Kapitel 10

Der Weg zum Büro ist still und wir Beide sind angespannt. Keiner von uns möchte die Stille durchbrechen. Ich gehe unsere Unterhaltung immer wieder gedanklich durch, doch komme ich jedes Mal zum selben Schluss. Ich werde jetzt noch nicht bei ihm einziehen. Wie kann er das überhaupt verlangen? Wenn ich auf unsere Geschichte zurückblicke, dann sehe ich da vor allem die Schwierigkeiten, die wir zu Beginn hatten. Wie kann er da verlangen, dass ich dies alles vergesse und auf gut Glück bei ihm einziehe. Vergiss es, da mache ich nicht mit, schimpft auch meine innere Stimme mit ihm.

Im Augenwinkel kann ich erkennen wie er vor sich hin schmollt. Ungeduldig klopft er mit seiner flachen Hand auf seinen Oberschenkel. Das lockert unsere Situation nicht, sondern unterstreicht nur, wie verfahren es ist. Eventuell versucht er damit sogar, dass mein schlechtes Gewissen an vorderste Front tritt und ihm bei seinem Plan mit in die Karten spielt. Weitere Verschwörungstheorie bilden sich in meinem Kopf, lassen meine Wut auf ihn nur noch mehr wachsen, bis ich kopfschüttelnd versuche mich wieder aus meinen dunklen Gedanken zu befreien.

Sein Vorschlag war nun einmal vollkommen daneben. Für jeden von uns ist es die erste richtige Liebesbeziehung und wir wissen nicht, wie so etwas normalerweise funktioniert. Ich für meinen Teil hatte meinen Spaß mit Männern und bin anschließend abgehauen. Alexander dagegen... Ja, wie war er eigentlich so mit Frauen? Hatte er auch viele One-Night-Stands? Ich kann mich nicht entsinnen, dass wir jemals darüber gesprochen haben. Über die Vergangenheit spricht man eben nicht gern, vor allem wenn sie so verkorkst ist wie meine. Bevor ich bei ihm einziehen könnte, müsste er mir von Früher erzählen.

Gedankenverloren sehe ich ihn mir an. Dieser wunderschöne Mann kann nicht abstinent gelebt haben. Ich wusste, dass er Frauen und Sex liebte und das zu jeder Zeit und an jedem Ort. Das Penthouse bildete die einzige Ausnahme, hier hatte er nur mich empfangen. Aber hatte sich das während unserer dreimonatigen Funkstille geändert? Schließlich hatte auch ich mich nach einem Mann umgesehen, mit dem ich unverbindlichen Sex hätte haben können. Ich würde an keinem Ort wohnen wollen, an dem er schon reichlich Frauen gevögelt hat. Seit ich ihn kannte, war er der einzige gewesen, der mich berührt hatte, weil er der einzige ist, der mich interessiert.

Geht es ihm in dieser Hinsicht genauso? Die Berührungen eines anderen können mich nicht so tief berühren, wie Alexanders. Nichts geht über ihn, denn er scheint mich vollkommen zu umhüllen und zu einem neuen, besseren Menschen zu formen. Also warum fällt es mir dann so schwer zu ihm zuziehen? Natürlich, wir sind erst wenige Wochen zusammen, wir sollten es langsam angehen. Ja, rational. Mit dem Verstand und der sagt einem doch, dass man erst einmal sehen sollte, wie es denn läuft.

Aber ist es wirklich mein Verstand, der mir das predigt? Im Moment kann ich ihn gar nicht mehr hören, höre nur das laute rufen, dass aus meinem Herzen kommt und mich versucht zu überzeugen. Auch mein Bauchgefühl gesellt sich dazu.

Als der Wagen zum Stehen kommt, tauche ich aus meinem inneren Monolog wieder auf. Ich werfe einen letzten Blick auf Alexander, ehe ich nach dem Türgriff greife und aussteige.

"Ich wünsche dir trotz allem einen schönen Tag in der Arbeit."

Er klingt kleinlaut, etwas dass ich nie mit Alexander in Verbindung gebracht hätte. Ich drehe mich um, lehne mich in den Wagen und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.

"Das wünsche ich dir auch", flüstere ich in sein Ohr.

Er schenkt mir ein winziges Lächeln, das seine Augen jedoch nicht erreicht. Der Schatten unseres Streits liegt weiterhin auf uns. Ich schließe die Tür, drehe mich um und trete hoch erhobenen Kopfes in die Eingangshalle, meiner Arbeitsstelle.

***

Emilys Lächeln habe ich die letzten Tage sehr vermisst. Den ganzen Vormittag über haben wir gemeinsam versucht meine verpassten Arbeiten nachzuholen. Die gute Laune hat sie dabei nie verlassen. Ihre langen, braunen Haare stecken wie immer, in einem hohen Pferdeschwanz und ihre weiße Bluse betont ihre schlanke Figur. Ich bin froh, sie als Vorgesetzte und auch als Freundin zu haben. In den letzten Monaten ist sie mir sehr ans Herz gewachsen und auch James scheint sie sehr zu mögen.

"Du und Jimmy habt die letzten Tage ja viel miteinander unternommen."

Ich versuche nicht zu neugierig zu klingen, versage aber auf ganzer Linie. Mich interessiert viel zu sehr, was die Beiden den ganzen Tag so unternehmen.

"Ja, er hat mir von sich und Zack erzählt. Auch von seiner Vergangenheit und hat immer wieder betont, dass er ein echter Weiberheld war. Es klang fast ein wenig, als wäre er von seinem eigenen Können zu sehr überzeugt."

Über diese Feststellung müssen wir beide lachen, denn, ja, James ist sehr von sich überzeugt. Er weiß, dass er beinahe jede Frau haben könnte, die er möchte, doch zurzeit scheint er es wohl eher auf jeden Mann abgesehen zu haben.

"Wenn ich nach den Damen gehen müsste, die Jimmy Monate lang hinterher gestalkt haben, dann muss er zwischen den Laken wahre Wunder vollbringen."

Ich muss über meinen eigenen Witz lachen, halte jedoch inne als ich Emilys Blick bemerke. Scheinbar ist ihr unser Gespräch mittlerweile etwas peinlich. "Was ist los? Hat er dich angebaggert?"

"Nein. Nein!", bezeugt sie vehement. "Er tut nichts der Gleichen. Er...ich... also, was ich sagen will...Ich denke er ist wirklich sehr verliebt in Zack. Auch wenn er sich noch nicht sicher ist, ob er einen Kurztrip zum gleichen Geschlecht gebucht hat, oder dort länger verweilen will, denke ich, dass er es wirklich ernst meint. Aber bei Zack ist es ganz anders." Sie sieht mich mit einem traurigen Blick an.

"Wie meinst Du das?"

"Es kommt mir vor, als würde Zack mit Jimmys Gefühlen spielen. Er sagt zwar, dass er nur das Beste für ihn will, aber ich glaube ihm nicht. Er spielt definitiv mit gezinkten Karten."

Während sich Emily wieder zu ihrem Bildschirm dreht und dort eine E-Mail aufsetzt, denke ich über ihre Worte nach. Sie hat Recht, mir kam es mit Zack ebenfalls so vor, als würde er es nicht ehrlich meinen.

"Außerdem finde ich, dass die Beiden nicht zusammen passen...", erklärt Emily jetzt mit fester Stimme.

Jetzt kann ich aber noch etwas anderes dabei heraus hören. Auch wenn ich bis vor wenigen Wochen das Gefühl hatte, sie schwärmt für unseren Chef, scheint sich das gewandelt zu haben. Emily empfindet etwas für James. Warum sollte sie sonst so fest davon überzeugt sein, dass James nicht zu Zack passt?

"Ach ja? Woran machst Du das fest?", frage ich mit hochgezogener Augenbraue und einem wissenden Grinsen auf den Lippen.

Sie sieht mich jedoch nicht an, als sie mir antwortet.

"Ich weiß nicht. Es ist das Aussehen. Die Beiden sind zu attraktiv, ihre Wangenknochen passen nicht zueinander, die Augen sie...also die Farbe...und auch wenn sie nebeneinander sitzen und kuscheln...oder Händchen halten. Das passt einfach nicht. Keine Ahnung...vergiss...vergiss einfach, dass ich etwas gesagt habe."

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