Kapitel Sechs - Sehnsucht
Ich verstand nicht, wie Till es geschafft hat mich in diesem Zustand hochzutragen. Immer wieder kicherte ich oder berührte irgendeine Körperstelle des starken Mannes. Nicht wirklich konnte ich mir ins Gedächtnis rufen wie er reagiert hat, doch er ist nie grob gewesen, hat meine Hand nur irgendwann umschlossen, sie leicht gedrückt. „Ist gut, Anthony", hat er mit dieser Engelsstimme in mein Ohr geflüstert.
Seine Stimme war immer noch rau, fast heißer. Doch genau deshalb fand ich sie so überirdisch, als er mit mir sprach. „Ich werde eine Weile bei dir sein, wenn es in Ordnung war", murmelte er, strich paar meiner dunklen Strähnen aus dem Gesicht.
Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Nacken, welche sich schnell auf meinem gesamten Körper ausbreitete. „Ja", konnte ich nur heißer, beinahe schon krächzend aussprechen. Mit geweiteten Augen verfolgte ich die Bewegungen des Älteren. Er erinnerte mich an ein ruheloses Raubtier, welches nur darauf wartete, gefüttert zu werden.
„Komm zu mir", bat ich leise, streckte die Hand nach ihm aus, in der Hoffnung, er würde sie ergreifen. Ich kannte diesen Mann nicht wirklich. Doch da war dieses Fesselnde in seinen intensiven Augen, welche mich völlig aus dem Konzept brachten, meinen Verstand zu Naivität und regelrechter, jugendlichen Dummheit modulierte. Es war so seltsam für mich, mich von einem anderen Mann fesseln zu lassen. Allein seine intensiven Blicke reichten bei mir aus, mir eine Gänsehaut zu bereiten. Auch wenn es nach wie vor dumm war, einen Fremden mit in die Wohnung zu nehmen. Er könnte weiß Gott was mit mir anstellen.
Doch ein sanfter Händedruck ließ mich diese Gedanken verwerfen. Erneut sah ich hoch, in die wahrscheinlich schönsten Augen der Welt. Wie ein Ozean schienen mich die Irise zu verschlingen, mich in ihre Tiefen hinabzuziehen. Eine Sirene, welche einem einsamen Mann den letzten Wunsch erfüllte, bevor sie jenen zu seinem Ende führte. Bereitwillig ließ ich mich von Till aufsaugen, wollte mich ihm hingeben. Ich vermisste die Nähe eines männlichen, warmen Körpers. Starke Arme, welche sich um meine Schulter schlangen und festhielten.
„Diese Sehnsucht", murmelte mein Gegenüber beinahe schon gedankenverloren, während er meine Wange entlang strich. Seine Fingerspitzen berührten kaum meine Haut, jedoch wurde meine Gänsehaut immer unausstehlicher. Diese Berührungen machten mich verrückt, aber auch zeitgleich so müde. Regelrecht unterwürfig presste ich mein Gesicht in seine Handfläche, küsste diese zärtlich entlang.
„Hör auf." Seine Stimme war regelrecht ein Flehen, als ich die Liebkosung fortführte, jedoch stoppte ich sofort und sah zu ihm hoch.
In seinen Augen herrschte ein Sturm, der mich erneut zu verschlingen drohte. Auch ich sah eine unzähmbare Sehnsucht in seinem Blick, was mir den Atem beinahe raubte. Er verlangte nach den Berührungen. Nach mir. Auch wenn er wollte, dass sie aufhörten. Er wollte sie.
Doch ich machte nicht weiter. Stattdessen sah ich ihn einfach nur an, blinzelte lediglich ein paar Mal. „Es tut mir leid", hauchte ich nach einer Weile, griff nach seiner Hand, um diese sanft zu drücken.
„Schon gut", murmelte er, während seine Augen nach unten wanderten. Beinahe schon fasziniert schien er auf unsere Hände zu schauen, bevor er anfing, mit dem Finger, meine Fingerknöchel zu massieren. Sein Druck war nicht allzu groß, einfach so, dass es sich gut anfühlte.
Lächelnd beobachtete ich seine Bewegungen, schloss sogar ein wenig die Augen. Mein kompletter Körper schien wie eingeschlafen zu sein. Lediglich das leichte Drücken an der Hand bestätigte Tills Anwesenheit.
Irgendwann fühlte ich, wie sich seine warmen, rauen Lippen auf meine Stirn drückten. „Schlaf gut", murmelte er mit rauer Stimme an meine Haut, strich nochmal durch mein Haar. Jede verdammte Berührung. Jeder Körperkontakt trieb mich in den Wahnsinn.
Da das alte Bett leicht knarzte war mir bewusst, dass er gerade aufstand. „Geh nicht", entkam mir meinem Mund. Mein Herz setzte kurz aus. Habe ich das gerade wirklich gesagt? Einen – mehr oder weniger – Fremden dazu aufgefordert, bei mir zu bleiben, wie eine anhängliche Schülerin ihren One-Night-Stand anflehte.
„Werde ich nicht", kam als leise Antwort und als ich die Augen öffnete, sah ich wie sich die Gottheit entkleidete. Sein Oberkörper war noch trainierter, als das T-Shirt es vermuten lassen hat. Diese Muskeln ... Auch wenn ich mich wie ein Zombie innerlich fühlte, so ein Anblick ließ mich doch sehr wach werden.
Irgendwann stand er lediglich in Boxershorts vor dem Bett, seine mächtigen Oberschenkel schienen den Stoff zu zerfressen, was bei mir nicht für Abneigung sorgte, sondern sogar eher das Gegenteil bewirkte. Allein die Vorstellung, einen wahrhaften Adonis in meinem Zimmer zu haben, ließ mir das Wasser in dem Mund zergehen.
Etwas grinste Till, hat bestimmt meinen Blick bemerkt. Erst jetzt fiel mir auf, dass er wahrscheinlich genauso betrunken war wie ich, nur sich selbst besser unter Kontrolle hatte als ich mich.
„Darf ich mich zu dir legen, mein kleiner Prinz?", schnurrte er regelrecht, was bei mir für rote Wangen sorgte. Aber er hatte Recht, ich war ziemlich klein im Vergleich zu ihm. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe, rutschte ein Stück zur Seite. Ein zweites Bett hatte ich nicht und bis ich eine Matratze finden würde, ... Also musste er wohl neben mir schlafen. Erneut machte mein Herz einen Satz, als sich das Muskelpaket auf die Matratze niederließ. Irgendwie war es peinlich so betrunken neben einem heißen Bear – in der Gaycommunity nannte man alle Männer im mittleren Alter, die breit, sowie muskulös gebaut waren, Bear – zu liegen, den ich nicht einmal wirklich kannte. Doch andererseits war es auch aufregend.
Zögerlich bot ich ihm die Ecke meiner Decke an, welche er mit einem dankenden Kopfnicken entgegennahm. Unsere Hände berührten sich dabei, was erneut für wildes Herzklopfen bei mir sorgte. Verdammt, so betrunken konnte ich doch nicht sein, um einen Herzinfarkt zu erleiden. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe, sah in seine blauen Augen, welche lediglich durch das schwache Mondlicht beleuchtet wurden.
Ich traute mich nicht, ihn zu küssen. Auch wenn es lächerlich war, da ich mich vorhin wie eine Hure regelrecht an ihn rangeschmissen habe. Allgemein fühlte ich mich nicht mehr so auf Ekstase.
Scheinbar ging es Till genau anders. Er legte eine Hand auf meine Wange, beugte sich vor und küsste mich hungrig, als ob er seit Tagen nichts mehr gegessen hätte und sich nach dem Geschmack meiner Lippen sehnen würde. Die rauen Finger strichen meine Haut entlang, drückten leicht auf meinen Wangenknochen, bis sie in meinen Haaren stehen blieben. Trotz der Sanftheit waren diese Berührungen auch bestimmt, direkt. Als ob er genau wissen würde, was er tat. Leicht zog er an meinem Haar, leckte über meine Unterlippe, bevor er langsam mit der Zunge über meine Lippen strich.
Sehnsucht.
Erschrocken stöhnte ich auf, was er ausnutzte und sofort mit seinem warmen Muskel in meinen Mund eindrang. Seine Zunge war süß, schmeckte aber auch etwas nach dem Whisky. Willig ließ ich den Zungenkuss zu, erwiderte diesen sogar und umspielte leicht die meines Gegenübers. Ich ließ die Decke los, krallte mich an die Schulter von Till fest.
„So ein Süßer", brummte Till leise, während er weiterhin an meinem Haar herumspielte. Nicht, dass es unangenehm war. Es war einfach nur ungewohnt, sowie seltsam für mich, dass jemand für mich etwas mehr als ein One-Night-Stand Interesse war.
Zögerlich drückte ich mich etwas an ihn. Er war so verdammt warm, weswegen sich mein Körper noch fester an ihn schmiegte. Etwas sog ich seinen Duft ein, schloss die Augen. Ich wusste nicht, ob mich Till dulden würde. Seine Launen waren allgemein eher verwirrend für mich.
Doch Till drückte mich nicht weg, zog mich stattdessen noch dichter an sich. Sanft drückte er seine Lippen auf meine Schulter, hielt mich einfach fest. Seine Berührungen verursachte eine Gänsehaut auf meinem Körper, weswegen ich mich kurz schüttelte.
„Alles gut?"
„Ja."
„Wieso sehne ich mich so nach deiner Nähe, obwohl ich nicht einmal weiß, wonach du dich sehnst?"
„Du weißt es doch."
„Ach wirklich?"
„Ich sehne mich nach demselben wie du."
Vorsichtig strich ich seine Wange entlang, betrachtete sein feines Gesicht. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit, fand meinen Blick bei seinem Seelenspiegel erneut stehen. Ich wusste nicht, wie oft ich schon in seine Augen gesehen habe, aber ich konnte nicht genau von den traurigen Teichen bekommen. Als ob sie meine persönlichen Magnete wären.
„Ich kann dir das aber nicht geben. Ich kann dir nicht meine Nähe geben", flüsterte Till, küsste kurz meine Handfläche. „Weil ich auch keine Nähe fühle", hauchte er an meine Haut, wodurch er mich etwas kitzelte.
Mein Herz schien kurz auszusetzen. Er widersprach sich selbst mit seinen Worten und Handlungen. Wieso tat er das? Wieso küsste und berührte mich, hielt mich fest im Arm und sagte dann, er könnte mir keine Wärme geben? „Du tust es doch schon", flüsterte ich, drückte mich wieder ein wenig dichter an ihn, küsste die Brust von ihm.
„Stopp", brummte Till, packte mich auf einmal am Kinn, sah mir fest in die Augen. „Nein", sprach er kühl, drückte meine Hand. Seine Augen blitzten regelrecht, als er mich zwang, ihn anzusehen. „Hör auf. Hör auf meine Prinzipien über Board zu werfen." Frustration schwang in seiner Stimme mit, sowie eine Mischung aus Zorn und ... Trauer?
Schwer schluckte ich, biss mir auf die Unterlippe. „Was tue ich denn?", fragte ich leise, wollte erneut seine Wange berühren, doch er griff grob nach meinem Handgelenk, weswegen ich zusammenzuckte. Mit geweiteten Augen starrte ich ihn an. Bin ich zu weit gegangen? Habe ich eine Grenze überschritten?
„Alles", raunte er mit tiefer Stimme, packte mich erneut am Nacken, drückte mir einen innigen Kuss auf die Lippen, den ich nur allzu gerne erwiderte. Der Mann machte mich fertig. Mein Puls beschleunigte mich beinahe schon automatisch, als er über meine Lippen leckte, an ihnen zupfte.
Jedoch löste er sich, kaum als ich mich an den Kuss gewöhnt habe. Schwer atmend sah ich zu ihm hoch, zitterte etwas. „Warum küsst du mich und hörst dann wieder auf?"
„Das habe ich dir doch gesagt." Für ein paar Sekunden lächelte Till traurig, strich durch mein Haar. „Aber du solltest dir keine Gedanken um mich machen, kleiner Prinz."
Wie viel der Typ wohl gesoffen hat?
Vermutlich war er gerade deshalb so ... ehrlich und traurig. Ein betrunkener Mann ist ein ehrlicher Mann, hat mein Vater mal zu mir gesagt. Vermutlich eine der wenigen Aussagen von ihm, die wahr war.
„Wie soll ich mir keine Gedanken um dich machen? Immerhin hältst du mich im Arm, küsst und streichelst mich, liegst neben mir fast nackt unter einer Decke ... Du willst mich nicht ficken, aber trotzdem bei mir schlafen, bist da für mich, obwohl du mich nicht einmal wirklich kennst." Ich legte den Kopf schief, strich seine Brust entlang.
„Ich weiß, ich bin viel zu schwach geworden." Leise seufzte Till, strich durch mein Haar. „Ich habe dich schon viel zu sehr in meine Dunkelheit gezogen. Es tut mir so leid." Kurz küsste er meinen Kopf, zog mich so fest wie möglich an seine Brust.
Ich dachte schon, er würde mir die Rippen brechen, doch ich presste mich ebenfalls an ihn. „Mir macht die Dunkelheit nichts aus, Till." Ich sah zu ihm hoch, unsere Blicke trafen sich. Kurz schien die Zeit still zu stehen. Für paar Sekunden schien das Universum nicht zu existieren, als wir uns einfach anstarrten.
Seine Lippen fingen an zu beben. „Aber mir macht sie etwas aus. Dass sie dich verschlingen könnte", hauchte er, küsste mich erneut. Dieses Mal langsamer, behutsamer. Jede einzelne Berührung durchdacht, genaustens überlegt. Als ob er ein Künstler wäre und ich sein Wachs. Dieses Mal strich er meine Hüften entlang, massierte diese, schien mich zu verformen, zu seiner persönlichen Venus.
Ein schwaches Stöhnen entwich meiner Kehle, als er mich weiterhin so küsste. Das Verlangen nach ihm schien zu wachsen, je sanfter er mit mir umging. Er trieb mich einfach in den Wahnsinn.
„Sh, du solltest schlafen, kleiner Prinz. Morgen wird die Welt anders aussehen", murmelte Till an meine Lippen, löste sich von mir. Etwas lächelte er, wuschelte durch mein Haar.
Verlegen lächelte ich, legte den Kopf schief. „Gute Nacht ... Till-Bär." Breit grinste ich, schloss die Augen. Ich ließ mich von seinem Duft einlullen, seine starken Arme hielten mich fest, während ich in einen tiefen Schlaf glitt.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top