Kapitel 27

Das Taxi hält vor dem Appartementkomplex und ich reiche dem Fahrer ein paar Scheine. Schon seit einer Stunde klopft mein Herz wie verrückt und lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Dabei müssen meine Worte gut gewählt sein, um Alexander die Wahrheit schonend beizubringen. Vor einer Stunde hat es dann sogar zu nieseln begonnen und gibt der Aufgabe, die vor mir liegt, jetzt auch wettertechnisch die nötige Tristesse. Die nicht einmal eineinhalb Meter zum Unterstand sorgen beim Aussteigen trotzdem dafür, dass meine Haare mit kleinen Tropfen benetzt sind. In der Lobby ziehe ich mir dann mechanisch meine Jacke aus und trete in den Fahrstuhl.

Oben angekommen trete ich in das große Foyer, das zu Alexanders Wohnung gehört. Ich erinnere mich an die wenigen Male, die ich hier gewesen bin. Mein erstes Mal hat mit einem Blowjob am Fenster geendet. Die Erinnerung zaubert mit ein Lächeln ins Gesicht, dass ich mir jedoch verkneife, als ich Schritte höre. Alex tritt mit einer verwaschenen Jeans und einem schwarzen Shirt an mich heran. Als er mich mustert, kann ich die Sehnsucht in seinen Augen sehen, aber auch die Vorsicht, den Verrat und etwas, dass mich an die Liebe erinnert, die er vor wenigen Tagen noch für mich empfunden hat.

„Hey", seine Stimme ist leise.

Er ist unsicher und ich bin daran schuld. Ich habe den Zweifel in seinem Herzen gesät.

„Hi."

Gerade als ich auf ihn zugehen möchte, um ihm einen Kuss zu geben, bittet er mich ins Esszimmer. Er erklärt, dass das Essen fertig wäre, weshalb ich ihm still folge. Die Atmosphäre des Raumes überrascht mich dann jedoch. Er hat auf dem Esstisch Kerzen aufgestellt, auf den Tellern ist unser Essen garniert und das Licht wurde gedimmt. Mir zieht es das Herz zusammen und ich bin kurz davor ein paar Tränen zu vergießen. Er hat so viel mehr verdient, als mich. Ich schlucke den Kloß im Hals hinunter, blinzle ein paar Mal und setzte mich auf den Stuhl den er mir anbietet.

Eingeschüchtert sehe ich auf das Fischfilet und die Kartoffeln hinunter. Wer das Essen wohl vorbereitet hat? Ich hatte mehr auf ein schnelles Gericht gehofft. Einen Lieferservice, der unserem Streit ein paar Sekunden Verschnaufpause bringen würde. Mit diesem Dinner, im Esszimmer, habe ich nicht gerechnet. Dabei hätte ich es wissen müssen. Das ist Alexander. Extravagant und immer auf mein Wohl bedacht. Ich nehme einen Bissen und lasse das zarte Fleisch des Fisches auf meiner Zunge zergehen.

„Das ist wirklich köstlich, Alexander."

Ich höre ihn scharf einatmen und sehe ihn an. Habe ich etwas falsch gemacht? Ich muss die Frage laut gestellt haben, denn er antwortet mir.

„Nein. Ich...Es ist komisch das zu sagen. Es ist die Art, wie du meinen Namen sprichst. Du hast es schon so oft getan und doch ist es gerade heute von besonderem Belang."

Keine weitere Erklärung will über seine Lippen. Still essen wir weiter.

„Hast du eine Köchin?"

„Warum?", kontert er mit einer Gegenfrage.

So kommen wir nicht wirklich weiter. Er muss schon mithelfen, wenn wir uns unterhalten wollen.

„Ich würde ihr gerne mein Lob aussprechen. Der Fisch ist vorzüglich und erst die glasierten Kartoffeln dazu."

„Dann danke ich dir für das Lob."

Stille. Sein Messer kratzt auf dem Teller. Er führt die Gabel zum Mund, kaut und sieht mir wieder in die Augen.

„Du hast das gekocht?"

Zur Antwort nickt er nur und ich lächle ihn an. Ja ein kleines Bisschen flirte ich auch mit ihm und endlich scheint sich die Stimmung zwischen uns zu lockern. Ich nehme einen Schluck aus meinem Weinglas und beginne da, wo ich gehofft hatte, niemals beginnen zu müssen. Bei meiner Nacht mit James.

„Ich wollte mit dir reden. Wir sollten über die letzten Tage sprechen, es aus dem Weg räumen. Meinst du nicht auch?"

Verschämt sehe ich auf meinen Teller nieder, schneide mir ein Stück ab, lasse die Gabel zurück auf das Porzellan vor mir sinken. Alexander reicht mir währenddessen seine Hand, streicht mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Eine Träne kullert über meine Wange. Über was genau ich trauere, weiß ich nicht. Um Alexanders Gefühle? Um meine Freundschaft mit James? Um eine Chance mit James?

„Wie fange ich nur an?", flüstere ich, mehr für mich als für Alexander, doch er nickt mir aufmunternd entgegen. „Es war nachdem ich aus dem Club abgehauen bin. Du warst die ganze Nacht über nicht bei mir und ich war so wütend wegen der Daten, die du über meinen Vater gesammelt hast. Ich bin nach Hause und habe mich mit James unterhalten."

Die Tränen laufen jetzt ungehalten über meine Wangen. Ein lautes Schluchzen bahnt sich seinen Weg nach Oben und ich entziehe Alex meine Hand. Ich will nicht von ihm getröstet werden. Er versteht noch nicht einmal, was ich ihm gleich an den Kopf werfen werde. Die nächsten Worte kann ich nur flüstern und doch hallen sie unendlich laut in meinem Kopf wider.

„Ich habe mit ihm geschlafen."

Meine Augen sind geschlossen. Lautlos fallen meine Tränen. Alles ist still um uns. Kein Messer schabt mehr über das Porzellan. Alexander macht keinen Mucks. Vielleicht ist er schon aufgestanden und hat das Zimmer verlassen. Trotz der Last der Wahrheit, die so unverkennbar schwer zwischen uns hängt, fühle ich mich leichter, aber auch umso vieles schuldiger. Ich habe meine Schuldgefühle bei ihm abgeladen, auch wenn ich ehrlich war, hat es einen faden Beigeschmack. Nach ein paar weiteren Augenblicken, hänge ich meiner Aussage ein stilles „Es tut mir leid" an. Solch ein abgedroschener Satz und doch meine ich ihn, wie ich ihn sage.

Ich leide mit ihm. Das Leid das ich ihm antue, habe ich auch mir angetan. Es tut mir leid.

All meinen Mut zusammennehmend, sehe ich ihn an. Er sitzt mir gegenüber, beobachtet mich, wertet mein Verhalten aus. Ich kann keine Regung auf seinem Gesicht erkennen. Und in dem Moment fällt mir sein komisches Verhalten auf. Er weiß es. Er hat es nicht nur geahnt, hatte nicht nur Angst davor, es könnte so gewesen sein und es hätte sich nun bewahrheitet. Nein, er wusste es schon, als ich zur Tür hereinkam. Darum kein Kuss zur Begrüßung und die nicht enden wollende Stille zwischen uns. Er weiß es. Meine Tränen versiegen und das letzte bisschen Hoffnung zerbricht. Er hat mich leiden lassen, hat mir zugesehen, wie ich mich winde. Und er hat das Recht dazu, nachdem, was ich getan habe.

„Du wusstest es", krächze ich und wie erwartet nickt er. „Woher?"

„James hat es mir noch an diesem Abend erzählt."

Das erklärt, warum er sich auf meine Nachricht nicht gemeldet hat. Was hat Alexander mit ihm gemacht? Hat er ihn noch einmal geschlagen? Ihn zu Tode geprügelt? Ich traue mich nicht zu fragen.

„Ich war so wütend, Marie. Verletzt stand ich in eurem Appartement. Du hast geschworen, dass da nichts zwischen euch ist und dann muss ich es von ihm erfahren. Ich wollte es nicht glauben. Zuerst. Und dann hat es Sinn ergeben. Die Anrufe die du nicht angenommen hast. Deine Wut auf mich. Dein trotziges Verhalten, wann immer du dich ungerecht behandelt fühlst. Es passte so sehr zu dir, dich zu rächen. Mir den gleichen Schmerz zuzufügen."

Er hat Recht. Es passt zu mir. Es war zu erahnen, wenn man mich kennt. Seine Worte brennen dennoch wie Säure. Ich kann ihm nur still in die Augen sehen und dasitzen, zu mehr bin ich nicht im Stande.

„Ich war kurz davor, mich wie ein Schuljunge um dich zu prügeln und dann ist mir eines klar geworden. James liebt dich. Ich liebe dich. Du liebst ihn, aber liebst du mich? Also bin ich gegangen."

Erwartet er eine Antwort? Ist es ein rhetorisches Fragespiel, das seine Verzweiflung verdeutlichen soll? Liebe ich ihn? Ja! Ja, ja, ja, ja...hundertmal JA!

„Ich liebe dich."

„Ich weiß, dass du das tust. Darum bist du hier."

Er steht auf und kommt auf mich zugelaufen. An der Lehne meines Stuhls, dreht er mich zu sich und geht vor mir in die Hocke. Seine Hände liegen auf meinen Oberschenkeln. Ich habe seine Berührungen so sehr vermisst, dass ich mein Herz vor Sehnsucht zusammenzieht.

„Ich war wütend auf dich, Marie. Denn du warst selbstsüchtig und unfair. Wie ein kleines Kind. Schmerz gegen Schmerz. Du hast James die Chance gegeben dich zu trösten und mich von dir gestoßen. Ich war Schuld und ich bin dein Mann. Ich hätte dich trösten müssen. Niemand sonst."

Dass er sich selbst immer noch als meinen Mann betitelt erleichtert mich. Er hat uns noch nicht gänzlich aufgegeben.

„Ich werde dir ein solches Verhalten nicht noch einmal durchgehen lassen. Ich meinte, was ich im Club gesagt habe. Ich teile dich nicht. Ich kann verstehen, wie es dazu kam, dass du mit James...das ihr...gefickt habt", spuckt er mir entgegen. „Aber ich dulde es nicht noch einmal. Ich werde dir verzeihen, dir diesen Verrat vergeben und dir eine Chance geben. Aber wenn du willst, dass es mit uns funktioniert, habe ich eine Bedingung."

Seine Hände fahren fest über meine Schenkel, beruhigen meine Nerven und verschaffen mir innere Ruhe.

„Alles. Ich mache alles, damit du mir verzeihst."

Mit einem Lächeln auf den Lippen, gibt er mir einen Kuss. Seine warmen, weichen Lippen auf meinen. Ich habe dieses Gefühl so vermisst. Diese Nähe. Alexander.

„Dann zieh noch heute bei mir ein."

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