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M A N I A C
L O V E
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[Der blaue Brief]

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Langsam trete ich aus dem Backstageraum. Meine eine Hand ist zu einer Faust geballt und die andere umfasst kampfhaft das Mikrofon, welches mir der breitschuldrige Mann gerade eben noch in diese gedrückt hat.

Ich mache meinen Weg auf die Bühne. Das Licht der riesigen Scheinwerfer blendet mich, sodass ich meine Augen zusammenkneifen muss. Als ich auf meiner Makierung in Form eines X angekommen bin, sind die blendenden Bühnenlampen eher zu meinen Gunsten justiert, sodass ich meine Augen wieder vollständig öffnen kann.

Mir entgegen blicken hunderte  Augenpaare. Meine jedoch erwidern nur eines. Schock umspielen diese.

Wo ich bin?

Nun...Um diese Frage zu beantworten, braucht es eine kleine Zeitreiese.
Spulen wir also mal drei Monate zurück...

***

"Jaydeeeen! Hilf mir doch mal."

Mit Farbe überall dort, wo sie nicht sein sollte nämlich an meinem Körper, stehe ich auf dem wackligen Hocker, den ich vor circa einer Stunde erst zusammengebaut habe.

Da meine jemand nochmal, dass IKEA Anleitungen einfach zu verstehen sind und nein, es liegt nicht an fehlender Intelligenz. Ich habe schließlich eine der besten Abschlüsse des Jahrgangs. Ich glaube gelinde gesagt, dass die Anleitung sogar zu unkompliziert für meinen Verstand war. Und schon wieder habe ich bewiesen, wie sinnlos Schule doch ist, wenn man danach nicht mal einen blöden IKEA Hocker aufbauen kann.

Genau in diesen Moment stürmt Jayden mit einem lauten Plauzer in mein Zimmer, was mich und meinen ohnehin schon wackeligen Hocker nur noch mehr ins wackeln bringt.
Jayden, der Gentleman, der er definitiv ist (nur halt nicht mir gegenüber), lässt geschehen, was vorherzusehen war und schon liege ich vor ihm Arm in Arm mit dem kalten und vor allem harten Boden.

Zu meinem Pech landet der Farbeimer, den ich mitgerissen habe, genau auf mir. Jayden kann sich nun nicht länger zusammenreißen und lacht richtig los.

Wütend funkel ich ihm entgegen. So ein Pisser. Unter meinem Killerblick hört er auf zu lachen. Er räuspert sich und kann sein genießerisches Grinsen über die Situation nur schwer unterdrücken. Ich wiederhole mich: So ein Pisser!

Na warte Jayden Dixon... Rache ist Blutwurst.

"Was'n los Kleines? Hat man dir im Kindergarten nicht beigebracht, wie man mit Pinsel und Farbe umgeht und brauchst jetzt die Hilfe eines Meisters?"

Er betrachtet dabei die Wand und grinst abfällig. Dieses blöde Grinsen schlag ich ihm irgendwann noch aus dem Gesicht.

"Ich nehme an mit 'Meister' meinst du dich selber?", erwider ich in einer mindestens genauso abwertenden Tonlage, wie er es Sekunden zuvor getan hat.

Ohne meinen Sarkasmus zu realisieren, nickt er stolz.

"Du würdest nur mein Kunstwerk zerstören."
Um die gespielte Eitelkeit noch zu untermalen, recke ich mein Kinn in die Höhe. Der Fakt, dass ich noch am Boden liege, lässt das ganze jedoch nur halb so tatkräftig rüberkommen.

Erneut fängt Jayden an zu lachen. Ich sehe den Pinsel, der noch immer in meiner Hand ruht und sofort schleicht sich ein hämisches Lächeln auf mein Gesicht.

Tja, wie gesagt: Rache ist Blutwurst, Jayden. Ich schwinge den Pinsel so, dass ein Großteil der Farbe, die gerade noch am Pinsel war, nun Jayden von Kopf bis Fuß in Flecke bedeckt. Jetzt bin ich diejenige, die lacht.

Er hingegen hört abrupt auf mit lachen und formt seine Augen zu Schlitzen.

"Das bedeutet Krieg, Willow!"

"Gib lieber gleich auf, Dixon. Du hast nämlich keine Chance!", zische ich.

Ich hatte mich inzwischen aufgerappelt und stand ihm nun gegenüber. Es war totenstill im Raum, aber unsere zu Schlitzen geformten Augen sprachen Bände.

Im nächsten Moment eskaliert die Situation und wir befinden uns in einem tobenden Farbkrieg. Farbe spritzt durch den gesamten Raum und wir sahen schon nach wenigen Minuten, wie grasgrüne Minions aus.

Gerade als ich und Jayden uns durch die Farbe auf dem Fußboden rumrollen, wird die Tür aufgerissen. Wenig später schallt Lynn's Gelächter durch den noch leeren Raum.

Ertappt stehen ich und Jay auf. Beide blicken wir durch den Raum und steigen augenblicklich in die Lache von Lynn ein.

Ein paar Minuten vergehen und unser Lachflash verebbt langsam. Keuchend wischen wir uns die Tränen aus den Augen.

Eine Weile ist es ganz still, doch das identische Lächeln, welches alle unsere Gesichter tragen, spricht für sich.

Lynn scheint sich jedoch schließlich daran zu erinnern, warum sie ein paar Minuten zuvor in mein Zimmer geplatzt ist. Sie wedelt mit dem Brief in ihrer linken Hand, den mir das Rotbiest vor einer Woche bei meinem Auszug aus dem Heim in die Hand gedrückt hat. Uuups. Den hatte ich ja voll vergessen.

"Was ist das? Der liegt schon seit Tagen auf dem Berg von Kartons, der im Wohnzimmer steht.", fragt sie schließlich.

Ich zucke mit den Schultern.

"Das ist nur eine Abschiedskarte vom Heim oder so.", teile ich ihr also mit.

Ihr Gesicht fängt an zu strahlen.

"Ohh. Darf ich ihn aufmachen? Darf ich Jo?"

Dabei springt sie, wie ein kleines Kind.

"Die Karte kommt dann an unseren Kühlschrank. Also sobald wir einen haben.", plappert sie weiter.

Ich hab zwar keine Ahnung, warum sie deswegen so einen Aufstand macht, zucke jedoch nur erneut mit meinen Schultern, als Zeichen dafür, dass ich nichts dagegen hätte. Wahrscheinlich freut sie sich auf die ganzen Unterschriften und Zeichnungen von kleinen Kindern, die ja 'sooooo süß' sind. Ich rolle mit meinen Augen.

Sofort reißt sie den Briefumschlag auf, während sie sich auf dem Absatz umdreht und sich wieder von meinem Zimmer entfernt.

Mein Zimmer. Ich seufze. Wir sind vor gerade einmal einer Woche in diese Wohnung eingezogen und schon sieht mein Zimmer aus wie ein Schlachtfeld. Das ist ganz allein Jay's Schuld.

Die Eltern der Zwillinge haben uns zum Abschluss der Schule eine Wohnung nahe des Londoner Zentrums geschenkt. Erst war ich strikt dagegen, dies anzunehmen. Ich mein Hallo? Eine moderne 120 Quadratmeter-Wohnung in einer Stadt wie London als Geschenk, kann man nun wirklich nicht einfach so annehmen. Nachdem sie mir klar gemacht haben, dass ich 'verdammt' noch mal wie ihre eigene Tochter bin und dass wir für alles weitere selber sorgen müssen, war ich schließlich einvertsanden.

Tja und hier sind wir und es brauch keinen Hellseher, um feststellen zu können, dass dies in einer Chaos-WG enden wird.

Im Blickwinkel meines Auges merke ich, wie Lynn im Flur außerhalb meines Zimmers stehen geblieben ist. Langsam dreht sie sich um. Jede Gesichtszüge, die auch nur annähernd einem Lächeln gleichen, sind verschwunden. Mit einer hochgezogenen Augenbraue wende ich mich erst Jay zu, der meine Mimik wiederspiegelt, ehe ich Lynn fragend anblicke.

"Was ist los? Brauchst du Hilfe beim Entschlüsseln der Hieroglyphen?", witzel ich als Anspielung auf die Krakelschrift der kleineren Kinder aus dem Heim.

Sie schüttelt den Kopf und schluckt merkbar. Ich runzel die Stirn. Was zur Hölle hat sie?

Sie blickt flüchtig zu Jay rüber bevor sie ihren Blick wieder mir zuwendet.

"Du erinnerst dich an den Tag in Las Vegas vor der Party, als wir dir nicht sagen wollten was los war nachdem du in den Raum gekommen bist und wir uns dann etwas merkwürdig benommen haben? Mein Verdacht hat sich soeben bestätigt."

Sie blickt mir tief in die Auge. Jayden gibt ein geschocktes Geräusch von sich und seine Augen sind weit aufgerissen. Ich verenge meine Augen zu Schlitzen.

"Könntest du bitte weniger in Rätseln sprechen. Was hat sich bestätigt? Verdacht worauf?"
Langsam werde ich ungeduldig.

"Nun ja Jay und ich hatten uns ein Magazin angeschut. Du weißt schon, das was ich dann so schnell weggepackt habe. Darin war ein Artikel. Eigentlich nichts besonderes."

Sie macht eine bedeutsame Pause.

"Solange nichts besonderes, bis man die Puzzleteile zusammenzählt."

Hilfesuchend schaue ich zu Jay. Was für Puzzleteile denn bitte? Dieses Mädchen verwirrt mich gerade enorm. Ist das eine Art Prank oder so?

"Jay wollte mir ja nicht glauben, ab-"

"Ja, weil es ja auch total absurd ist.", fällt dieser ihr ins Wort.

"Leuteeee! WAS ist total absurd? Ich check rein gar nichts.", stöhne ich.

"Dieser Artikel war über diesen einen Typen, der in der Jury von 'The X-Factor' sitzt."

Erwartungsvoll starre ich sie an. Sie mich auch. Was erwartet Sie denn von mir? Ich habe diese Sendung noch nie gesehen. Klar habe ich davon gehört, da die Leute sich ab und zu in der Schule darüber ausgetauscht haben oder so, aber mehr auch nicht.

"Ja und?", frage ich deshalb.

"Jo, der Mann heißt David Willow."

Ohh wooow. Eine berühmte Persönlichkeit teilt sich den gleichen Nachnamen wie ich. Wahrscheinlich wie tausend andere in dieser Welt.

"Ja und?", frage ich also erneut.

Sie holt etwas aus dem Briefumschlag raus.

"Ist wohl doch keine Karte oder was?"

Sie schüttelt den Kopf und übergibt mir den Inhalt. Zwei Zettel.

'Vergib uns.
Mom & Dad'

...steht auf dem ersten Zettel. Falls das ein Streich sein soll, ist es ein verdammt beschissener. Alarmierend Blicke ich die beiden an, doch diese schauen mir todernst entgegen.

Der zweite Zettel ist vielmehr ein Scheck, als ein Brief.

Miss Jolina Fay Willow
750'000 £

Mit weit aufgerissenen Augen starre ich auf das Blatt Papier.
Der Schock ist jedoch nicht wegen dem Geldbetrag, sondern wegen den darunterstehenden Unterschriften.

Kate Willow; David Willow

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