Prolog

Duftnoten von Abgas traten in meine Nase, weswegen ich den Kragen meiner Jacke über mein Gesicht schlug. Erst vor knapp einem halben Jahr bin ich in die Hauptstadt Deutschlands gezogen. Mehr oder weniger frisch, vom bayerischen Land. Mittlerweile war ich am Überlegen, ob Kuhfladen oder Diesel besser rochen. Noch bin ich nicht zu einem Ergebnis gekommen.

„Hey Kat!", rief ich, joggte zu der kleinen Gestalt, die schon vor dem Fitnessstudio stand. Mir war es ungewiss, wer hier wen gezwungen hat, die Testosteronstube zu betreten. Aber so viel ich mich erinnern konnte ist es Kats Idee gewesen. Freiwillig würde ich niemals da hineingehen, selbst wenn ich mich noch so danach sehnen würde, verschwitzte, durchtrainierten Vertreter meines Geschlechts zu sehen. Vorher ging ich lieber in einen Strip Club. Nicht, dass es für mich eklig war, so einen Ort zu besuchen. Aber in meiner beruflichen Position konnte ich es mir nicht leisten, gesehen zu werden. Allein schon ein begehrlicher Blick zu einem kaum bedeckten Mann konnte mir den Hals kosten. Zumindest glaubte ich dies.

„Also, ich werde dich ganz viel anfeuern. Als deine Motivationspartnerin", sprach sie gut gelaunt, nachdem sie mir auf die Schulter geklopft hat.

Leise seufzte ich auf. Das konnte ziemlich peinlich werden. Mit Kat wäre zumindest noch eine weitere Person, die eher unsportlich war. So war ich dann doch allein und würde nach fünfzehn Minuten wie ein Schwein schwitzen. Beinahe schon genervt betrat ich die Testosteronstube. Wenigstens heiterte mich der Geruch auf. Schweiß, Männerdeo und irgendwas roch nach Mango. Vermutlich ein Raumspray.

Zögerlich ging ich zu dem Typen an der Rezeption, zeigte ihm meinen Dienstausweis. Er checkte diesen ein, bevor er ihn mir wiedergab und etwas in den Computer eintippte. „Brauchen Sie eine Einführung?", wollte der junge Mann wissen.

Schwer schluckend betrachtete ich ihn, aber schüttelte schnell den Kopf. „Nein, nicht nötig. Aber vielen Dank." Beinahe schon hastig drehte ich mich um, damit mein Blick nicht an dem blonden, großen Mann stehen blieb. Ich musste mich auf etwas anderes konzentrieren ... ah, der Duftspender. Daher ist also der Mango-Geruch gekommen.

Ein fester Schlag auf meiner Schulter ließ mich zusammenzucken. „Scheiße, ich rede die ganze Zeit mit dir! Weißt du nicht, wie bescheuert ich mich dabei fühle, wenn nie eine Antwort kommt?" Beinahe schon genervt schnaubte Kat, als ich sie einfach nur verwirrt anstarrte. Beziehungsweise den Mann hinter ihr. Nein, das war doch so gut wie unmöglich. Er kam mir sehr bekannt vor. Als ob- Erneut boxte sie mich und zog mich mit aller Gewalt Richtung Umkleidekabine, weswegen ich nur hinterher stolpern konnte. Ich war überrascht, woher sie auf einmal so viel Kraft hatte.

„Also, beeil dich. Ich warte so lange hier", meinte sie und lehnte sich an das Geländer, woraufhin ich einfach nur nickte. Etwas anderes konnte ich sowieso nicht tun. Im Schlepptau ging ich also in die Umkleidekabine. Ich hasste diese Orte. Immer wenn ich mich außerhalb meines eigenen Bades oder Zimmers umzog, fühlte ich mich wie ein Igel, der auf dem Rücken lag. Es war einfach widerlich, sowie unangenehm für mich, mich vor wildfremden zu entblößen. So ungeschützt einfach anderen ausgeliefert zu sein. Zumindest wenn es nichts Sexuelles war. Aber selbst mit One-Night stands wechselte man ein paar Worte, bevor es zur Sache kam. Jedenfalls war dies einer der vielen Gründe, weshalb ich meine richtige Kleidung immer schon anhatte, sobald ich zum Sport ging.

„Alles in Ordnung?" Erneut riss mich jemand aus den Gedanken. Ich war in letzter Zeit so gut wie gar nicht mehr bei der Sache. Allerdings kam mir die Stimme ziemlich bekannt vor. Zögerlich drehte ich mich also um und fand mich sogleich in ein paar blauer Augen gefangen.

Ich versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen. Diese blauen Seelenspiegel glichen einem Himmel an sonnigen Tagen, jedoch verbarg sich etwas in ihnen, was mir sagte, dass jederzeit aus dem Sonnenschein ein Sturm werden konnte.

„Ja. Alles gut", nuschelte ich. Mir kamen diese Augen ebenfalls ziemlich bekannt vor, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass ich diesen Mann nicht persönlich kannte. Andererseits war ich nie wirklich jemand, der sich um seine Mitmenschen gekümmert und Gesichter sonderlich gut gemerkt hat. Erneut musterte ich den größeren Mann vor mir. Manchmal fühlte ich mich wie ein Zwerg, umgeben von Riesen. Noch immer konnte ich den intensiven Blick auf meine Schultern fühlen, als ich mich an dem Mann vorbeischob. Dabei berührte mein nackter Arm den Körper von ihm, woraufhin ich eine Gänsehaut bekam. Ich war mir nicht ganz sicher, ob das eine gute Art von Gänsehaut war, oder eine unangenehme. Meine Gedanken waren zu verwirrt.

„Was für ein Hübscher", konnte ich noch einen anderen Typen im Hintergrund sagen hören, bevor ich eilig aus der Umkleide verschwand. Dabei habe ich mein Getränk vergessen. Na ja, dann werde ich halt vor Dehydration umkippen, mir war es recht.

Mit noch immer pochendem Herzen ging ich zu Kat, die schon genervt ihre Augen verdrehte. „Ich wollte gerade fragen, weswegen du zu spät bist, aber ich möchte es lieber nicht wissen", meinte sie mit einem Augenzwinkern. Nun war ich es, der mit den Augen rollte.

„Kit-Kat, nicht alle sind so Sexbesessen wie du", meinte ich, während ich mit ihr die Treppen hochging. Äußerst interessant, wie die Testosteronstube aufgebaut war. Die Ausdauergeräte befanden sich auf der höheren Etage, sodass man über alles erblicken konnte – was bei mir jetzt schon zu Schwindelgefühl führte -, während sich die Kraftgeräte unten befanden.

Ein leises Lachen entwich ihr, während sie zu mir hinaufsah. „Tu nicht so unschuldig, Anthony. Immerhin muss ich immer deine Laute ertragen, wenn du einen heißen Traum hast. Das passiert öfters, als du denkst übrigens." Erneut lachte sie laut, was schon einige Blicke auf uns lenken ließ. Peinlich berührt biss ich auf meine Unterlippe, ging aber einfach weiter und ignorierte die Blicke, sowie leises Gemurmel. Das war ja noch schlimmer, als damals auf dem Schulhof. Kaum ist ein neues Gesicht erschienen, schon ist das Getuschel losgegangen. Bis heute habe ich es nicht verstehen können. Natürlich, man war neugierig, aber man konnte doch mit den Leuten einfach reden, wenn man etwas von ihnen wissen wollte, oder nicht? Vielleicht waren meine Gedanken aber einfach zu naiv für so etwas.

Ich legte das Handtuch über meine Schulter, während ich auf das Laufband stieg. Gedankenverloren blieben meine Augen bei einem Bild stehen. Es war ein friedliches Motiv mit klarem Sonnenschein. Ein gemaltes Schiff wog sanft in den Wellen hin und her. Dieses Blau erinnerte mich erneut an die Augen von vorhin. Wer wohl dieser Typ gewesen ist? Mein Herz raste auf jeden Fall, als ich an den intensiven Blick dachte. Gott, war ich wirklich schon so verzweifelt und einsam, sodass mich ein paar himmelblaue Seelenspiegel völlig aus dem Konzept brachten? Sind diese Augen für mich wirklich so einprägsam gewesen, dass ich sie mir merken konnte? Das konnte einfach nicht sein, immerhin durfte ich es mir nicht leisten, so über irgendjemanden zu denken. Ich sollte mir einfach eine Katze zum Kuscheln zulegen. Menschliche Beziehungen waren mir zu komplex, sowie irgendwie seltsam. Warum zerbrach ich mir den Kopf überhaupt darüber?

„Scheiße, Tony, ich werde in Zukunft eine Wasserspritzpistole mitnehmen! Du bist ja nur noch abwesend." Erneut boxte mich Kat gegen die Schulter, weswegen ich leise brummte. Ich konnte schwören, dass sich schon ein blauer Fleck gebildet hat. Etwas verwirrt wanderte mein Blick wieder zu ihr. Irgendwo hatte sie recht, aber ich konnte mich einfach nicht mehr wirklich auf das Geschehen um mich herum konzentrieren. Zumindest außerhalb meiner Arbeit. Meine eigenen Gedanken interessierten mich mehr, als die Lichter, sowie Lieder um meiner eigenen Blase herum.

„Du solltest mal deine kleine Mauer wieder abbauen. Das wird langsam echt schlimm mit dir. Nicht, dass dir irgendwann mal etwas geschieht, weil du unaufmerksam warst." Beinahe schon besorgt sah mich meine Freundin mit ihren waldgrünen Augen an, doch als Antwort schüttelte ich nur den Kopf.

„Mir geht es doch super. Ich bin einfach nur müde und muss an einen Typen aus der Umkleide nachdenken." Es ließ mich beinahe noch miserabler fühlen, wie gekonnt ich mittlerweile lügen konnte. Ich habe nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als diese süßen Lügen meine Lippen verlassen haben. Als Kind ist es mir immer schwergefallen, zu lügen, aber mittlerweile konnte ich selbst meinen Psychiater belügen. Auch wenn Letzteres ziemlich dumm war, aber es gab manche Sachen, über die man noch nicht reden konnte, beziehungsweise reden wollte.

Kat sagte einfach nichts daraufhin, sondern zog nur ihre Augenbraue skeptisch hoch. „Nun. Ich habe gefragt, ob du Till Lindemann vielleicht in der Umkleidekabine gesehen hast. Oder Richard. Die sind nämlich nicht viel später nach dir in den Raum gegangen. Leider habe ich nur noch ihre Rücken sehen können, da ich für kleine Mädchen musste."

Sämtliche Farbe schien aus meinem Gesicht zu verschwinden. Till Lindemann. Aber natürlich! Daher kamen mir also diese blauen Augen so bekannt vor. Mein Herzschlag wurde automatisch schneller, auch wenn ich mir nicht wirklich erklären konnte, weshalb. Vielleicht weil er mich angesprochen hat? Auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich abwesend gewesen bin, hat er mich trotzdem angesprochen. Immerhin war er eine Berühmtheit und Aufmerksamkeit zu bekommen, war einfach ein großartiges Gefühl. Jedoch war es mir im Nachhinein irgendwie peinlich, dass ich ihn nicht von Anfang an erkannt habe. Immerhin habe ich diesen Mann während meiner Jugendzeit regelrecht vergöttert und jetzt erkannte ich sein Gesicht nicht mal.

„Kann sein", murmelte ich als Antwort nur. Wieder kam mir eine Lüge so leicht über die Lippen. „Ich habe nur einen hübschen, großen Mann mit blauen Augen gesehen", fügte ich dennoch schmunzelnd hinzu, um wenigstens einen Teil zu erzählen. Irgendwie war ich das Katharina schuldig.

Auf einmal erklang lautes Stimmengewirr, weswegen ich neugierig nach unten sah. Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag, als ich vier weitere, gut gebaute Männer das Fitnessstudio betreten sehen konnte. Die Gruppe ging auf Richard und Till zu, welche noch an der Theke standen. Vermutlich haben sie auf die anderen gewartet. Der Kleinste von ihnen – obwohl ich auch nicht viel größer war als er – ging auf Richard zu, umarmte diesen innig. Beinahe schon fasziniert sah ich der Umarmung zu. So viele Emotionen und Gefühle lagen in dieser Gestik. Einerseits kam mir mein Mittagessen vor Kitsch hoch, andererseits analysierte ich interessiert die Berührung der beiden Männer.

Vielleicht hat es etwas mit meinem Beruf zu tun, aber mittlerweile empfand ich Gefallen daran, meinen Mitmenschen bei sozialen Interaktionen zu beobachten. Richard hielt Paul – ich wusste einfach, dass der Kleinste Paul hieß – etwas länger im Arm, drückte ihn regelrecht an seinen Oberkörper, bevor er ihm einen flüchtigen Kuss auf den Kopf hauchte. Etwas runzelte ich die Stirn. Es waren auf jeden Fall Gestiken des Schutzes, sowie ... Zuneigung? Hieß es nicht mal vor einer Weile, dass Richard mit einem schwedischen Model zusammen wäre? Nicht, dass es mich sonderlich interessierte, denn meiner Meinung nach sollte er mit jedem ausgehen können, den er wollte, aber dennoch bemerkte ich, wie es mich doch unglaublich neugierig machte. Innerlich verfluchte ich mich dafür, denn was ging mich das Leben von einem anderen an?

Beinahe schon mühevoll zwang ich mich, wegzusehen, bis meine Augen wieder auf Lindemann lagen. Der Mann mit den schönen Augen. Kein Wunder, dass mein Körper so reagiert hat. Im echten Leben sah er um einiges attraktiver aus, als auf Bilder. Groß gebaut, starke Schulter und eben dieses intensive blau seiner Seelenspiegel.

Scheiße, warum überschlugen sich meine Gedanken so sehr? Ich sollte mich endlich auf das Training konzentrieren. Mit bebender Hand drückte ich also auf den Startknopf des Laufbandes und stellte es richtig ein. Selbst nach so langer Zeit konnte ich mich noch ziemlich genau an die ganzen Daten erinnern. Meine Hand wanderte automatisch in meine Hosentasche, um nach Handy und Kopfhörer zu greifen, was Kat allerdings mit einer missbilligen Miene kommentierte. So würde ich wenigstens für eine Weile, mit angenehmer Hintergrundmusik, von der realen Welt abgeschottet sein, auch wenn sich Tills intensiver Blick wie ein Abzeichen in mein Hirn gebrannt hat. Beinahe schon lästig, aber auch irgendwie schön, von wenigstens einer Person mal beachtet, beziehungsweise angesprochen worden zu sein.


Ich hatte einfach Lust, eine Till Lindemann Story zu schreiben.
Mal schauen, wie sie so ankommt.
Kann sein, dass sie trashig wird.

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