire ist, als ein wirklicher Schutz vor dem hellen Licht.
Belustigt hat er den Kopf geschüttelt und mich mit sich gezogen. Wir sind auf dem Weg zum Trevi Brunnen, den er mir heute endlich zeigen möchte. Vor der Sehenswürdigkeit tummeln sich Touristen um Touristen, die alle nach ihren Geldbörsen greifen, laut lachen und ihr Hartgeld über die Schulter in den Brunnen werfen. Sie schießen Fotos in Gruppen, plappern euphorisch durcheinander oder küssen sich, als Liebesbeweis. Es vermischen sich so viele verschiedene Nationalitäten, dass es wie ein großes Sprachorkester wirkt. Ich liebe die Energie, die an diesem Ort herrscht und strahle Alexander glücklich an, der meinen Blick ebenso glücklich erwidert.
Er fasst mich an der Hand, zieht mich bis zur Steinbrüstung, die um den Brunnen läuft. Auf dem Grund liegen hunderte Münzen - beinahe sekundlich werden es mehr. Ich hole mein Handy hervor, beginne die ersten Bilder zu schießen, während Alexander nach seinem Geldbeutel fischt. Er nimmt mir mein Telefon ab, dreht mich mit dem Rücken zum Brunnen und beginnt zu erzählen.
"Es heißt, wenn man eine Münze über die linke Schulter wirft, wird man Rom eines Tages wiedersehen."
Er gibt mir eine Münze, sodass ich sie über die Schulter werfen und auf ein Wiedersehen hoffen kann.
"Wirft man jedoch zwei Geldstücke", erklärt er weiter. "Dann verliebt man sich in einen Römer."
Er zwinkert und ich grinse ihn breit an, nehme jedoch seine zweite Münze entgegen, drücke ihm einen kleinen Kuss auf den Mund und werfe sie über meine Schulter.
"Wenn man dann eine Dritte wirft", dabei tritt er näher und sieht mir in die Augen. Das Stimmengewirr um uns wird leiser und ich fühle mich plötzlich einsam. "Dann", erklärt er weiter, "wird man eben diesen Römer heiraten."
Die letzten Worte flüstert er mir ins Ohr und es läuft mir heiß und kalt den Rücken hinab. Alexander geht vor mir in die Knie, steckt mir eine weitere Münze in die Hand, ehe er aus seiner Hosentasche eine kleine Ringbox hervorholt.
"Marie, ich will dich nie wieder verlieren. Bitte, wirf die dritte Münze, und sag 'Ja'"
Seine Stimme bebt, meine Beine ebenfalls, meine Finger werden kalt und ein eisiger Knoten bildet sich in meinem Bauch. Nach allem was ich getan habe, macht er mir hier in Rom einen . Antrag. Obwohl ich erst vor zwei Wochen zusammengebrochen bin und um meinem besten Freund geweint habe. Saure Galle steigt auf, doch ich schlucke sie hinunter. Erwartungsvoll kniet er vor mir, verliert beinahe das Lächeln, als ich nicht sofort reagiere. Es fühlt sich an, als hätte man mir die Luft zum Atmen genommen. So sollte es sich ganz sicher nicht anfühlen, wenn man einen Antrag bekommt. Man sollte wild kreischen, sich Luft zufächeln, den Verlobten in die Arme schließen, oder ein paar Freudentränen verdrücken. Unter Schock hebe ich meine Hand, mache mich auf seine Enttäuschung gefasst, wenn er die Münze wieder in seine Börse stecken muss. Das Funkeln in seinen Augen verdunkelt sich, die Enttäuschung überspült uns beide. Gerade als er wieder aufstehen möchte, werfe ich die Münze, beinahe aus Affekt, über meine linke Schulter, ehe ich mir meinen Mund zuhalte.
"Ja", nuschle ich durch meine Finger.
Mein Verlobter findet seine gute Laune sofort wieder, zieht mich in seine Arme und küsst mich fest auf den Mund. Ein paar der Touristen, die das Geschehen mitverfolgt haben, klatschen, oder rufen uns Glückwünsche in den verschiedensten Sprachen zu, doch ich bin zu sehr damit beschäftigt, die Entscheidung zu überdenken, die ich gerade getroffen habe. Unsere Hände zittern, als er mir den schlichten silbernen Ring, der einen kleinen blauen Stein fasst, ansteckt. Er fasst mein Gesicht, sieht mir tief in die Augen und drückt mir einen weiteren Kuss auf die Lippen. Sein "Dankeschön" flüstert er mir zwischen zwei weiteren Küssen zu.
***
Ich sitze auf dem Deckel des Gäste-WCs und starre das blaue Steinchen auf meinem linken Ringfinger an. Jetzt ist es offiziell, ich bin verlobt. Alexander hat es während dem Essen seinen Verwandten erzählt. Er ist einfach aufgestanden, hat mit seinem Messer gegen sein Rotweinglas geschlagen und in seinem verführerischen, rauen Italienisch erzählt, dass er mich heute gebeten hat, seine Frau zu werden. Der ganze verdammte Mann hat gestrahlt, als wäre er ein Stern und die Sonne höchstpersönlich würde ihn beleuchten. Sofort ist seine Familie von den Stühlen aufgesprungen und sie alle haben uns in ihre Arme geschlossen. Seine Tante hat versucht auf Englisch ein paar Glückwünsche auszusprechen, während ihre Mutter es in gebrochenem Deutsch versucht hat.
Wie betäubt habe ich mich bedankt, gelächelt und ihre Glückwünsche in mein Herz geschlossen. Sie feiern noch immer lautstark im Garten, unter den großen Olivenbäumen. Das Ambiente könnte nicht schöner sein. Die Sonne ist längst untergegangen, die Kerzen auf dem Tisch spenden warmes Licht und die Augen aller Anwesenden haben im Kerzenschein glücklich gestrahlt. Das war der Moment, in dem ich es nicht mehr ausgehalten habe und einen kurzen Augenblick für mich brauchte. Doch nun sitze ich hier seit zehn Minuten und schaffe es nicht, mich wieder auf die Terrasse zu begeben.
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür, lässt mich aufsehen. Ich drücke die Klinke herunter und sehe durch den Spalt, dass Alex vor der Tür steht. Die ersten Knöpfe seines Hemdes hat er geöffnet. Er ist entspannt und fühlt sich geliebt, doch die steile Falte auf seiner Stirn lässt die Fassade bröckeln. Unter seiner Mauer aus Glückseligkeit brodelt noch immer der Schmerz meines Verrates.
"Alles in Ordnung, Kätzchen? Du bist schon ziemlich lange weg", erklärt er, als wüsste ich das nicht. "Darf ich reinkommen?"
Ich nicke, öffne dann den Spalt etwas weiter und er schließt die Tür schnell hinter sich. Mit seinen Armen umfasst er mich, hält mich fest. Ich weiß nicht, ob er meine Zweifel bemerkt hat, oder er sich Sorgen macht, ich könnte mit seiner Familie überfordert sein, doch er spricht kein Wort. Wir teilen diesen stillen Moment, der nur uns Beiden gehört.
"Ich werde immer auf dich Acht geben, das schwöre ich dir. Wenn es dir zu viel wird, und du gehen möchtest, dann können wir das gerne tun, Marie."
Doch ich schüttle den Kopf, denn auch wenn ich Zweifel habe, die mich plagen, habe ich seine Familie gern. Sie sind ebenso herzlich, wie Alex Eltern. Ich schließe ihn noch fester in meine Arme, genieße seine Nähe und verdränge die Gedanken an die Welt da draußen, an meine Ängste, meine aufgeschobenen Sorgen, meine sicherlich überraschten Eltern, meinen ehemals besten Freund. Und ich schaffe es nicht, die Tränen zurückzudrängen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top