10
M A N I A C
L O V E
{10}
[Das Ende einer Ära.]
___________________________
Volljährigkeit.
Volljährigkeit bedeutet, dass man offiziel erwachsen ist und kein eingeschränktes Recht mehr hat.
Die meisten ziehen von zu Hause aus und wagen den ersten, alleinigen Schritt ins selbständige Leben.
Man blickt ein letztes Mal über die Schulter, nur um eine dauerweinende Mutter und ein sie in den Armen haltenden Vater zu sehen, bevor man in das Auto mit frischgebackenem Führerschein steigt und ein letztes Mal zum Abschied winkt.
Das bleibt mir glücklicherweise erspart und das Heim ist auch nicht wirklich mein zu Hause.
Außer das Geheimversteck auf dem Dachboden, in welchem ich oft Nächte heimlich verbracht habe und das kleine, dreijährige Mädchen mit den roten Locken und dem zuckersüßen Namen Estelle, das mir so ans Herz gewachsen ist, werde ich hier nichts vermissen.
Wer mich fragen würde, was ich jetzt mit meinem Leben anstellen will, würde ich mit einem Schulterzucken antworten. Ich habe absolut keinen Plan. Ich wollte meinen 'Eltern' immer beweisen, dass sie etwas verpassen und vorallem, dass ich auch ohne sie problemlos auskomme. Ich brauche sie nicht. Ich habe mich in der Schule immer angestrengt, was mein guter Abschlussdurchschnitt zeigt. Meine Motivation war Wut. Mein Ziel war es immer meinen sogenannten 'Eltern' zu zeigen, dass ich auch ohne sie erfolgreich sein kann. Die Ironie dabei ist, dass sie davon niemals etwas mitbekommen werden.
Hass. Die einzige Emotion, die ich für diese beiden Menschen übrig habe ist Hass. Ich kenne nicht einmal ihre Namen. Ich weiß auch nicht, ob das eine gute oder eine schlechte Sache ist. Wahrscheinlich aber eher eine Gute, da ich somit nicht unnötige Gedanken an sie verschwenden muss.
Als Kind habe ich das nie verstanden. Bis zu meinem sechsten Lebensjahr dachte ich, dass ich vollkommen normal aufwachse. In der Grundschule jedoch merkte ich recht schnell, dass es doch nicht so normal war. Ich beobachtete andere Kinder, wie ihre Eltern sie abgeholt haben und dann gemeinsam in den Park gegangen sind, um Eis zu essen.
Ich wurde skeptisch und fragte die Erzieher bestimmt jeden Tag, wo denn meine Eltern seien. Antworten habe ich nie bekommen, bis zu dem Tag an dem ich 16 geworden bin. Man gab mir damals eine Art Protokoll, in dem mein Lebenslauf strukturiert und detailliert aufgezeichnet war. Nicht besonders spannend und besonders schlauer war ich danach auch nicht, da darin kein Wort über meine Eltern verloren wurde. In Kurzfassung: Als ich drei Monate alt war, gaben sie mich in dieses Heim und seitdem lebe ich hier.
Verflucht habe ich meine Eltern seit diesen Tag.
Verflucht dafür, dass sie nicht für mich da waren.
Verflucht dafür, mich als Kind ungeliebt gefühlt zu lassen.
Verflucht dafür, dass mich die Kinder in der Schule immer ausgelacht haben und mich wie eine Außerirdische behandelt haben und verflucht dafür, dass ich sie bis zu diesen Tag auch noch in Schutz genommen hatte. Ich dachte immer sie seien vielleicht Tod, aber hinterher wusste ich es besser, da sie mich vielmehr nicht wollten.
Einen großen Unterschied macht das wahrscheinlich nicht. Man könnte sagen, dass dieser Tag mich zu dem geprägt hat, wer ich heute bin. Aus dem Loch, in das ich damals gefallen bin, bin ich bis heute nicht rausgekommen. Naja...wie auch immer.
Tadaa. Meine Lebensstory. Herzergreifend, nicht wahr?
Ein sarkastischen Lachen verlässt meine Lippen.
Wie dem auch sei.
Ich habe nie über meinen Abschluss hinaus nachgedacht. Die Frage 'Was nun?' ist also völlig berechtigt.
Wahrscheinlich werde ich mit meinem gesparten Geld erstmal irgendwo Urlaub machen. So wie ich Jayden kenne hat er aber betimmt schon irgendwas geplant.
Es ist irgendwie schon beängstigend. Dies ist der Start einer völlig neuen Ära. Ich bin endlich frei. Ich bin mein eigener Herr und kann tun und lassen, was ich will.
Gerade halte ich das Fotoalbum, welches mir Jayden erst kürzlich anlässlich zu meinem Geburtstag geschenkt hat, in meinen Händen.
Ich muss lachen. Das Bild auf dem Hardcover ist wirklich ungünstig getroffen. Jayden hat es irgendwann mal gemacht, als wir erst frisch in die Oberstufe gekommen sind. Wir saßen damals in der Cafeteria der Schule und haben Mittag gegessen. Das Bild entstand mit meiner Unwissenheit. Die hochgezogenen Augenbrauen, die weitaufgerissenen Augen und die in Falten liegende Stirn verdeutlicht meine Überraschtheit denke ich ganz gut. Nicht zu vergessen mein komplett mit Tomatensauce verschmiertes Gesicht, was das Bild erst so peinlich macht. Zu meiner Verteidigung: Spagetti lassen sich echt nicht gut essen.
In Gedanken setze ich mir eine innerliche Notiz, mich irgendwie an Jay zu rechen. Der Junge hat echt unendlich Spaß mich bloß zu stellen. Das Buch kann man doch wirklich niemandem zeigen.
In dem Karton neben mir verstaue ich das Buch bevor ich diesen schließe.
Ich rappel mich auf und überblicke mein Zimmer, was nun nicht mehr mein Zimmer war und mit Kartons überflutet ist. Zugegebenermaßen werde ich es schon irgendwie vermissen, aber nicht als ein zu Hause, sondern vielmehr die ganzen Erinnerungen, die dieser Raum beherbergt.
Meine innerliche Verabschiedung an diesen Raum wird durch das Öffnen der Zimmertür unterbrochen.
Das Rotbiest. Ich muss lächeln. Ich glaube sogar sie werde ich noch mit am meisten von all dem hier vermissen.
"Jolina Willow, wann lernst du endlich dein Bett ordentlich zu machen. Nur weil du nicht länger hier wohnst, heißt das nicht das die Regeln, die in diesem Haus herrschen nicht mehr für dich gelten."
Tadelnd blickt sie mich an.
Ich verdrehe die Augen. Einiges ändert sich nie.
"Das habe ich gesehen."
Ich zucke mit den Schultern und seufze.
"Damit kann ich leben. Bin es nicht anders gewohnt."
Sie muss schmunzeln. Wow. Das ich das noch erleben darf.
"Joooooo", kreischt eine mir all zu bekannte Stimme. Ich gehe automatisch in die Knie und öffne meine Arme für das kleine Ginger-Mädchen.
"Ellieeeee", kreische ich ebenfalls.
In der nächsten Sekunde liegt sie mir schon in den Armen und die Geschwindigkeit, mit der sie in mich gerannt ist, bringt mich zum umfallen, sodass wir nun auf dem Boden rumkullern.
"Jo, ich will nicht, dass du gehst.", flüstert sie mir mit ihren zarten Stimme traurig ins Ohr.
Bam. Mein Herz zerbricht mir in der Brust und ich habe Schwierigkeiten meine Tränen aufzuhalten.
Ich mag vielleicht kein Mensch sein, der großartig viel von Gefühlen und Emotionen hält, aber wenn es um dieses kleine Mädchen geht ist es um mich geschehen. Die Wahrheit ist, dass wir uns ziemlich ähnlich sind trotz des großen Altersunterschiedes. Sie hat nahezu die gleiche Vergangenheit, wie ich. Ich habe es damals alles ganz genau beobachtet, als sie hier abgegeben wurde. Auch ihre soziale Art und ihre Auffassung von Dingen, die um sie geschehen ähnelt meiner. Sie hat sich mir anvertraut und in den zwei Jahren, die sie nun schon sprechen kann, hat sie dies fast nur mir gegenüber angewandt. Sie ist sehr schüchtern und zurückhaltend, was wahrscheinlich der einzige Unterschied zwischen mir und ihr ist.
"Ich werde dich ganz oft besuchen kommen.", flüster ich in ihr kleines Ohr zurück.
Ich drücke Estelle leicht von mir weg, um ihr ins Gesicht zu blicken. Sanft wische ich ihr eine Träne von der Wange. Bevor ich aufstehe gebe ich ihr noch einen Kuss auf die Stirn.
Miss Red aka das Rotbiest räuspert sich. Sie zieht mich in eine kurze Umarmung. Unbeholfen stehe ich da. Erneutes Wow. Was zur Hölle ist den mit der los?
Na das ist ja wohl offensichtlich. Sie freut sich, dass du endlich weg bist.
Genervt verdrehe ich meine Augen.
"Wenn du das weiterhin so oft machst, fallen dir irgendwann die Augen raus.", merkt das Rotbiest an. Ich verdrehe erneut die Augen.
Sie muss lachen. Wow zum Dritten. Heute ist echt ein kurioser Tag.
Die Kisten hat Jayden mittlerweile schon in sein Auto geräumt. Ich sehe ihn gerade, wie er Estelle durch die Luft wirbelt. Lachend krallt diese sich an ihn. Nicht nur ich verehre diesen Jungen.
Schmunzelnd schnappe ich mir die letzte Kiste und mache mir einen Weg vorbei an Miss Red. Sie hält mich kurz an und überreicht mir einen blauen Umschlag. Fragend ziehe ich die Augenbrauen hoch.
"Komm uns mal besuchen. Schon allein wegen ihr." Sie nickt Richtung Estelle. Verwundert nicke ich.
"Mach den Brief auf, wenn du zu Hause bist."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top