Kapitel Sieben - Der Wanderer
Unsanftes Gerüttel weckte mich am nächsten Tag. „Mm, Till", brummte ich nur, zog mir die Decke über das Gesicht. Sein angenehmer, herber Duft schien mich noch immer in seinen Armen zu halten, mich in Sicherheit zu wiegen. Ich vergrub mein Gesicht in das Kopfkissen, in welchem er geschlafen hat. Entspannt hielt ich die Augen geschlossen, ein leises Schnurren entwich mir sogar, bekam regelrechtes Herzrasen, als ich an den starken Mann dachte. Stärke. Wärme.
Diese Gedanken verflogen regelrecht, als ein kalter Luftstrom mich erfasste, als ob sich Eiszapfen durch meine Haut bohren würden. Erschrocken riss ich die Augen auf, sah wie wild um mich.
„Gut, dass du wach bist!"
Kittie war verdammt sauer. Ihre hellen Augen waren weit aufgerissen, ihre Nasenlöcher bebten. Ich wollte sie nicht noch mehr reizen, weswegen ich den Kommentar verkniff, dass sie mich gerade an ein Pferd erinnerte.
Leise brummte ich als Antwort. „Um ehrlich zu sein hätte ich viel lieber weitergeschlafen ... weißt du eigentlich wo er ist?" Hierbei deutete ich auf den leeren Platz meines Bettes.
Sie gab mir einen ordentlichen Klaps auf die Schulter. „Till ist schon längst gegangen. Immerhin hat Rammstein heute einen Auftritt."
Verwirrt blinzelte ich. „Was hat er mit Rammstein zu tun?" Ich legte den Kopf schief, kratzte mich am Nacken. Leise brummend ließ ich mich wieder in die Matratze fallen. Sein Duft lag noch schwer in der Luft, weswegen meine Mundwinkel nach oben zuckten. Ich verstand nicht, was es war, das so anziehend war, aber diese Duftnote wirkte auf mich wie ein Magnet.
„Wie dumm kannst du denn bitte sein?! Der Typ, mit dem du beinahe gefickt hast, ist Till Lindemann! Der Sänger von Rammstein!" Sie stöhnte genervt auf, verdrehte die Augen. „Was meinst du, wie die Presse reagiert hätte, wenn er mit einem völligen Fremden aus einem Kaff geschlichen kommt?"
„So schlimm ist die Gegend hier gar nicht. Außerdem interessiert es den Jungs herzlich wenig, was in der Presse so über sie geschrieben wird. Zumindest das, was ich so mitbekommen habe." Mir wurde schlecht. Ich habe mit einem verdammten Rockstar geknutscht, mich regelrecht an ihn ran geworfen. Verdammt, er musste mich für einen verrückten, dauergeilen Fanboy gehalten haben. Falls er überhaupt an mich dachte.
Blind tastete ich nach meinem Handy, gab seinen Namen auf Instagram ein. Mir blieb fast die Luft weg. Der Mann war wunderschön. Vorsichtig strich ich über mein Handybildschirm, als ob ich tatsächlich über sein Gesicht streicheln würde, an das ich mich jedoch kaum erinnern konnte. Nur schemenhafte Umrisse sind mir in meinem Gedächtnis geblieben, doch als ich ihn so auf dem Bild ansah war mir klar, weswegen ich mich so willig an ihn rangemacht habe. Beinahe schon zögerlich drückte ich auf seine Story.
‚Your Bambi eyes' stand kursiv über ein Bild. Es war dunkel und nur paar Lampen spendeten ein wenig Licht. Trotz der schemenhaften Umrisse konnte ich genaustens erkennen, was das für eine Gegend war. Er hat das Bild von meinem Fenster aus fotografiert. In die Adalbertstraße. Es war zwar recht unscharf, dennoch konnte ich das vertraute Neonschild des Sushi-Restaurants entziffern.
Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich wusste nicht weshalb, aber irgendwie machte es mich doch ganz verlegen. Bambi-Augen. Rehaugen. Braune Augen. Solche, die ich hatte. Aber würde mir Till tatsächlich einen Eintrag in seiner Story widmen?
Vermutlich nicht. Immerhin kannten wir uns nur eine Nacht. Nicht mal eine komplette Nacht.
Seufzend legte ich mein Handy weg, schloss die Augen. „Und weswegen weckst du mich? Ich habe heute frei", brummte ich, war kurz davor, ihr an die Kehle zu springen. Ich war hundemüde, mein Kopf dröhnte noch, sowie verwirrte mich die Sache mit Till. Mir war es egal, dass er einer der wahrscheinlich bekanntesten deutschen Sänger überhaupt war. Es waren die sanften Berührungen, zärtlichen Küsse und sein betörender Duft, welche mich regelrecht verrückt machten. Fest presste ich mich an sein Kissen, welches sogar noch etwas warm war. Weshalb ich eine Gänsehaut bekam. Die Erinnerungen an seinen warmen Körper wurden regelrecht wachgerüttelt. Mein Herz raste regelrecht, als ich an seine Arme dachte seine blauen Augen. Ich wollte nicht an ihn denken, aber ich tat es.
„Weil wir einkaufen müssen. Wir haben nichts mehr zu essen und ich verhungere." Kittie zog eine Schnute, deutete mit einem Kopfnicken zu dem Kühlschrank.
Genervt seufzte ich, auch wenn sie natürlich Recht hatte. Sowie meistens. „Gut. Gib mir fünf Minuten. Wir nehmen die S-Bahn." Ich rollte aus dem Bett, stand auf und sammelte die Klamotten auf, welche noch von Gestern rumlagen. Der Schweißgeruch war noch nicht so penetrant, weswegen ich mich dazu entschloss, sie heute nochmal zu tragen. Auch wenn mich meine Mitbewohnerin nicht wirklich begeistert ansah. Ich ignorierte ihren Blick, schlürfte einfach in das Bad und machte mich soweit es ging fertig.
Jedoch konnte ich es nicht lassen, sah immer mal wieder die Bilder von Till auf Instagram an. Ein neuer Beitrag in seiner Story. Er saß auf einem Steg, blickte gedankenverloren in die Ferne. Wer wohl das Bild fotografiert hat? Wieder ein kursiver Text:
Verlangen, verfluchen; Verdammen, Versuchung.
Mein Herz schien schneller zu klopfen. Versuchung. Welche Versuchung meinte er? Wieso interessierte es mich so sehr? Warum drehten sich meine Gedanken um ihn? Es war nicht gesund. Es war alles andere als gesund. Er ist eine lockere Begleitung durch die Nacht gewesen, jemand der da war, als er die Person gebraucht hat. Seufzend strich ich mir durch das Haar, legte das Handy weg. Tatsächlich dauerte es nicht allzu lange, bis ich aus dem Bad trat, mein Shirt glattstrich.
„Müssen wir echt mit der Berliner S-Bahn fahren?" Sie zog einen Schmollmund, während sie ihre dunkelrote Tasche schulterte. Mir war bewusst, dass sie S-Bahn fahren hasste, jedoch war ich hier der Typ mit den Autoschlüsseln, weswegen es für sie keine wirklich andere Wahl gab, außer mir in dieser Hinsicht zu folgen.
„Ja. Erstens, weil wir vermutlich im Straßenverkehr Berlins sonst umkommen würden und zweitens, weil du mich geweckt hast", meinte ich grinsend, schnappte Wohnungsschlüssel, Geldbeutel und Handy. Ganz gentlemanlike hielt ich ihr die Tür auf, weswegen sie einen albernen Hofknicks vollführte, welcher mir dennoch ein Schmunzeln entlockte.
„Vielen Dank, der Herr."
„Aber bitte doch, mein wertes Fräulein."
Grinsend ging ich ihr hinterher, sperrte noch ab. Der Weg bis zu der vertrauten Station verlief größtenteils schweigend, bis auf einmal ein Klingeln ertönte. Sofort checkte ich mein Handy. Ständige Dienstbereitschaft war wichtig. Auch wenn ich in meiner Position ziemlich geregelte Arbeitszeiten hatte, so konnte es jederzeit zu Ausfällen, oder Notfällen kommen. Jedoch war dies nur der Benachrichtigunston.
Patty: Starbucks in 30 min.
Ich: Ich hasse dieses Hipster-Café ... aber okay :/
„Kitte, Planänderung!" rief ich aus, befand mich mit wenigen Schritten wieder bei ihrer Nähe. Etwas legte ich den Kopf schief, sah sie aufmerksam an. „Starbucks mit Patrick in einer halben Stunde", gab ich bekannt, grinste leicht. Es freute mich, sie nun etwas leiden zu sehen.
„Juhu, ich kann es kaum erwarten", meinte ich schmunzelnd, wartete darauf, dass eine dementsprechende Antwort kommen würde. Doch stattdessen brummte sie einfach nur. Genauso wenig wie ich war sie von Starbucks begeistert. Für mich war das ganze ein überteuerter, veganer Tchibo. Dies musste natürlich nicht heißen, dass der Laden automatisch schlecht war. Ich fand das ganze einfach nur nicht gut.
Das näherkommende Geräusch der S-Bahn ließ mich aufhorchen, riss mich aus den Gedanken. Natürlich war sie völlig überfüllt, dennoch konnten sich Kitte und ich uns irgendwie zwischen den Menschenreihen einquetschen. Ich schloss die Augen, versuchte den penetranten Schweißgeruch, sowie die anderen, unterschiedlichen Düfte um mich herum zu ignorieren. Es stank einfach grauenvoll hier. Mein Schädel fing wieder an zu dröhnen nach einer Weile, was ich jedoch ignorierte. Dennoch nahm ich mir vor, irgendwann einen Doktor aufzusuchen. Meine Kopfschmerzen schienen immer schlimmer zu werden.
Beinahe schon erleichtert seufzte ich, als wir an der gewünschten Haltestelle ausstiegen. Die frische Luft begrüßte mich mit offenen Armen und ich lief dieser Umarmung nur zu gerne entgegen. Ein starker Kontrast im Vergleich zu der stickigen S-Bahn.
Ich drehte mich zu Kittie um, welche ebenfalls zufrieden lächelte, an der frischen Luft zu sein. „Na dann, auf zu Penny. Oder ich esse dich gleich", meinte sie grinsend, zwinkerte mir frech zu.
„Kannibalismus ist immer noch in Deutschland illegal", entgegnete ich, stülpte den Kragen meiner Lederjacke hoch. Noch immer nicht ganz wach bewegte ich mich im Zeitlupentempo die vertraute Straße entlang, beachtete kaum noch die Schaufenster von Boutiquen und Bäckereien. Ich kannte mittlerweile sogar schon die einzelnen Preisschilder. Ich interessierte mich nur für den Penny, welcher etwas abseitsstand, dennoch wahrscheinlich der auffälligste Laden war.
„Hey Anthony. Schau mal, wer da ist."
Ich musste mich nicht umdrehen, um ihr breites Grinsen im Gesicht zu sehen. Mein Herz klopfte wie wild, als sie auf die breitgebaute, große Gestalt zeigte. Er bewegte sich wie eine Raubkatze, obwohl er ungefähr so schwerfällig sein müsste wie ein Grizzlybär im Vergleich. Aber das war er nicht. Das war Till nicht.
Mein Hals wurde trocken, weswegen ich es bereute, vorher nicht etwas getrunken zu haben.
Sein Blick wandte sich in meine Richtung. Kurz sah er um sich, ging auf mich zu. Mein Herz pochte immer schneller. Was könnte er von mir wollen? Wollte er überhaupt zu mir?
Im Hintergrund hörte ich, wie sich Kittie entfernte. Das Klackern ihrer Absätze auf dem Kopfsteinpflaster verrieten sie.
„Hey", gab ich leise von mir, sah beinahe schon unsicher hoch, als der große Mann vor mir stehen blieb. Im Tageslicht, wenn ich ihn zu seiner vollen Größe, sowie Stärke bewundern konnte, wirkte er noch imposanter als bei Nacht.
Er legte eine Hand an meine Wange. „Ich habe dich gesucht, kaum als ich das Haus verlassen habe", sprach Till mit rauer Stimme, welche mir sofort eine Gänsehaut bereitet hat.
„Wieso bist du gegangen?", wolle ich wissen, schmiegte mich etwas an seine Handfläche.
„Ich hatte meine Gründe. Du bist keiner davon. Wäre es nach mir gegangen, so wäre ich bei dir geblieben. Du sahst so friedlich im Schlaf aus. Beinahe schon unschuldig." Sein Daumen strich meine Lippen entlang, weswegen ich meine Augen leicht schloss.
„Ich sollte das hier auch nicht tun. Ich weiß nicht mal wirklich, wer du bist. Dennoch will ich dich." Fest sah er mir in die Augen. Mit diesen verdammten, blauen Augen, welche mich zerrissen. Als ob Gott gewusst hatte, dass blaue Augen meine Schwächen waren und mich nach ihnen sehnte.
„Hör nicht auf."
„Ich sollte."
Mein Hals wurde trocken, trat einen Schritt auf Till zu. Ich verstand absolut gar nichts davon. Es war so verwirrend, mein Bauch kribbelte. Wie konnte ich so etwas bei jemandem empfinden, den ich nicht einmal wirklich kannte.
Nun packte er meine Hüfte, zog mich dichter an sich heran. „Werde ich nicht, hörst du?! Du lässt meine dunkelsten Fantasien wiedererwecken." Frustriert brummte Till, drückte etwas auf meine Hüfte. „Wie weit bist du schon mit einem anderen Mann gegangen?", wollte er wissen, ließ mich wieder los.
Erleichtert seufzte ich, sah zu ihm hoch. „Weit genug", war meine leise Antwort, bemerkte wie seine Mundwinkel zuckten. Etwas, was er scheinbar sehr selten tat, dennoch eher niedlich aussah.
„Willkommen im Club", hauchte er, strich erneut über meine Unterlippe.
Wie bei einem Skorpion der Stachel, so schnellte nun meine Zunge heraus. Ich leckte seine rauen Finger entlang, behielt den Blickkontakt aufrecht.
Seine blauen Augen glühten und ich konnte dieses Feuer fühlen.
„Treib es nicht zu weit, oder ich werde dich so hart rannehmen, dass du erstmal nicht spüren kannst, wo oben oder unten ist."
Ich bin am Überlegen, ein oder zwei Kapitel auch aus Tills Perspektive zu schreiben. Was meint ihr?
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