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M A N I A C
L O V E
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[Das Geschehene]

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"Brauchst du sonst noch was?", fragt mich Luke, während er mir einer seiner T-Shirts, Boxershorts und Jogginghose vor die Nase wirft.

"Mit dir rede ich nicht.", antworte ich eingeschnappt. Jawohl, ich bin achtzehn Jahre alt, glaubt es oder lasst es halt bleiben, mir solls egal sein.

Er schüttelt lachend den Kopf, woraufhin ich ihm zornige Blicke zuwerfe. Er nimmt mich überhaupt nicht ernst. Bei Jay zieht das immer. Das macht mich gerade furchtbar aggressiv.

"Das Bad ist gegenüber von meinem Zimmer."

Er nickt in die Richtung seiner Zimmertür und fischt anschließend sein Handy aus der Hosentasche.

Nachdem er mich aus dem Pool gezerrt hatte, habe ich ihn seither mit Schweigen bestraft und das auf eine zugegebenermaßen sehr kindische Art und Weise. Vielleicht hat er ja somit die Nase schneller voll von mir und lässt mich gehen oder verkauft mich auf Ebay, was allerdings immer noch besser wäre, als hier in der Hölle zu bleiben.

Extra stampfend maschiere ich also in das besagte Bad, um mich dort von den nassen, am Körper klebenden Klamotten zu befreien und in eine warme Dusche zu steigen.

Das Bad ist mit dunklen Fließen ausgelegt und wirkt im Zusammenspiel mit den Lichtinstallationen sehr modern. Es ist außerdem erstaunlich ordentlich und nicht so nun ja eben unordentlich, wie das Bad in unserer Wohnung. Auch der Rest dieses Hauses oder zumindest der Teil davon, den ich bisher zu Gesicht bekommen habe, ist volkommen makellos und in bester Ordnung. Wenn die Jungs hier zusammen wohnen und die Villa immer in diesem Zustand ist, fresse ich freiwillig einen Besen. Das ist kein Scherz.

Na das will ich sehen.

Ach ja, ich hab mir schon langsam Sorgen gemacht, da eine gewisse innere Stimme lange Zeit kein Wort mehr von sich gegeben hat. Völlig umsonst, wie es scheint.

Summend steige ich nach fünfundzwanzig Minuten aus der Dusche. Langzeit-warm-Duscher for the win!
Zugegebener wollte ich eigentlich nur Zeit schinden, um nicht sofort wieder Auge in Auge mit dem Teufel höchstpersönlich sein zu müsssen. Außerdem bin nicht ich es, die die Wasserrechnung zahlen muss.

Im Tempo eines australischen Koalabärens, schlüpfe ich in die Sachen, die mir Luke zur Verfügung gestellt hat und stecke meine Haare zu einem Handtuchturban zusammen. Zu meiner Verteidigung: Koalas sind voll süß, fluffig und die Definition von Ruhe und Gemächlichkeit. Alles Dinge die auf mich zutreffen.

Träum weiter!

Na gut vielleicht auch nicht...

Ich trete vor das Waschbecken und blicke meinem Spiegelbild entgegen.
Naja, vielleicht kommt die Sache einem Waschbär näher.
Mit meinen Daumen versuche ich mir die Maskarareste unter den Augen wegzuwischen, was dazu führt, dass sie anschließend nicht nur schwarz, sondern auch rot umrandet sind.

Genervt lasse ich meine Schultern hängen. Wo ist Lynn mit ihrer gigantischen Kosmetiktasche, wenn man sie mal braucht?

Einige Versuche der Mission 'Make-up-Entfernung ohne Make-up-Entferner' später, sehe ich einigermaßen akzeptabel aus.

Weiterhin starre ich mir selber im Spiegel entgegen.
Unauffällig schnupper ich an Luke's T-Shirt, welches ich trage. Unbewusst flattern meine Augen zu. Es riecht fast so gut, wie er selber.

Aha!

Geschockt reiße ich meine Augen wieder auf. Oh Gott, das habe ich gerade nicht ernsthaft gedacht oder?

Oh doch, hast du!

Rhetorische Frage, liebe innere Stimme, das war eine rhetorische Frage, was bedeutet, dass ich darauf keine verdammte Antwort haben will und schon gar nicht von dir!

Schnell flüchte ich aus dem Badezimmer, bevor mein Verstand noch völlig den Geist aufgibt und öffne die gegenüberliegende Tür zu Luke's Zimmer.

"Ahhh, Miss Pocahontas ist wieder auferstanden. Ich dachte schon ich müsse zu dir ins Bad kommen und dir eine Runde Mund-zu-Mund Beatmung geben."

Luke's Gesagtes trieft praktisch vor spöttischen sowie perversen Unterton. Das ist es allerdings nicht, was mich schockt, sondern vielmehr der Name mit dem er mich soeben angesprochen hat. Ich frage mich heute zum Millionsten Mal erneut: Woher verdammt weiß er das alles?

Er blickt von seinem Handy auf und mustert mich von oben nach unten. Er bleibt schwer schluckend an meinen nackten Beinen hängen, die nicht in der Jogginghose stecken, die er mir gegeben hatte, da sie mir schlichtweg zu groß war und ich wie der letzte Penner darin aussah.

Ich pfeffer ihm die Hose ins Gesicht und hole ihn damit aus seiner Trance zurück. Noch leicht verwirrt finden seine Augen die Meinigen.
Ich, glücklich, dass ich sein Gesicht so 1A getroffen habe, grinse ihn überlegen an. Jungs sind so einfach zu spielen, wie eine Kinderflöte.

"Hat mir nicht gepasst."

Immer noch total neben der Spur, registriert Luke erst einige Momente später, wovon ich rede.

Dieser sammelt sich und sogleich ist sein dämliches Grinsen wieder auf seinem Gesicht zu finden.

"Mir gefällt es so sowieso viel besser!"

War ja klar, dass er so etwas sagen würde. Ich rolle mit meinen Augen und verschränke meine Arme vor der Brust.

Einige Sekunden ist es vollkommen still in seinem riesigen Raum.

"Wirst du mir sagen, woher und vorallem warum du all das über mich weißt?"

Lange starrt er mich an, so als ob er eine innere Diskussion mit sich selber führen würde.

"Connections.", meint er schließlich trocken. Wow. Vielen Dank, wie aufschlussreich. Seine mentale Diskussion scheint zu einem für mich ungünstigen Ergebnis gekommen zu sein, wenn es bei diesen einem Wort bleibt.

Stumm folgen meine Augen jeder seiner Bewegungen. Er seufzt hörbar aus.

"Hör zu. Es ist doch eigentlich egal wie und warum ich an die Informationen gekommen bin. Fakt ist, dass ich sie habe."

Wütend schnaube ich. Das kann doch nicht sein Ernst sein.

"Nein ist es verdammt nochmal nicht. Wenn herauskommt, dass ich damals in diese Sache verwickelt war, kann ich mir auch gleich ein Grab schaufeln."

Sein Gesichtsausdruck wechselt von ernst zu amüsiert.

"Also erstens: Du übertreibst. Sicherlich würde es sich nicht gut im Lebenslauf machen, aber es ist nicht so, als ob du deswegen lebenslänglich hinter Gitter kommen würdest. Und zweitens: Es wird nicht herauskommen, jedenfalls nicht solange du machst, was unser kleiner Deal besagt."

Verächtlich atme ich aus und drehe meinen Kopf in die Richtung des riesigen Fensters in seinem Zimmer.

"Du hast ja keine Ahnung.", flüstere ich.

Erneut füllt Schweigen den Raum. Ich vernehme das Knirschen vom Bett, auf welchem Luke bis eben noch saß. Langsamen Schritte nähern sich mir. Kurz darauf steht seine große Gestalt vor meiner, im Vergleich zu seiner, eher kleinen. Zwei seiner Finger schieben sich unter mein Kinn und heben dieses an, sodass ich ihm nun in seine wunderschönen Augen starre.

Wunderschöne Augen? Ich brauche wirklich dringend Hilfe. Mein Hirn abeitet nicht mehr vernünftig.

Für einen kurzen Moment starren wir uns so an.

"Was verstehe ich nicht?", flüstert er zurück.

Unglaubwürdig schubse ich ihn von mir weg. Bloß nicht die Fassung verlieren, Jo! Verliere nicht die Fassung!

Zu spät. In mir kocht es bereits.

"Na alles!", brüllen ich ihn an.

"Du hast absolut keine Ahnung, was du tust. Ich will das alles hier nicht. Denkst du ich war damals mit Absicht in dieser Situation? Nur zu deiner Information: Nein war ich nicht!
Ich war damals so unglaublich wütend und geladen, ich wusste mir nicht anders zu helfen. Wie sollte ich denn ahnen, dass das Ganze mit einem Toten enden würde? Und jetzt kommst du; Wühlst alles um. Ich habe einmal mit dir geschlafen, was im übrigen wahrscheinlich so schlecht war, dass ich mich an nichts mehr erinnern kann; Du gehörst zu einer dämlichen Band und wir waren zufällig einmal zur selben Zeit am selben Ort und du glaubst, dass wir gleich verheiratet sind? Du tickst doch nicht ganz richtig. Dich geht das alles nichts an!"

Schwer atmend beende ich meinen Ausbruch von Wörtern.

Mit weitaufgerissenen Augen steht er mir wie angewurzelt gegenüber.

Damit scheint er wohl nicht gerechnet zu haben.

Das Alles mag jetzt wahrscheinlich ziemlich banal klingen, aber lasst es mich am besten kurz erklären.

Ich war sechzehn, als Jay mich zum ersten Mal zum Boxen mitgeschleppt hat. Anfangs war es auch eine gute Ablenkung und es hat mich das ganze Drama um meine Eltern vergessen lassen. Irgendwann allerdings hat selbst das normale Training nicht mehr ausgereicht, obwohl ich nahezu jeden Tag im Studio war.
Ich wusste Bescheid über illegale Kämpfe und obwohl Jay mir ständig eingetrichtert hat, niemals, wirklich niemals bei einem solchen teilzunehmen, habe ich genau dies hinter seinem Rücken getan.

Es war an einem Samstag und es war, als hätte die Personifikation von Ironie ihre Hände mit im Spiel gehabt, ein sehr regnerischer, nahezu stürmischer Samstag.
Ich hatte Jay eine Nachricht geschrieben, dass unser Filmabend ausfallen müsse, da Miss Red mich aufgrund des Unwetters nicht aus dem Heim lassen würde.

Was er nicht wusste ist, dass ich ihn angelogen hatte.
Statt auf seiner Couch mit Popcorn und einer großen Pizza auf dem Schoß zu sitzen und einen seiner dämlichen Louis de Funés-Filme zu schauen, stand ich nämlich im Ring einer heruntergekommenen und abseits von London liegenden Lagerhalle.

Mit mir waren noch ca 20 weitere Kämpfer sowie Organisatoren in dieser versammelt.
Frauen und Männer, alle sehr dunkel gekleidet und umgeben von einer mysteriösen Aura.

Im Prinzip musste immer Gewinner gegen Gewinner kämpfen, der Verlierer ist jeweils ausgeschieden.

Alles ging gut: keine Polizei, keine temperamentvollen Eskalationen. Es ging solange gut bis zu meinem dritten Kampf. Mir gegenüber stand ein Mann. Etwa ein Kopf größer und geschätzte zwanzig Jahre älter als ich. Es ist unnötig zu erwähnen, dass ich ihm hoffnungslos unterlegen war.

Doch bevor der erste Schlag überhaupt fallen konnte, passierte es. Ganz plötzlich. Völlig aus dem Nichts. Alles ging sehr schnell. Erst ertönte ein lauter Schuss und gleich darauf fiel der Mann vor mir wie ein Sack Kartoffeln zu Boden. Er blutete aus der Schusswunde an seinem Kopf und ich stand einfach nur erstarrt wie eine Eissäule davor, unfähig mich zu bewegen. Dieses Bild werde ich niemals vergessen. Es ist für immer in meinem Gehirn verschweist.

Einige Sekunden später entstand großer Tumult. Alle versuchten zu flüchteten. Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Jemand muss mich mitgezogen haben.

Das Nächte, an das ich mich erinnern kann, war eine Frau, die mir auf die Schulter getippt hatte und mich fragte, ob mit mir alles okay sei. Ich bejahte, obwohl es mir alles andere als okay ging.

Ich saß stumm in einem kleinen Park außerhalb Londons, mitten in der Nacht, unfähig irgendetwas von dem zu verarbeiten, was mir Stunden zuvor widerfahren ist.

Die Polizei hat ein wochenlanges Verfahren nach dem Täter und den Anwesenden dieser Nacht geführt. Erfolglos.

Wenn damals herausgekommen wäre, dass ich einer dieser Anwesenden gewesen bin und zudem auch noch die Gegnerin des Opfers war, als es geschah, wäre ich auf der Straße gelandet, völlig verlassen und wahrscheinlich noch mit massenhaft Sozialstunden am Hals. Ich hätte es niemals geschafft, zu dem Mensch zu werden, der ich heute bin und diese Vorstellung macht mir verdammt Angst.

Ich habe mich damals also dazu entschieden keiner Menschenseele von diesem Vorfall zu erzählen, nicht einmal Jay.

Ich wollte es einfach vergessen und das hat auch gut funktioniert, bis Luke mir das verfluchte Bild auf seinem Handy unter die Nase gehalten hat.

Das Bild, auf welchem eine unscharfe, jüngere Version von mir in dunklen Klamotten auf der Flucht zu sehen ist.

Wenn man nicht weiß, dass ich es auf dem Bild bin, würde man niemals auf die Idee kommen, dass es sich allerdings genau um mich handelt.

Weder der Polizei, noch irgendwem anders hat dieses Bild irgendetwas genützt.

Deswegen finde ich es umso erstaunlicher, dass gerade Luke von mir aka Miss Pocahontas, meinem damaligen Pseudonym, Bescheid weiß.

"Es tut mir leid, aber ich brauche dich.", flüstert Luke ohne auch nur einen Hauch seines sonst so überheblich dämlichen Grinsens im Gesicht.

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ANMERKUNG:

Aloha ihr wunderschönen Menschen da draußen...

Also erstens wollte ich sagen: Wow, zwanzig Kapitel...fühlt sich mega gut an!

Zweitens: Ich möchte speziell Chibi-Kitty, FieneFifi und BiieneMaya danken. Ihr seid der Hammer!

Schaut auf jeden Fall bei FieneFifi vorbei. Durch sie habe ich Gedichte zu lieben gelernt und auch bei BiieneMaya, da ihre Geschichte 'Another Love' absolut großartig ist.

Und drittens wollte ich einfach noch mal anmerken, dass ich mich über Feedback echt mega freuen würde.

Love y'all!!! ♡♡♡
S.

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