Kapitel 26
Mittags kommt Emily in mein Büro, sieht mich vielsagend an und bittet mich mit ihr zu kommen. Es ist so weit, ich werde ihr erzählen müssen, was passiert ist. Die Tatsache, dass sie einen Teil davon schon weiß, erleichtert mir jetzt diesen Schritt.
Einen Block von unserem Bürogebäude entfernt, treten wir in ein kleines Café in dem es voll aber - untypisch für New York - ruhig ist. Es scheint, als haben wir die schnelllebige, niemals schlafende Stadt, beim Eintreten hinter uns gelassen. Mit jeweils einem Getränk und einer Kleinigkeit zu Essen, setzen wir uns an den letzten freien Tisch, direkt am Schaufenster des Cafés.
"Also, was genau ist denn nun passiert?", leitet Emily unser Gespräch ein.
Während ich tief durchatme, um all meinen Mut zu sammeln, nimmt sie einen Schluck von ihrem Latte Macchiato.
„Ich habe dir doch von Alexanders Club erzählt, nicht wahr?", Emily nickt und ich erzähle weiter. „Nun gut, wir waren in diesem Club. Es ist so eine Art Lagerhalle die umfunktioniert wurde...in einen Sündenpool der Lust. Alles was du dir jemals erträumt hast, kannst du dort ausleben, Emily. Alles. Du musst nur jemanden finden, der es mit dir ausprobiert."
Ich verliere mich in den Ausführungen des Clubs und bin noch immer überwältigt von diesen Eindrücken. Auch von seinem Loft, erzähle ich ihr. Doch umso weiter ich vorstoße, desto näher komme ich meiner unentschuldbaren Tat. Meine Stimme ist belegt, als es um den Fund der Daten meines Vaters geht. Auch hier lasse ich kein Detail aus, erzähle ihr sogar von dem Brief, den er mir geschrieben hat. Als meine Ausführungen dann allerdings weitergehen, sich der Sache mit James unausweichlich nähern, komme ich ins Stocken. Auch wenn ich es ihr unbedingt erzählen möchte, will ich ihr die schmutzigen Details ersparen.
Ich greife nach meinem Bagel und nehme einen großen Bissen davon. Das Kauen fällt mir mit trockenem Mund schwer. Emily beobachtet jede meiner Bewegungen. Sie hat nur einmal das Gesicht verzogen, als ich ihr von meinem Vater erzählt habe, ansonsten sitzt sie still da, hört zu, trinkt und isst immer wieder eine Kleinigkeit.
Ich bin froh, dass sie mir noch keine Fragen gestellt hat. Momentan könnte ich damit nicht umgehen. Aber ihre Fragen werden kommen. Spätestens wenn es um James geht und ich werde sie nicht mehr länger warten lassen. Meine schweißnassen Handflächen wische ich an meinem Rock ab und erzähle ihr von James. Wie ich nach Hause gekommen bin, wie traurig ich war und das James, wie immer schon, für mich da war.
„Wir lagen auf dem Bett und er hat mich gehalten, mich getröstet", meine Stimme wird immer leiser.
Mir wird bewusst, wie sehr ich die Zeit und den Sex mit James genossen habe. Egal wie falsch es ist, wie moralisch verwerflich, ich habe es genossen. Ja, ich habe mit ihm geschlafen. Nicht nur weil er in dem Moment für mich da war, sondern weil er immer schon für mich da gewesen ist. Ich habe seine Berührungen aufgesaugt und mich beschützt gefühlt.
„Liebst du ihn?", reißt mich Emily wieder aus meinen Gedanken.
Ich denke kurz darüber nach. Liebe ich James? Natürlich, er ist wie ein Bruder für mich. Uns hat schon immer etwas verbunden. Vielleicht auch etwas, das tiefer reicht als Freundschaft. Etwas das an romantische Liebe grenzt.
„Ich glaube nicht, dass ich ihn auf diese Weiße liebe. Wir waren schon immer nur Freunde."
„Nur weil ihr immer schon Freunde gewesen seid, heißt es nicht, dass ihr nicht mehr werden könntet oder dürftet."
Ich sehe zu meiner Vorgesetzten und Freundin. Sie meint es ernst. Ohne zu antworten, sehe ich sie weiterhin an und versuche aus ihr schlau zu werden. Ich bin mir so sicher gewesen, dass sie mich hassen würde, doch jetzt wirkt es, als würde sie mich...verstehen.
„Was ist mit dir?"
Die Frage scheint sie zu überraschen, denn sie zuckt zusammen. Ihre Augen sind geweitet und ich glaube, ihre Atmung hat für ein oder zwei Sekunden ausgesetzt. Um es zu überspielen nimmt sie wieder einen Schluck von ihrem Kaffee und blickt aus dem Fenster neben uns. Ich tue es ihr gleich und sehe mir die Menschen auf dem Bürgersteig an, ohne einen von ihnen tatsächlich wahrzunehmen.
„Ich kann es einfach gut nachvollziehen", wispert sie. „Hat er dir erzählt, dass wir uns geküsst haben und er dann aus der Wohnung gerannt ist?"
Ungläubig sehe ich sie an und schüttle den Kopf. Ihre Augen sehen mich nun traurig an, während sich ihre Lippen zu einem ironischen Lächeln verziehen.
„Ich denke, er liebt Zack. Ich bin mir nicht sicher, dass er ihn liebt, aber er wirkt glücklich mit ihm. Ich kenne seine Frauengeschichten, er hätte kein Problem gehabt mich zu küssen, wäre er nicht verliebt. Und auch wenn ich vor ein paar Tagen, aus Eifersucht, etwas anderes behauptet habe, glaube ich, dass die Beiden glücklich werden könnten. James sollte es versuchen. Er sollte die Chance auf dieses Glück bekommen."
Wehmütig nicke ich und mir wird klar, dass es egal ist, was ich für James empfinde. Wen ich ihn liebe, dann lasse ich zu, dass er mit Zack glücklich wird.
***
Alexander hat einem Treffen zugestimmt. Er hat zuerst nicht auf meinen Anruf reagiert, weswegen ich ihm eine Nachricht hinterlassen habe. Jetzt lese ich euphorisch seine Antwort.
Ich bin froh, dass Du Dich gemeldet hast. Ich freue mich auf heute Abend. 18 Uhr klingt gut. Wo möchtest Du Dich treffen? - Alex
Können wir uns etwas Leckeres zu Dir nach Hause bestellen? - Marie
Ich werde mich darum kümmern. Bis heute Abend. Ich liebe Dich. - Alex
Die Aussicht auf das Gespräch macht mir große Angst, aber Emily konnte mir verzeihen. Sie konnte es verstehen. Das Gespräch mit ihr hätte nicht besser laufen können und es macht mir Hoffnung, dass auch Alexander verstehen könnte, wie ich mich gefühlt habe. Das er mir verzeihen könnte.
Meiner Granny habe ich ebenfalls Bescheid gegeben, dass es später werden könnte, bis ich zu ihr komme und dass sie nicht auf mich warten soll. Diesen Satz kennt sie zur Genüge - aus meiner Jugend - und weiß, dass sie oft umsonst wach geblieben ist.
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